- @ricardo Dank &"Wie das"Formieren einer Gesellschaft" geht (@Popey; @dottore) - Galiani, 17.12.2003, 14:45
- Re: @ricardo Dank &"Wie das"Formieren einer Gesellschaft" geht (@Popey; @dott - Ricardo, 17.12.2003, 15:59
@ricardo Dank &"Wie das"Formieren einer Gesellschaft" geht (@Popey; @dottore)
-->Hallo ricardo
Herzlichen Dank für das Hereinstellen des Hayek-Aufsatzes „Economics and Knowledge"; ich habe ihn mir ausgedruckt und meiner Hayek-Sammlung hinzugefügt; - nochmals heißen Dank. Ich kannte diesen Aufsatz nur vom Hörensagen bzw. aus der Erwähnung dieser Arbeit durch Hayek selbst in einem Vortrag, den er 1964 an der Rikkyo Universität in Tokyo hielt. Es ist ganz interessant, was der Autor selbst über diese erstmals schon 1937 veröffentlichten Gedanken rund 30 Jahre später sagt:
[i]<font color=#FF0000><font size="2">"Wenn ich zurückblicke, scheint es, daß alles vor beinahe dreißig Jahren mit einem Essay über „Economics and Knowledge" begonnen hat, in dem ich untersuchte, was mir einige der zentralen Schwierigkeiten der reinen Wirtschaftstheorie zu sein schienen. Die wichtigste Schlussfolgerung in diesem Essay war, daß die Aufgabe der.. Theorie darin besteht, zu erklären, wie eine Gesamtordnung der ökonomischen Tätigkeit zustande kommt, die sich eines sehr umfangreichen Wissens bedient, das nicht in irgendeinem Intellekt konzentriert ist, sondern nur als einzelnes Wissen von Tausenden oder Millionen verschiedener Individuen existiert. Aber es war noch ein weiter Weg von hier bis zu einer angemessenen Einsicht in die Beziehungen zwischen den abstrakten Regeln, denen das Individuum bei seinen Handlungen folgt, und der abstrakten Gesamtordnung, die als Ergebnis seiner Reaktion... auf konkrete Einzelumstände, die es antrifft, gebildet wird. Nur durch eine erneute Überprüfung des.. Konzepts der Freiheit unter dem Recht, der grundlegenden Konzeption des traditionellen Liberalismus und der daraus für die Rechtsphilosophie entstehenden Probleme habe ich.. ein zureichend klares Bild über die Natur der spontanen Ordnung gewonnen, von der liberale Nationalökonomen so lange gesprochen haben."</font></font>
[/i]
Die Sache berührt - wie Du vollkommen zu Recht feststellst - den zentralen Punkt der gesamten Konzeption von Dottore's"Machttheorie". Das Thema des erwähnten Vortrages Hayeks 30 Jahre später klärt aber auch einige Mißverständnisse auf, die sich in die von Dottore und Popey geäußerten Ansichten eingeschlichen haben. In der Diskussion zwischen den Genannten und mir über mein Zitat von Hume aus dem"Treatise.." habe ich deren Fragen, wie sich denn nun genau <font color=#FF0000>"eine Gesellschaft formiert"</font> bzw. <font color=#FF0000>"WANN genau und WIE genau sich denn die Gesellschaftsmitglieder darauf geeinigt haben, den Besitz jedes Einzelnen als dessen"Eigentum" zu garantieren"</font>, als naiv abgetan und - wohl zu Recht - darauf hingewiesen, daß - da es nun mal"Gesellschaften", Staaten und die Institution des"Privateigentums" real gebe - diese sich wohl auch irgendwann und irgendwie "formiert" haben müßten. Dazu stehe ich immer noch. Es scheint mir aber in diesem Zusammenhang doch angebracht, den Wortlaut des erwähnten Vortrages von Hayek in Japan - in einem Auszug, der den wesentlichen Gedanken erfassen läßt und versehen mit einigen die aktuelle Diskussion betreffenden Kurz-Kommentaren - hier hereinzustellen; sozusagen als Ergänzung zu dem von Dir geposteten Aufsatz. Denn Hayek erklärt hier sehr ausführlich und mit zwingender Logik, <font color=#FF0000>WARUM es naiv wäre, den Zeitpunkt der Gründung einer Gesellschaft, einer Nation, eines Staates und/oder einer Institution wie der des"Eigentums" auf ein Kalenderdatum und eine Uhrzeit - oder überhaupt auf einen konkreten von irgendwelchen Menschen,"Machthaltern", bewußt intendierten Akt oder"Vertrag" zu beziehen[i]</font>. Vielleicht klärt es also die Debatte, wenn der eine oder andere hier im Forum diesen Text liest (zumal er mustergültig übersetzt in deutscher Sprache vorliegt und die Sache wohl noch deutlicher macht als der Hennecke-Aufsatz, auf den ich hingewiesen hatte, in dem es aber eigentlich um etwas anderes geht).
Nachfolgend also der Vortragstext (Quelle: F. A. v. Hayek - Gesammelte Aufsätze; Freiburger Studien Nr. 5; Tübingen-Mohr/Siebeck 1969):
[i]<font color=#0000FF><font size="4">ARTEN DES RATIONALISMUS</font></font>
<font size="2">(Vorlesung, gehalten am 27. April 1964 an der Rikkyo Universität, Tokyo, veröffentlicht in: The Economic Studien Quarterly, Tokyo, Vol. XV, No. 2, März 1965; wiederabgedruckt in: Studies in Philosophy, Politics and Economics, London, Chicago und Toronto 1967; übersetzt von Reinhold Veit.)</font>
<font color=#0000FF>I
.. Es geschieht häufig, daß.. Forderungen mit einem sehr sinnvollen Wort etikettiert werden, das in seiner allgemeineren Bedeutung eine durchaus wünschenswerte und allgemein anerkannte Tätigkeit beschreibt. Die.. Forderungen, denen ich entgegenzutreten nötig finde, sind in der Tat häufig das Ergebnis des Glaubens, daß, wenn eine gewisse Geisteshaltung in der Regel segensreich ist, sie auch auf allen Gebieten und in allen Fällen segensreich sein muß. Die Schwierigkeit, die daraus für die Kritik gängiger Ansichten erwächst, ist mir zuerst in Verbindung mit dem Wort „Planung“ begegnet: daß wir im voraus überlegen sollten, was wir zu tun im Begriffe sind, daß es eine vernünftige Ordnung unseres Lebens nötig macht, daß wir, ehe wir handeln, eine klare Vorstellung über unsere Ziele haben sollten, scheint so offenkundig, daß es schwerfällt zu glauben, daß das Verlangen nach Planung jemals irrig sein sollte. Jede ökonomische Tätigkeit ist in besonderer Weise Planung von Entscheidungen über die Verwendung von Ressourcen hinsichtlich aller miteinander konkurrierenden Ziele. Es wäre für einen Nationalökonomen daher ganz besonders absurd, wenn er sich gegen Planung in diesem allgemeinsten Sinne des Wortes wendete.
