- Blutiger Ramadan - CIA: Aufstand im Irak gewinnt an Stärke - stocksorcerer, 17.11.2003, 08:39
Blutiger Ramadan - CIA: Aufstand im Irak gewinnt an Stärke
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Hallo zusammen,
....wow, sind die Jungs fein unterrichtet. Muß ja massig Geheimmaterial gesammelt worden sein in Langley.
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DER SPIEGEL 47/2003 - 17. November 2003
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,274162,00.html
Irak
Blutiger Ramadan
Erneuter Kurswechsel in Bagdad: Unter dem Druck neuer Anschläge will Amerika so schnell wie möglich die Verantwortung an eine vorläufige Regierung abtreten. Doch die Iraker streiten darüber, wer sie übernehmen soll.
Drei dumpfe Explosionen erschüttern den ehemaligen Präsidentenpalast in der Stadtmitte von Bagdad. In den Häusern ringsum wackeln die Fensterscheiben, augenblicklich verstummen am Tigris-Ufer die Zikaden. Doch kaum jemand bleibt stehen oder geht gar in Deckung.
"Mörser", sagt Muhanneth Dschuburi, der in seinem Pavillon auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses auf Gäste wartet, und lässt kurz seine Zeitung auf die Knie sinken."Drei Stück. Keine 1000 Meter von hier. Die Terroristen schießen jetzt oft vom Süden der Stadt auf die Amerikaner."
Im Laternenlicht der Abu-Nuwas-Straße, der von Stacheldraht- und Betonbarrieren abgesperrten ehemaligen Flaniermeile der Stadt, versammeln sich junge Männer zum Fußballspielen. Der Iftar ist vorbei, das Festmahl nach zwölf Stunden des Fastens, und das Privatleben der Bagdader beginnt.
Zwei Hubschrauber tauchen auf und knattern über der Stelle, wo die Granaten eingeschlagen haben, aber das hält hier keinen von seinem bescheidenen Ramadan-Vergnügen ab. Man hat Schlimmeres erlebt, und selbst das Wummern von Artilleriefeuer im Zentrum der Stadt ist inzwischen fast zum Alltag geworden. Aus Sicherheitsgründen, so bedauert das Amt für Strategische Kommunikation der US-Zivilverwaltung, könne nicht bei jedem Raketen- und Mörserangriff auf das Hauptquartier der Amerikaner der genaue Ort der Einschläge bekannt gegeben werden.
Verunsicherte Besatzer
Paul Bremer, Chef der Zivilverwaltung und mutmaßliches Hauptziel der Attentäter, war kurz vor dem Angriff am vorigen Dienstag zu einem Krisengipfel nach Washington abgereist, wo ihn am Morgen danach die Botschaft von einem noch viel dramatischeren Anschlag erreichte.
Vor ihrem Hauptquartier in der Stadt Nassirija riss eine Autobombe 19 Italiener und 9 Iraker in den Tod - und Washington wie seine Verbündeten aus einer trügerischen Gewissheit: Der Guerilla-Krieg ist keineswegs auf das berüchtigte"Sunniten-Dreieck" nordwestlich von Bagdad beschränkt. Auch im schiitischen Süden Iraks, der wie der kurdische Norden des Landes als weitgehend befriedet galt, sind militante Gegner der Besatzung aktiv und in der Lage, verheerende Anschläge zu verüben.
Italien trauert - und die ersten von Amerikas Verbündeten zeigen Nerven. Zwar gelobte Ministerpräsident Silvio Berlusconi, trotz des Rückschlags die"hohe Mission" im Irak fortzusetzen. Auch Großbritanniens Premier Tony Blair, der George W. Bush an diesem Dienstag zu einem Staatsbesuch in London erwartet, hält unverändert zum US-Präsidenten.
Doch andere sind verunsichert. Spaniens Ministerpräsident José MarÃa Aznar hat ungeachtet wiederholter Lobeshymnen aus Washington bereits einen Großteil seines Botschaftspersonals aus Bagdad abgezogen. Die Türken, die noch Ende Oktober planten, das drittgrößte Kontingent ausländischer Truppen in den Irak zu entsenden, sind inzwischen heilfroh, ihr Angebot rechtzeitig zurückgezogen zu haben.
