- OT: Der Wuppdich-Faktor - Sushicat, 24.10.2003, 13:43
OT: Der Wuppdich-Faktor
-->Heiliges Kanonenrohr,
so oft habe ich schon lange nicht mehr das A-Wort in einem renommierten Medium gelesen wie in diesem Text von Marcia Pally.
Es ist die Frage, ob die Quintessenz nur für die USA gilt.
Wenn ich z.B. an Schröder denke, scheint dieses Phänomen auch woanders zuzutreffen.
Schönen Freitagnachmittag
^o.o^
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Der Wuppdich-Faktor
Was Arnold uns über Dubiya und amerikanische Politik lehrt
VON MARCIA PALLY
Dem Rest der Welt beweist der Rückruf des kalifornischen Gouverneurs Gray Davis und sein Austausch gegen Arnold Schwarzenegger auf radikale und typische Weise, wie gern die USA voranhüpfen, mit nichts als Scheuklappen um die Augen. Vernünftige Menschen glauben zu wissen, dass Arnold keinen Pieps von Politik versteht und sein größtes Talent darin bestand, die Metrosexuellen mit ihrem inneren Hunnen zu versöhnen. Aber nichts am Gouverneursrückruf und Arnolds Wahl ist radikal, und das Voranhüpfen hat die USA nicht nur in den Schlamassel geführt, sondern ihnen auch ihre größten politischen Erfolge befeuert, ihr Misstrauen gegen die Regierung und ihre Fähigkeit zum Wandel ohne Revolution, sogar zum Besseren. Arnolds Wahlsieg gibt eine Einführung zum Thema: Was Bush erreichen muss, wenn er 2004 gewinnen will.
Bei den Neuwahlen vor ein paar Wochen sang Kalifornien den alten Refrain"Schmeißt die Schweinehunde raus". Die USA sind aus dem Misstrauen gegen die Regierung entstanden und bestehen auf diesem Misstrauen, auch wenn es sich nicht gegen die Macht an sich richtet, sondern gegen die Inkompetenz der Machthaber. Wenn Sie sich in einer Bar in den USA Freunde machen wollen, sagen Sie einfach, dass die Regierung nicht weiß, was sie tut.
Von den"Klempnern für Rumsfeld" bis zu den"Töchtern Emma Goldmans" werden Ihnen jedermann und jedefrau ein Bier spendieren. Nachdem wir der Krone und dem Stiefel des Faschismus erfolgreich ausgewichen sind, macht Kafkas Schloss uns keine Angst. In der amerikanischen Mythologie ist die Regierung nicht böse, sie eiert bloß hilflos herum. Wir glauben, dass wir ohne sie besser auskommen, wenn wir uns nur auf unseren legendären selbstbewussten, effektiven Individualismus verlassen, der unser Land zum Motor der Weltwirtschaft gemacht hat. Dass die"Arschlöcher" von der Regierung dabei an jedem Aspekt der Entwicklung des Landes beteiligt waren, von der Regulierung des Bankenwesens bis zu den Sicherheitsbestimmungen der Gesundheitsbehörde zum Einsatz von Botox gegen die Lachfalten Amerikas, das vergessen wir gern. Immer gilt als ausgemacht, dass die Regierung das Wasser nicht mal treffen würde, wenn sie aus dem Boot fällt.
Wollen Sie wissen, warum die US-Bürger Bushs Steuerkürzungen so toll fanden, obwohl sie die wichtigste Ursache einer Staatsverschuldung von mehreren Billionen Dollar sind? Weil wir glauben, dass die Regierung sowieso nicht weiß, was sie mit dem Geld anfangen soll. Die Staatsschulden Kaliforniens, die angeblich der Auslöser für die Neuwahlen waren, sind ein Ergebnis der Steuererleichterungen Bushs, die die meisten Bundesstaaten in den Bankrott treiben, und kalifornischer Gesetze zur Begrenzung der Zahl jener Steuern, die erhöht werden dürfen. Steuererhöhungen würden die Staatsverschuldung ausgleichen, aber die Regierung kann die Steuern nicht erhöhen, weil WIR, DAS VOLK, sie sonst feuern. Was sollen wir mit Arschlöchern, die nicht wissen, was sie mit dem Geld anfangen sollen? Wer Schulden macht, fliegt also raus. Wer Steuern erhöht, um die Schulden wieder loszuwerden, fliegt auch raus.
