- Fundsache: Messen (Geld, Mammon, Tempel und Kirchen) - JN++, 03.12.2003, 15:44
- Nicht zu vergessen die berühmtesten Messen von allen: die"Champagnermessen" (owT) - Galiani, 03.12.2003, 16:00
- Jacques LeGoff dazu: - Helmut, 03.12.2003, 18:03
- Re: Danke - eben die PRIVILEGIEN... - wer hat sie vergeben und warum? (owT) - dottore, 03.12.2003, 17:17
- Nicht zu vergessen die berühmtesten Messen von allen: die"Champagnermessen" (owT) - Galiani, 03.12.2003, 16:00
Jacques LeGoff dazu:
-->Aber das Hauptziel der wandernden Kaufleute waren im 13. Jahr-
hundert die Messen der Champagne. Diese Messen wurden nach-
einander in Lagny, Bar-sur-Aube, Provins und Troyes über das
ganze Jahr hinweg abgehalten. Januar-Februar in Lagny, März-
April in Bar, Mai-Juni die Maimesse in Provins, Juli-August die
Sankt-Johann-Messe in Troyes, September-November die Sankt-
Aigulf-Messe wiederum in Provins und schließlich November-
Dezember die Sankt-Remigius-Messe ein zweites Mal in Troyes.
Es war von großer Bedeutung, daß in der Champagne eine fast
ganzjährige Messe der gesamten abendländischen Welt stattfand.
Zwei oder vier Monate lang im Jahr waren die Städte der Cham-
pagne von einer geschäftigen Regsamkeit beherrscht, die der Min-
nesänger Bertrand de Bar-sur-Aube für den Frühling beschrieben
hat.
qu'il fait chaud et seri,
Que l'erbe est vert et rosier sont flori,
...................
Lors commencierent marcheant a errer
Qui les avoirs ont a vendre aporté,
Des le matin que il fu ajorné,
De si au soir que il fut avespré
Ne finent il de vinir ne d'aller,
Que tote en fu emolie la cité.
De fors la vile se löge en mi le pré,
Et ont lor tres et paveillons fermez.
(Wenn es warm und heiter ist,
wenn das Gras grünt und der Rosenstock blüht.
...................
dann beginnen umherzuziehen die Kaufleute,
die Reichtümer zum Verkauf mitgebracht haben,
schon am Morgen wenn es hell wird, bis zum
Abend, wenn es dunkel wird,
findet ein ständiges Kommen und Gehen statt,
so daß die ganze Stadt davon erfüllt ist.
Draußen vor der Stadt nächtigen sie mitten
auf der Wiese,
wo sie ihre Zelte und Pavillons aufgeschlagen
haben.)
Um an diesen Messen teilzunehmen, nahmen die Kaufleute lange
und schwierige Reisen auf sich. Die Italiener, die die Alpen über-
winden mußten, waren fünf Wochen lang unterwegs. Anfangs
baute man für ihre Unterbringung behelfsmäßige Baracken auf den
Plätzen oder außerhalb der Stadt. Dann vermieteten die Stadtbe-
wohner Zimmer oder Häuser an die Kaufleute. Schließlich baute
man ihnen spezielle Häuser aus Stein, um sie vor Feuer zu schüt-
zen. Diese Häuser hatten große, gewölbte Keller, damit ihre Wa-
ren gelagert werden konnten.
Die Kaufleute und Einwohner erfreuten sich spezieller Privilegien.
Die Einrichtung und der Aufschwung der Messen war eng mit der
zunehmenden Macht der Grafen der Champagne und ihrer libera-
len Politik verbunden.
Zu diesen Privilegien zählten an erster Stelle die Geleitbriefe, die
für die gesamte Grafschaft gewährt wurden. Dazu gehörte auch die
Freistellung von allen Abgaben auf Bauland, auf denen Unter-
künfte und Lokale für die Kaufleute gebaut werden konnten. Die
Bürger waren von Taille und »toltes« - einer Art von städtischer
Steuer - im Austausch gegen feste, ablösbare Steuern freigestellt.
Die Weg- und Brückenzölle sowie das Zwangs- und Bannrecht
wurden abgeschafft oder beträchtlich eingeschränkt. Die Kaufleute
mußten weder Repressalienrecht noch Einfuhrabgaben, noch An-
fallrecht, noch Strandrecht zahlen. Vor allem sorgten die Grafen
für die Messeordnung, kontrollierten die Rechtmäßigkeit und Ehr-
lichkeit der Transaktionen und bürgten für die Geld- und Waren-
geschäfte. So wurden spezielle Funktionsträger eingestellt, die
Messewachen. Diese öffentlichen Ämter wurden bis 1284, als die
französischen Könige, nachdem sie zu Herren der Champagne ge-
worden waren und im allgemeinen königliche Funktionsträger er-
nannten, häufig Bürgern anvertraut. Die Kontrolle der finanziellen
Operationen und der halböffentliche Charakter der Geldwechsler
trugen dazu bei, daß den Messen, über ihre rein ökonomische
Funktion hinaus, eine wichtige Rolle als »entstehendes Clearing-
haus« zukam. Es hatte sich dort der Brauch eingebürgert, Schulden
durch Verrechnung zu regeln.
Aber zu Beginn des 14. Jahrhunderts begann der Niedergang der
Messen. Für diesen Niedergang sind viele Gründe angeführt wor-
den: die Unsicherheit, die der Hundertjährige Krieg im 14. Jahr-
hundert über Frankreich brachte; die Entwicklung der italieni-
sehen Textilindustrie, die den Untergang - dem jedoch eine
Neuordnung folgte - der flämischen Tuchweberei, einer der wich-
tigsten Messelieferanten, mit sich brachte; dann Ereignisse, die zur
Aufgabe der »Strata francigena«, der französischen Handelsroute
führten, also der Hauptachse, die die ökonomische Welt des Nor-
dens mit dem Mittelmeerraum verbunden hatte. Diese Preisgabe
geschah zugunsten zweier Routen, die schneller und preiswerter
waren: der Seeweg, der von Genua und Venedig über den Atlantik
den Ärmelkanal und die Nordsee bis nach Brügge und London
führte; und die Rheinstraße, an der sich im 14. und 15. Jahrhundert
die Messen von Frankfurt und Genf entwickelten. Der Niedergang
der Messen der Champagne war vor allem mit dem tiefgreifen-
den Wandel der Handelsstrukturen verbunden, der einen neuarti-
gen Typ von Kaufmann in den Vordergrund treten ließ: den seß-
haften anstelle des wandernden Kaufmanns. War dieser noch auf
den Straßen der »Vagabund« gewesen, so leitete jener jetzt dank
immer raffinierterer Techniken und einer komplexer werdenden
Organisation von seiner Hauptgeschäftsstelle aus ein Netzwerk
von Mitarbeitern und Beschäftigten, die ihm weitere Reisen er-
sparten.

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