- Jemand hatte nach der Quelle für US-Obstruktion der europ. Galileo-Pläne gefragt - RK, 26.10.2003, 18:15
- Die Beteiligung Israels an Galileo könnte sich als trojanisches Pferd der USA - Albrecht, 26.10.2003, 20:02
- Re: Die Beteiligung Israels an Galileo könnte sich als trojanisches Pferd der USA - Worldwatcher, 26.10.2003, 21:49
- Gewisse Autarkie ist lebensnotwendig, birgt aber auch Gefahr einer US-Reaktion - stocksorcerer, 26.10.2003, 23:03
- Die Beteiligung Israels an Galileo könnte sich als trojanisches Pferd der USA - Albrecht, 26.10.2003, 20:02
Jemand hatte nach der Quelle für US-Obstruktion der europ. Galileo-Pläne gefragt
-->DER SPIEGEL 44/2003 - 27. Oktober 2003
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,271392,00.html
EU/USA
Kampf um künstliche Sterne
Krisenfall Galileo: Die Entwicklung eines eigenen Satelliten-Navigationssystems macht Europa zum strategischen Konkurrenten der USA. Gegen Chinas Teilnahme an dem Hightech-Projekt protestiert Washington - bislang ohne Erfolg.
George W. Bush schickte Freund Silvio vor: Der italienische Ministerpräsident Berlusconi solle ein Bündnis verhindern, das der Herr des Weißen Hauses als gefährlich für die USA einschätzt.
Folgsam meldete der amtierende EU-Ratspräsident vorvergangene Woche Bedenken an gegen die für den 1. November terminierte Unterzeichnung eines Rahmenabkommens zwischen der EU und China über eine Zusammenarbeit beim europäischen Satelliten-Navigationssystem"Galileo".
DER SPIEGEL
Europäischer Konkurrent
Das soll der neuen asiatischen Weltraummacht den Zugriff auf modernste Technologie erlauben, die derzeit von Experten der EU-Kommission und der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa entwickelt wird. Schon im nächsten Jahr gehen millionenschwere Produktionsaufträge an die Raumfahrtindustrie.
Es gebe"technische Probleme", ließ der Italiener im Rat verbreiten und nahm die Unterzeichnung von der Tagesordnung des EU/China-Gipfels. Doch das Gespann Bush/Berlusconi hatte sich zu früh gefreut. Der italienische Premier unterschätzte den Kampfesmut eines Landsmanns.
Berlusconis Intimfeind, der EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, konterte: Es bleibe beim verabredeten Termin, er selbst werde nach Peking reisen. Sollte Berlusconi als zuständiger Ratspräsident tatsächlich die Unterschrift verweigern, werde er ihn im Europäischen Parlament, drohte Prodi, wegen Verstoßes gegen vitale Interessen der Gemeinschaft zur Verantwortung ziehen lassen.
Der Bush-Komplize knickte ein. Die Unterzeichnung wird durch einen förmlichen Beschluss des EU-Ministerrats in dieser Woche wieder auf die Tagesordnung von Peking gesetzt.
Aufgelaufen ist Bush vorigen Dienstag auch bei einem anderen Versuch, den Europäern seinen Willen aufzuzwingen. In einer gemeinsamen Sitzung des Nato-Rates mit dem Sicherheitspolitischen Komitee der EU maßte sich der amerikanische Nato-Botschafter Nicholas Burns an, gegen den Entwurf der EU-Verfassung zu Felde zu ziehen, wie er in einer Regierungskonferenz der 25 Staaten beraten wird.
Weitere Highlights in Burns' Veto-Liste: Nein zu einem eigenen operativen Hauptquartier der EU, Nein zu einer bloß nachträglichen Unterrichtung der USA und der Nato über EU-Militäroperationen, Nein zu einer selbständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Nato müsse im EU-Militärstab vertreten und so zur Kontrolle in der Lage sein.
Javier Solana, außenpolitischer Repräsentant der EU, ließ den US-Botschafter abblitzen. Er überging dessen Forderungen und beließ es bei der Mitteilung, die Europäer betrieben in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik"kein Nullsummenspiel". Eine stärkere EU sei im Übrigen auch von Vorteil für die USA.
Daraufhin beschwerte sich der Bush-Mann, selbst die Vertreter jener EU-Staaten, die im Irak-Krieg zu den USA gehalten hätten, versagten ihm nun die Unterstützung. Die Diplomaten schwiegen.
Angesichts der immer größer werdenden Sorgen der amerikanischen Wirtschaft, die diplomatischen Friktionen unter der Bush-Regierung könnten das transatlantische Verhältnis völlig ruinieren, bemühte sich Burns daraufhin um Moderation. 58 Prozent der ausländischen Vermögenswerte der amerikanischen Firmen von insgesamt 5,2 Milliarden Dollar seien in Europa angelegt, hatten Wirtschaftsvertreter im Weißen Haus vorgetragen.
