- Sog. 'Sicherheitsmaßnahmen' in den USA - ein Überblick (FAZ) - Popeye, 23.12.2003, 09:44
Sog. 'Sicherheitsmaßnahmen' in den USA - ein Überblick (FAZ)
-->...und es solle niemand glauben, dass es bei uns grundsätzlich anders aussieht; die deutschen Entsprechungen sind nur in vielen verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verstreut....
Das Modell ist immer das gleiche...man schaffe ein politisches Feindbild (möglichst nebulös)...die Kommunisten, die Rechtsradikalen, die Juden, die Terroristen etc. und ziehe dann, unter dem Vorwand"des Schutzes der Allgemeinheit" die totalitären Schrauben immer fester.. Sch....
Wachsende Überwachung im"Land der Freien"
Sicherheitsmaßnahmen seit dem 11. September 2001 / Von Katja Gelinsky
WASHINGTON, 22. Dezember. Am 5. Januar ist es soweit: Von diesem Tag an müssen sich visumspflichtige Besucher der Vereinigten Staaten - und damit auch Deutsche, die in den Vereinigten Staaten arbeiten oder studieren wollen - bei der Ein- und Ausreise fotografieren lassen und Fingerabdrücke abgeben. Das"US Visitor and Immigrant Status Indicator Technology Program" ("US-VISIT") ist ein weiterer Baustein der Regierung Bush zur Stärkung der inneren Sicherheit nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Doch schon bevor Reisende überhaupt amerikanischen Boden betreten, werten Sicherheitsbehörden im"Land of the Free" umfangreiche Daten über sie aus.
Die europäischen Fluggesellschaften müssen auf Anordnung der amerikanischen Regierung spätestens 15 Minuten nach dem Abflug Paßdaten der Passagiere übermitteln, die dann mit Dateien der amerikanischen Polizei und Nachrichtendienste abgeglichen werden. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, drohen ein hohes Bußgeld und schlimmstenfalls der Entzug der Landeerlaubnis. Darüber hinaus darf der amerikanische Zoll auf Datenbanken europäischer Fluggesellschaften zugreifen und bis zu 34 Informationen zum Aufspüren von Terroristen, Rauschgiftschmugglern und Geldwäschern abrufen - von der Telefon- und der Kreditkartennummer der Passagiere bis zu Essenswünschen während des Fluges.
Die Sammlung privater Informationen, die die Regierung Bush im Kampf gegen den Terrorismus betreibt, zielt aber auch auf Bürger im eigenen Land. Darum werden in den Vereinigten Staaten Fragen danach gestellt, wieviel staatliche Einmischung und Überwachung eine freiheitliche Gesellschaft zum Schutz vor äußeren Bedrohungen verträgt. In der Atmosphäre der Unsicherheit und Furcht nach dem 11. September hielten es viele amerikanische Politiker zunächst für klüger, keine lauten Einwände gegen Vorhaben der Regierung Bush zum Schutz vor Terroristen zu erheben. Aber mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zu den Angriffen und der näher rückenden Präsidentschaftswahl hat sich die Stimmung gewandelt. Mittlerweile gilt es nicht mehr als unpatriotisch zu fragen, ob Amerika sich auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat befindet, in dem der Grundsatz der Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren und die Achtung der Privatsphäre aufgeweicht werden.
Das bekommt auch Justizminister John Ashcroft zu spüren. Als er durch das Land reiste, um für das umstrittene Anti-Terrorismus-Gesetzespaket zu werben, das auf sein Drängen nach den Angriffen auf das World Trade Center verabschiedet worden war, rückten zugleich Scharen seiner Kritiker ins Scheinwerferlicht. Mehr als 200 Städte und Gemeinden im ganzen Land, darunter San Fransisco, Chicago und Austin in Texas, sowie die drei Bundesstaaten Alaska, Hawaii und Vermont verabschiedeten Resolutionen, in denen sie den"Patriot Act" als Gefahr für das freiheitliche Amerika geißeln und die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei FBI verweigern, sofern von den erweiterten und erleichterten Möglichkeiten der Überwachung, Durchsuchung und Beschlagnahme nach dem"Patriot Act" Gebrauch gemacht wird.
