- Murks in Germany - Deutsche Produkte verlieren ihren Ruf (aus: Die Zeit 49/2003) - Sascha, 30.11.2003, 19:41
- Re: QualitÀt aus Deutschland - Ecki1, 30.11.2003, 23:42
Murks in Germany - Deutsche Produkte verlieren ihren Ruf (aus: Die Zeit 49/2003)
-->Industrie
<font size=5>Murks in Germany</font>
Mautpleite, ICE-Pannen, Pfusch am Auto: Deutsche Produkte verlieren ihren Ruf
Von Kolja Rudzio
<font color="#FF0000">Blamage in der 50000-Euro-Kategorie: Nagelneue Mercedes E-Klasse bleiben liegen, weil die Elektronik ĂŒber Nacht die Batterie leer saugt</font>. BMW ruft zweimal innerhalb eines Jahres seine X5-GelĂ€ndewagen zurĂŒck, unter anderem <font color="#FF0000">weil Bremspedale locker sind</font>. Zwar zeigt die ADAC-Pannenstatistik schon seit Jahren, dass nicht deutsche, sondern japanische Autos die zuverlĂ€ssigsten sind. Aber eine aktuelle Umfrage <font color="#FF0000">weist auf eine neue KrisenqualitĂ€t hin: Die Kunden sind unzufrieden mit Autos aus Deutschland </font>(siehe Tabelle).
Kaum besser sieht es bei ZĂŒgen aus: Der neue ICE mit Neigetechnik wird nach <font color="#FF0000">zwei Jahren voller Pannen </font>aus dem Verkehr gezogen. Mal war der unter FederfĂŒhrung von Siemens entwickelte Superzug auf freier Strecke liegen geblieben, weil der Steuerungscomputer versagte, mal brach eine Achse. Italiener schĂŒtteln darĂŒber nur den Kopf, bei ihnen neigt sich der"Pendolino" seit Jahren zuverlĂ€ssig in die Kurven.
<font color="#FF0000">Auch die Schweizer wundern sich: Warum fÀllt es den Nachbarn schwer, ein drahtloses Mautsystem aufzubauen</font>? WÀhrend es in der Schweiz funktioniert, blamierten sich Ikonen wie DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom mit Bordcomputern, die schon den Geist aufgaben, wenn der Brummi-Fahrer das Radio anknipste."Nicht alles ist Toll Collect", kalauerte darauf der PrÀsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski,"manches ist immer noch toll in Deutschland."
<font color="#FF0000">Ein mĂŒder Trost. Die besten Autos, ZĂŒge, Waschmaschinen: Darauf beruhte das Bild, das AuslĂ€nder von den vermeintlich so humorlos und streberhaften Deutschen hatten. Und darauf basierte Deutschlands Wohlstand</font>."Made in Germany" wurde zum Wahrzeichen des teutonischen Wirtschaftswunders und - gefrĂ€st, lackiert oder aufgeklebt - <font color="#FF0000">zum Synonym fĂŒr QualitĂ€t. Ausgerechnet da hapertâs nun</font>.
Womöglich verkehrt sich das nationale GĂŒtesiegel allmĂ€hlich wieder zu dem Kainsmal, das es einst war. Die Briten fĂŒhrten es 1887 ein, um minderwertige Importe aus Deutschland zu brandmarken. Damals ging der Schuss nach hinten los, weil die QualitĂ€t der deutschen Produkte bald die der britischen ĂŒbertraf. <font color="#FF0000">Doch heute scheinen selbst die Deutschen ihrer Ware zu misstrauen</font>. <font color="#FF0000">Nach einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage meint mehr als die HĂ€lfte der BĂŒrger, Made in Germany habe in den letzten zehn Jahren an Stellenwert verloren</font>. Ein âerschreckendesâ Ergebnis, wie Wolfgang Kaerkes sagt, GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Deutschen Gesellschaft fĂŒr QualitĂ€t. Das Land brauche eine âQualitĂ€tsoffensiveâ, sonst sei der Lack bald ab vom GĂŒtesiegel.
Dabei scheint - abgesehen von tiefen Kratzern durch Pannen wie Toll Collect - noch viel ĂŒbrig zu sein vom Glanz der alten SoliditĂ€t. Gerade mal vor einem Jahr fanden drei Viertel aller Befragten, Deutschland stehe fĂŒr QualitĂ€t. Dass die aktuelle Umfrage so viel schlechter ausfĂ€llt, liegt auch an den von den Meinungsforschern gewĂ€hlten Fragen - <font color="#FF0000">und am allgemeinen Kummer-Klima in Deutschland</font>. Eine Untersuchung der GfK in Italien, GroĂbritannien, Frankreich und den USA aus 2002 ergab dagegen: Zwischen 20 und 40 Prozent der Befragten glauben, das teutonische QualitĂ€tsimage habe sich noch verbessert. Nur fĂŒnf bis elf Prozent meinen, es sei verblasst. Und selbst die Experten des World Economic Forum, die das Land gern ob seiner Verkrustungen kritisieren, loben deutsche Unternehmen. Im jĂŒngsten World Competitiveness Report landen sie im Vergleich von 100 Staaten auf Platz eins, genauso wie die hiesige âQualitĂ€t der lokalen Zuliefererâ und die âInnovationskraft der Wirtschaftâ.
