- Was heißt Mitte-Rechts bzw. Mitte-Links in Deutschland? - dottore, 17.12.2003, 15:53
Was heißt Mitte-Rechts bzw. Mitte-Links in Deutschland?
-->Hi,
in den Anlagen zum Bundeshaushalt (S. 39 f.) finden sich interessante Angaben über"Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen", die ich der Einfachheit halber mal als jene"Mitte" bezeichnen darf, um die es bei den BT-Wahlen geht.
Dabei ist unterschieden in verheiratete Arbeitnehmer mit einem Alleinverdiener (III/2) und Ledige (unter 50, dann sollten die Kinder in der Regel, zumindest als Idealvorstellung der Politiker, aus dem Haus sein) mit Steuerklasse I/0.
III/2 hat sein verfügbares Einkommen (in % vom Jahresarbeitslohn) seit 1960 gehalten: 87,8 zu 87,4 (2003).
I/0 dagegen wurde bös rasiert: Das verfügbare Einkommen ging von 77,6 auf 61,7 runter.
Vor diesem ingesamt"kinderfreundlichen" Hintergrund (das Kindergeld stieg von 0 auf 3.696 Euro p.a. und steht als Einkommen zur Verfügung) sind doch deutliche, wenn auch mit entsprechender zeitlicher Verzögerung sichtbare Varianten der politischen Gestaltung zu erkennen. Um dieser zeitlichen Verzögerung Rechnung zu tragen (neue"Reformgesetze" müssen erst mal her und sich dann auswirken), ist aus den mehr"rechten" (R) bzw. mehr"linken" Phasen (L) zu beobachten (Adenauer bis Brandt, Brandt bis Kohl, Kohl bis Schröder, Schröder bis auf weiteres; Zahlen gerundet intrapoliert):
Lohnsteuer bei Ledigen steigt in der ersten R-Phase massiv: 10 auf 18 % (die Verheirateten kamen dazumal überhaupt erst in die Lohnsteuer hinein, der Anstieg hat wenig Aussagekraft), kann in der L-Phase dann nur noch wenig runtergefahren werden und stabilisiert sich bei ca. 16.
Lohnsteuer bei Verheirateten wird, nachdem sie erstmal gegriffen hatte, in der zweiten R-Phase von 10 auf 6 % abgesenkt.
Das verfügbare Einkommen wird bei Ledigen in der ersten R-Phase von 77,6 auf unter 70, in der zweiten dann unter 60 gedrückt, in der zweiten L-Phase (Schröder) berappelt es sich wieder etwas.
Bei Verheirateten wird es in der zweiten R-Phase von einem Tief bei 76 wieder auf 87 erhöht.
Sehr schön auch der große Kindergeldschub dazu: In der R-Phase 1985/1999 (2000) immerhin ein Anstieg für III/2 von (absolut) 920 auf 3.068 Euro (3.313, das Erhöhungsgesetz war schon unterwegs).
[Vielleicht kann eine fromme Seele aus den Zahlen eine Kurve machen und hier zur Darstellung bringen].
Was insgesamt heißt: Mitte-Rechts fischt bei Steuerklasse III/2, Mitte-Links bei Steuerklasse I/0.
Oder platt: Die Zukunft der Rechten liegt bei den Kindern, die der Linken bei den Singles. Da Kinder als das große"gesellschaftspolitische" Manko entdeckt wurden, neigt sich die Waage wohl mehr den Rechten zu.
Dass die Abgaben in Prozent vom Jahreslohn seit 1960 bei beiden Großgruppen geradezu abenteuerlich erhöht haben (I/0 von 22,4 auf 38,3, bei III/2 von 12,2 auf 26,3 %!), beweist, dass wir uns in einem klassischen demokratischen Staatsdurchlauf befinden: Es wird immer mehr abgeholt, um immer mehr verteilen zu können.
Dass dies auf Dauer nicht funktioniert, zeigt die Staatsverschuldung, also der"Umverteilungskosten-" bzw."Ausgleichsposten". Die ist seit 1960 von ca. 25 auf inzwischen 1.300 Milliarden Euro gestiegen, hat sich also gut verfünfzigfacht.
Das Staatsschiff krengt - wann wird es kippen?
Danke für die Aufmerksamkeit + Gruß!

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