- Macht: Wieso ist es so wie es ist? - JoBar, 10.12.2003, 12:47
- Re: Macht: Wieso ist es so wie es ist? Schöner Beitrag... - Popeye, 10.12.2003, 13:37
- Re: Macht: Wieso ist es so wie es ist? Schöner Beitrag... - JoBar, 10.12.2003, 14:13
- Re: Macht den köllsche Jungs ** Wehret den Anfängen! - Herbi, dem Bremser, 10.12.2003, 18:03
- Re: Macht: Wieso ist es so wie es ist? Schöner Beitrag... - Popeye, 10.12.2003, 13:37
Macht: Wieso ist es so wie es ist?
-->[ Ein Beispiel aus Heinrich Popitz: Phänomene der Macht ]
<h2>Das Kreuzschiff im Sperrfeuer der Besitzanmaßungen</h2>
<h3>Prolog</h3>
Ein Kreuzfahrtschiff. Ein sich träge dahinräkelndes Volk von Endzeit-Hedonisten sowie eine Palette voller Liegestühle (etwa 1/3 soviel wie Passagiere) - wenn ein Liegestuhl frei wird, so ist es Usus, daß sich der nächste Benutzende schnell findet und gesicherte Recht bezüglich der Stühle gibt es nicht.
In Genua steigt eine Horde lärmender Kölner hinzu, die sich untereinander teilweise kennen, und führen ein neues Liegestuhlbenutzungssystem ein: ein einmal in Besitz genommener Liegestuhl ging als Quasi-Eigentum in die vollständige (d.h. zeitlich wie räumliche) Benutzung des Eigentümers über; dieser Besitz wurde mit Händen und Füßen verteidigt, befreundete Liegestuhl-Dynastien waren sich bei der Bewachung der Stühle behilflich.
Die entrechteten Passagiere zogen bald den Schwanz ein und zogen es vor, sich zurück zu ziehen.
<h3>Deskription: Klassenaufbau der Passagiere im Liegestuhlbesitzendensystem</h3>
Zuerst etablierte sich eine Zwei-Klassengesellschaft: Besitzende und Nicht-Besitzende, positiv und negativ Privilegierte.
Im Vergleich zum vorherigen Zustand (Liegestühle für Alle) war das eigentlich innovative Moment, die Einführung negativer Privilegien: eine Gruppe könnte nicht mehr an der Gesamtheit der Liegestühle partizipieren.
Die positiven Privilegien der Usurpatoren lagen nicht in der Besitznahme der Liegestühle - denn dies bedeutet gegenüber der früheren Situation keinen Vorteil -, sondern"[d]as Beneidenswerte ihrer Situation lag einmal darin, daß sie nicht zu den anderen gehörte[n]. Weiter aber vor allem in der Ausbaufähigkeit ihrer Position" (S. 189)
Doch im Laufe der Zeit gelangten einige der Nicht-Privilegierten in die beneidenswerte Position, sich am Gebrauch der Liegestühle beteiligen zu dürfen und als Dienstleistung ihre Wächerdienste im Kampf gegen die Entrechteten anzudienen. Es entsteht eine dreiklassige Schichtung der Passagiere:
- ganz oben angesiedelt ist die liegestulbesitzende Klasse,
- danach folgt die Wächterklasse und
- ganz unten tummeln sich die Rechtlosen, die Parias der Seefahrt (vgl. auch S. 188f).
"Schon eine erste Überlegung zeigt, daß eine offene Kraftprobe, ein handgreiflicher Konflikt für die Minderheit in der ersten Phase, in der sie ihre Besitzansprüche und damit eine Zweiteilung der Gesamtheit durchsetzt, am gefährlichsten gewesen wäre.