"Amerika befindet sich im Krieg"
Japan, das zum ersten Mal in seiner Nachkriegsgeschichte Soldaten in einen Auslandseinsatz schicken wollte, sagte nach dem Anschlag von Nassirija ab: Die Sicherheitslage im Irak mache es der Truppe unmöglich, ihren humanitären Auftrag am Tigris zu erfüllen. Auch Südkorea, Washingtons anderer asiatischer Alliierter, will nun allenfalls 3000 Soldaten bereitstellen.
Die Besatzer sind, wie Generalleutnant Ricardo Sanchez, Kommandeur der 130 000 US-Soldaten im Irak, vergangene Woche zugab, an einem"Wendepunkt" angelangt. Mehr als 40 amerikanische Todesopfer wurden im Monat Ramadan, der in diesem Jahr mit dem November zusammenfällt, bereits gezählt. Zwei Helikopter der US-Armee wurden abgeschossen, täglich kommen Soldaten bei Angriffen mit Granaten und der Detonation improvisierter Straßenbomben ums Leben. Viele Verbündete haben inzwischen Todesopfer zu beklagen.
Amerika befinde sich im"Krieg", hob General Sanchez hervor und bestand auf der dramatischen Wortwahl - gut sechs Monate, nachdem US-Präsident George W. Bush das offizielle Ende der Kampfhandlungen verkündet hatte.
Die Zahl der täglich bereits 35 Anschläge werde sogar noch weiter ansteigen. Der Gegner ziele darauf ab,"die Koalitionskräfte vom irakischen Volk zu isolieren und den Willen der internationalen Gemeinschaft zu brechen".
Noch düsterer beschrieb der CIA-Stationschef in Bagdad die Lage im Land. Sein Bericht, unter dem Datum des 10. November, widerspricht allen Beschönigungen, die Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz nach ihren Besuchen zum Besten gaben.
Ernüchternder CIA-Bericht
Der CIA-Rapport stellt fest, dass der Aufstand an Stärke gewinnt. Die Zahl der aktiven Widerständler wird auf"Zehntausende" geschätzt. Die Iraker hegten Zweifel daran, dass eine wirkliche Alternative zum Saddam-Regime entstehe - am Horizont sei ja niemand zu sehen, der auf Dauer für Ruhe und Ordnung sorgen könne. Deshalb nehme auch unter den einfachen Leuten das anti-amerikanische Ressentiment zu. Außerdem genieße der von den USA handverlesene"Irakische Regierungsrat" keine Autorität.
Groß sei die Gefahr, schließt der CIA-Mann seinen Bericht sinister, dass noch ein weiterer Unruheherd hinzukomme: Die Schiiten, die religiöse Mehrheit im Irak, die sich noch im Abwarten üben, können bald schon neben den Sunniten den Kampf gegen die amerikanischen Streitkräfte aufnehmen.
So schätzt auch der amerikanische Prokonsul im Land, Paul Bremer, den Gang der Dinge ein. Der Zivilverwalter bekräftigte die Erkenntnisse über die gärende Stimmung in Bagdad. Das CIA-Resümee fand deshalb seinen Weg in die höchsten Ränge der Bush-Regierung, stieß diesmal sogar auf ungeteilte Aufmerksamkeit und löste Großalarm aus. Das Weiße Haus bestellte Bremer überstürzt nach Washington ein, um Konsequenzen aus dem Rapport zu ziehen.
Daraus entstanden dramatische Entscheidungen, die sich seit Mitte voriger Woche im Sunniten-Dreieck zwischen Bagdad, Falludscha und Tikrit auswirken: Wiederaufnahme des Bombenkriegs plus Beschleunigung der Irakisierung.
Eine Herbstoffensive soll den Willen der Aufständischen brechen. Grimmig kündigte General Sanchez an:"Worauf wir uns hier einlassen, ist die absolute Notwendigkeit, den Feind zu besiegen - mit allen zur Verfügung stehenden Kampfmitteln."