Es gibt noch mehr Grund fĂŒr Selbstbewusstsein: Deutsche Maschinenbauer halten mit ihrem Anteil von rund 20 Prozent am Welthandel seit Jahren unangefochten den ersten Platz, auĂerdem fĂŒhren sie in der globalen Patentstatistik. â<font color="#FF0000">Deutsches Ingenieurwesen hat vor allem beim Maschinenbau einen exzellenten Ruf</font>â, bestĂ€tigt Kurt Hornschild vom Deutschen Institut fĂŒr Wirtschaftsforschung Berlin. Ebenso begehrt sind nach wie vor KĂŒchen von Miele oder Schmerzmittel von Bayer. So kommt es, dass Deutschland wieder einmal Exportweltmeister ist.
Doch der schöne Titel sagt nur die halbe Wahrheit. <font color="#FF0000">Ăber viele Jahre ist der Anteil am globalen Handel geschrumpft </font>- andere LĂ€nder holten auf. â<font color="#FF0000">Unsere ZuverlĂ€ssigkeit hat gelitten, zumindest in Relation zu anderen</font>â, sagt Volker Wanduch, Leiter der Abteilung Technik und Wissenschaft beim Verband Deutscher Ingenieure (VDI). <font color="#FF0000">Heute wird jede Schraube darauf abgeklopft, ob sich an ihr noch ein paar Cent sparen lassen. Im Idealfall hĂ€lt sie keinen Tag lĂ€nger als unbedingt erforderlich</font>. âDas war nicht immer das hehre Zielâ, sagt Wanduch. Die Waschmaschine, die nach 30 Jahren noch fehlerfrei spĂŒlt und schleudert und auf diese Weise das Image deutscher Wertarbeit prĂ€gte, wird so immer seltener. Zugleich haben die Unternehmen ihre Entwicklungszeiten radikal verkĂŒrzt, obwohl viele Produkte - ob Autos oder Handys - immer komplizierter werden. â<font color="#FF0000">FrĂŒher arbeitete man acht bis zwölf Jahre an der Entwicklung eines Autos, heute mĂŒssen vier Jahre reichen, bei kleineren ElektrogerĂ€ten nur noch ein paar Monate</font>â, sagt Technik-Experte Wanduch.
Wohin das fĂŒhrt, zeigen die Pannenserien bei den ICE-ZĂŒgen. Als die Bahn noch Bundesbahn war und niemand von Privatisierung redete, entwickelte sie ihr rollendes Material selbst und erteilte dann prĂ€zise AuftrĂ€ge. Das wurde zu teuer. Jetzt kauft sie die ZĂŒge nur noch ein und setzt aus KostengrĂŒnden extrem kurze Lieferfristen. Die neueste ICE-Generation wurde allein von der Industrie entwickelt, noch wĂ€hrend des Baus schob die Bahn neue WĂŒnsche nach. Der frĂŒher auf zwei Jahre angesetzte Probebetrieb eines derartigen Zugtyps wurde auf sechs Monate reduziert. Erst als die Höchstgeschwindigkeit auf der Neubaustrecke Frankfurt-Köln getestet werden konnte, stieĂ man auf gravierende MĂ€ngel.
Manchmal wird geradezu mutwillig auf eine sorgfĂ€ltige Entwicklung verzichtet, nur um den Markt nicht der Konkurrenz zu ĂŒberlassen. Etwa im Fall Toll Collect. Mit der Unterschrift unter einen Vertrag mit praktisch unhaltbarer Lieferfrist reservierte das Konsortium den Markt fĂŒr sich.<font color="#FF0000"> Selbst bei Misserfolg waren die Konkurrenten damit ausgeschaltet</font>.
Dass unter steigendem Wettbewerbsdruck die QualitÀt leidet, ist zwar kein deutsches PhÀnomen, hat aber den Vorsprung vor der Konkurrenz verringert. Im Automobilbau haben inzwischen andere die Nase vorn: Der Toyota Corolla, der Honda Civic oder der Mazda 323, sie alle lassen in der ADAC-Pannenstatistik deutsche Konkurrenten wie den VW Golf hinter sich liegen. Das gleiche Bild in den USA: Bei MÀngeln innerhalb der ersten Monate rangiert dort schon seit sieben Jahren ein Lexus von Toyota als untadelig auf Platz eins.