Aber in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wurde dieses sinnvolle Wort weithin in einem engeren und spezifischeren Sinn verwendet. Es wurde zu einem gültigen Slogan nicht etwa dafür, daß jeder von uns sein wirtschaftliches Handeln vernünftig planen sollte, sondern dafür, daß das wirtschaftliche Handeln aller nach einem einzigen, von einer zentralen Instanz entworfenen Plan gelenkt werden sollte. „Planung“ bedeutete so zentrale, kollektivistische Planung, und die Diskussion, ob Planung oder Nicht-Planung, bezog sich ausschließlich auf dieses Problem. Der Umstand, daß sich die Zentral-Planer das sinnvolle Wort „Planung“ für ihre besondere Art der Planung angeeignet hatten, schuf für die Gegner dieser Planung ein heikles Problem. Sollten sie das sinnvolle Wort für seine legitime Verwendung zu retten suchen und darauf bestehen, daß eine freie Wirtschaft auf eigenständigen Plänen vieler Individuen beruhe und dem einzelnen in der Tat größeren Spielraum bei Gestaltung seines Lebens als ein zentrales Planungssystem einräume? Oder sollten sie den engen Sinn, in dem dieser Begriff nunmehr gebraucht wurde, annehmen und ihre Kritik einfach gegen „Planung“ richten?
Da die Dinge zu weit fortgeschritten waren und da es zu spät war, entschloß ich mich zu Recht oder zu Unrecht - etwas zum Unbehagen meiner Freunde -, den Gebrauch des Wortes im Hinblick auf seine legitime Verwendung nicht weiter zu verteidigen. Gerade zu dem Zeitpunkt, als meine Gegner einfach zugunsten der Planung sprachen und darunter die zentrale Planung aller wirtschaftlichen Tätigkeit verstanden, richtete ich meine Kritik schlechthin gegen „Planung“ - wobei ich den Vorteil des sinnvollen Wortes meinen Gegnern überließ und mich selbst dem Angriff aussetzte, mich der Verwendung unserer Intelligenz zur Ordnung unserer Angelegenheiten zu widersetzen. Doch glaube ich immer noch, nachdem sich die Dinge so entwickelt hatten, daß ein solcher Frontalangriff notwendig war, um vom Throne zu stoßen, was zu einem Götzen geworden war.
Neuerdings sind mir ähnliche Schwierigkeiten mit dem viel gepriesenen Wort „sozial“ begegnet. So wie „Planung“ ist es eines der Modeworte unserer Zeit; in seiner ursprünglichen, auf die Gesellschaft bezogenen Bedeutung könnte es indessen ein sehr nützliches Wort sein. Aber in seiner modernen Verwendung, in solchen Verbindungen wie „soziale Gerechtigkeit“ (man sollte denken, daß jedwede „soziale Gerechtigkeit“ ein soziales Phänomen ist!) oder dann, wenn unsere sozialen Pflichten rein moralischen Pflichten gegenübergestellt werden, ist es zu einem der verwirrendsten und schädlichsten Worte unserer Zeit ausgeartet; es ist nicht nur selbst inhaltsleer und dazu geeignet, ihm jeden beliebigen Inhalt geben zu können, sondern es entblößt auch alle Begriffe, mit denen es verbunden wird (wie im Deutschen soziale Marktwirtschaft oder sozialer Rechtsstaat) irgendeines bestimmten Inhalts. Infolgedessen fühlte ich mich verpflichtet, gegen das Wort „sozial“ Stellung zu nehmen und zu zeigen, daß insbesondere dem Konzept der sozialen Gerechtigkeit überhaupt keine Bedeutung zukam, und es nur dazu geeignet war, eine irreführende Luftspiegelung hervorzurufen, die klar denkende Leute nicht beachten sollten. Aber dieser Angriff auf eines der geheiligten Götzenbilder unserer Zeit brachte es wiederum mit sich, daß mich zahlreiche Leute als einen unverantwortlichen Extremisten ansahen, der sich in keiner Weise mit dem Zeitgeist in Übereinstimmung befindet.
Ein weiteres Beispiel eines solchen zweckmäßigen Wortes, das ich gerne, wäre ihm keine spezielle Bedeutung gegeben worden, benutzt hätte, meine eigene Position zu beschreiben, gegen das ich mich aber zu wenden gezwungen fühlte, ist „positiv“ oder positivistisch“. Der spezielle Sinn, der ihm wiederum unterstellt wurde, hat eine Lage geschaffen, in der ich mich genötigt sah, dieses überaus nützliche Wort meinen Gegnern zu überlassen und mich selbst in der Situation eines Anti-Positivisten zu sehen, obwohl das, was ich verteidige, genausosehr positive Wissenschaft ist wie die Lehren derer, die sich selbst zu Positivisten ernannten.