Selbst vielen Konservativen geht das Gesetzespaket inzwischen zu weit, das der amerikanische Kongreß mit großer Mehrheit, aber auch in großer Eile verabschiedet hatte. So fürchtet das frühere republikanische Kongreßmitglied Bob Barr aus Georgia, der damals für das Gesetzespaket stimmte und nun zu den schärfsten konservativen Kritikern zählt, daß Aktionen von Abtreibungsgegnern nach dem neuen Straftatbestand"inländischer Terrorismus" geahndet werden könnten, der durch den"Patriot Act" geschaffen worden ist. Bestärkt sieht Barr sich in seinem Argwohn gegen das Anti-Terror-Gesetz durch einen Vorfall in Las Vegas, wo das FBI unter Berufung auf den"Patriot Act" Unterlagen von Aktienhändlern beschlagnahmte, die der Verwicklung in einen Korruptionsskandal verdächtigt wurden, der mit Terrorismus nicht das Geringste zu tun hatte.
Bürgerrechtler alarmiert zudem, daß die Zahl spezieller Überwachungsgenehmigungen zum Schutz der nationalen Sicherheit, die früher nur in seltenen Fällen erteilt wurden, aufgrund großzügiger Bestimmungen im"Pariot Act" erheblich gestiegen ist. Von einer anderen umstrittenen Vorschrift, nach der FBI-Beamte bei terroristischen Ermittlungen leichter als früher die Herausgabe von Geschäftsunterlagen, Krankenberichten, Bücherleihscheinen sowie Informationen über Waffenkäufe und Internetbenutzung erzwingen können, ist dagegen nach Angaben Ashcrofts bislang kein Gebrauch gemacht worden. Für Kritiker des"Patriot Act" ist dieses Zugeständnis des Justizministers der beste Beweis dafür, daß gefährlich weitgehende Ermittlungsbefugnisse offenkundig nicht zur Bekämpfung des Terrorismus notwendig seien.
Ashcroft, der angeblich schon einen Entwurf für"Patriot II" mit drastischen neuen Anti-Terror-Maßnahmen in der Schublade liegen hat, muß deshalb fürchten, daß der Kongreß das Rad nicht in seinem Sinne weiterdreht, sondern den Sicherheitsbehörden neue Hürden und Grenzen bei Eingriffen in die Privatsphäre und in der Beschränkung von Freiheitsrechten setzen wird. Entsprechende Änderungsentwürfe zum"Patriot Act" liegen dem Kongreß bereits vor.
Auf Drängen von Bürgerrechtlern wie auch von konservativen Gruppen hat der Kongreß schon mehrere umstrittene Initiativen der Regierung Bush gestoppt, die darauf zielten, Überwachungs- und Datenbanksysteme zur Terrorismusbekämpfung aufzubauen. So mußte das Justizministerium seine Pläne für die Operation"Tips" ("Terrorism Information Prevention System") abbrechen, für die Busfahrer, Postboten, Zimmermädchen und andere Freiwillige gewonnen werden sollten, um"verdächtige" Vorkommnisse zu melden. Am Widerstand des Gesetzgebers scheiterte auch das kontroverse"Terrorist Information Awareness"-Programm (TIA) des Verteidigungsministeriums. Ziel des Pentagon war es, private und behördliche Datenbanken mit Informationen über Finanzen, Gesundheit, Reisepläne oder Kommunikationsverhalten von Millionen Amerikanern und Ausländern nach Hinweisen auf mögliche terroristische Aktivitäten zu durchforsten. Dabei sollten Analysetechniken zur Erkennung auffälliger Muster entwickelt und eingesetzt werden, um mit Hilfe des sogenannten"data-mining" verdächtige Personen ausfindig zu machen.
Obwohl der Kongreß auch die Finanzierung"aller Folgeprogramme" von TIA verbot, verfolgen nach einer Studie der New Yorker"Markle Foundation" mehrere Behörden weiterhin Projekte zur Informationsgewinnung, die"ähnliche Fragen" wie TIA aufwerfen, etwa der Nachrichtendienst NSA. Die Markle-Stiftung, die sich Fragen der Informations- und Kommunikationstechnologie widmet, hatte eine hochrangige Arbeitsgruppe beauftragt zu untersuchen, wie die Regierung Bush moderne Technologie im Kampf gegen den Terrorismus einsetzt. Zu den Mitgliedern gehörten neben Fachleuten für Informationstechnologie und Bürgerrechte auch Sicherheitsfachleute wie der demokratische Präsidentschaftskandidat und frühere Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark.
Anders als die Bürgerrechtsorganisation"American Civil Liberties Union" (ACLU), die das Ende der"orwellschen" TIA-Initiative als bedeutenden Sieg feierte, bedauerte die Markle-Gruppe das Ende des Projekts, da die Verknüpfung behördlicher und privater Datenbankinformationen"wesentlich" zur Abwehr von Terrorismus sei. Doch trage die Regierung selbst Schuld an dem heftigen Widerstand gegen TIA, da sie unzureichende und zum Teil widersprüchliche Erklärungen zu dem Vorhaben geliefert habe, keine klaren Richtlinien für die Datengewinnung formuliert und sich nicht an einer öffentlichen Diskussion über Nutzen und Gefahren moderner Technologie zur Abwehr von Terroristen beteiligt habe.
