- Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende" in Rußland - RK, 02.11.2003, 23:40
- Re: Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende" in Rußland - Emerald, 03.11.2003, 07:28
- Re: Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende".. - Emerald - nereus, 03.11.2003, 08:04
- Re: Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende".. - Emerald - Miesespeter, 03.11.2003, 09:01
- Re: Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende".. - Miesepeter - nereus, 03.11.2003, 11:55
- Re: Putin und der, hoffentlich nicht nur, geistige Frieden - Tempranillo, 03.11.2003, 14:35
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Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende" in Rußland
-->Quelle bueso.de
Chodorkowskijs Verhaftung signalisiert"strategische Wende" in Rußland
(EIR, London Times, Wall Street Journal, Financial Times, FAZ)
Mit der Verhaftung Chodorkowskijs und dem Rücktritt des Kreml-Stabschefs Woloschin geht die Ära der"Oligarchen" in Rußlands zu Ende, was bedeutet, daß nicht nur in der Wirtschaftspolitik Rußlands nationale Interessen wieder in den Vordergrund rücken. Weder sein immenser Reichtum noch seine engen Beziehungen zu den britischen und amerikanischen Ã-lkonzernen konnten Michail Chodorkowskij, den Chef des viertgrößten Ã-lkonzerns der Welt Yukos Oil, am 25. Oktober vor einer Verhaftung durch russische Behörden bewahren. Zwei Tage später erklärte Präsident Putin, das Vorgehen der russischen Ermittlungsbehörden geschehe mit seiner Zustimmung. Am 29. Oktober wurde dann offiziell bestätigt, daß der einflußreiche Chef der Präsidialverwaltung im Kreml Woloschin seinen Rücktritt erklärt hat. Dmitrij Medwedjew - wie Putin aus St. Petersburg stammend und wie er gelernter Jurist - wurde zu Woloschins Nachfolger ernannt und noch am selben Tag beschlagnahmte die russische Staatsanwaltschaft das von Chodorkowskij gehaltene Aktienpaket von 44% des Yukos-Kapitals. Außerdem wurde bekanntgegeben, das russische Ministerium für Rohstoffe werde alle Konzessionen überprüfen, die zur Erschließung und Ausbeutung von Ã-lvorkommen an Yukos gegeben worden waren.
Die Gesamtheit dieser Ereignisse bedeutet nichts weniger als eine Wende in der russischen Politik von wahrscheinlich strategischer Tragweite. Ein Kenner der russischen Politik in Moskau erklärte gegenüber EIR, man könne von einem"Paradigmenwechsel" in der russischen Politik ausgehen. Hier gehe es um viel mehr als um Machtkämpfe im Vorfeld der Duma-Wahlen. Präsident Putin habe sich nun dem Zugriff der"Oligarchen" und des Jelzin-Clans, als deren Vertreter die"graue Eminenz" Woloschin angesehen werden muß, entzogen. Demgegenüber seien Chodorkowskijs eigene politische Ambitionen und seine finanzielle Unterstützung mehrerer"rechts-liberaler" Parteien von untergeordneter Bedeutung; aus parteipolitischen Gründen sei der Kreml jetzt nicht gegen Chodorkowskij vorgegangen.
Putins offene Unterstützung für das Vorgehen der russischen Behörden gegen Yukos steht offensichtlich im Zusammenhang mit seiner Einschätzung der allgemeinen Weltlage. Mit der zunehmenden Wahrscheinlichkeit neuer weltpolitischer Erschütterungen und weiterer"Präventivkriege" seitens der Bush-Administration rücken Sicherheitsbedenken immer mehr ins Zentrum der Überlegungen der russischen Führung. Die - durchaus fortdauernden - Bemühungen um ausländische Investitionen in Rußland treten demgegenüber mehr in den Hintergrund. Putins"grünes Licht" für das Vorgehen gegen Yukos, die Auswechselung des Führungspersonals im Kreml sowie seine Absegnung eines scharf formulierten Papiers des russischen Verteidigungsministeriums zur Nuklearstrategie passen zu diesem Bild.