II
Gegenwärtig bin ich jedoch in einen anderen Meinungsstreit verwickelt, den ich nicht nur kurz streifen kann; er bedarf vielmehr einer eingehenden Erklärung. Die allgemeine Sozialphilosophie, die ich vertrete, ist verschiedentlich als antirationalistisch beschrieben worden, und ich habe zumindest im Hinblick auf meine diesbezüglich wichtigsten geistigen Vorfahren, B. Mandeville, David Hume und Carl Menger, gelegentlich selbst diesen Ausdruck benutzt. Er hat jedoch zu so vielen Mißverständnissen Anlaß gegeben, daß er mir nunmehr als ein gefährlicher und irreführender Begriff erscheint, der vermieden werden sollte.
Wir haben uns hier wieder einmal mit einer Situation zu befassen, in der eine Gruppe von Denkern sehr wirkungsvoll die einzig richtige Verwendung des guten Ausdrucks „Vernunft“ für sich selbst beanspruchte und die als Folge davon als Rationalisten bezeichnet worden ist. Es war fast unvermeidbar, daß diejenigen, die nicht mit ihren Ansichten über den richtigen Gebrauch der Vernunft übereinstimmten, als „Anti-Rationalisten“ bezeichnet wurden. Dies erweckte den Eindruck, als ob die letzteren die Vernunft nicht sehr hoch einschätzten, während sie in Wahrheit auf eine effizientere Anwendung der Vernunft bedacht waren und dafür eintraten, daß ein wirksamer Gebrauch der Vernunft genaue Einsicht in die Grenzen des wirksamen Gebrauchs individueller Vernunft erforderte, um die Beziehungen zwischen zahlreichen vernunftbegabten Wesen zu regeln.
Es scheint mir eine Art von Rationalismus zu existieren, die in der Tat, weil sie die Grenzen der Kräfte individueller Vernunft nicht erkennt, dazu neigt, die menschliche Vernunft zu einem weniger wirksamen Instrument zu machen, als sie sein konnte. Dieser Rationalismus ist eine verhältnismäßig neue Erscheinung, obgleich seine Wurzeln bis in die frühe griechische Philosophie zurückreichen. Sein moderner Einfluß beginnt jedoch erst im 16. und 17. Jahrhundert und macht sich dann besonders mit der Formulierung seiner wichtigsten Prinzipien durch den französischen Philosophen Rene Déscartes geltend. Hauptsächlich durch ihn erfuhr der wahre Begriff „Vernunft“ einen Bedeutungswandel. Den mittelalterlichen Denkern hatte Vernunft vor allem eine Fähigkeit bedeutet, Wahrheit zu erkennen, besonders moralische Wahrheit (1), wenn sie sich mit ihr auseinandersetzten, und nicht so sehr eine Fähigkeit, im Wege deduktiven Denkens aus vorgegebenen Prämissen Schlußfolgerungen zu ziehen. Und sie waren sich sehr genau bewußt, daß viele der gesellschaftlichen Institutionen keine Erfindungen der Vernunft waren, sondern etwas, das sie, in ausgesprochenem Gegensatz zu allem, was erfunden wurde, „natürlich“ nannten, d. h., was spontan gewachsen ist.
Es stand im Gegensatz zu dieser älteren Naturrechtslehre, die tatsächlich erkannte, daß viele der gesellschaftlichen Institutionen nicht das Produkt überlegter rnenschlicher Planung waren, wenn der neue Rationalismus von Francis Bacon und besonders von Rene Déscartes behauptete, daß die vielen nützlichen menschlichen Institutionen das sorgfältig geplante Geschöpf der Vernunft waren und sein sollten, die alle äußeren Umstände genau in Rechnung stellt. Diese Vernunft wurde als Cartesianischer esprit géométrique begriffen, als eine Fähigkeit des Verstandes, durch einen Prozeß des deduktiven Denkens die Wahrheit zu finden, der seinen Ausgang von einigen wenigen, klar umrissenen und nicht bezweifelbaren Prämissen nimmt.
Es scheint mir, daß die beste Bezeichnung für diese Art des naiven Rationalismus rationalistischer Konstruktivismus ist. Er stellt eine Anschauung dar, die im sozialen Bereich seither unermeßliches Leid gestiftet hat, was immer seine großen Verdienste auf dem Gebiet der Technologie gewesen sein mögen. (Wer glaubt, daß ich, weil ich diese Anschauung als „Konstruktivismus“ bezeichne, meinen Gegnern wiederum ein gutes Wort darbiete, sollte beachten, daß dieser Ausdruck genau in diesem Sinne schon von einem der größten Liberalen des 19. Jahrhunderts, W. E. Gladstone, verwendet wurde. Er gebrauchte ihn als Bezeichnung für die Haltung, für die ich früher keinen besseren Ausdruck fand als „Ingenieurstyp des Verstandes“. Konstruktivisrnus“ scheint mir nunmehr die beste Kennzeichnung für die praktische Haltung, die regelmäßig das begleitet, was ich im Bereich der Theorie als „Szientizismus“ (2) beschrieben habe.)
Der Aufstieg dieser Anschauung im 17. Jahrhundert bedeutete in der Tat einen Rückfall in eine frühere naive Art des Denkens, in eine Ansicht, die gewohnheitsmäßig einen persönlichen Erfinder aller menschlichen Erscheinungen, sei es Sprache oder Schrift, Recht oder Moral, voraussetzte. Es ist kein Zufall, daß der Cartesianische Rationalismus gegenüber den Kräften der historischen Entwicklung vollständig blind war. Und was er auf die Vergangenheit anwandte, gab er als Programm für die Zukunft aus: daß der Mensch in voller Kenntnis dessen, was er tut, bewußt eine solche Zivilisation und soziale Ordnung schaffen sollte, wie ihn der Fortschritt seines Denkens zu entwerfen befähigt. Rationalismus in diesem Sinn ist die Doktrin, die unterstellt, daß alle Institutionen, in deren Genuß die Menschheit steht, in der Vergangenheit erfunden worden sind und in der Zukunft erfunden werden sollten im klaren Wissen um die wünschenswerten Wirkungen, die sie hervorbringen; daß sie nur in dem Maß gebilligt und geachtet werden sollten, wie wir zeigen können, daß die einzelnen Wirkungen, die sie in irgendeiner bestimmten Situation erzeugen, denjenigen Wirkungen vorzuziehen sind, die ein anderes Arrangement erzeugen würde; daß es in unserer Macht steht, unsere Institutionen so zu gestalten, daß von allen möglichen Arten von Ergebnissen dasjenige, das wir allen anderen vorziehen, verwirklicht werden wird; und daß unsere Vernunft niemals Zuflucht zu automatischen oder mechanischen Regeln nehmen sollte, wenn bewußtes Ins-Auge-Fassen aller Faktoren ein Ergebnis zeitigte, das dem davon verschiedenen des spontanen Prozesses vorzuziehen wäre. Aus dieser Art des sozialen Rationalismus oder Konstruktivismus entspringen Totalitarismus, Planung und der gesamte moderne Sozialismus. </font>[<font size="2">Und, nebenbei bemerkt, auch die konstruktivistische „Machttheorie“</font>]<font color=#0000FF>
III
Unser Problem kann nunmehr pointiert werden, indem wir fragen, ob die menschliche Zivilisation, wie der Cartesianische Rationalismus und seine Nachfolger annehmen, das Produkt menschlicher Vernunft ist oder ob es sich nicht umgekehrt verhält, und wir die menschliche Vernunft als das Produkt einer Zivilisation ansehen sollten, die nicht bewußt durch den Menschen geschaffen wurde, sondern die vielmehr durch einen Prozeß der Evolution gewachsen ist. Natürlich ist dies in gewisser Weise eine Frage von der Art, ob „zuerst die Henne oder das Ei war“ niemand wird leugnen, daß die beiden Phänomene ständig ineinandergreifen. Aber es ist die typische Auffassung des Cartesianischen Rationalismus, durchgängig auf der ersten Interpretation zu bestehen, auf einer vorgegebenen menschlichen Vernunft, die die Institutionen bewußt entwirft. Das ganze Denken unserer modernen Zeit, vom „Gesellschaftsvertrag“ bis zu der Ansicht, daß das Recht das Geschöpf des Staates ist und daß wir unsere Institutionen, weil sie von uns geschaffen worden sind, auch beliebig ändern können, ist von den Abkömmlingen dieser Tradition durchdrungen. </font>[<font size="2">Das ist auch der Grund, warum Dottore ebenso wie Popeye auf der im Grunde naiven Frage herumreiten, WANN und in welcher konkreten FORM sich denn die Gesellschaft darauf geeinigt habe, den Besitz jedes Einzelnen in der Gesellschaft zu garantieren, wodurch aus diesem „Besitz“ das „Eigentum“ wird.</font>]<font color=#0000FF> Für diese Auffassung ist auch charakteristisch, daß sie keinen Platz für die eigentliche soziale Theorie hat: weil die Probleme der sozialen Theorie aus der Tatsache erwachsen, daß die individuellen Anstrengungen des Menschen in der Tat häufig zu einer Ordnung führen, die, obwohl unbeabsichtigt und nicht voraussehbar, sich als unentbehrlich zur Verwirklichung dessen erweist, wonach die Menschen streben.
Es verdient Erwähnung, daß in dieser Hinsicht die mehr als zweihundertjährige Anstrengung sozialer und besonders ökonomischer Theoretiker nunmehr unerwartete Unterstützung von einer neuen Wissenschaft, der sozialen Anthropologie, erhält, die auf immer mehr Gebieten zeigt, warum das, was lange als Erfindung der Vernunft betrachtet worden ist, in Wahrheit das Ergebnis eines Prozesses der Evolution und Selektion war, ähnlich demjenigen, den wir im biologischen Bereich finden. Ich nannte sie eine neue Wissenschaft - aber in Wirklichkeit führen die sozialen Anthropologen nur die Arbeit fort, die Mandeville, Hume und seine Nachfolger unter den schottischen Philosophen begonnen hatten, die aber größtenteils in Vergessenheit geriet, als sich ihre späteren Nachfolger mehr und mehr auf das enge Feld des Ã-konomischen beschränkten.
Das wichtigste Ergebnis dieser Entwicklung in seiner allgemeinsten Form ist demnach die Einsicht, daß selbst die Fähigkeit des Menschen, zu denken, keine natürliche Gabe des Individuums, sondern ein kulturelles Erbe ist, etwas, das nicht biologisch, sondern durch Beispiel und Unterrichtung übertragen wurde - in erster Linie durch - und darin enthalten, - das Lehren der Sprache. Das Ausmaß, in dem die Sprache, die wir in früher Kindheit erlernen, unsere ganze Art des Denkens und unsere Anschauung und Interpretation der Welt bestimmt, ist wahrscheinlich viel größer, als wir bis jetzt wissen. Es handelt sich nicht allein darum, daß das Wissen früherer Generationen durch das Medium der Sprache an uns weitergegeben wird; die Struktur der Sprache selbst enthält gewisse Anschauungen über die Natur der Welt, und indem wir eine bestimmte Sprache lernen, erwerben wir ein gewisses Bild der Welt, einen Rahmen unseres Denkens, innerhalb dessen wir uns, ohne es zu wissen, hinfort bewegen. So wie wir als Kinder lernen, unsere Sprache nach Regeln zu gebrauchen, die wir nicht im einzelnen kennen, so lernen wir mit der Sprache nicht nur nach Sprachregeln zu verfahren, sondern gemäß vielen anderen Regeln die Welt zu interpretieren und angemessen zu handeln, Regeln, die uns leiten, obwohl wir sie nie explizit formuliert haben. Dieses Phänomen impliziten Lernens ist selbstverständlich einer der wichtigsten Bestandteile kultureller Überlieferung, jedoch ein solcher, den wir bislang nur unvollständig verstehen.