Diese auch für die Supermacht lebenswichtige Verflechtung mochte der Botschafter nicht weiter belasten und kritisierte Versuche im US-Kongress, den Protektionismus bei der Rüstungsbeschaffung zu verschärfen. Das"buy american"-Programm werde die Konkurrenz nur ermuntern, so Burns, sich ihrerseits abzuschotten. Deshalb rate er Bush, das Gesetz durch sein Veto zu stoppen.
Mühsam lernt Washington, sich auf neue weltpolitische Koordinaten einzustellen: Den USA wächst mit der Europäischen Union und ihren bald 450 Millionen Bürgern ein Konkurrent heran, der nicht nur wirtschaftlich ebenbürtig ist, sondern in der globalen Politik mitreden will. Der Abfall Frankreichs und Deutschlands im IrakKrieg markierte den Beginn eines tief greifenden Emanzipationsprozesses der Europäer, die strategische Partnerschaften mit Moskau, Delhi und Peking suchen und sich nicht länger von der auf militärische Überlegenheit pochenden US-Diplomatie vereinnahmen lassen wollen.
Dazu passte jetzt der Erfolg der europäischen"soft policy" in Teheran. Mit jener auf Interessenausgleich und wechselseitige Hilfe bedachten Außenpolitik bewegten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Iran zu einer - zumindest öffentlich versprochenen - Suspendierung eines Nuklearprogramms, das zum Bau von Atomwaffen befähigen könnte. Die Drohgebärden Washingtons allein hatten das nicht geschafft.
Mit Galileo fordert Europa die Weltmacht USA nun auf einem Gebiet heraus, auf dem die Supermacht bislang ein unbestrittenes, immens wichtiges Monopol besitzt. Ein weltweites Satellitensystem soll der EU einen gigantischen Zukunftsmarkt erschließen. Das vorgeblich rein zivile Galileo-Netz liefert zudem Europa mit einem codierten, empfangs- und störungssicheren Navigationssignal den Schlüssel zu militärischer Hightech, über die bislang die Supermacht allein verfügt.
Auch das konkurrierende amerikanische Global Positioning System (GPS) ist weit mehr als nur ein System zur weltweiten Ortsbestimmung. Die 28 US-Satelliten, die rund um den Globus mit ihren atomuhrgesteuerten Signalen präzise Orientierung erlauben, sind ein technologisches Fun-dament der konkurrenzlosen Dominanz der Militärmacht USA.
Blitzkriege wie in Afghanistan und im Irak wären ohne die Orientierungshilfe der künstlichen Sterne undenkbar. Weltumspannende Angriffsflüge amerikanischer Kampfflugzeuge, die metergenaue Treffsicherheit gesteuerter Bomben, Marschflugkörper und Raketen, der zielsichere Einsatz von Truppen, Panzern und Geschützen in Nacht und Nebel, Sandstürmen und Qualmwolken - unmöglich ohne die Helfer im Orbit.
"Wer das All besitzt, beherrscht die Welt" - so oder so ähnlich variieren zahllose Führungsvorschriften und Planungspapiere des Pentagon seit Jahren einen zentralen Glaubenssatz der globalen Vorherrschafts-Ambitionen der Supermacht.
Dabei verlieren die Polit-Planer der USA einen zweiten, vielleicht sogar wichtigeren Aspekt nicht aus dem Blick - die ungeheure ökonomische Bedeutung der Navigationstechnologie. Sie wird, da sind sich die Experten sicher, wie Wasser und Strom, wie Verkehrs- und Kommunikationsnetze zu einem Pfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung werden.
Euphorisch beschreibt ein Galileo-Prospekt die Marktaussichten für Orientierungssysteme"mit einem weltweiten Umsatz von 15 Milliarden Euro im Jahr 2001 und einem vorhergesagten Anstieg auf 140 Milliarden bis 2015". Fast bescheiden wirken dagegen die Stationierungskosten für Galileo von geschätzten 3,2 Milliarden Euro, die zu einem Drittel aus der Brüsseler Schatulle, zu zwei Dritteln von der Industrie finanziert werden sollen. Bei Wachstumsraten von derzeit"25 Prozent pro Jahr" könnte diese Technik zum"Powerhouse" der Ã-konomie des 21. Jahrhunderts werden, heißt es in Unterlagen der Brüsseler Kommission.
Kein Wunder, dass Washington mit allen Mitteln um die Wahrung seines zukunftsträchtigen Monopols kämpft. In einem Brandbrief warnte US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz bereits am 1. Dezember 2001 die atlantischen Partner vor"Sicherheitsproblemen bei künftigen Nato-Operationen, falls die Europäische Union mit Galileo fortfährt".
Ein Warnschuss für ein Projekt, an dessen Realisierung die Amerikaner indes nicht wirklich glauben mochten. Wie schon beim Airbus, bei der europäischen Trägerrakete"Ariane", beim Kampfflugzeug Eurofighter, beim Euro und bei der EU-Erweiterung baute Washington anfangs fest darauf, dass die Pläne für ein Satelliten-Navigationssystem im Getriebe der Brüsseler Bürokratie zermahlen würden.
