- "Wir könnten im Irak verlieren!" (Ja, klar: Mind. 50.000 im Widerstand) - RK, 15.11.2003, 19:25
"Wir könnten im Irak verlieren!" (Ja, klar: Mind. 50.000 im Widerstand)
-->14.11.2003
Titel
Rainer Rupp
50000 im Widerstand
CIA-Analyse zur militärischen Lage im Irak. Diskussion in den USA um Ausstiegsszenario
Die Hiobsbotschaften für die Irak-Besatzer reißen nicht ab. Nach dem verheerenden Angriff auf italienische Truppen am Mittwoch zogen sich in den Stunden danach bis zum Donnerstag verschiedene internationale Unterstützer zurück: Japan fror seine Zusage auf Truppenentsendung ein, Südkorea will »deutlich weniger Soldaten« nach Irak schicken, als von Washington erbeten, in Italien ist eine Debatte um den Abzug italienischer Carabinieri entbrannt. Zuvor mußte bereits die Türkei einen Parlamentsbeschluß ad acta legen: Wegen innerirakischer Proteste bleiben 10000 Mann zu Hause. Derweil versuchte am Dienstag Polens Ministerpräsident Leszek Miller, die Moral seiner Truppe zu heben und sprach ihr in Babylon Mut zu. Folglich wächst auch in den USA der Druck auf die Bush-Administration zusehends. Selbst die seit dem 11. September in Kriegstreiberei unübertroffenen US-Medien schalten auf Kritik um und schlagzeilen nun über tote GIs. Den bisherigen Höhepunkt bildete ein der Presse zugespielter CIA-Geheimbericht über die militärische Lage im Irak.
Zunächst war der oberste zivile Verwalter des Irak, Paul Bremer, zu Beginn der Woche überstürzt nach Washington geflogen, um auf höchster Ebene US-Präsident George W. Bush im Weißen Haus Bericht zu erstatten. In seinem Gepäck befand sich die jüngste, alarmierende Lageeinschätzung des CIA-Chefs von vor Ort in Bagdad. Demnach verfügt der irakische Widerstand in der Gesellschaft über eine breite Grundlage, ist stark und wird immer stärker. »Wir könnten verlieren«, kommentierte ein hoher US-Regierungsbeamter den Bericht. Der militärische Nachrichtendienst schätzt die Zahl der im irakischen Widerstand Aktiven inzwischen auf 50000, wodurch die bisher vertretene offizielle These, in die bewaffneten Aktivitäten seien lediglich einige Saddam-Anhänger sowie Verbrechergruppen und zugereiste Islamisten involviert, nicht länger aufrechtzuerhalten ist.
Noch wesentlich prekärer allerdings stellt sich für die USA die rapide sinkende Bereitschaft selbst jener Iraker dar, die den Besatzern anfangs freundlich gegenübergestanden hatten und mit ihnen kollaborierten. Statt dessen - so die CIA-Analyse - »unterstützt eine wachsende Zahl von Irakern die Aufständischen, weil sie davon überzeugt sind, daß die von den USA geführte Koalition besiegt werden wird«. Laut CIA-Analyse befindet sich die US-Politik im Irak an einem Wendepunkt. Während die Bush-Regierung den Krieg gegen den Widerstand und die Repression der Bevölkerung eskaliert sowie zugleich eine »Irakisierung« der Konflikte verstärkt beschleunigt, konstatiert die CIA Risiken: Die Zuspitzung der Kriegshandlungen könnte noch mehr zivile Opfer fordern und »noch mehr Iraker auf die Seite den Aufständischen treiben«. Zugleich sorgt sich der Bericht, daß auch die schiitische Bevölkerungsmehrheit verstärkt den Kampf gegen die Koalitionsstreitkräfte aufnehmen könnte. Vom US-eingesetzten Übergangsrat in Bagdad könnte Washington, so die CIA, keine Hilfe erwarten. Niemand der 25 als Minister fungierenden Ratsmitglieder habe bisher die Fähigkeit zum Regieren gezeigt. Der Rat verfüge in der irakischen Bevölkerung über so gut wie keine Unterstützung. Auch sei es ihm bisher nicht gelungen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß die US-Besatzung nur vorübergehend sei und dem Ziel eines vereinten, souveränen Irak diene.
Die seit Wochen in Bagdad zirkulierenden Spekulationen, daß die Bush-Regierung beabsichtige, den von ihr handverlesenen Interimsregierungsrat wegen »Unfähigkeit« davonzujagen, haben durch entsprechende Äußerungen von US-Regierungssprechern am Rande des Washingtoner Überraschungsbesuchs von Paul Bremer - trotz dessen persönlichen Dementis - neue Nahrung erhalten. Inzwischen ist in der amerikanischen Hauptstadt sogar ein früher bereits zurückgewiesener, französischer Vorschlag wieder ins Gespräch gebracht worden, nach dem in Bagdad eine Übergangsregierung nach afghanischem Vorbild unter Einbindung der UNO zu schaffen sei.
Der Umstand, daß ein Teil der als »top-secret« eingestuften CIA-Analyse bereits am Dienstag, einen Tag nach ihrer Zustellung an Bush, den Medien zugespielt wurde, deutet auf heftige Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung über die »Exit-Strategie« hin, mit der sich die USA ohne Gesichtsverlust und unter Beibehaltung ihrer politischen Ziele aus dem Irak zurückziehen könnten. Auch dürfte der Anschlag auf eine italienische Militärbasis und dessen internationale Folgen diese Beratungen noch beschleunigen.
Zugleich mehren sich die Vorwürfe gegen Vizepräsident Richard Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sie hätten vor Kriegsbeginn keine Konzepte für den Nachkiegs-Irak überlegt, erst recht nicht über ein nun drängendes Ausstiegsszenario. Vor dem Angriff hatten sie noch erklärt, daß die US-Streitkräfte für Jahrzehnte auf irakischen Militärbasen verbleiben würden, und bis heute bestätigt Rumsfeld: »Die einzige Exit-Strategie für uns ist der Erfolg.« Und der sei überall im Irak deutlich meßbar. Daher dürfte die schnelle Veröffentlichung der bedrückenden CIA-Analyse hauptsächlich gegen die Schönfärbereien von Cheney, Rumsfeld und deren neokonservatives Umfeld gerichtet gewesen sein.
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2003/11-14/001.php</ul>

gesamter Thread: