- Das falsche Tribunal: Fall Milosevic in D.Haag. Imperialismus kontra Völkerrecht - RK, 06.11.2003, 20:53
- Ach so, die Quelle noch: - RK, 06.11.2003, 20:54
Das falsche Tribunal: Fall Milosevic in D.Haag. Imperialismus kontra Völkerrecht
-->07.11.2003
Thema
Cathrin Schütz
Das falsche Tribunal
Der »Fall Milosevic« in Den Haag. Imperialismus kontra Völkerrecht
07.11.2003
Cathrin Schütz
* Am Samstag findet im niederländischen Den Haag die zweite internationale Demonstration gegen das Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und für die Freilassung von Slobodan Milosevic statt. Anhand selten zu hörender Argumente aus dem Munde US-amerikanischer Politiker, Experten und Journalisten zeigt Cathrin Schütz, warum der Kampf gegen das Tribunal zu unterstützen ist.
»Im... Schauprozeß gegen den ehemaligen serbischen Staatsführer Slobodan Milosevic hatte Chefanklägerin Carla del Ponte im Jahr 2001... geäußert, daß im Falle Kosovos keine Anklage wegen Völkermord gegen Milosevic vorläge, ›weil es dafür keine Beweise gibt‹. Was hat das Gericht in diesem Falle des Mangels an Beweisen getan? Es hat einfach ein grundlegendes Prinzip der Auslieferungsbestimmungen mißachtet und verkündet, Milosevic wegen anderer Verbrechen anzuklagen als jener, wegen deren er ausgeliefert wurde. Dann fügten sie der Kosovo-Anklage zwei Anklagepakete - Bosnien und Kroatien - nachträglich hinzu.
Die Auslieferung war nichts anderes als Kidnapping. Milosevic wurde auf einen NATO-Flugplatz in Bosnien verschleppt, von wo er nach Den Haag geflogen wurde, nachdem die Vereinigten Staaten der Regierung in Belgrad Millionen Dollar Hilfsgelder versprochen hatten. Die nationale Souveränität wurde völlig mißachtet, da das jugoslawische Verfassungsgericht entschieden hatte, die Auslieferung sei illegal und verfassungswidrig.
Der Milosevic-Prozeß in Den Haag zeigt, daß selbst eine Fassade von »Rechtstaatlichkeit« nur mit Mühe gewahrt wird. Wir haben alle die Arroganz der Richter im Prozeß gesehen, die Milosevic mehrfach das Mikrofon in der Mitte des Satzes abdrehten. Es werden anonyme Zeugen vorgeführt und geheime Aussagen zugelassen. Bis jetzt hat die Anklageseite versucht, Zeugen vorzuführen, die auf der Gehaltsliste des Tribunals selbst stehen, wie im Falle von Besnik Sokoli. Bei anderen Zeugen hat sich ihre Zugehörigkeit zur UCK herausgestellt, jener bewaffneten Einheiten, die im Kosovo die Rebellion anführten. Erinnern Sie sich, Milosevic wurde wegen Kosovo und nur wegen Kosovo angeklagt, aber die Schwäche des Falles zwang das Gericht, weitere Anklagen aus anderen Ländern dranzuhängen. Jetzt, nachdem sich Milosevic im Führen seiner Kreuzverhöre als professionell erweist, versucht die Anklageseite, die Richter dazu zu bewegen, Milosevics Möglichkeiten in den Kreuzverhören einzugrenzen. Das kollidiert mit (US-amerikanischem) Beweisrecht, nach dem der Verteidigende berechtigt ist, das Kreuzverhör fortzusetzen, so lange es für seine Aussage relevant erscheint.«1)
Die Doppelmoral der USA
Soweit die Analyse von Ron Paul aus Texas, Abgeordneter des US-amerikanischen Kongresses. Mit Verweis auf die illegalen Praktiken des Jugoslawien-Tribunals (ICTY) hat er vor einem Beitritt seines Landes zum 2002 gegründeten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gewarnt und bei dieser Gleichsetzung unterschlagen, daß es sich im Falle des IStGH um eine völkerrechtlich legale Institution handelt, ganz im Gegensatz zum Ad-hoc-Tribunal für Jugoslawien. Die Sorge, der Milosevic-Fall könnte als Präzedenzfall für den neuen IStGH herangezogen und amerikanische Staatsführer oder Militärs vor Gericht gestellt werden, ließ den Abgeordneten im Vorfeld der Errichtung des IStGH deutliche Worte sprechen: »Es ist sehr angenehm für die Unterstützer dieses Internationalen Strafgerichtshofes, daß es den hochkarätigen Testfall im Jugoslawien-Tribunal gerade gegen den weitreichend verleumdeten Slobodan Milosevic gibt. Sie konnten auf keinen besseren Fall hoffen. Jeder Angriff auf das Tribunal wird sofort als Verteidigung Milosevics niedergemacht. Es ist illustrativ für uns, einen Blick darauf zu werfen, wie der Milosevic-Fall vorgebracht wird. Heute ist es Milosevic, aber morgen kann es jeder von uns sein.«
Obwohl die Gegner des IStGH eine verdrehte Rechnung aufmachen, wenn sie den faktischen politischen Mißbrauch des ICTY auf den IStGH übertragen, wobei nach ihrer Lesart jede Anklage eines US-Amerikaners ein politischer Mißbrauch wäre, bietet die Debatte um den neuen Gerichtshof klare Erkenntnisse über das (Un-) Rechtsverständnis der Weltsupermacht. Ob man nun ein Befürworter oder Gegner des IStGH ist, es biete sich an, die imperialistischen Staaten an ihrer eigenen (Doppel-) Moral zu messen.