Die kalifornischen Neuwahlen sind nicht einmal ein neues Phänomen. Schon in der Frühzeit der Konföderation waren Neuwahlen so oft erlaubt, dass die ersten Regierungen der Bundesstaaten die Gründung der USA nicht bewerkstelligen konnten. Der Impuls, die Arschlöcher der Steuern wegen rauszuschmeißen, hat uns von George III. befreit, den bewaffneten Aufstand von Daniel Shays beschert, jenen Bauernaufstand von 1786, den Jefferson beklatschte, bis er selbst im Amt war, und alle populistischen Bewegungen, die noch kommen sollten, William Jennings Bryants Revolte gegen die Goldwährung vor hundert Jahren und den Populismus der Depressionszeit inklusive, angeführt vom wilden"Huey" Long, der für eine Karriere in der Politik ebenso hoch begabt war wie für eine bei der Mafia.
Die Unterstützung für Bush bröckelt
Die kalifornischen Neuwahlen stehen ebenso in dieser Tradition wie die Wahl Arnolds. Die Amerikaner werden ihr Misstrauen gegen die Regierung nur unter einer Bedingung vorübergehend aufgeben - wenn sie überzeugt sind, dass sie zur Abwechslung so ist wie die Leute von der Straße selbst: energiegeladen, effektiv und gutwillig, sei es mit isolationalistischen Zügen (Rettet die Bauern Amerikas!) oder weltpolizeilichem Sendungsbewusstsein (Rettet die Bauern Kabuls!). Wollen Sie den Amerikanern einen Krieg verkaufen? Dann sagen Sie ihnen, dass Sie unterdrückten Völkern in 20 Minuten die Demokratie bringen werden, ohne... die Steuern zu erhöhen. Die Unterstützung für Bush bröckelt in den USA nur deshalb, weil sein irakisches Abenteuer jetzt so chaotisch anmutet, nicht, weil es unethisch gewesen wäre.
Die US-Bürger sehnen sich nicht danach, von gelehrten Eliten geführt zu werden; wir suchen uns Jungs, die es gewuppt kriegen. Der recht kluge Bill Clinton wusste, wie man einer von den Jungs wird, und gewann die Wahl. Der recht kluge Al Gore wusste es nicht und verlor sie. Mitten in einem Wirtschaftsboom büßte er so viel vom Vorteil seiner Partei ein, dass die Wahl fast unentschieden ausfiel. Hätte er ein paar Bier mehr gekippt und ein paar mehr Stimmen gesammelt, wäre das Getrickse in Florida nicht ins Gewicht gefallen.
Arnold verfügt über alle erforderlichen Kraftmeier-Qualitäten, nicht nur in seiner Erscheinung auf der PR-Bühne. Auch sei-ne Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Einwanderer-Biografie beglaubigt sie. In den USA ist nichts erotischer als der Erfolg. Auf dem Weg dorthin hat er große Effektivität bewiesen. Wer dürfte da behaupten, als Gouverneur von Kalifornien bliebe ihm der Erfolg versagt? Er hat keine Ahnung, wie man einen Bundesstaat regiert. Na und? Bill Gates hat keinen College-Abschluss. Und die Jungs, die es wissen, waren wenig effektiv beim Versuch, die Steuern niedrig zu halten und den Schuldenberg abzubauen.
Den Amerikanern spiegelt Arnold ihr eigenes, selbstgewisses, pragmatisches Selbstbild, und weil wir alle glauben, dass wir es drauf haben (19 Prozent aller US-Amerikaner glauben, dass sie zu den Reichsten des Landes gehören, und 20 weitere Prozent glauben, bald dazuzugehören), satteln wir uns Arnie drauf. In dieser Spieglein-an-der Wand-Politik üben wir uns schon lange, und sie hat den USA einige ihrer größten Staatsmänner geschenkt. Der Hinterwäldler Andrew Jackson, ein Demokrat, trieb die Besiedlung des Westens voran und förderte die Ausweitung von Wahlrecht und Vetternwirtschaft. Der Blockhütten-Boy Abraham Lincoln, Republikaner, setzte die Bürgerrechte außer Kraft und rettete die Union. Der Draufgänger Teddy Roosevelt, Republikaner, verabschiedete die ersten Anti-Trust-Gesetze gegen die Macht des Geldes. Dazu noch JFK, Reagan, Jesse Ventura (ehem. Freistil-Ringer, heute Gouverneur von Minnesota), Clinton und Dubiya.