IV
Die Tatsache, auf die ich mich eben bezogen habe, bedeutet wahrscheinlich, daß wir in unserem gesamten Denken von Regeln geleitet (oder sogar gelenkt) werden, die wir nicht kennen, und daß daher unsere bewußte Vernunft immer nur einige der Umstände in Rechnung stellen kann, die unsere Handlungen bestimmen. Daß der rationale Vorgang des Denkens nur ein Element unter jenen war, die uns leiten, ist natürlich schon lange erkannt worden. Dies fand seinen Ausdruck in der scholastischen Maxime, daß [i]ratio non est judex, sec instrumentum - daß die Vernunft nicht Richter, sondern ein Instrument ist. Aber klares Wissen entstand erst durch David Humes Untersuchung (die sich gegen den konstruktivistischen Rationalismus seiner Zeit richtete), und die zeigte, daß «die Regeln der Moral keine Schlußfolgerungen unserer Vernunft sind«. Dies gilt natürlich für alle unsere Werte, welche die Zwecke darstellen, denen die Vernunft dient, die aber die Vernunft nicht bestimmen kann. </font>[<font size="2">Soviel also zu dem insbesondere von Popeye gegen mich sinngemäß erhobenen Vorwurf, ich sei ein Werte-Romantiker! Jeder Mensch der Zwecke verfolgt, - sogar Popeye, z. B. wenn er mir wieder mal nachweisen will, daß ich über eine Sache, über die ich spreche, nicht genügend Bescheid wisse - tut dies natürlich auf der Basis irgendwelcher Werte; - sei dies bewußt oder unbewußt. Dies aber nur nebenbei.</font>]<font color=#0000FF> Dies bedeutet nicht, daß die Vernunft bei Entscheidung von Wertkonflikten keine Funktion hat - und alle moralischen Probleme sind Probleme, die durch Wertkonflikte entstehen. Aber nichts zeigt die begrenzte Rolle der Vernunft in diesem Zusammenhang besser als eine eingehende Analyse darüber, wie wir solche Konflikte entscheiden. Die Vernunft kann uns nur erkennen helfen, welche Alternativen wir besitzen, welches die im Konflikt miteinander stehenden Werte sind, oder welche von ihnen wahre letzte Werte sind, und welche, was oft der Fall ist, nur Zwischenwerte sind, die ihre Bedeutung davon herleiten, anderen Werten zu dienen. Wenn jedoch diese Aufgabe vollendet ist, kann uns die Vernunft nicht mehr weiterhelfen. Sie muß die Werte als gegeben hinnehmen, denen sie zu dienen berufen ist.
Daß Werte nichtsdestoweniger eine Funktion oder einen „Zweck“ erfüllen, die wissenschaftliche Analyse aufzudecken fähig sein kann, ist eine andere Sache. Es wird uns helfen, genauer zwischen den verschiedenen Arten des Rationalismus zu unterscheiden, wenn wir etwas näher den Charakter der Bemühungen prüfen, die zu erklären suchen, weshalb wir bestimmte Werte vertreten. Die bekannteste dieser Theorien, die sich mit moralischen Regeln befaßt, ist der Utilitarismus. Er tritt in zwei Formen auf, die die beste Illustration der Unterschiede zwischen der legitimen Verwendung der Vernunft in der Diskussion der Werte und jenem falschen, „konstruktivistischen“ Rationalismus liefern, der die Grenzen nicht zur Kenntnis nimmt, die den Kräften der Vernunft gezogen sind.
Der Utilitarismus erscheint in seiner ersten und legitimen Form im Werk des gleichen David Hume, der so nachdrücklich betonte, daß die „Vernunft allein äußerst unvermögend ist“, moralische Regeln hervorzubringen, der aber gleichzeitig darauf bestand, daß der Gehorsam gegenüber moralischen und rechtlichen Regeln, die niemand für diesen Zweck erfunden öder entworfen hatte, wesentlich sei, damit die Menschen ihre Ziele in der Gesellschaft mit Erfolg anstreben können. Er zeigte, daß bestimmte abstrakte Regeln des Verhaltens vorherrschend wurden, da jene Gruppen, die sie annahmen, im Ergebnis erfolgreicher waren, sich zu erhalten, als andere. Was er in dieser Hinsicht betonte, war vor allem die Überlegenheit einer Ordnung, die sich einstellen wird, wenn jedes Glied den gleichen abstrakten Regeln gehorcht, auch ohne Verständnis ihrer Bedeutung, verglichen mit einem Zustand, in dem jede einzelne Handlung aus Gründen der Zweckmäßigkeit entschieden wird, d. h. durch explizite Betrachtung aller konkreten Folgen einer bestimmten Handlung. Hume befaßt sich nicht mit der Frage irgendeiner erkennbaren Nützlichkeit bestimmten Handelns, sondern nur mit der Nützlichkeit universaler Anwendung gewisser abstrakter Regeln - einschließlich jener besonderen Fälle, in denen die unmittelbar erkennbaren Ergebnisse der Befolgung von Regeln nicht wünschenswert sind. Sein Grund dafür ist, daß die menschliche Intelligenz ganz unzureichend ist, alle Einzelheiten der komplexen menschlichen Gesellschaft zu verstehen, und daß es diese Unzulänglichkeit unserer Vernunft ist, eine solche Ordnung im einzelnen einzurichten, die uns zwingt, mit abstrakten Regeln zufrieden zu sein; und weiter, daß keine einzelne menschliche Intelligenz dazu fähig ist, die geeignetsten abstrakten Regeln zu erfinden, weil jene, die sich natürlich und allmählich im Prozeß des Wachstums der Gesellschaft herausgebildet haben, die Erfahrung von weit mehr Versuchen und Irrtümern verkörpern als irgendeine einzelne Intelligenz je erwerben könnte. </font>[<font size="2">So funktioniert das also!</font>]<font color=#0000FF>
Autoren, die in der Cartesianischen Tradition stehen, wie Helvetius und Beccaria, oder ihre englischen Nachfolger Bentham und Austin bis zu C. E. Moore, </font>[<font size="2">sowie - wie sich zeigt - neuerdings auch Dottore und Popey</font>]<font color=#0000FF>wenden diesen generischen Utilitarismus, der nach der in abstrakten Regeln verkörperten Zweckmäßigkeit suchte, die im Ablauf der Generationen natürlich und allmählich gewachsen sind, in einen besonderen Utilitarismus, der in seinen letzten Konsequenzen auf die Forderung hinausläuft, daß jede einzelne Handlung in vollem Bewußtsein all ihrer voraussehbaren Ergebnisse entschieden werden sollte - eine Anschauung, die letzten Endes alle abstrakten Regeln aufzuheben tendiert und zu dem Anspruch führt, daß der Mensch eine wünschenswerte Ordnung der Gesellschaft zustande bringen kann, indem er bei voller Kenntnis aller erheblichen Tatsachen ihre sämtlichen Bestandteile konkret aneinanderfügt. Während so der generische Utilitarismus von Hume auf einer Erkenntnis der Grenzen unserer Vernunft beruht und ihren besten Gebrauch aus einer strengen Befolgung abstrakter Regeln erwartet, beruht der konstruktivistische, sich davon unterscheidende Utilitarismus auf dem Glauben, daß die Vernunft fähig sei, alle Einzelheiten einer komplexen Gesellschaft unmittelbar bestimmen zu können.