Der Alptraum jedes Amerikaners
Ron Paul: »Der IStGH wird dem Modell der Tribunale folgen. Er ist der Alptraum eines jeden Amerikaners. Daher müssen wir der ganzen Welt vor Augen führen, ob wir nun dem IStGH beitreten oder nicht, daß die Vorgänge in Den Haag zeigen, daß (das Tribunal) einem korrupten Gericht ohne Gerechtigkeitssinn gleicht.«
Der Tenor lautet: Ein Gerichtshof, der US-Bürgern keine Amnestie bietet, ist eine »Gefahr für die nationale Sicherheit der USA« - in Anbetracht der aggressiven Kriegspolitik der USA eine verständliche Sorge der Machthaber. So stellte Noam Chomsky schon Jahre vor dem Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien fest: »Alle amerikanischen Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg (waren) entweder ausgesprochene Kriegsverbrecher oder in ernsthafte Kriegsverbrechen verwickelt.«
Die von der Clinton-Regierung erzwungene Auslieferung Milosevics an das Haager Tribunal ließ in den USA die Warnsignale ertönen. So schrieb die Washington Times: »Nichts zeigt die Doppelmoral unserer Position besser. Wir ignorieren internationale Gerichte, aber wenn es uns paßt, benutzen wir sie, um jene zu bestrafen, die wir nicht mögen«.2) In Anbetracht der bevorstehenden Gründung des IStGH sei zu fragen, ob gerade die USA die erste Anklage eines Staatsführers vor einem internationalen Gericht unterstützen sollten, wenn damit womöglich eine Büchse der Pandora geöffnet werde: »Mit unserer Macht und unserem Geld haben wir den Präzedenzfall geschaffen, um einen Staatschef vor ein außerterritoriales Tribunal zu stellen. Das ist ein außergewöhnlicher Schritt für ein Land, das routinemäßig andere souveräne Staaten bombardiert und ohne Kriegserklärung seine Streitkräfte in ihrem Territorium stationiert... Wir befürworten das Prinzip des Rechts der Stärke, weil wir die Stärke haben... Die Clinton-Regierung stellte sich auf die Seite der (UCK-) Separatisten, die den Konflikt mit Serbien begannen, als sie Serben im Kosovo ermordeten, einer historisch zu Serbien gehörenden Provinz. Anstatt die im Drogenhandel führenden Separatisten zu verurteilen, haben wir uns gegen Herrn Milosevic gestellt...«
Ungeachtet des US-amerikanischen Widerstands nahm der 1998 in Rom vereinbarte IStGH Mitte 2002 seine Arbeit auf, nachdem seine Statuten von 60 Staaten ratifiziert wurden. Die Bedenken der amerikanischen IStGH-Gegner erwiesen sich als unbegründet. Ganz im Sinne ihres hegemonialen Anspruchs lehnt es die Regierung der USA ab, sich einer internationalen Jurisdiktion, der sich die USA zu fügen hätten, unterzuordnen.
Weder Clinton noch sein Nachfolger Bush legten dem Kongreß das Abkommen von Rom, das von den USA am 31.12.2000 in letzter Minute unterzeichnet wurde, zur Ratifizierung vor. Statt dessen vereinbaren die USA, bisweilen auch mit erpresserischen Methoden, mit IStGH-Mitgliedsstaaten bilaterale Abkommen, um US-Bürger grundsätzlich vor Anklagen zu bewahren. Sollte ein US-Bürger dennoch vor den IStGH gestellt werden, greift das »Haag-Invasion-Gesetz«3): Die am 2. August 2002 durch Unterschrift des amerikanischen Präsidenten in Kraft getretene Order »autorisiert den Einsatz militärischer Gewalt, um jeden US-Bürger oder Bürger eines Alliiertenstaates zu befreien, der vor das Haager Gericht gestellt wird«, so Human Rights Watch.
Neu ist es nicht, daß sich die USA einem internationalen Gericht, das sie nicht vollends kontrollieren, entziehen. Auch dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, der 1945 von der UNO ins Leben gerufen wurde, ist dieses Schicksal widerfahren. Seit der IGH einer Klage Nicaraguas gegen die USA stattgab und diese 1986 für schuldig erklärte, haben sich die USA der Rechtsprechung des IGH entzogen. Die Vereinigten Staaten mißachteten das Urteil, indem sie den Contras in Nicaragua ihre Unterstützung weiter gewährten, obwohl der Gerichtshof festgestellt hatte, daß dies völkerrechtswidrig sei. Die USA erklärten den IGH für nicht zuständig und kündigten ihm die Freundschaft.