Nur: Allen Statistiken zum Trotz gewinnen Porsche, Mercedes, VW und BMW in den USA immer weitere Marktanteile hinzu. Zehren sie nur noch vom soliden Image der Deutschen? Nein, sagt JĂŒrgen HĂ€usler, Chef der Marken-Agentur Interbrand Zintzmeyer & Lux: âSteigen Sie in einen Mercedes oder einen 5er BMW, fassen Sie um sich, vergleichen Sie den Komfort, probieren Sie das Fahrwerk aus, und setzen Sie sich dann in einen Lexus - da merken Sie einen himmelweiten Unterschied.â <font color="#FF0000">QualitĂ€t sei ein âweiches PhĂ€nomenâ. Es lasse sich nicht nur auf die PannenhĂ€ufigkeit beschrĂ€nken. Zur QualitĂ€t âgehört das technische Niveauâ</font>, ergĂ€nzt VDI-Experte Wanduch, â<font color="#FF0000">und da sind deutsche Autos ihren Konkurrenten noch immer meilenweit voraus</font>â. Vor allem die Bordelektronik, mit der neue Sicherheitssysteme oder der Komfort an jedem einzelnen Sitz gesteuert werde, ist anspruchsvoller - und anfĂ€lliger. âDa bleibt dann eben mal ein S-Klasse-Mercedes liegen, nur weil das eingesteckte Handy kaputt istâ, rĂ€umt Wanduch ein.
Wandelt sich das Image? âZuverlĂ€ssigkeit ist kein deutsches Thema mehr, sondern ein japanischesâ, sagt Jörg Ihlau, Partner der Kommunikationsagentur ECC Kohtes und Kleves, die an einem neuen Markenbild fĂŒr Deutschland arbeitet. âMade in Germany steht heute eher fĂŒr Ingenieurskunst und Innovationen.â Das neue deutsche QualitĂ€tsversprechen bewegt sich auf schmalem Grat - <font color="#FF0000">ĂŒberzeugend ist es nur so lange, wie die Lust am Neuen gegenĂŒber dem Frust mit dessen TĂŒcken obsiegt</font>.[Eigener Kommentar: Womit er durchaus Recht hat]
Doch die Zukunft des deutschen GĂŒtesiegels hĂ€ngt nicht allein von der Technik ab. Horst PrieĂnitz, HauptgeschĂ€ftsfĂŒhrer des Markenverbands, hĂ€lt es jetzt schon fĂŒr â<font color="#FF0000">ein Opfer der Globalisierung</font>â. Wichtiger als das âmade inâ werde zunehmend das âmade byâ. Die Idee: Niemand durchschaut mehr, was wirklich in welchem Land hergestellt wird. Viele vermeintlich deutsche Produkte stammen lĂ€ngst aus dem Ausland: Ein Opel Agila wird im polnischen Gleiwitz gebaut, KĂŒhlschrĂ€nke von Bauknecht kommen aus Italien, Boss lĂ€sst AnzĂŒge in der TĂŒrkei nĂ€hen. Sich in solchen FĂ€llen mit Made in Germany zu schmĂŒcken kann als irrefĂŒhrende Werbung geahndet werden. Deshalb werden die berĂŒhmten drei Worte immer seltener. Selbst der BDI hadert mit dem Traditions-Label. KĂŒrzlich diskutierten Mitarbeiter des Verbands intern einen eigenen Slogan. Der Vorschlag âBDI - Made in Germanyâ stieĂ auf Kritik. Zu global sei die Industrie inzwischen, hieĂ es.
Trotzdem erwarte man von deutschen Autos einen besonders hohen QualitĂ€tsanspruch und besondere Ingenieurleistungen, sagt Interbrand-Chef HĂ€usler. Viele Experten empfehlen deshalb ein Logo âEngineered in Germanyâ, bei der Stiftung Warentest kann man sich âGerman Qualityâ vorstellen. Die Initiative âMarke Deutschlandâ hat jĂŒngst einen Slogan fĂŒr die ganze Nation vorgestellt: âMachen wir. DeutschlandTM.â
FĂŒr einzelne Marken gibt es aber tausend subtilere Wege, mit der eigenen Herkunft zu werben. So unterstreicht Renault seine französische IdentitĂ€t hierzulande mit dem Zusatz âCrĂ©ateur dâAutomobilesâ, die Luftfahrtgesellschaft Swiss trĂ€gt die Nation im Namen und die Flagge im Logo, Audi benutzt im Ausland den Slogan âVorsprung durch Technikâ und kĂŒndigte das Spitzenmodell A8 in GroĂbritannien als âpure Vorsprungâ an.
Solange hinter dem Image ein besonderes Know-how steht, das im Land tatsĂ€chlich konzentriert ist, dĂŒrfte die DeutschtĂŒmelei in der Werbung glaubwĂŒrdig und wichtig bleiben. Zwar verschwindet das offizielle Made in Germany, aber in ReklamesprĂŒchen schwingt es weiter mit. Und manchmal klingt es da viel sympathischer als das gusseiserne Original. Der SpaĂ mit deutschen Autos nennt sich - so haben es die Amerikaner aus einer VW-Reklame lĂ€ngst gelernt - Fahrvergnugen.
Mitarbeit: Klaus-Peter Schmid
(c) DIE ZEIT 27.11.2003 Nr.49
Quelle: http://www.zeit.de/2003/49/Made_in_Germany, Die Zeit 49/2003

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