V
Die Haltung der verschiedenen Arten des Rationalismus zur Abstraktion erfordert, weil sie die Quelle häufiger Mißverständnisse ist, eine etwas eingehendere Diskussion. Vielleicht wird der Unterschied am besten erklärt, wenn man sagt, daß jene, die die Grenzen der Kräfte der Vernunft erkennen, die Abstraktion verwenden wollen, um ihr zwecks Erreichung zumindest eines gewissen Grades von Ordnung in den menschlichen Angelegenheiten einen größeren Raum zu verschaffen, wobei sie wissen, daß es unmöglich ist, das volle Detail zu meistern, während der konstruktivistische Rationalist die Abstraktion nur als ein Instrument zur Bestimmung der Einzelheiten wertet. Dem ersten sind, wie es Tocqueville ausdrückte, „allgemeine Gedanken kein Beweis der Stärke, sondern vielmehr der Unzulänglichkeit des menschlichen Intellekts“, dem zweiten sind sie ein Werkzeug, das uns unbegrenzte Macht über das einzelne verleiht. In der Wissenschaftstheorie tritt dieser Unterschied in dem Glauben der Anhänger der zweiten Anschauung zutage, daß der Wert einer Theorie nach ihrer Fähigkeit beurteilt werden müsse, Einzelereignisse vorauszusagen, d. h. nach unserer Fähigkeit, den allgemeinen, von der Theorie umschriebenen Rahmen mit genügend konkreten Tatsachen füllen zu können, um ihre jeweilige Äußerungsform sichtbar zu machen, während im Gegensatz dazu natürlich die Voraussage, daß eine gewisse Art der Ordnung in Erscheinung treten wird, gleichfalls eine falsifizierbare Feststellung ist. In der Moralphilosophie neigt der konstruktivistische Rationalismus dazu, es unter seiner Würde zu finden, abstrakten mechanischen Regeln irgendein Vertrauen entgegenzubringen, und als wahrhaft rational nur ein Verhalten anzusehen, das auf Entscheidungen beruht, wonach jede einzelne Situation „nach ihrem Wert“ beurteilt wird, und er trifft die Wahl zwischen Alternativen mittels konkreter Bewertung der bekannt gewordenen Konsequenzen, die sich aus den verschiedenen Möglichkeiten ergeben.
Es ist ziemlich klar, daß diese Art des Rationalismus zur Zerstörung aller moralischen Werte sowie zu der Anschauung führt, daß das Individuum allein von seiner persönlichen Bewertung der einzelnen von ihm verfolgten Zwecke geleitet sein sollte und daß diese Art des Rationalismus alle Mittel von den angestrebten Zwecken her rechtfertigt. Der Zustand des Denkens, den sie erzeugt, ist sehr gut in einem autobiographischen Essay des verstorbenen Lord Keynes beschrieben worden. Als er die Ansichten darlegte, die er und seine Freunde zu Anfang des Jahrhunderts vertreten hatten - und die er zugegebenermaßen noch dreißig Jahre später vertrat -, schrieb er:
<ul><font size="2">“We entirely repudiated a personal liability on us to obey general rules. We claimed the right to judge every individual case on its merits, and the wisdom, experience and self-control to do so successfully. This was a very important part of our faith, violenty and aggressively held, and for the outer world it was our most obvious and dangerous characteristic. We repudiated entirely customary morals, conventions, and traditional wisdom. We were, that is to say, in the strict sense of the term, immoralists. The consequences of being found out had, of course, to be considered for what they were worth. But we recognized no moral obligation on us, no inner sanction, to conform or to obey. Before heaven we claimed to be our own judge in our own case.“ (3)</font></ul>
Es muß angemerkt werden, daß diese Feststellung nicht nur eine Zurückweisung traditioneller moralischer Regeln in sich schließt, sondern auch jedweder Verpflichtung gegenüber irgendeiner Art von Bindung an abstrakte Regeln des Verhaltens, moralische oder andere. Sie birgt den Anspruch in sich, daß die Intelligenz des Menschen angemessen ist, sein Leben erfolgreich zu ordnen, ohne zu der Hilfe greifen zu müssen, die ihm allgemeine Regeln oder Prinzipien gewähren, in anderen Worten, sie ist mit dem Anspruch gleichbedeutend, daß der Mensch fähig ist, seine Handlungen im Wege einer vollständigen, expliziten Bewertung der Konsequenzen sämtlicher möglicher Alternativentscheidungen und bei vollständiger Kenntnis aller Umstände, erfolgreich zu koordinieren. Dies bedeutet natürlich nicht nur eine kolossale Überschätzung unseres intellektuellen Vermögens, sondern auch eine gänzliche Fehldeutung der Art von Welt, in der wir leben. Sie behandelt unsere praktischen Probleme so, als ob wir alle Tatsachen kennten und die Aufgabe, sie zu bewältigen, eine rein intellektuelle wäre. Ich fürchte, daß der modernen Sozialtheorie infolge der gleichen Annahme vieles an Wert verlorengegangen ist. Die entscheidende Tatsache unseres Lebens ist jedoch, daß wir nicht allwissend sind, daß wir uns von Augenblick zu Augenblick neuen Tatsachen anpassen müssen, die wir zuvor nicht gekannt haben, und daß wir deshalb unser Leben nicht nach einem vorgefaßten, detaillierten Plan einrichten können, in dem jede einzelne Handlung im voraus jeder anderen rational angepaßt ist.