Durch die Fusion mit Sibneft, das von einem anderen"Oligarchen" - Roman Abramowitsch - geleitet wird, wuchs Yukos Oil vom zweitgrößten zum größten russischen und weltweit zum viertgrößten Ã-lkonzern. Chodorkowskij hat in den letzten Jahren wiederholt London, New York und Washington besucht, um dort Rußlands Erdölreserven als"Alternative" zum Ã-l des Mittleren Ostens anzubieten. Nachdem Yukos im Juni 2001 als erster russischer Großkonzern seine Beteiligung an einem ganzen Netzwerk von Offshore-Unternehmen mit Sitz in Gibraltar und der Isle of Man bekanntgab, avancierte er in den Augen der Londoner Times von einer"umstrittenen Persönlichkeit, die eng mit der Ausplünderung Rußlands verknüpft ist, zu einem der reichsten und bekanntesten Geschäftsleute", dessen Entscheidung für finanzielle Transparenz"einen Trend anstoßen könnte, der Rußland für ausländische Investoren attraktiv macht". In der Tat, die amerikanischen Energiekonzerne ExxonMobil und ChevronTexaco zeigten größtes Interesse, bei Yukos einzusteigen.
Es scheint, daß Putin nicht grundsätzlich gegen einen Einstieg amerikanischer Energiekonzerne eingestellt ist - ganz offensichtlich jedoch nicht unter den Bedingungen, wie sie Chodorkowskij vorschwebten. Genau zu dem Zeitpunkt, als Putin Anfang Oktober in Moskau auf einer internationalen Wirtschaftskonferenz, an der auch Chodorkowskij und der Chef von ExxonMobil teilnahmen, eine Rede hielt, durchsuchten Ermittler aus dem Büro des russischen Generalstaatsanwalts Büros und andere Liegenschaften von Yukos. Dies war ein unmißverständliches Signal, daß das Schicksal der russischen Ã-lindustrie, insbesondere ihre Kooperation mit ausländischen Interessen, eine Sache des russischen Staates, und nicht einzelner"Oligarchen", ist. Bereits im Sommer war Chodorkowskijs Vorstandskollege und Mitaktionär Platon Lebedjew verhaftet worden, der seither im Gefängnis sitzt. Ihm werden Steuerhinterziehung und andere Unregelmäßigkeiten beim Kauf eines Unternehmens im Jahr 1994 vorgeworfen.
Chodorkowskij hatte eine Vorladung für den 24. Oktober erhalten, um sich den Fragen der Staatsanwaltschaft zu stellen. In einem Schreiben erklärte Yukos lapidar, der Vorstandschef hielte sich zu diesem Termin geschäftlich in Sibirien auf. Am 25. Oktober verhafteten dann Beamte des Geheimdienstes FSB Chodorkowskij bei seiner Zwischenlandung im ostsibirischen Irkutsk. Yukos-Pressesprecher Scharin lamentierte später, die Sondereinsatzkräfte seien wie gegen einen Terroristen vorgegangen, als sie das Flugzeug stürmten. Nach seiner Verhaftung wurde Chodorkowskij nach Moskau verbracht, wo man ihm Betrug und Steuerhinterziehung im großen Stil vorwarf. Natalja Wischnjakowa vom Büro des Generalstaatsanwaltes sagte:"Derzeit werden Michail Chodorkowskij sieben Verstöße gegen die Gesetze der Russischen Föderation zur Last gelegt. Die Anklageschrift umfaßt 50 Seiten und könnte sich in naher Zukunft noch erweitern, vor allem bezüglich der Steuerhinterziehung. Die Ermittlungen sind in jeder Hinsicht außergewöhnlich, sowohl, was die Höhe der veruntreuten Gelder und der hinterzogenen Steuern, als auch, was das Ausmaß der Ermittlungsarbeit angeht." Nach einer sechsstündigen Anhörung entschied ein Moskauer Richter, Chodorkowskij ohne Kaution weiter in Untersuchungshaft zu halten.
Nach drei Tagen Haft für Chodorkowskij erklärte Putin im Rahmen einer Kabinettssitzung, es werde keine"Kuhhändel" geben, die die Arbeit der Ermittlungsbehörden und der Gerichte behindern könnten. Verschiedene Politiker und führende Vertreter des russischen Unternehmerverbandes hätten um ein Gespräch gebeten. Auch wenn derartige Treffen mit Persönlichkeiten aus der Geschäftswelt und anderen Bevölkerungsgruppen durchaus"sinnvoll und notwendig" seien,"wird es keine Treffen und Verhandlungen über das Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden geben, solange diese Behörden im Rahmen der Gesetze arbeiten. Weder die Regierung noch das Büro des Generalstaatsanwaltes kann jemanden seiner Freiheit berauben, nicht einmal im Rahmen einer Untersuchungshaft. Das kann allein das Gericht. Wenn, wie in diesem besonderen Fall, das Gericht eine solche Entscheidung getroffen hat, gehe ich davon aus, daß es Gründe dafür gibt. Jeder - ob Normalbürger oder mittlerer Unternehmer oder Großunternehmer, ungeachtet, wie viele Milliarden Dollar sie auf ihren Privat- oder Firmenkonten haben - sollte vor dem Gesetz gleich sein."
