- Astronautenkost und Anti-Deutsche Ideologie!!! - RK, 06.11.2003, 22:03
- Elsässer ist selber anti-Deutsch (owT) - JeFra, 07.11.2003, 01:32
Astronautenkost und Anti-Deutsche Ideologie!!!
-->07.11.2003
Feuilleton
Jürgen Elsässer
Astronautenkost
Aus der Modewelt: Robert Kurz hat in »Die antideutsche Ideologie« im allgemeinen recht. Wo er unrecht hat, wird’s interessant
In der Westlinken hat es schon manche verrückten Moden gegeben. In den siebziger Jahren wollten die Maoisten die Sowjetunion und die Feministinnen die Männer bekämpfen. In den achtziger Jahren kamen die Grünen von der Ã-ko-Diät auf die Ã-ko-Diäten, und in besetzten Häusern nisteten sich Frascati-Spießer ein, dagegen machten Indianerkommunen sowie die Punks samt ihrer Straßenköter mobil. In den neunziger Jahren gab’s statt der Invasion von der Vega die Invasion der Veganer, aus irgendeinem Paralleluniversum flogen die Transsexuellen ein, die Poplinken legten mit abgedrehten Disko-Diskursen los. Die einen fragten »Wie oft hast du Gender pro Woche?«, die anderen hielten Penetration für Vergewaltigung. Im linken Feuchtbiotop gediehen alle Perversionen.
Auf der politischen Ebene entwickelten sich die Antinationalen respektive Antideutschen. Man könnte sie auch die Neunundachtziger nennen, denn ihre Sammlung war eine Reaktion auf den Fall der Mauer und die anschließende Vereinigung sowie auf deren linke Trittbrettfahrer. Man las Jean Améry, Hannah Arendt und Theodor W. Adorno, von Günter Grass klaute man den Slogan »Deutschland denken heißt Auschwitz denken«, von Marlene Dietrich »Nie wieder Deutschland«. Das alles war sehr sinnvoll, und der Rezensent war vorne mit dabei, denn gegen das fett gewordene Vaterland und seine neu-alten Ambitionen mußte etwas unternommen werden.
Doch in dem Treibhausklima des Fin de Siècle wurden schließlich auch die Antideutschen ballaballa. Was seit dem 11. September noch unter diesem Label firmiert, sind zum größten Teil größenwahnsinnige Spiritisten und Spintisierer, die aus Adorno einen Esoteriker gemacht haben und in den heutigen Moslems die Reinkarnation der Nazi-Deutschen sehen. Treffen sie sich zu ihren Séancen, beschwören sie in wirren Sprechgesängen eine Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges, statt der Arier sollen nun die Araber bombardiert werden. Nur ein toter Kameltreiber ist ein guter Kameltreiber, lautet das Motto ihres Antifaschismus. Es ist gut, daß Robert Kurz mit dieser Bande einmal abgerechnet hat und seine Polemik ausdrücklich nicht als Beginn, sondern als Ende der Auseinandersetzung mit ihnen bezeichnet.
Wenn der Autor gleich zu Beginn bekennt, es habe »einige Überwindung gekostet, dieses Buch zu schreiben«, so wird das jeder nachempfinden können, der das beschriebene Milieu und seine hysterischen Schreibanfälle kennt. Leider läßt der Autor den Leser an seinen Mühen teilhaben, und das mindert den Lektüregenuß bisweilen beträchtlich. Vor allem dröselt Kurz die Auseinandersetzung so auf, daß Leute, die nicht einer ganz speziellen Szene angehören, ihm kaum folgen können. Muß linke Theorie eigentlich immer wie Astronautenkost sein - alle Vitamine sind drin, aber kein Mensch kriegt die Pampe runter?
So erfährt der Leser von Kurz leider nicht, wer die Antideutschen sind und wie sie entstanden sind. Das muß man zwar auch bei Lenin erst eruieren, wenn er sich in Traktaten mit Gruppierungen wie den Volkstümlern oder den Menschewiki auseinandersetzt - aber erstens muß man dem guten Wladimir nicht alles nachmachen, und zweitens konnten seine Gegner immerhin Hunderttausende mobilisieren, während Kurz geschlagene 300 Seiten einer Sekte widmet, die es bundesweit mit Teenie-Anhang höchstens auf 400 bringt, und selbst die sind unter sich heillos zerstritten.