Da unser ganzes Leben darin besteht, daß wir immer neuen und nicht voraussehbaren Umständen gegenüberstehen, können wir es nicht dadurch ordnend gestalten, daß wir alle einzelnen Handlungen, die wir ergreifen werden, im voraus festlegen. Die einzige Art und Weise, in der wir unserem Leben tatsächlich eine gewisse Ordnung geben können, besteht darin, gewisse abstrakte Regeln oder Prinzipien als Wegweiser anzunehmen und uns dann streng an die angenommenen Regeln zu halten, wenn wir uns mit neu entstehenden Situationen auseinandersetzen. Unsere Handlungen bilden nicht deshalb ein einheitliches und rationales Ganzes, weil über sie als Teil eines einzelnen, im voraus ausgedachten Planes entschieden worden ist, sondern, weil wir bei jeder Entscheidung, die einer anderen folgt, unseren Wahlbereich mittels der nämlichen abstrakten Regeln begrenzen.
Wenn man überlegt, wie wichtig dieses Festhalten an Regeln ist, um unser Leben in Ordnung zu gestalten, erscheint es merkwürdig, wie wenig der Zusammenhang zwischen solchen abstrakten Regeln und der Schaffung einer umfassenden Ordnung untersucht worden ist. Wir wissen natürlich alle, daß wir in der Tat gelernt haben, gemäß Regeln zu handeln, um der Abfolge unseres Handelns eine gewisse Kohärenz zu geben, daß wir allgemeine Regeln in unserem Leben nicht nur deshalb beachten, um uns die Mühe zu ersparen, jedesmal gewisse Fragen, wenn sie auftreten, erneut zu bedenken, sondern vor allem deshalb, weil wir nur auf diese Weise etwas wie ein rationales Ganzes hervorbringen können. Ich kann hier nicht versuchen, die Beziehung zwischen den abstrakten Regeln, die bei all den unabhängig voneinander getroffenen Entscheidungen befolgt werden, und der abstrakten Gesamtordnung, die daraus hervorgeht, systematischer zu diskutieren. Aber es gibt einen bedeutsamen Punkt, der kurzer Erwähnung bedarf. Wenn wir auf diese Art und Weise eine allgemeine Ordnung unserer Angelegenheiten zustande bringen wollen, ist es notwendig, daß wir in allen Fällen der allgemeinen Regel folgen, und nicht nur, wenn kein besonderer Grund vorliegt, anders zu handeln. Dies mag in sich schließen, daß wir absichtlich ein bestimmtes Wissen um die jeweiligen Konsequenzen außer acht lassen, die die Befolgung der Regel im gegebenen Fall haben mag. Hier, denke ich, verlangt eine wahre Einsicht in die Bedeutung des Verhaltens gemäß Regeln ein viel strengeres Festhalten an ihnen, als durch die konstruktivistischen Rationalisten zugestanden werden würde, die abstrakte Regeln bestenfalls als Ersatz für eine Entscheidung, die unter voller Wertung aller Einzelumstände zu treffen wäre, annähmen und die es als wünschenswert ansähen, von den Regeln abzugehen, wenn immer ein besonderer Grund dafür vorliegt.
Aus Furcht, mißverstanden zu werden, möchte ich hier kurz bemerken, daß ich selbstverständlich, wenn ich vom strengen Festhalten an Regeln spreche, damit keine isolierten „Einzelregeln“ meine, sondern stets ein ganzes System von Regeln, innerhalb dessen häufig eine Regel die Folgerungen modifiziert, die wir aus einer anderen zu ziehen haben. Genauer gesagt sollte ich von einer Hierarchie von Regeln mit unterschiedlichen Graden ihrer Bedeutung sprechen. Aber ich kann hier nicht tiefer in diese wichtige Frage eindringen, als notwendig ist, um das Mißverständnis auszuschließen, daß irgendeine einzelne, isolierte Regel normalerweise genügen wird, unsere Probleme zu lösen.
VI
Was ich über das Erfordernis abstrakter Regeln zur Koordination der fortwährenden Abfolge von Handlungen im Leben irgendeines Menschen in immer neuen und nicht voraussehbaren Umständen gesagt habe, gilt weit mehr für die Koordination der Handlungen vieler verschiedener Individuen in konkreten Umständen, die jedem einzelnen Individuum nur teilweise bekannt sind und ihm erst bei ihrem Entstehen bekannt werden. Dies führt mich zu dem, was in meiner persönlichen Entwicklung der Ausgangspunkt dieser ganzen Überlegungen war, und der erklären mag, weshalb ich - früher war ich ein sehr reiner und enger ökonomischer Theoretiker - von der analytischen Wirtschaftstheorie in alle Arten von Fragen geführt wurde, die üblicherweise als philosophische angesehen werden. Wenn ich zurückblicke, scheint es, daß alles vor beinahe dreißig Jahren mit einem Essay über <a href=“http://www.econlib.org/library/Essays/hykKnw1.html“>„Economics and Knowledge“</a> (4) begonnen hat, in dem ich untersuchte, was mir einige der zentralen Schwierigkeiten der reinen Wirtschaftstheorie zu sein schienen. Die wichtigste Schlussfolgerung in diesem Essay war, daß die Aufgabe der ökonomischen Theorie darin besteht, zu erklären, wie eine Gesamtordnung der ökonomischen Tätigkeit zustande kommt, die sich eines sehr umfangreichen Wissens bedient, das nicht in irgendeinem Intellekt konzentriert ist, sondern nur als einzelnes Wissen von Tausenden oder Millionen verschiedener Individuen existiert. Aber es war noch ein weiter Weg von hier bis zu einer angemessenen Einsicht in die Beziehungen zwischen den abstrakten Regeln, denen das Individuum bei seinen Handlungen folgt, und der abstrakten Gesamtordnung, die als Ergebnis seiner Reaktion - innerhalb der ihm durch jene abstrakten Regeln gezogenen Grenzen - auf konkrete Einzelumstände, die es antrifft, gebildet wird. Nur durch eine erneute Überprüfung des generationenalten Konzepts der Freiheit unter dem Recht, der grundlegenden Konzeption des traditionellen Liberalismus und der daraus für die Rechtsphilosophie entstehenden Probleme habe ich, wie mir nunmehr scheint, ein zureichend klares Bild über die Natur der spontanen Ordnung gewonnen, von der liberale Nationalökonomen so lange gesprochen haben.