Putin fuhr fort:"Ohne diesen Gleichheitsgrundsatz werden wir es niemals schaffen, ein wirtschaftlich funktionierendes und soziales, reguliertes Steuersystem zu besitzen. Wir wären niemals in der Lage, den Menschen beizubringen, ihre Steuern zu zahlen und Beiträge in die Sozial- und Rentenfonds zu entrichten. Zudem wären wir nicht in der Lage, das Organisierte Verbrechen und die Korruption zu bekämpfen. Jede Maßnahme der Bundesbehörden wird oft als eine Art [politischer] Kampagne dargestellt... Ich erkläre in aller Form, daß der Fall Yukos nicht als Präzedenzfall gesehen werden darf oder Analogien oder Verallgemeinerungen gegenüber den Ergebnissen vorangegangener Privatisierungen Raum geben soll, und ich bitte darum, alle Spekulationen und alle Hysterie in diesem Zusammenhang zu unterlassen."
Diese offizielle Erklärung des russischen Staatspräsidenten ist umso bemerkenswerter, wenn man sich Chodorkowskijs anglo-amerikanische"Geschäftsfreunde" ansieht. Noch vor zehn Tagen hatte Chodorkowskij Washington besucht, wo er am 15. Oktober auf einer Veranstaltung der Carnegie Endowment vor Vertretern amerikanischer Denkfabriken und Politikern gesprochen und sich für eine Teilfusion zwischen Yukos und ExxonMobil eingesetzt hatte. In New York und Washington hat man schnell erkannt, daß es beim"Fall Chodorkowskij" um die strategische Frage geht, ob über Rußlands immense Naturreichtümer ausschließlich private - in- und ausländische - Interessen verfügen, oder ob diese dem Gesamtinteresse des russischen Staates untergeordnet bleiben. Um auf Putin internationalen Druck auszuüben, wurde die"liberale" Finanzpresse des Westens mobilisiert. Das Wall Street Journal, die Londoner Financial Times und auch diverse deutsche Zeitungen wie z.B. die FAZ verkündeten die drohende"Rückkehr stalinistischer Praktiken", das"Ende der Marktwirtschaft" und die"Wiederkehr der staatlichen Kommandowirtschaft" in Rußland. Inkompetente Kreml-Bürokraten und Geheimdienst-Seilschaften würden Rußland ins wirtschaftliche Chaos stürzen.
In der Tat wird Rußlands Wirtschaft dirigistischer und regulierter werden, aber das Karriereende der russischen"Oligarchen" wird weder das Ende der Marktwirtschaft noch der realen Wirtschaft in Rußland bedeuten. Ganz im Gegenteil. Das ganze Ausmaß der Nervosität außerhalb Rußlands über die Ereignisse der letzten Woche wird durch die Aktivitäten des ehem. US-Vizeaußenministers Eizenstat deutlich, der im"Internationalen Beraterstab" von Yukos sitzt. Eizenstat erklärte am 30. Oktober, er koordiniere eine internationale Kampagne, um auf die russische Regierung Druck auszuüben, die"Verfolgung Chodorkowskijs" zu beenden. Er stehe bereits mit der Bush-Administration in Kontakt, ebenso mit der britischen Regierung, damit diese auf den Kreml Druck ausübten. Bei der deutschen Regierung sei in dieser Angelegenheit Graf Lambsdorff vorstellig geworden, sagte Eizenstat."Ausgerechnet der Graf", denkt jeder deutsche Leser, denn der FDP-Politiker kennt sich in Fragen von Korruption und Steuerhinterziehung besonders gut aus.
Es wird sich erweisen, daß die Chodorkowskij-Affäre als solche nicht viel anders enden wird als das unrühmliche Ende der Karrieren der Oligarchen Beresowskij oder Gussinskij. Wichtiger ist letztlich der Rücktritt von Woloschin, der seit Jelzins Zeiten als"graue Eminenz" im Kreml galt. Die Präsidialverwaltung galt schon damals als Rußlands Schattenregierung. Der 47jährige Woloschin war 1999 von Jelzin zum Chef der Kreml-Verwaltung ernannt und anschließend von Putin"übernommen" worden. Bis zuletzt war Woloschin ein eifrier Fürsprecher der"Oligarchen". Rußland wird nun sein langfristiges nationales Interesse nicht nur in der Wirtschaft wieder verstärkt durchsetzen, sondern auch in der Politik insgesamt. Davon muß jede weltpolitische Lagebeurteilung nach den Ereignissen der letzten Woche ausgehen.

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