Cynthia A. McKinney, Kongreßabgeordnete aus Georgia: »Nach den Luftangriffen auf Jugoslawien beschuldigte Amnesty International die NATO der ernsthaften Verletzung von Kriegsgesetzen bei der Durchführung ihrer Operation Allied Force 1999. Nicht überraschend hat... das ICTY es abgelehnt, in dieser Sache zu ermitteln. Keine Gerechtigkeit für Hunderte getötete Zivilisten im NATO-Bombenhagel. Diese und andere zerstörte Leben können einfach als ›Kollateralschaden‹ abgeschrieben werden.... Unsere eigene Regierung stellt sich weiterhin gegen den Internationalen Strafgerichtshof..., hauptsächlich wegen der Aussicht, daß US-Bürger vor das Gericht gestellt werden könnten. Was sind also die neuen Standards für internationale Gerechtigkeit in der Welt? Daß, wenn du eine erste Weltmilitär- und Wirtschaftsmacht bist, du Splitterbomben auf zivile Wohngebiete werfen kannst, oder zivile Züge oder Brücken in die Luft jagen kannst, oder die Elektrizitäts- und Wasserversorgung anderer unter Straffreiheit zerstören kannst? Aber wenn du kein Mitglied dieses Eliteclubs bist oder einer ihrer Alliierten, dann bist du US- und UNO-Sanktionen ausgesetzt, als ›Kriegsverbrecher‹ oder ›Terrorist‹ gebrandmarkt, oder wirst in eine ›Achse des Bösen‹ gesteckt?« 4)
So wie der Westen Menschenrechtsverletzungen je nach seiner eigenen Interessenlage begeht oder übersieht, braucht er juristische Institutionen, die sich dem imperialen Herrschaftssystem fügen. Um eine solche handelt es sich im Falle des ICTY.
Nachdem westliche Staaten, allen voran Deutschland, die USA, Ã-sterreich und der Vatikan, bei der Zerschlagung Jugoslawiens eine aktive Rolle gespielt haben, für die Sezessionskriege mitverantwortlich sind und im Rahmen der NATO 1999 einen Aggressionskrieg gegen Jugoslawien geführt haben, sind sie folglich keine unabhängigen Akteure, die über die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien unparteiisch richten könnten. Trotzdem haben sie, angeführt von der Regierung der USA, 1993 die Einrichtung des ICTY als erstes Ad-hoc-Tribunal im UNO-Sicherheitsrat erzwungen, um Individuen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen - nicht aber für Verbrechen gegen den Frieden. Der Vorsitzende Richter im Fall Milosevic, Richard May, stammt aus dem NATO-Land Großbritannien, genau wie der federführende Ankläger, Geoffrey Nice.
Das ICTY hat praktisch die ganze politische und militärische Führung der Bundesrepublik Jugoslawiens und Serbiens angeklagt, während von andere Nationalitäten (Kroaten, bosnische Muslime, Albaner) keine führenden Kräfte angeklagt sind. Das Tribunal folgt damit der offiziellen politischen Haltung der westlichen Regierungen, wonach die serbische Seite die Hauptverantwortung für die Verbrechen trage. Mehr noch, die Anklageschriften wiederholen im Detail die westlichen Propagandageschichten sogar in den Fällen, die öffentlich widerlegt wurden (Racak, Markale, Srebrenica,...). Der Fall des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wurde zum Paradigma dieser politischen Konstruktion.
Die Bedeutung des Prozesses gegen den ersten Staatsführer, der vor ein »internationales Gericht« gestellt wird, gründet in der Tatsache, daß das Tribunal in den drei Anklageschriften (Kosovo, Bosnien, Kroatien) gegen ihn alle schweren Verbrechen anführt, die sie mit Serben zu verbinden versuchen und, mehr noch, enthalten die Anklagen die ganze westliche, politische Propagandaversion der zehn Kriegsjahre im ehemaligen Jugoslawien.
Slobodan Milosevic entschied vor erwähntem Hintergrund, die Gerichtsbarkeit des Tribunals nicht anzuerkennen. Er erklärte, das Ziel seiner Verteidigung sei es, die Fabrikationen des Tribunals über die moderne Geschichte des Balkan mit den Fakten zu konfrontieren. Mit einer solchen Strategie, die sich in seinem Prozeß bisher als erfolgreich erweist, gewinnt er die Sympathien eines Großteil seines Volkes und eines Teils der fortschrittlichen internationalen Ã-ffentlichkeit. Milosevics Prozeß wurde somit mehr als die anderen Verfahren vor dem ICTY zu einer politischen Konfrontation mit einer historischen und rechtlichen Dimension. Westliche Politiker erwarten, daß das Tribunal eine rechtliche Grundlage herstellt, die sie selbst von persönlicher Verantwortung und ihre Regierungen von der Verpflichtung, Kriegsreparationen für die von ihnen verursachten Schäden zu zahlen, freispricht.
Doch die politischen Intentionen für die Konfrontation mit Milosevic vor dem ICTY gehen darüber hinaus. Während Milosevic im Amt war und sich sein Land dem westlichen Druck widersetzte, waren westliche Regierungen gezwungen, politische Deals mit Milosevic und seiner Regierung einzugehen (Friedensabkommen von Dayton, UN-Sicherheitsratsresolution 1244 für Kosovo). Jetzt, da er im Gefängnis sitzt, versuchen sie, das ICTY als Instrument zu benutzen, um diese Übereinkommen zu annullieren (Auflösung der Republika Srpska, Unabhängigkeit des Kosovo).
Es ist zu erwarten, daß Milosevics Prozeß bis mindestens 2005 andauert und das Tribunal seine Aktivitäten 2008 einstellt. Unabhängig davon, ob Milosevic freigesprochen oder verurteilt wird und ungeachtet dessen, was die endgültige Bilanz der ICTY-Aktivitäten sein wird, gibt es schon jetzt genug Beweise, um zu behaupten, daß das ICTY kein Instrument internationaler Gerechtigkeit, sondern ein repressives politisches Instrument ist, um aggressive, imperialistische Pläne zu realisieren und politische Führer und Kräfte zu bestrafen, die nicht bereit sind, sich der imperialistischen Macht bedingungslos zu ergeben.