Sie erweist sich als ein Beispiel einer allgemeinen Methode, mittelbar eine Ordnung zu schaffen, wenn Umstände gegeben sind, die ihrer Natur nach viel zu komplex sind, als daß sie uns die Herstellung einer Ordnung erlaubten, indem wir jedes Element getrennt an seinen ihm zugehörigen Platz setzen. Sie ist eine Art der Ordnung, über deren jeweilige Äußerungsform wir wenig Kontrolle haben, weil die Regeln, die sie bestimmen, nur ihren abstrakten Charakter festlegen, während das Detail von den besonderen Umständen abhängt, die allein ihren einzelnen Gliedern bekannt sind. Sie ist daher eine Ordnung, die wir nicht verbessern, sondern nur stören können, wenn wir versuchen, irgendeinen Teil von ihr durch absichtliche Anordnung zu ändern. Der einzige Weg, sie wirklich zu verbessern, ist die Vervollkommnung der abstrakten Regeln, die die Individuen leiten. Dies ist jedoch mit Notwendigkeit eine nur allmählich und schwer zu bewältigende Aufgabe, weil in der Tat die meisten der Regeln, die die bestehende Gesellschaft regieren, nicht das Ergebnis unserer bewußten Gestaltung sind, und wir deshalb häufig nur sehr unvollkommen erfassen, was von ihnen abhängt. Wie ich bereits früher erwähnt habe, sind sie das Produkt eines langsamen Evolutionsprozesses, in dessen Verlauf weit mehr Erfahrung und Kenntnis in sie eingegangen sind. als irgendeine einzelne Person überhaupt besitzen kann. Dies bedeutet, daß wir, ehe wir hoffen können, sie erfolgreich zu verbessern, viel genauer begreifen lernen müssen, als wir dies bis jetzt tun, in welcher Weise die vom Menschen geschaffenen Regeln und die spontanen Kräfte der Gesellschaft ineinanderwirken. Dies erfordert nicht nur eine viel engere Zusammenarbeit zwischen den Nationalökonomen, den Juristen und den Sozialphilosophen, als wir sie in jüngster Zeit gehabt haben; aber auch dann, wenn wir sie erreicht haben, ist alles, was wir erhoffen können, eher ein langwieriger experimenteller Prozeß gradueller Verbesserung als irgendeine Möglichkeit zu drastischer Änderung.
Es ist vielleicht verständlich, daß sich konstruktivistische Rationalisten in ihrem Stolz auf die große Macht menschlicher Vernunft gegen das Verlangen einer Unterwerfung unter Regeln gewehrt haben, deren Bedeutung sie nicht völlig verstanden und die eine Ordnung erzeugen, die wir im einzelnen nicht voraussagen können. Daß wir nicht fähig sein sollten, die menschlichen Angelegenheiten nach unseren Wünschen zu gestalten, ging entschieden gegen die Neigung von Generationen, die glaubten, daß sich der Mensch durch einen vollen Gebrauch der Vernunft gänzlich zum Meister seines Schicksals erheben könne. Es scheint jedoch, daß dieser Wunsch, alles und jedes zum Gegenstand rationaler Kontrolle zu machen, bei weitem zu keinem größtmöglichen Gebrauch der Vernunft führt, sondern eher einem Mißbrauch der Vernunft gleichkommt, der auf einer Fehleinschätzung ihrer Kräfte beruht und schließlich zu einer Zerstörung jenes freien Zusammenspiels zahlreicher vernunftbegabter Individuen fuhrt, aus dem sich das Wachstum der Vernunft ernährt. Wahre Einsicht in die Rolle richtig gebrauchter Vernunft scheint in der Tat anzuzeigen, daß die Erkenntnis der eigentlichen Grenzen rationaler Kontrolle eine der wichtigsten Anwendungen der Vernunft ist. Der große Montesquieu hob dies auf der Höhe des „Zeitalters der Vernunft“ klar hervor, wenn er sagte: la raison même a besoin de limites.
<font size="2">
1 Vgl. John Locke, Essays an the Law of Nature (1676), Hrsg. W. von Leyden, Oxford (Clarendon Press) 1954, S. 111: „By reason, however, I do not think is meant here that faculty of the understanding which forms trains of thought and deduces proofs, but certain definite principles of action from which spring all virtues and whatever is necessary for the proper moulding of morals.“
2 Vgl. mein Buch: The Counter-Revolution of Science, Glencoe, III-Y 1952. (Deutsch: Mißbrauch und Verfall der Vernunft, Frankfurt a.M, 1959; d. Übersetzer.)
3 J.M. Keynes, Two Memoirs, Dr. Melchior: A Defeated Enemy und My Early Beliefs, eingeführt von D. Garnett, London (Rupert Hart-Davies) 1949, S. 97 f.
4 Economica, N. S., IV, 1937, abgedruckt in: Individualism and Economic Order, London und Chicago 1949. (Deutsch: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach-Zürich 1952; d. Übersetzer.)</font>
[/i]</font>[/i][/i]
Verdammt! - Schon wieder eine Mittagspause dem"Gescheiteln" im Forum geopfert....! Dennoch:
Gruß und"Frohe Weihnachten"
G.

gesamter Thread: