- Arbeitsmarkt: Trend zum Drittjob - Sascha, 15.11.2003, 17:42
- Re: Arbeitsmarkt: Trend zum Drittjob - MarkXzzz, 15.11.2003, 17:50
- Trend zum Drittjob: Ach was, ist doch viel zu gemütlich... - sensortimecom, 15.11.2003, 18:19
- Minijob vers. norm. Job - Dieter, 15.11.2003, 18:05
- Re: Arbeitsmarkt: Trend zum Drittjob - MarkXzzz, 15.11.2003, 17:50
Arbeitsmarkt: Trend zum Drittjob
-->ARBEITSMARKT
<font size=5>Trend zum Drittjob</font>
Endlich eine Erfolgsmeldung: <font color="#FF0000">Seit der Reform im April sind eine Million Mini-Jobs entstanden</font>. Aber die Arbeitslosigkeit nimmt dennoch kaum ab. Wie passt das zusammen?
Der gelernte Außenhandelskaufmann Bernard Bosil, 30, hat nicht einen Job - <font color="#FF0000">er hat gleich drei</font>: <font color="#FF0000">Vormittags rechnet er als Finanzbuchhalter in einem Steuerberatungsbüro Bilanzen durch. Nachmittags wienert er als selbständiger Fensterputzer gegen den Dreck an. Und abends bindet Bosil sich dreimal die Woche im Krefelder Bierlokal"Stadtwaldhaus" die hellblaue Schürze um und zapft, bis der letzte Gast gegangen ist:"Danach schläft man wie im Koma", stöhnt er</font>.
Bis zum Frühjahr konzentrierte sich Bosil auf Finanzen und Fensterputzen, erst seit April arbeitet er verstärkt in der Gaststätte. Seitdem lohnt es sich nämlich wieder, einen solchen Hilfsjob anzunehmen: Arbeitnehmer zahlen seit dem Frühjahr bis 400 Euro Verdienst keine Steuern und Sozialabgaben, früher lag das Limit bei 325 Euro. Bosils Nebenjob ist nun abgabenfrei, vorher hätte er für jeden zusätzlichen Euro Sozialbeiträge zahlen müssen. Grund genug, auch abends noch zu schuften.
Endlich einmal scheint eine Arbeitsmarktreform schnell Wirkung zu zeigen: Anfang April trat die Neuregelung der Mini-Jobs in Kraft, einfache Arbeit sollte sich wieder lohnen. Damit hob die Regierung in Berlin ihre eigene Reform von 1999 wieder auf, mit der sie den Trend zum Mini-Job gestoppt hatte. Nun erhoffte sie sich ein kleines Beschäftigungswunder - glaubt man den Zahlen, ist es sogar ziemlich groß ausgefallen.
<font color="#FF0000">Mehr als eine Million neue Stellen sind laut Bundesknappschaft</font>, der zuständigen Behörde, entstanden, die Zahl der so genannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist innerhalb von nur sieben Monaten auf rund 5,9 Millionen geklettert."Eine Erfolgsstory" sei das, jubelte Bundessozialministerin Ulla Schmidt, und für einen Moment geriet die Misere am Arbeitsmarkt fast in Vergessenheit.
Merkwürdig ist bloß: <font color="#FF0000">Dieses Heer neuer Beschäftigter hat sich nirgendwo in den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit (BA) niedergeschlagen, die Zahl der Arbeitslosen sank zuletzt nur unwesentlich</font>. Wie, rätseln nun die Ã-konomen, passen Mini-Job-Wunder und Arbeitsmarktmisere zusammen?
Bislang gibt es nur Vermutungen. So könnte es sich bei den Niedriglöhnern um Studenten, Schüler oder Hausfrauen handeln, die sich ein paar Euro nebenher verdienen wollen und die zuvor nicht arbeitslos gemeldet waren. Ebenfalls denkbar: Die neuen Mini-Jobber kommen aus der Schattenwirtschaft und wollen nun legal arbeiten. Dann aber hätte auch die Zahl der Erwerbstätigen steigen müssen - <font color="#FF0000">tatsächlich aber ist sie rückläufig: minus 473 000 innerhalb eines Jahres</font>.
Arbeitsmarktexperten favorisieren deshalb einen dritten Erklärungsversuch, warum der Beschäftigungseffekt ausbleibt: Die meisten haben schon eine Stelle."<font color="#FF0000">Die Mini-Jobber sind bereits in Lohn und Brot und verdienen sich über die geringfügige Beschäftigung nur ein Zubrot</font>", sagt BA-Chef Florian Gerster.