»Freundin der NATO«
Entsprechend kamen die Verantwortlichen des Tribunals unter Führung der Chefanklägerin Carla del Ponte der »juristischen« Absegnung der Siegerdefinitionen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien nach, als sie beschlossen, gegen die NATO-Staaten keine Anklage anzustrengen. Obwohl neben zahlreichen Völkerrechtlern auch Amnesty International den NATO-Staaten für ihren Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 Kriegsverbrechen attestierte, lagen aus Sicht des ICTY keine ausreichenden Indizien vor - kein Wunder, hatte man doch bei der Untersuchung fast ausschließlich die Aussagen der verantwortlichen Regierungsvertreter sowie von NATO-Militärs und Sprecher herangezogen, die beteuerten, daß es der NATO einzig um ehrenwerte Ziele, um den Schutz der Zivilbevölkerung ging, und die »Kollateralschäden« unvermeidbare Unfälle waren.5) Die Haager Anklagebehörde gab in diesem Zusammenhang an, daß »die Pressemeldungen der NATO und NATO-Staaten allgemein verläßlich seien und Erklärung wahrheitsgetreu abgegeben wurden«.6)
Der damalige NATO-Sprecher Jamie Shea erinnerte während des NATO-Krieges 1999 nochmals an die Hierarchie. Die NATO-Staaten seien, so Shea, Hauptfinanzgeber des Tribunals, die NATO sei die Freundin des Tribunals und das Tribunal wird Personen jugoslawischer Nationalität anklagen, nichts darüber hinaus. »Wie Sie wissen, ohne die NATO-Staaten gäbe es kein Jugosla- wien-Tribunal, denn die NATO-Staaten stehen an der Spitze derer, die das Tribunal gründeten, die es finanzieren und seine tägliche Arbeit unterstützen.«7)
Nebenwirkungen
Larry Hammond, ehemaliger Richter am US-Verfassungsgericht, spricht als Experte vor dem US-Kongreß: »Ein anderer Fall, in dem kürzlich Klage durch das ICTY erhoben wurde... verdient große Aufmerksamkeit. Die ICTY-Anklägerin hat General Ante Gotovina in Verbindung mit Verbrechen angeklagt, die kroatische Militärkräfte gegen die serbische Zivilbevölkerung in der Region Krajina begangen haben sollen. In den letzen Tagen vor dem Waffenstillstand... war das kroatische Militär an einer Offensive beteiligt, die als ›Operation Sturm‹ bekannt ist.... Es bleiben ernste Fragen hinsichtlich dessen, ob General Gotovina tatsächlich von den Ereignissen gewußt und sie autorisiert hatte, aber von größerem Interesse sind Fragen danach, ob diese betreffenden Ereignisse Teil einer Militäroperation waren, die mit Kooperation und Wissen der Vereinigten Staaten durchgeführt wurde.... Wenn es stimmt, daß der General ein Kriegsverbrecher ist, kann es genauso zutreffen, daß unsere Regierung sein Komplize war.«8)
Die Lösung kommt in diesem Fall von den medialen Helfershelfern. Über den für die »Operation Sturm« im Jahr 1995, d. h. für die Vertreibung von 200 000 Serben aus der Krajina, die die wohl die brutalste Kampagne ethischer Säuberung im auseinander brechenden Jugoslawien darstellt, verantwortlichen Kroaten Ante Gotovina heißt es am 8. Mai in der Washington Times: »Der General ist ein Held, kein Kriegsverbrecher.«
Nachdem Gotovina ankündigte, im Falle einer Auslieferung an das Tribunal Details über die Rolle der USA auszupacken, beunruhigt der Fauxpas, daß er vor dem sonst so US-kooperativen ICTY als einer der nicht-serbischen »Alibi-Angeklagten« auftreten soll. Washington Times: »Washington stellte für die ›Operation Sturm‹ wertvolle militärische und technische Hilfe zur Verfügung... Zagrebs glanzvolle Militäroffensive... half, das zentrale Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik zu erreichen... die Operation kam den US-Interessen im Balkan zugute.... Die Bush-Administration zeigt sich zunehmend beunruhigt über die Auswirkungen, die Gotovinas Fall auf die USA haben könnte. Das Außenministerium drängt nun die Chefanklägerin des Tribunals, Carla Del Ponte, dazu, Fälle, die kroatische Militärs betreffen, zurück an einheimische Gerichte in Zagreb zu senden.... Die Bedeutung der ›Operation Sturm‹ ist, daß sie als Modell für die Operation ›Andauernder Frieden‹ in Afghanistan diente. Das kroatische Militär agierte als Bodentruppe für die US-Bemühen, Herrn Milosevic zu schlagen.«
Es bestätigt sich: Das Tribunal ist der Versuch, die Geschichte auf dem Balkan zu verfälschen, gegen die Verteidiger der Freiheit Vergeltung zu üben und die Akteure der Politik des Krieges und des Kolonialismus, die weltweit auf Widerstand stößt, in Schutz zu nehmen, wie es im Demonstrationsaufruf der deutschen Sektion des Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic heißt.
1) The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice or Show of Justice?« Hearing before the Committee on International Relations, House of Representatives, 107th Congress, 28.2.2002
2) Paul Craig Roberts: Opening Pandora’s box? The Washington Times, 12.7.2001
3) »American Servicemembers Protection Act«, aktualisiert am 26. Juni 2003
4) The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice or Show of Justice?« Hearing before the Committee...
5) Vgl. Cathrin Schütz, Die NATO-Intervention in Jugoslawien, Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen, Braumüller Verlag, Wien 2003
6) Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz: Mehr Probleme als Lösungen... Frankfurter Rundschau, 24.3.2001
7) Press Conference given by NATO Spokesman, Jamie Shea, 17.5.1999, http://www.nato.int/kosovo/press/p990517b.htm
8) »The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice...