Ist die Dreiteilung erst etabliert, dann ist im Falle einer offenen Kraftprobe schon nicht mehr sicher, wer eigentlich in der Minderheit wäre." (S. 190)
Um nun in den analytischen Teil des Beispiels einsteigen - sich auf die erste Phase der Machtnahme zu konzentrieren - zu können, bedarf es erst der zugrunde liegenden Frage, welche diese Situation entschlüsselt: "Welche merkwürdige Potenz kann die Minderheit zur Wirkung bringen, um diese erste Phase [- die Phase der Inbesitznahme der Liegestühle ohne oder mit nur verhaltenem Protest der Benachteiligten, B.W. - ] durchzustehen?" (S. 190)
<h3>Analyse der Inbesitznahme: Die überlegene Organisationsfähigkeit der Privilegierten</h3>
Zugrundeliegende These
Popitz postuliert folgende These:"die Privilegierten haben die größere Chance, sich schnell und wirkungsvoll zu organisieren. Ihr gemeinsames Interesse ist nicht notwendig intensiver, aber organisationsfähiger." (S. 191)
Situation der Besitzenden
"Die gegenseitige Unterstützung, die Kooperation drängt sich unmittelbar auf. Indem wir dem anderen [ Besitzenden ] helfen, helfen wir gleichzeitig uns selbst und dem Prinzip." (S. 191)
Da ihr Besitz noch nicht legitimiert ist, ist Kooperation notwendig, in dieser Kooperation bieten sie sich: Stellvertretung, Schutz, Bestätigung, individuelle und gemeinsame Interessen decken sich. (vgl. 191f)
Situation der Besitzlosen
Das Handikap der Nichtbesitzenden in ihrer ungenügend explizit formulierten Alternative zu sehen: zwar besteht das Interesse, die Besatzer zu verdrängen, doch ist fraglich, wie die Situation hiernach geregelt werden soll:"Die Einigkeit darüber, daß die bestehende Ordnung ungerecht sei, schafft noch kein Einverständnis, welche Neuordnung gerecht wäre." (S. 192) Es ist mehr als fraglich, ob es nach erfolgter"Revolution" möglich sein könnte, noch einmal in den Ausgangszustand zu verfallen, d.h. alle Stühle für alle Menschen;"was einmal gedacht wurde, daß kann nicht mehr zurückgenommen werden" - es bestände also immer die Möglichkeit, daß eine ungerechte Ordnung etabliert werden könnte; keiner würde mehr dem anderen Menschen vertrauen.
<h3>Das generelle Problem</h3>
Würde es nur mindestes zwei Alternativen für eine mögliche Zukunft geben, so müßte innerhalb der Klasse der Entrechteten eine Einigung erzielt werden, welche Alternative die genehmere sei - dies würde aber wohl unweigerlich zu Rivalitäten zwischen den Angehörigen einer Klasse führen ("teile und herrsche") und die"Revolution" wäre vollends gescheitert.
Um die Situation in den Termini des rational choice zu bewerten: die Kosten der Unterprivilegierten, sich zu organisieren und möglicherweise Verlockungen, der allerdings nur einen Teil der Klasse beträfe, doch an den Liegestühlen zu partizipieren, zu widerstehen, sind ungleich höher, als die Kosten der bereits Privilegierte, die nur noch den Staus quo verteidigen müssen.
<h3>Fazit</h3>
"Auf die Frage David Humes, warum die Wenigen anscheinend so leicht über die Vielen zu herrschen pflegen, wäre also zunächst zu antworten: Weil und insofern die Wenigen die Besitzenden sind und weil der Besitz - die Verteidigung des Besitzes, das gelöste Problem der Verteidigung und damit der Ordnungsconsensus - eine überlegende Organisationsfähigkeit vermittelt." (S. 196)
Sie können ihre Überlegenheit reproduzieren, sie ausbauen und befinden sich damit in einem Akkumulationsprozeß der Macht gegen die Interessen der Mehrheit. (vgl. S. 197)
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Was zum Nachdenken - bevor wieder jemand postet: Die Menschen mußten doch endlich einmal...
J.

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