- Of things to come... Vorbild Schweden (FAZ) - Popeye, 30.12.2003, 14:01
Of things to come... Vorbild Schweden (FAZ)
--> "Die schwedische Mittelklasse ist arm"
Studie: Die Vermögensverteilung ist ebenso ungleich wie in Nordamerika
vL. STOCKHOLM, 29. Dezember. Etwa die Hälfte aller schwedischen Haushalte hat weniger als 6000 Euro auf der Bank und weniger als 18 000 Euro Nettovermögen. Eine am Montag veröffentlichte umfangreiche Studie des unabhängigen"Forschungsinstituts des Handels" (HUI) in Stockholm befand, es sei"schwer, sich eine ärmere Mittelklasse vorzustellen als die schwedische". Die Untersuchung widerspricht dem außerhalb Schwedens - in den vergangenen Tagen in der deutschen Debatte auch wieder von der Gewerkschaft Verdi - verbreiteten Bild, das System des"Volksheimes" und des nordischen Wohlfahrtsstaates habe zu einer wohlhabenden Bevölkerung und zu einer ausgeglichenen Vermögensverteilung geführt. Die schwedische Untersuchung befindet, die politische Rhetorik, die seit Jahrzehnten von Sicherheit und Gerechtigkeit spreche, klinge hohl.
Die Vermögensverteilung zwischen Arm und Reich hatte sich in Schweden, folgt man den Statistiken, zwar bis 1980 einander angenähert. Seitdem, vor allem im vergangenen Jahrzehnt, habe sich die Schere beim Einkommen und besonders beim Vermögen aber wieder stärker als zuvor auseinanderbewegt. Das wird auch begründet mit einer veränderten Steuerpolitik und dem abnehmenden staatlichen"Ehrgeiz" einer Vermögensumverteilung. Der"Armutskoeffizient" - die statistisch meßbare Ungleichheit der Vermögensverteilung - gleiche etwa jenem in den Vereinigten Staaten: 10 Prozent der Haushalte besitzen 62 Prozent des schwedischen Nettovermögens.
Beim Vermögen ist die Schere zwischen Arm und Reich in Schweden, wie in anderen Staaten, noch größer als beim Nettoeinkommen. Dieses sei aber so gering (und wird so hoch mit Steuern und Sozialabgaben belastet), daß der größere Teil schwedischer Haushalte keine Möglichkeit habe, Vermögen zu vermehren. Der Aufbau von Vermögen beruhe vor allem auf zwei Möglichkeiten: Erbschaften oder einem Verdienst an der Steuer vorbei. Da die Statistiken auch auf den Angaben gegenüber der Steuerbehörde beruhen, in Schweden aber ein hoher und wachsender Teil der Einkommen aus der"Schattenwirtschaft" kommt, könnten die wahren Vermögenszahlen allerdings höher liegen als von der Studie erfaßt. Dafür spricht nicht zuletzt eine ebenfalls just veröffentlichte EU-Studie: Danach liege zwar jeder zehnte Schwede an der Grenze zur oder unterhalb der Armutsschwelle, aber das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Schweden befinde sich über dem EU-Durchschnitt und über Deutschland. Indes, so eine wiederum andere vergleichende Untersuchung, liegt das schwedische Pro-Kopf-Einkommen unter jenem des ärmsten amerikanischen Bundesstaates.
In der HUI-Studie wird eine schwedische Eigenheit sichtbar, der Besitz eines (oft hüttenähnlich kleinen)"Sommerhauses". Dabei unterscheiden sich die reichsten und die ärmsten schwedischen Haushalte am wenigsten: Fast jeder der obersten Einkommenshaushalte besitzt ein Freizeithaus und immerhin auch jeder dritte der ärmsten Gruppe. Demnach trägt das Eigentum oder - nach einem Schweden-eigenen Wohnungsbesitzsystem - das"verbriefte Wohnrecht" an einer Wohnung oder einem Haus oft nicht zum Vermögen bei: Die Schulden eines Haushaltes liegen oft genauso hoch wie der Immobilienwert und meist nur leicht darunter.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.12.2003, Nr. 302 / Seite 13

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