Das falsche Tribunal
Der »Fall Milosevic« in Den Haag. Imperialismus kontra Völkerrecht. Von Cathrin Schütz
* Am Samstag findet im niederländischen Den Haag die zweite internationale Demonstration gegen das Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und für die Freilassung von Slobodan Milosevic statt. Anhand selten zu hörender Argumente aus dem Munde US-amerikanischer Politiker, Experten und Journalisten zeigt Cathrin Schütz, warum der Kampf gegen das Tribunal zu unterstützen ist.
»Im... Schauprozeß gegen den ehemaligen serbischen Staatsführer Slobodan Milosevic hatte Chefanklägerin Carla del Ponte im Jahr 2001... geäußert, daß im Falle Kosovos keine Anklage wegen Völkermord gegen Milosevic vorläge, ›weil es dafür keine Beweise gibt‹. Was hat das Gericht in diesem Falle des Mangels an Beweisen getan? Es hat einfach ein grundlegendes Prinzip der Auslieferungsbestimmungen mißachtet und verkündet, Milosevic wegen anderer Verbrechen anzuklagen als jener, wegen deren er ausgeliefert wurde. Dann fügten sie der Kosovo-Anklage zwei Anklagepakete - Bosnien und Kroatien - nachträglich hinzu.
Die Auslieferung war nichts anderes als Kidnapping. Milosevic wurde auf einen NATO-Flugplatz in Bosnien verschleppt, von wo er nach Den Haag geflogen wurde, nachdem die Vereinigten Staaten der Regierung in Belgrad Millionen Dollar Hilfsgelder versprochen hatten. Die nationale Souveränität wurde völlig mißachtet, da das jugoslawische Verfassungsgericht entschieden hatte, die Auslieferung sei illegal und verfassungswidrig.
Der Milosevic-Prozeß in Den Haag zeigt, daß selbst eine Fassade von »Rechtstaatlichkeit« nur mit Mühe gewahrt wird. Wir haben alle die Arroganz der Richter im Prozeß gesehen, die Milosevic mehrfach das Mikrofon in der Mitte des Satzes abdrehten. Es werden anonyme Zeugen vorgeführt und geheime Aussagen zugelassen. Bis jetzt hat die Anklageseite versucht, Zeugen vorzuführen, die auf der Gehaltsliste des Tribunals selbst stehen, wie im Falle von Besnik Sokoli. Bei anderen Zeugen hat sich ihre Zugehörigkeit zur UCK herausgestellt, jener bewaffneten Einheiten, die im Kosovo die Rebellion anführten. Erinnern Sie sich, Milosevic wurde wegen Kosovo und nur wegen Kosovo angeklagt, aber die Schwäche des Falles zwang das Gericht, weitere Anklagen aus anderen Ländern dranzuhängen. Jetzt, nachdem sich Milosevic im Führen seiner Kreuzverhöre als professionell erweist, versucht die Anklageseite, die Richter dazu zu bewegen, Milosevics Möglichkeiten in den Kreuzverhören einzugrenzen. Das kollidiert mit (US-amerikanischem) Beweisrecht, nach dem der Verteidigende berechtigt ist, das Kreuzverhör fortzusetzen, so lange es für seine Aussage relevant erscheint.«1)
Die Doppelmoral der USA
Soweit die Analyse von Ron Paul aus Texas, Abgeordneter des US-amerikanischen Kongresses. Mit Verweis auf die illegalen Praktiken des Jugoslawien-Tribunals (ICTY) hat er vor einem Beitritt seines Landes zum 2002 gegründeten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gewarnt und bei dieser Gleichsetzung unterschlagen, daß es sich im Falle des IStGH um eine völkerrechtlich legale Institution handelt, ganz im Gegensatz zum Ad-hoc-Tribunal für Jugoslawien. Die Sorge, der Milosevic-Fall könnte als Präzedenzfall für den neuen IStGH herangezogen und amerikanische Staatsführer oder Militärs vor Gericht gestellt werden, ließ den Abgeordneten im Vorfeld der Errichtung des IStGH deutliche Worte sprechen: »Es ist sehr angenehm für die Unterstützer dieses Internationalen Strafgerichtshofes, daß es den hochkarätigen Testfall im Jugoslawien-Tribunal gerade gegen den weitreichend verleumdeten Slobodan Milosevic gibt. Sie konnten auf keinen besseren Fall hoffen. Jeder Angriff auf das Tribunal wird sofort als Verteidigung Milosevics niedergemacht. Es ist illustrativ für uns, einen Blick darauf zu werfen, wie der Milosevic-Fall vorgebracht wird. Heute ist es Milosevic, aber morgen kann es jeder von uns sein.«
Obwohl die Gegner des IStGH eine verdrehte Rechnung aufmachen, wenn sie den faktischen politischen Mißbrauch des ICTY auf den IStGH übertragen, wobei nach ihrer Lesart jede Anklage eines US-Amerikaners ein politischer Mißbrauch wäre, bietet die Debatte um den neuen Gerichtshof klare Erkenntnisse über das (Un-) Rechtsverständnis der Weltsupermacht. Ob man nun ein Befürworter oder Gegner des IStGH ist, es biete sich an, die imperialistischen Staaten an ihrer eigenen (Doppel-) Moral zu messen.