Da die linken Bellizisten meist nur die Ladenhüter des Pro-Amerikanismus aufwärmen, die man auch beim späten Max Horkheimer oder der noch späteren Angela Merkel lesen kann, hätte sich der Autor besser an diesen abgearbeitet und so vielleicht ein größeres Publikum angesprochen. Denn es ist durchaus wichtig, was er zu sagen hat, etwa zur Herauslösung des Holocaust aus dem imperialistischen Zusammenhang und zur demagogischen Gleichsetzung von Antisemitismus und Antikapitalismus. »Ihr Motto ist: Wer Antisemit ist, bestimmen wir.« So wird der Slogan »Kein Blut für Ã-l« von den Bellizisten als nazistisch verunglimpft, nur weil darin das von den Nazis - in völlig anderem Zusammenhang! - häufig verwendete Wort »Blut« auftaucht. Diese »gewaltsame Assoziation« folgt der postmodernen Methode, Begriffe nicht logisch abzuleiten, sondern spontan zu verknüpfen, als läge man auf der Couch beim Psychiater. Mit dieser paranoiden Form von Ideologiekritik kommen die Bellizisten nur deswegen durch, weil sie vor allem jüngere Linke mit »irrem Schwadronieren« (Kurz) und moralischen Blitzattacken einschüchtern: Wer als erster Auschwitz sagt, hat gewonnen.
Pionierarbeit leistet Kurz, wo er den Begriff der Freiheit, die vom liberalen Kapitalismus der USA gegen die »faschistischen Volksgemeinschaften« der islamischen Welt durchgesetzt werden müsse, unter die Lupe nimmt. Die Freiheit, die da gemeint wird, ist die der »Konkurrenzmonster« und »Konsumidioten«, weist Kurz in einem langen Kapitel zur Subjekttheorie nach.
Trotz aller Verdienste hat der Autor drei methodische Fehler gemacht. So ist es falsch, die linken Bellizisten mit ihrem selbstgewählten Etikett als Antideutsche zu bezeichnen - genauso falsch wie die Bezeichnung Arbeitgeber für Kapitalisten. Es handelt sich ganz im Gegenteil um die Propagandisten der aggressivsten Teile des deutschen Kapitals. Immer und überall an der Seite der USA Krieg zu führen, dabei aber in der zweiten Reihe zu bleiben, von den Yankees die Schmutzarbeit machen zu lassen und hinterher die Kadaver der überfallenen Staaten auszuweiden - dieses Modell hat sich für Daimler und Deutsche Bank in Jugoslawien und Afghanistan als höchst profitabel erwiesen.
Zum zweiten irrt Kurz, wenn er die »Antideutschen« - man beachte die Anführungszeichen - als letztes Asyl des Arbeiterbewegungsmarxismus bezeichnet. Diese Leute hassen alles, was mit der Arbeiterbewegung zusammenhängt, und deswegen finden sich unter ihnen kaum Anhänger von traditionskommunistischen Parteien und Gruppen. Zuhauf gibt es dagegen Prosecco-Autonome, Antifa-Kunststudentinnen und Schicki-Micki-Bolschewiken, für die Proletariat dasselbe wie Volksgemeinschaft ist, weil man sich in ihren Kreisen mit den niederen Ständen ohnedies nicht beschäftigen möchte.
Zum dritten ist die Konstruktion eines einheitlichen politischen Lagers - »die« Antideutschen - falsch. Es gibt nämlich auch ernstzunehmende Deutschlandkritiker wie Thomas Ebermann und Rainer Trampert oder die Genossen vom Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, die zwar bisweilen schräg argumentieren, aber noch keinen Krieg gerechtfertigt haben. Auch über Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza ist das letzte Wort noch nicht gesprochen - immerhin hat er gerade den schrillsten Amerikafans die Herausgabe eines Buches in seinem Verlag untersagt. Bezeichnenderweise kommen alle Genannten aus dem Traditionssozialismus, den Kurz fälschlich für erledigt hält.
Das Buch von Kurz ist ein Muß für alle, die sich in ihren privaten oder politischen Zusammenhängen mit den selbsternannten Antideutschen herumschlagen müssen. Es möge ihnen helfen, treffsicher zu schießen und sich dann schnell zu verabschieden. Wer hingegen in einem normalen sozialen Umfeld lebt, kann sich Sinnvollerem widmen. Die Beschäftigung mit den hunderttausend, die jetzt ohne die Gewerkschaftsführung den Kampf gegen die Schröder-Politik aufgenommen haben, ist allemal wichtiger als innerlinke Gruppentherapie.
* Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie, Unrast, Münster 2003, 307 S., 16 Euro
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2003/11-07/022.php</ul>

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