Politik der Außenseiter
Alle haben als Außenseiter begonnen und die Bürger davon überzeugt, er wäre kein Teil des Systems, was immer daran wahr sein mochte. Jackson, Lincoln, Clinton, Ventura und auch Reagan waren oder sind beeindruckende Selfmademen. Roosevelt, JFK und Dubyia haben gern diesen Eindruck erzeugt und dann ihren Wuppdich-Faktor zu ihrer hervorstechendsten Eigenart gemacht. Die Arschlöcher zu feuern und mit Wandel versprechenden Leuten zu ersetzen, verschafft den optimistischen Amerikanern großes Wohlgefühl. Solch ein Ereignis flößt uns keine Angst vor Destabilisierung und Not ein, es verleiht uns ein Gefühl des Aufgehobenseins in der Aussicht auf neue Möglichkeiten und Erneuerung. Diese Haltung ist nicht revolutionär, sie ist Traditionsbestand.
Schon in seiner Art, sich in diese Traditionslinie zu stellen, war Arnold effektiv. Am Tag nach seiner Wahl erklärte er, seine enge Beziehung zu Bush werde Kalifornien einen fairen Anteil an Bundeszuschüssen garantieren. Ferner erklärte er, dass er Bushs Aufweichung der Gesetze gegen Luftverschmutzung ablehne, und verkündete seine"grünen" Pläne: Gesetze zur Begrenzung des Kohlendioxid-Ausstoßes von Autos, ein Drittel der Stromversorgung Kaliforniens aus erneuerbaren Energiequellen bis 2020 und ein Verbot von Ã-lbohrungen vor der Küste und Waldrodungen in der Sierra Nevada. Effektivität für alle, Liberale und Konservative zugleich.
Im Jahr 2000 marschierte Dubiya wie ein neuer Roosevelt ins Weiße Haus ein, in Jeans, Cowboystiefeln und mit Stetson. Dass er einer der reichsten Familien des Landes entstammt und dem Wehrdienst ausgewichen ist, macht nichts. Roosevelt und JFK brachten ebenso goldene Familienbande mit, der schlaksige Lincoln war kein Soldat, und Clinton hat den Vietnamkrieg ausgesessen. Dubiyas Kreuzzug nach dem 11. September und seine Kriege in Afghanistan und in Irak trugen zu seinem Image bei, die Sache wuppen zu können. Aber nun haben seine innen- und außenpolitischen Strategien den Anstrich des Ineffektiven erhalten, der einzigen US-amerikanischen Sünde.
Das Defizit wächst, die Arbeitslosigkeit greift um sich. In Irak scheint das Chaos zu herrschen; UN-Hauptquartiere, Polizeireviere, Moscheen fliegen in die Luft, Menschen sterben. Im ganzen Land tragen sich neue Terroristen auf den Bewerbungslisten ein. Selbst unter den Republikanern wächst der Widerstand gegen die Verletzungen der Verfassung und der Bürgerrechte durch den"USA Patriot Act". In einer Umfrage vertrauten nur noch 45 Prozent Bushs Außenpolitik und 40 Prozent seiner Wirtschaftspolitik, ein Minus von 26 Prozent seit dem Frühjahr. Mehr und mehr passt Dubiya ins Bild einer Regierung, die nicht weiß, was sie tut. Im kommenden Wahljahr wird er entweder seinen Platz in der Spieglein-an-der-Wand-Politik zurückerobern und die USA davon überzeugen können, dass er so effektiv ist wie wir, oder er wird dem Verein der Arschlöcher beitreten, die gefeuert werden.
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Marcia Pally lebt als Autorin und Literaturwissenschaftlerin in Berlin und New York. In der FR schreibt sie regelmäßig die Kolumne Flatiron Letters, die nun im FR-Plus Kultur erscheint. Zuletzt erschien von ihr die philosophische Studie"Lob der Kritik. Warum die Demokratie nicht auf ihren Kern verzichten darf" im Berlin Verlag.
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