Der Alptraum jedes Amerikaners
Ron Paul: »Der IStGH wird dem Modell der Tribunale folgen. Er ist der Alptraum eines jeden Amerikaners. Daher müssen wir der ganzen Welt vor Augen führen, ob wir nun dem IStGH beitreten oder nicht, daß die Vorgänge in Den Haag zeigen, daß (das Tribunal) einem korrupten Gericht ohne Gerechtigkeitssinn gleicht.«
Der Tenor lautet: Ein Gerichtshof, der US-Bürgern keine Amnestie bietet, ist eine »Gefahr für die nationale Sicherheit der USA« - in Anbetracht der aggressiven Kriegspolitik der USA eine verständliche Sorge der Machthaber. So stellte Noam Chomsky schon Jahre vor dem Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien fest: »Alle amerikanischen Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg (waren) entweder ausgesprochene Kriegsverbrecher oder in ernsthafte Kriegsverbrechen verwickelt.«
Die von der Clinton-Regierung erzwungene Auslieferung Milosevics an das Haager Tribunal ließ in den USA die Warnsignale ertönen. So schrieb die Washington Times: »Nichts zeigt die Doppelmoral unserer Position besser. Wir ignorieren internationale Gerichte, aber wenn es uns paßt, benutzen wir sie, um jene zu bestrafen, die wir nicht mögen«.2) In Anbetracht der bevorstehenden Gründung des IStGH sei zu fragen, ob gerade die USA die erste Anklage eines Staatsführers vor einem internationalen Gericht unterstützen sollten, wenn damit womöglich eine Büchse der Pandora geöffnet werde: »Mit unserer Macht und unserem Geld haben wir den Präzedenzfall geschaffen, um einen Staatschef vor ein außerterritoriales Tribunal zu stellen. Das ist ein außergewöhnlicher Schritt für ein Land, das routinemäßig andere souveräne Staaten bombardiert und ohne Kriegserklärung seine Streitkräfte in ihrem Territorium stationiert... Wir befürworten das Prinzip des Rechts der Stärke, weil wir die Stärke haben... Die Clinton-Regierung stellte sich auf die Seite der (UCK-) Separatisten, die den Konflikt mit Serbien begannen, als sie Serben im Kosovo ermordeten, einer historisch zu Serbien gehörenden Provinz. Anstatt die im Drogenhandel führenden Separatisten zu verurteilen, haben wir uns gegen Herrn Milosevic gestellt...«
Ungeachtet des US-amerikanischen Widerstands nahm der 1998 in Rom vereinbarte IStGH Mitte 2002 seine Arbeit auf, nachdem seine Statuten von 60 Staaten ratifiziert wurden. Die Bedenken der amerikanischen IStGH-Gegner erwiesen sich als unbegründet. Ganz im Sinne ihres hegemonialen Anspruchs lehnt es die Regierung der USA ab, sich einer internationalen Jurisdiktion, der sich die USA zu fügen hätten, unterzuordnen.
Weder Clinton noch sein Nachfolger Bush legten dem Kongreß das Abkommen von Rom, das von den USA am 31.12.2000 in letzter Minute unterzeichnet wurde, zur Ratifizierung vor. Statt dessen vereinbaren die USA, bisweilen auch mit erpresserischen Methoden, mit IStGH-Mitgliedsstaaten bilaterale Abkommen, um US-Bürger grundsätzlich vor Anklagen zu bewahren. Sollte ein US-Bürger dennoch vor den IStGH gestellt werden, greift das »Haag-Invasion-Gesetz«3): Die am 2. August 2002 durch Unterschrift des amerikanischen Präsidenten in Kraft getretene Order »autorisiert den Einsatz militärischer Gewalt, um jeden US-Bürger oder Bürger eines Alliiertenstaates zu befreien, der vor das Haager Gericht gestellt wird«, so Human Rights Watch.
Neu ist es nicht, daß sich die USA einem internationalen Gericht, das sie nicht vollends kontrollieren, entziehen. Auch dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, der 1945 von der UNO ins Leben gerufen wurde, ist dieses Schicksal widerfahren. Seit der IGH einer Klage Nicaraguas gegen die USA stattgab und diese 1986 für schuldig erklärte, haben sich die USA der Rechtsprechung des IGH entzogen. Die Vereinigten Staaten mißachteten das Urteil, indem sie den Contras in Nicaragua ihre Unterstützung weiter gewährten, obwohl der Gerichtshof festgestellt hatte, daß dies völkerrechtswidrig sei. Die USA erklärten den IGH für nicht zuständig und kündigten ihm die Freundschaft.
Cynthia A. McKinney, Kongreßabgeordnete aus Georgia: »Nach den Luftangriffen auf Jugoslawien beschuldigte Amnesty International die NATO der ernsthaften Verletzung von Kriegsgesetzen bei der Durchführung ihrer Operation Allied Force 1999. Nicht überraschend hat... das ICTY es abgelehnt, in dieser Sache zu ermitteln. Keine Gerechtigkeit für Hunderte getötete Zivilisten im NATO-Bombenhagel. Diese und andere zerstörte Leben können einfach als ›Kollateralschaden‹ abgeschrieben werden.... Unsere eigene Regierung stellt sich weiterhin gegen den Internationalen Strafgerichtshof..., hauptsächlich wegen der Aussicht, daß US-Bürger vor das Gericht gestellt werden könnten. Was sind also die neuen Standards für internationale Gerechtigkeit in der Welt? Daß, wenn du eine erste Weltmilitär- und Wirtschaftsmacht bist, du Splitterbomben auf zivile Wohngebiete werfen kannst, oder zivile Züge oder Brücken in die Luft jagen kannst, oder die Elektrizitäts- und Wasserversorgung anderer unter Straffreiheit zerstören kannst? Aber wenn du kein Mitglied dieses Eliteclubs bist oder einer ihrer Alliierten, dann bist du US- und UNO-Sanktionen ausgesetzt, als ›Kriegsverbrecher‹ oder ›Terrorist‹ gebrandmarkt, oder wirst in eine ›Achse des Bösen‹ gesteckt?« 4)
So wie der Westen Menschenrechtsverletzungen je nach seiner eigenen Interessenlage begeht oder übersieht, braucht er juristische Institutionen, die sich dem imperialen Herrschaftssystem fügen. Um eine solche handelt es sich im Falle des ICTY.