"Zwei Jahre lang haben sie uns belächelt, ausgelacht, nicht ernst genommen", erinnert sich ein EU-Verhandlungsführer. Umso größer war in der Neuen Welt dann die Überraschung, als der Ministerrat der EU schließlich vor Jahresfrist Einigung erzielte über Konzept und Kosten. Präsident George W. Bush befahl daraufhin seinen Unterhändlern die Abkehr vom Obstruktionskurs:"Ihr müsst euch mit den Europäern einigen."
Denn sollten die 30 Euro-Satelliten 2008 am Himmel stehen, dann ist Galileo moderner als GPS, von dessen gut zwei Dutzend Navigationssatelliten zwei Drittel technisch überholt oder gar defekt sind. Es ist zudem leistungsfähiger."Europa wird den USA um Jahre voraus sein", musste selbst Keith McDonald einräumen, der einst GPS für das Pentagon entwickelte.
Das EU-System ist genauer und vor allem offener als das aus den USA, das vom Militär betrieben wird. Zivile Nutzung, bei GPS eher ein Nebeneffekt, obwohl schon heute 100-mal mehr Zivilisten die Satellitensignale nutzen als Militärs, steht im Zentrum der europäischen Pläne.
Der Markt für dieses Angebot ist riesig: Navigationssysteme versprechen mit Galileo eine Präzision, die eine Revolution zum Beispiel im kommerziellen Luftverkehr einleiten könnte. Schon im - gebührenpflichtigen - zivilen Teil erreicht Galileo eine Genauigkeit, die GPS allenfalls mit seinem - geheimen - Militärsignal bietet.
Schiffsführer, Autofahrer, Handybenutzer - kaum ein Lebensbereich wird unberührt bleiben von den europäischen Präzisionsdaten. Das wenigstens hoffen die Galileo-Macher. Zumal die Receiver auch GPS empfangen können - mit weiterem Gewinn an Empfangssicherheit und Genauigkeit.
Sie bestreiten nicht einmal, dass sich Orwellsche Dimensionen auftun, wenn Ortungssysteme das ganze Menschenleben durchdringen. Schon gebe es arabische Prinzen, die sich Elektronikchips in den Körper verpflanzen ließen, damit sie im Fall eines Unfalls oder einer Entführung rasch aufgespürt werden können.
Diese Goldgrube wirtschaftlicher Anwendungen wollten die Amerikaner ursprünglich ganz allein ausbeuten. Doch ein Galileo vergleichbares US-System, das GPS-M, ist frühestens 2012 einsatzbereit.
In Brüssel hört man so etwas gern, denn jedes Jahr Verzögerung verspricht Marktanteile für den Schnelleren. Das versichern die internationalen Unternehmensberater von PricewaterhouseCoopers, die das europäische Konzept für die EU durchgerechnet haben. Von 2015 an winkt, nach Amortisation der Aufbaukosten, satter Gewinn.
Nicht nur darum geht es den USA. Die Amerikaner fürchten"Schurkenstaaten" oder Terroristen, die mit Hilfe der Galileo-Daten ihre Waffen metergenau ins Ziel steuern könnten. Mit Sicherungen gegen unliebsame Galileo-Nutzer haben die Europäer diese Bedenken der Konkurrenten vorerst zerstreut. In einem - allerdings höchst sensiblen - Sektor steht Einigung indes noch aus, beim"Ã-ffentlich Regulierten Dienst". Für dieses hochverschlüsselte, empfangssichere und störungsresistente Signal, das Notdiensten, letztlich aber auch dem Militär, jederzeit den Empfang der Galileo-Daten garantiert, zivilen Nutzern aber verwehrt bleiben soll, haben sich die Europäer bei der Internationalen Telekommunikationsunion Frequenzen gesichert, auf denen auch die Amerikaner den militärischen Teil ihres GPS-M-Signals senden wollen. Hintergedanke: So kann das Pentagon im Krisenfall Galileo nicht stören, ohne die eigenen militärischen Ortungssysteme zu gefährden.
Stört aber ein Dritter, sind beide Systeme blockiert. Hier soll am 17. November eine neue Verhandlungsrunde Abhilfe schaffen."Bleibt Washington allerdings bei seiner Forderung, dass wir das anvisierte Frequenzband ganz verlassen, schaffen wir Fakten", warnt ein führender Galileo-Unterhändler die Gegenseite, obwohl Großbritannien und die Niederlande ihre endgültige Zustimmung zu Galileo an die Einigung mit den USA geknüpft haben. Notfalls wird der Ministerrat Galileo noch einmal beschließen - ohne die Querulanten. Brüssel kann dabei auf weltweite Unterstützung bauen. Nicht nur China, sondern auch Russland, Indien, Japan und sogar Israel wollen bei Galileo mitmachen.
Im All könnte die Konkurrenz der Alten mit der Neuen Welt so eine ganz neue strategische Qualität erreichen. Erstmals wird in Umrissen greifbar, was der amerikanische Politologie-Professor Charles Kupchan in seinem Buch über"Das Ende der amerikanischen Ära" prophezeit: Europa als globaler Herausforderer der Weltmacht Amerika.
WINFRIED DIDZOLEIT, SIEGESMUND VON ILSEMANN, DIRK KOCH

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