Die Berlinerin Daria Bondarenko, 23, zum Beispiel käme sicher auch über die Runden, wenn sie nur als freiberufliche Kosmetikerin arbeiten würde, ihr Mann besitzt einige Tankstellen zwischen Berlin und Ankara. Trotzdem jobbt sie nebenbei noch in einer Kneipe:"Jetzt kann ich mir alles leisten, was ich haben will."
Seit Jahren schon beobachten die Arbeitsmarktforscher in Deutschland einen Trend zum Zweit- oder gar Drittjob: Waren es 1987 noch kaum mehr als 500 000 in den alten Bundesländern, hat sich ihre Zahl bis 1999 nach einer Studie des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik bundesweit <font color="#FF0000">mehr als verdreifacht</font>. Manche suchen einfach nur nach einer Abwechslung im Berufsleben.
Die Münchnerin Alexandra Böning, 33, etwa möchte sich nicht darauf beschränken, als Sachbearbeiterin bei der Allianz zu arbeiten. Sie lässt sich nebenbei zur Fitness-Fachwirtin ausbilden -"das ist für mich Selbstverwirklichung", sagt sie. Ihre Arbeitswoche teilt sich in zwei Hälften: 20 Stunden sitzt sie am Schreibtisch, 20 Stunden turnt sie in der Halle.
<font color="#FF0000">Die meisten Arbeitnehmer halsen sich einen zusätzlichen Job auf, um ihren finanziellen Spielraum zu vergrößern. In Zeiten, da das zur Verfügung stehende Geld weniger wird, neigen die Bürger dazu, sich zu verschulden - oder sie arbeiten eben mehr</font>.
Der Berliner Oberbrandmeister Michael Hoffmann, 45, wollte sich nicht damit abfinden, dass Ostseeurlaub im Sommer und Ski fahren im Winter nicht mehr drin waren. Er hat einige finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen: 262 Euro zahlt er an Unterhalt für seinen Sohn, die Miete seiner Wohnung ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen.
Hoffmann heuerte bei einer privaten Krankentransportfirma an, neben seinem Dienst als Rettungsassistent der Feuerwehr schleppt er jetzt noch gebrechliche Patienten treppauf, treppab zu ihren Ärzten:"Ein Knochenjob", knurrt er. Wie viel er in seinem Mini-Job arbeitet, bestimmt Hoffmann selbst; im Moment hat er sein Pensum auf sechs Schichten im Monat reduziert, weil sein Sohn zum Bund geht und er dann keinen Unterhalt zahlen muss.
Genau 7,50 Euro die Stunde verdient Hoffmann bei dem privaten Rettungsdienst, natürlich zahlt der ihm weder eine Krankenversicherung, noch gibt es einen Kündigungsschutz:"Für die Privaten sind wir ideal", sagt er,"die könnten doch nie alle ihre Sanitäter regulär bezahlen."
Arbeitsmarktexperten warnen bereits davor, dass manche Unternehmen die neue Regelung ausnutzen."<font color="#FF0000">Bislang sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze werden verstärkt in Mini-Jobs umgewandelt</font>", erwartet der Duisburger Arbeitsmarktexperte Gerhard Bäcker. Betriebsräte von Gebäudereinigungsfirmen schätzen, <font color="#FF0000">dass ein Viertel der Arbeitsplätze in ihren Betrieben seit April eine solche Transformation durchgemacht haben</font>.
Nach der Gesetzesnovelle dürfte die Versuchung dazu jedenfalls groß sein: Die Arbeitnehmer können so viel arbeiten wie eine Teilzeitkraft, nur sind sie viel billiger. Der Trend zum Mini-Job werde deshalb anhalten, glaubt Alexander Spermann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung:"Das passiert derzeit in vielen Branchen."
Nur den Arbeitslosen, die eigentlich die Zielgruppe für geringfügige Beschäftigung sein sollten, bietet die neue Regelung kaum Chancen. Nach wie vor wird ihnen die staatliche Unterstützung gekürzt, sobald sie sich etwas hinzuverdienen, bedauert der Wissenschaftler Spermann:"<font color="#FF0000">An den Arbeitslosen zieht die Reform völlig vorbei</font>."
CAROLINE SCHMIDT
Quelle: Spiegel

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