- Buch- und Marktwert - Wertberichtigungsbedarf...(FAZ) - Popeye, 17.12.2003, 16:27
Buch- und Marktwert - Wertberichtigungsbedarf...(FAZ)
-->Der stagnierende Markt läßt die Vermögen schrumpfen
Wertberichtigungen in Milliardenhöhe nehmen zu / Von Brigitte Koch und Georg Giersberg
FRANKFURT/DÜSSELDORF, 16. Dezember. Beobachter reiben sich die Augen. Vermögensvernichter scheinen da am Werk zu sein. Die Commerzbank hat den Wert ihres Vermögens um 2,3 Milliarden Euro nach unten korrigiert, die Degussa mußte den Geschäftsbereich Feinchemie um 500 Millionen Euro wertberichtigen, bei der Westdeutschen Landesbank sind im Verlauf dieses Jahres 1,4 Milliarden Euro an Wertberichtigungen und Risikovorsorge aufgelaufen, und die Deutsche Telekom gar hat ihre übernommenen Unternehmen und die UMTS-Lizenzen um nicht weniger als 22 Milliarden Euro heruntergeschrieben.
Diese Liste wird sich verlängern, da sind sich Bilanzexperten einig."Darin spiegelt sich vor allem die schlechte Lage der deutschen Wirtschaft", kommentiert ein erfahrener Wirtschaftsprüfer. Weil die Wirtschaft nicht wächst, sinken die Preise für Vermögensgegenstände wie Wertpapiere oder Immobilien. Die Folge ist, daß für viele Vermögensgegenstände die Marktwerte unter die Buchwerte fallen. Bei der Commerzbank lag sogar der Wert des ganzen Unternehmens (Marktkapitalisierung) unter ihren Buchwerten.
Das war früher ebenso unvorstellbar wie auch die Tatsache, daß man bei Vermögensverkäufen so hohe Verluste hinnehmen muß. Die Deutsche Bank hat für eine Milliarde Euro Immobilien verkauft - mit 100 Millionen Euro Verlust. Das kann Bayer jetzt eigentlich nicht mehr passieren. Der Chemiekonzern hat schon im Vorfeld seine zu verkaufenden Sparten Chemie und Kunststoffe um 1,7 Milliarden Euro wertberichtigt (F.A.Z. vom 16. Dezember). Nach Unternehmensangaben stehen diese Abschreibungen wesentlich im Zusammenhang mit der Neuausrichtung des Portfolios und dem geplanten Börsengang der Newco, in der das Chemiegeschäft und Teile des Kunststoffgeschäftes zusammengefaßt werden. Aus Anlaß der geplanten Abspaltung muß Bayer nach den neuen Rechnungslegungsvorschriften eine marktnahe Bewertung aller Vermögensteile dieses Börsenkandidaten vornehmen. Dabei wird überprüft, ob die in den Büchern stehenden Vermögenswerte noch durch die aktuellen Geschäftsaussichten gerechtfertigt sind, also den realistisch zu erzielenden Marktwerten entsprechen. Die Chemie ist eine besonders anlagenintensive Branche, die ständig hohe Investitionen erfordert. Trüben sich die Geschäftsaussichten ein, wie es derzeit der Fall ist, muß deren Werthaltigkeit auf den Prüfstand gestellt werden. Auch hat Bayer in der Vergangenheit gewichtige Beteiligungen erworben, so die amerikanische Lyondell-Gruppe. Auch deren Firmenwerte sind dem sogenannten Impairment-Test zu unterwerfen, einer regelmäßigen Überprüfung auf Werthaltigkeit. Zudem wurde auch auf die Finanzbeteiligung von 35 Prozent an der Textilfarbengruppe Dystar eine Abschreibung vorgenommen. Das Vermögen der beiden Bayer-Segmente Polymere und Chemie stand im Abschluß 2002 mit insgesamt etwas mehr als 14,5 Milliarden Euro in den Büchern, es wurde um 12 Prozent abgeschrieben.
Auf solche Veränderungen in den Vermögenswerten der Unternehmen muß man sich einstellen, weil heute für die Wertansätze im Jahresabschluß die diskontierten Marktpreise maßgeblich sind. Früher galten die Anschaffungskosten als Maßstab, die waren ein für allemal fest und gaben der Bilanz Stabilität. Beim Verkauf führten sie in der Regel über die Aufdeckung Stiller Reserven zu Buchgewinnen. Stille Reserven läßt der Fair-value-Ansatz kaum noch zu.
Neben dem wegen der allgemeinen Wirtschaftsschwäche sinkenden Preisniveau gibt es einen zweiten Grund für Sonderabschreibungen. Das ist technischer Fortschritt. Auch er dürfte bei Bayer eine Rolle spielen, und zwar bei den 500 Millionen Euro Sonderbelastungen im Teilkonzern Health Care AG. Neben Restrukturierungsaufwendungen, die im Zusammenhang mit der Konzentration der Pharmaforschung auf im wesentlichen zwei Standorten stehen, betreffen sie unter anderem Vorsorge für die Verwertung des Forschungszentrums im japanischen Kyoto sowie die 6,3 Prozent ausmachende Beteiligung an dem amerikanischen Forschungsunternehmen Curagen. Auch das zum Verkauf stehende Plasmageschäft wurde im Wert korrigiert. Erst vor wenigen Tagen hatte der Aventis-Konzern beim Verkauf seines Plasmageschäftes einen Buchverlust erlitten. Technischer Fortschritt erfordert immer dann Wertberichtigungen, wenn Anlagen schneller veralten, als sie - in der Regel über zehn Jahre - abgeschrieben werden dürfen. Das kommt in der Informationstechnologie oder in der Biochemie häufig vor.
Eine Gefahr für die Unternehmen wird in den starken Schwankungen des Firmenvermögens im allgemeinen nicht gesehen - solange man genug Eigenkapital hat, um eine mit der Wertberichtigung zwangsläufig verbundene Bilanzkürzung zu verkraften. Sie geht ja immer zu Lasten des Eigenkapitals. Die größte Gefahr besteht daher für unterkapitalisierte Unternehmen, wie sie im Mittelstand häufiger zu finden sind. Nicht zufällig hat Bayer auf seine starke Eigenkapitalposition ("37 Prozent der Bilanzsumme") hingewiesen.
Aber auch Kandidaten mit geringem Eigenkapital kommen um die Anpassung nach dem"Fair Value" nicht herum. Wer mogelt und erwischt wird, muß eine Korrekturbilanz erstellen. Dieses sogenannte Restatement muß vom Unternehmen dann erstellt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, daß Wertansätze falsch waren. In Deutschland ist das bisher noch nicht vorgekommen. In den Vereinigten Staaten, wo das Fair-value-Prinzip schon lange gilt, werden nach einer jüngsten Untersuchung zwischen 2,5 und 5 Prozent aller Bilanzen im nachhinein korrigiert. Und das ist viel schlimmer, als sein Vermögen runterschreiben zu müssen - und sei es auch um Milliardenbeträge.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2003, Nr. 293 / Seite 20
Bildmaterial: dpa

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