Sorge bereitet Bürgerrechtlern unter anderem die Frage des Datenschutzes. Gegenwärtig gibt es für das amerikanische Militär, die Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden kaum Beschränkungen bei der Gewinnung privater Daten, die kommerzielle Anbieter ohne Wissen und Zustimmung der Bürger verkaufen dürfen. Es gibt zwar gewisse Regeln zum Datenschutz, aber sie gleichen einem löchrigen Flickenteppich. Ein umfassendes Datenschutzgesetz wird mangels politischem Willen auf absehbare Zeit wohl auch nicht verabschiedet werden.
Selbst jene, die den Zugriff der Regierung auf private Daten im Kampf gegen den Terrorismus mit Unbehagen sehen, sind vielfach überzeugt, daß Datenschutzrichtlinien der Exekutive zum Schutz der Privatsphäre genügten. Daß es allen Grund zu Befürchtungen von Mißbrauch gibt, bewies jedoch unlängst der Fall JetBlue. Die amerikanische Fluggesellschaft hatte zugegeben, Daten von rund fünf Millionen Passagieren an eine Rüstungsfirma weitergegeben zu haben, die Vertragspartner des Pentagon ist. Das Unternehmen verwendete die Informationen für eine Studie zur Identifizierung verdächtiger Fluggäste, wie betroffene Passagiere erst durch einen Zeitschriftenbericht erfuhren.
Mit dem JetBlue-Skandal sind auch die Bedenken gegen Regierungspläne gewachsen, zur frühzeitigen Erkennung von Terroristen schon den Kauf von Flugscheinen mit automatisierten Sicherheitseinstufungen der Passagiere zu verknüpfen. Für die umstrittene Risikoeinschätzung durch das"Computer Assisted Passenger Prescreening System" ("Capps II") werden bei der Buchung von amerikanischen Inlandsflügen automatisch Informationen aus zahlreichen Datenbanken abgeglichen, und zwar auch solche von amerikanischen Reisebüros, Kaufhäusern, Tankstellen und anderen Privatunternehmen, die bei der Datensammlung nur geringen Kontrollen unterliegen.
Ermittelt Capps II für einen Fluggast einen hohen oder unbekannten Risikofaktor, werden die Sicherheitsbehörden informiert, um"angemessene Maßnahmen" zu ergreifen. Noch ist es freilich nicht soweit, denn der Kongreß hat die Pläne für Capps II kürzlich auf Eis gelegt und die weitere Finanzierung des Projekts an Bedingungen knüpft. So dürfe es bei der Risikobewertung nicht zu zahlreichen Fehleinschätzungen harmloser Bürger kommen. Auch müßten Vorkehrungen gegen eine mißbräuchliche Verwendung der Daten getroffen werden und Passagiere sich gegen eine negative Einstufung zur Wehr setzen können.
Trotz dieser Mahnungen werden schon wieder neue Informationsgewinnungs-Programme zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung vorbereitet. Eines davon ist"Matrix" ("Multistate Anti-Terrorism Information Exchange"), ein Projekt amerikanischer Bundesstaaten, das von Washington mit mehreren Millionen Dollar gefördert wird. Auch bei diesem Programm, das ein Unternehmen in Florida aufbaut, sollen Informationen aus privaten und staatlichen Datenbanken abgeglichen und auffällige Muster ausfindig gemacht werden, um den Ermittlern die Fahndung nach Terroristen und anderen Kriminellen zu erleichtern. Mittlerweile sind freilich einige Bundesstaaten, zum Beispiel Texas und Kalifornien, aus dem Projekt ausgestiegen, da sie zu große Eingriffe in die Privatsphäre und einen zu geringen Schutz der gesammelten Daten befürchteten.
Die amerikanischen Bürger scheinen jedoch wenig Furcht vor dem Mißbrauch neuer Instrumente im Kampf gegen den Terrorismus zu haben. In einer entsprechenden Umfrage zeigten sich 74 Prozent der Befragten zuversichtlich, daß die Sicherheitsbehörden erweiterte Überwachungskompetenzen in angemessener Weise nutzen würden. Das"Überwachungsmonster", das nach Überzeugung von Bürgerrechtlern"jeden Tag größer und stärker" wird, scheint die Mehrheit der Amerikaner also nicht zu schrecken.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.2003, Nr. 298 / Seite 3

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