Die"Operation Eisenhammer" begann mit dem Luftangriff auf ein Warenlager im Süden Bagdads, das den Aufständischen angeblich als Stütz- und Treffpunkt gedient hat. Zwei Einheiten der 82. Luftlandedivision und der 1. Panzerdivision riegelten die Umgebung im Stadtteil Saidija ab. Ein Kampfflugzeug vom Typ AC-130 legte das Ziel mit seiner 105-Millimeter-Haubitze in Schutt und Asche. Gewaltige Detonationen hallten durch Bagdad.
"Wir haben eine gute Strategie gegen diese Killer."
Die US-Militärführung quittiert die neue Strategie mit grimmiger Zufriedenheit. Den Krieg mit größerer Intensität zu führen, anstatt blutigen Anschlägen und Hinterhalten hilflos ausgeliefert zu sein, sieht Kommandeur Sanchez als Vorteil an. Länger schon tobt ein Konflikt zwischen Militärführung und Pentagon, was gegen die Guerilla zu tun sei. Jetzt haben sich CIA und Militärs gegen die Zivilisten im Verteidigungsministerium durchgesetzt.
Dabei ist allerdings der psychologische Nutzen größer als der militärische. Amerika demonstriert den Willen zum Krieg gegen die Guerilla. Die Tage der Hilflosigkeit, die Präsident Bush in schlechtes Licht rückten, sind erst einmal vorbei."Wir werden uns durchsetzen", sagte der Präsident wie zur Selbstmotivation."Wir haben eine gute Strategie gegen diese Killer."
Der militärische Wert solcher Aktionen hingegen ist eher gering."Die Zerstörung dieser Infrastruktur", lautete eine offizielle Erklärung nach dem Warenlager-Bombardement,"trägt dazu bei, dass der Feind keinen Nutzen mehr davon haben wird." General John Abizaid, Oberbefehlshaber der US-Truppen in der Region, fügte realistisch hinzu:"Es ist sehr wichtig, dass unsere militärischen Erfolge von politischen und wirtschaftlichen Fortschritten begleitet werden, damit wir diese zornigen jungen Männer von den Straßen wegbekommen."
Spätestens seit Vietnam weiß das US-Militär, dass sich eine Guerilla militärisch nicht besiegen lässt. Es geht immer vor allem darum, wer moralisch die Oberhand gewinnt. Doch solange Krieg im Irak herrscht, ist an einen umsichtigen Aufbau des Landes kaum zu denken. Solange Kollaborateure der Amerikaner Zielscheibe für Attentäter sind, bleibt auch der politische Aufbau nur Stückwerk.
Streit im Regierungsrat
Dennoch hat sich die amerikanische Regierung dazu durchgerungen, die Irakisierung zu beschleunigen. Bremer flog zurück nach Bagdad mit der Maßgabe, bis Mitte 2004 demokratische Wahlen zu organisieren und die zivile Gewalt danach an eine Übergangsregierung abzutreten. Erst dann soll die neue Verfassung für den neuen Irak geschrieben werden.
Ähnliche Vorschläge hatte der"Irakische Regierungsrat" unterbreitet, jenes ethnisch und religiös proportional zusammengesetzte Gremium, das nach und nach Vollmachten von Bremer übertragen bekommen soll. Doch der US-Administrator und die 24 Ratsmitglieder haben sich zuletzt gegenseitig mit Vorwürfen überzogen: Bremer warf ihnen Beschlussunfähigkeit und ständige Abwesenheit vor. Viele seien mehr mit der Regelung ihrer persönlichen und finanziellen Angelegenheiten befasst als mit der Zukunft des Landes. In besonderem Maße hat Ahmed Tschalabi, Sprecher der Exil-Iraker und Günstling des Pentagon, mit seiner Hoffart und Dauerkritik an den Amerikanern Anstoß erregt. Der monierte im Gegenzug, dass die Amerikaner mit Ideen nur so um sich würfen, aber keinen plausiblen Plan verfolgten.
"Die Frage ist", so ein hoher amerikanischer Regierungsbeamter in Bagdad,"wie wir eine Übergangsregierung hinkriegen, die das Gewicht der Souveränität und Autorität tragen kann - und der wir die Schlüssel übergeben können."
Sollten die Amerikaner sich ernsthaft auf die Vorstellungen des Regierungsrats einlassen, dann sind die Probleme haufenweise programmiert: Die Kurden und die arabischen Sunniten im Rat, beides Minderheiten, bevorzugen ein Übergangsmodell, das ihnen zumindest bis auf weiteres einen größeren Anteil an der Macht garantieren könnte, als er ihnen bevölkerungsmäßig zusteht.