Nachdem westliche Staaten, allen voran Deutschland, die USA, Ã-sterreich und der Vatikan, bei der Zerschlagung Jugoslawiens eine aktive Rolle gespielt haben, für die Sezessionskriege mitverantwortlich sind und im Rahmen der NATO 1999 einen Aggressionskrieg gegen Jugoslawien geführt haben, sind sie folglich keine unabhängigen Akteure, die über die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien unparteiisch richten könnten. Trotzdem haben sie, angeführt von der Regierung der USA, 1993 die Einrichtung des ICTY als erstes Ad-hoc-Tribunal im UNO-Sicherheitsrat erzwungen, um Individuen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen - nicht aber für Verbrechen gegen den Frieden. Der Vorsitzende Richter im Fall Milosevic, Richard May, stammt aus dem NATO-Land Großbritannien, genau wie der federführende Ankläger, Geoffrey Nice.
Das ICTY hat praktisch die ganze politische und militärische Führung der Bundesrepublik Jugoslawiens und Serbiens angeklagt, während von andere Nationalitäten (Kroaten, bosnische Muslime, Albaner) keine führenden Kräfte angeklagt sind. Das Tribunal folgt damit der offiziellen politischen Haltung der westlichen Regierungen, wonach die serbische Seite die Hauptverantwortung für die Verbrechen trage. Mehr noch, die Anklageschriften wiederholen im Detail die westlichen Propagandageschichten sogar in den Fällen, die öffentlich widerlegt wurden (Racak, Markale, Srebrenica,...). Der Fall des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wurde zum Paradigma dieser politischen Konstruktion.
Die Bedeutung des Prozesses gegen den ersten Staatsführer, der vor ein »internationales Gericht« gestellt wird, gründet in der Tatsache, daß das Tribunal in den drei Anklageschriften (Kosovo, Bosnien, Kroatien) gegen ihn alle schweren Verbrechen anführt, die sie mit Serben zu verbinden versuchen und, mehr noch, enthalten die Anklagen die ganze westliche, politische Propagandaversion der zehn Kriegsjahre im ehemaligen Jugoslawien.
Slobodan Milosevic entschied vor erwähntem Hintergrund, die Gerichtsbarkeit des Tribunals nicht anzuerkennen. Er erklärte, das Ziel seiner Verteidigung sei es, die Fabrikationen des Tribunals über die moderne Geschichte des Balkan mit den Fakten zu konfrontieren. Mit einer solchen Strategie, die sich in seinem Prozeß bisher als erfolgreich erweist, gewinnt er die Sympathien eines Großteil seines Volkes und eines Teils der fortschrittlichen internationalen Ã-ffentlichkeit. Milosevics Prozeß wurde somit mehr als die anderen Verfahren vor dem ICTY zu einer politischen Konfrontation mit einer historischen und rechtlichen Dimension. Westliche Politiker erwarten, daß das Tribunal eine rechtliche Grundlage herstellt, die sie selbst von persönlicher Verantwortung und ihre Regierungen von der Verpflichtung, Kriegsreparationen für die von ihnen verursachten Schäden zu zahlen, freispricht.
Doch die politischen Intentionen für die Konfrontation mit Milosevic vor dem ICTY gehen darüber hinaus. Während Milosevic im Amt war und sich sein Land dem westlichen Druck widersetzte, waren westliche Regierungen gezwungen, politische Deals mit Milosevic und seiner Regierung einzugehen (Friedensabkommen von Dayton, UN-Sicherheitsratsresolution 1244 für Kosovo). Jetzt, da er im Gefängnis sitzt, versuchen sie, das ICTY als Instrument zu benutzen, um diese Übereinkommen zu annullieren (Auflösung der Republika Srpska, Unabhängigkeit des Kosovo).
Es ist zu erwarten, daß Milosevics Prozeß bis mindestens 2005 andauert und das Tribunal seine Aktivitäten 2008 einstellt. Unabhängig davon, ob Milosevic freigesprochen oder verurteilt wird und ungeachtet dessen, was die endgültige Bilanz der ICTY-Aktivitäten sein wird, gibt es schon jetzt genug Beweise, um zu behaupten, daß das ICTY kein Instrument internationaler Gerechtigkeit, sondern ein repressives politisches Instrument ist, um aggressive, imperialistische Pläne zu realisieren und politische Führer und Kräfte zu bestrafen, die nicht bereit sind, sich der imperialistischen Macht bedingungslos zu ergeben.
»Freundin der NATO«
Entsprechend kamen die Verantwortlichen des Tribunals unter Führung der Chefanklägerin Carla del Ponte der »juristischen« Absegnung der Siegerdefinitionen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien nach, als sie beschlossen, gegen die NATO-Staaten keine Anklage anzustrengen. Obwohl neben zahlreichen Völkerrechtlern auch Amnesty International den NATO-Staaten für ihren Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 Kriegsverbrechen attestierte, lagen aus Sicht des ICTY keine ausreichenden Indizien vor - kein Wunder, hatte man doch bei der Untersuchung fast ausschließlich die Aussagen der verantwortlichen Regierungsvertreter sowie von NATO-Militärs und Sprecher herangezogen, die beteuerten, daß es der NATO einzig um ehrenwerte Ziele, um den Schutz der Zivilbevölkerung ging, und die »Kollateralschäden« unvermeidbare Unfälle waren.5) Die Haager Anklagebehörde gab in diesem Zusammenhang an, daß »die Pressemeldungen der NATO und NATO-Staaten allgemein verläßlich seien und Erklärung wahrheitsgetreu abgegeben wurden«.6)
Der damalige NATO-Sprecher Jamie Shea erinnerte während des NATO-Krieges 1999 nochmals an die Hierarchie. Die NATO-Staaten seien, so Shea, Hauptfinanzgeber des Tribunals, die NATO sei die Freundin des Tribunals und das Tribunal wird Personen jugoslawischer Nationalität anklagen, nichts darüber hinaus. »Wie Sie wissen, ohne die NATO-Staaten gäbe es kein Jugosla- wien-Tribunal, denn die NATO-Staaten stehen an der Spitze derer, die das Tribunal gründeten, die es finanzieren und seine tägliche Arbeit unterstützen.«7)
Nebenwirkungen
Larry Hammond, ehemaliger Richter am US-Verfassungsgericht, spricht als Experte vor dem US-Kongreß: »Ein anderer Fall, in dem kürzlich Klage durch das ICTY erhoben wurde... verdient große Aufmerksamkeit. Die ICTY-Anklägerin hat General Ante Gotovina in Verbindung mit Verbrechen angeklagt, die kroatische Militärkräfte gegen die serbische Zivilbevölkerung in der Region Krajina begangen haben sollen. In den letzen Tagen vor dem Waffenstillstand... war das kroatische Militär an einer Offensive beteiligt, die als ›Operation Sturm‹ bekannt ist.... Es bleiben ernste Fragen hinsichtlich dessen, ob General Gotovina tatsächlich von den Ereignissen gewußt und sie autorisiert hatte, aber von größerem Interesse sind Fragen danach, ob diese betreffenden Ereignisse Teil einer Militäroperation waren, die mit Kooperation und Wissen der Vereinigten Staaten durchgeführt wurde.... Wenn es stimmt, daß der General ein Kriegsverbrecher ist, kann es genauso zutreffen, daß unsere Regierung sein Komplize war.«8)
Die Lösung kommt in diesem Fall von den medialen Helfershelfern. Über den für die »Operation Sturm« im Jahr 1995, d. h. für die Vertreibung von 200 000 Serben aus der Krajina, die die wohl die brutalste Kampagne ethischer Säuberung im auseinander brechenden Jugoslawien darstellt, verantwortlichen Kroaten Ante Gotovina heißt es am 8. Mai in der Washington Times: »Der General ist ein Held, kein Kriegsverbrecher.«
Nachdem Gotovina ankündigte, im Falle einer Auslieferung an das Tribunal Details über die Rolle der USA auszupacken, beunruhigt der Fauxpas, daß er vor dem sonst so US-kooperativen ICTY als einer der nicht-serbischen »Alibi-Angeklagten« auftreten soll. Washington Times: »Washington stellte für die ›Operation Sturm‹ wertvolle militärische und technische Hilfe zur Verfügung... Zagrebs glanzvolle Militäroffensive... half, das zentrale Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik zu erreichen... die Operation kam den US-Interessen im Balkan zugute.... Die Bush-Administration zeigt sich zunehmend beunruhigt über die Auswirkungen, die Gotovinas Fall auf die USA haben könnte. Das Außenministerium drängt nun die Chefanklägerin des Tribunals, Carla Del Ponte, dazu, Fälle, die kroatische Militärs betreffen, zurück an einheimische Gerichte in Zagreb zu senden.... Die Bedeutung der ›Operation Sturm‹ ist, daß sie als Modell für die Operation ›Andauernder Frieden‹ in Afghanistan diente. Das kroatische Militär agierte als Bodentruppe für die US-Bemühen, Herrn Milosevic zu schlagen.«
Es bestätigt sich: Das Tribunal ist der Versuch, die Geschichte auf dem Balkan zu verfälschen, gegen die Verteidiger der Freiheit Vergeltung zu üben und die Akteure der Politik des Krieges und des Kolonialismus, die weltweit auf Widerstand stößt, in Schutz zu nehmen, wie es im Demonstrationsaufruf der deutschen Sektion des Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic heißt.
1) The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice or Show of Justice?« Hearing before the Committee on International Relations, House of Representatives, 107th Congress, 28.2.2002
2) Paul Craig Roberts: Opening Pandora’s box? The Washington Times, 12.7.2001
3) »American Servicemembers Protection Act«, aktualisiert am 26. Juni 2003
4) The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice or Show of Justice?« Hearing before the Committee...
5) Vgl. Cathrin Schütz, Die NATO-Intervention in Jugoslawien, Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen, Braumüller Verlag, Wien 2003
6) Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz: Mehr Probleme als Lösungen... Frankfurter Rundschau, 24.3.2001
7) Press Conference given by NATO Spokesman, Jamie Shea, 17.5.1999, http://www.nato.int/kosovo/press/p990517b.htm
8) »The U.N. Criminal Tribunals for Yugoslavia and Rwanda: International Justice...

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