Paris zeigt Hilfsbereitschaft
Der mächtige Schiiten-Block, der etwa 60 Prozent der irakischen Bevölkerung repräsentiert und zweifellos jede Wahl gewinnen würde, bevorzugt hingegen einen baldigen Urnengang. Dies fordert seit Monaten in einer religiösen Fatwa der politisch einflussreichste Mann des Irak, Großajatollah Ali al-Sistani. Vorschläge, den bestehenden Regierungsrat auszubauen oder durch Mitglieder lokaler Räte nach afghanischem Vorbild eine Art Loya Jirga wählen zu lassen, lehnt er strikt ab.
Als die Guerilla noch weniger Schlagkraft bewies und niemand an neuerliche Luftschläge auf Bagdad dachte, stellten die Vereinten Nationen den USA ein Ultimatum: Bis zum 15. Dezember müsse ein Zeitplan für die Irakisierung vorliegen. Den gibt es jetzt, zumindest in Umrissen.
Heute ist Amerika sehr viel mehr als noch vor ein paar Monaten bereit, sein Machtmonopol im Irak zu teilen. Und wenn denn die neue Doppelstrategie - Bombardement plus Irakisierung - nicht die erhoffte Wirkung erzielt, bleibt eigentlich nur noch ein Ausweg: der Bittgang nach New York, damit die Uno retten hilft, was zu retten ist.
Und dort ist bei den Mitgliedern des Sicherheitsrats einiges in Bewegung geraten. Selbst Paris, einst Vorhut der Kriegsgegner, ändert den Ton. Nicht trotzige Rechthaberei ist angesagt, sondern Hilfsbereitschaft. Die Sackgasse, in der die USA stecken, veranlasst die französische Regierung, den Amerikanern"die offene Hand zu reichen", so Außenminister Dominique de Villepin, weil es um die Sicherheit der Welt gehe:"Wir sind zu allen Begegnungen und Abstimmungen bereit. Setzen wir uns zusammen, vereinigen wir unsere Erfahrungen. Es ist nicht möglich, länger abzuwarten."
Angst vor den gleichen Fehlern wie in Vietnam.
Die USA hätten jetzt eingesehen, dass ihr Besatzungsregime nicht Sicherheit schafft, sondern die Hydra des Terrorismus nährt. Im Irak müsse unverzüglich eine beratende Versammlung einberufen werden und diese eine provisorische Regierung wählen, in deren Dienst sich die multinationale Streitmacht stellen würde. Damit wäre die irakische Souveränität unter Uno-Hoheit anerkannt, das Besatzungsregime de jure beendet.
Offensichtlich fürchten aber die Franzosen, die USA könnten bei der Irakisierung des Konflikts den gleichen Fehler machen wie seinerzeit in Vietnam: die Verantwortung einfach an überforderte irakische Behörden mit neu aufgebauter Polizei und Armee abschieben und diese dann allein lassen, um die US-Truppen schnell nach Hause bringen zu können. Ein überhasteter Rückzug der USA wäre verhängnisvoll, glaubt Villepin:"Die Amerikaner haben eine Aktion begonnen, jetzt muss sie zum guten Ende geführt werden, mit einem veränderten Konzept."
Schwere Explosionen sind seit vergangenem Mittwoch jeden Abend in Falludscha, Tikrit und an den Stadtgrenzen von Bagdad zu hören - Helikopter und Kampfflugzeuge bombardieren mutmaßliche Treffpunkte und Waffenlager der Aufständischen.
Einen durchschlagenden Erfolg hatte die Operation Eisenhammer bis zum Wochenende noch nicht gebracht. Schon gar nicht traf sie Saddam Hussein, den flüchtigen Despoten, um den sich der Widerstand schart.
Wie nahe er Saddam inzwischen gekommen sei, wurde Sanchez gefragt."Nicht nahe genug", antwortete der General."Bei Gott, wir müssen ihm näher kommen."
ROMAIN LEICK, GERHARD SPÃ-RL, BERNHARD ZAND
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stocksorcerer

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