- Leuschel - Franzi, 20.05.2000, 10:10
Leuschel
Godfather beendet Börsenparty (17.05.2000)
Lassen Sie sich nicht täuschen: «Gute Laune an den Börsen vor Zinsentscheidung» - so titelte heute die renommierte FAZ auf ihrer ersten Finanzmarkt-Seite. Der deutsche Aktienmarkt stieg am Dienstag, dem 16. Mai, um 2,6 % auf 7.380 und der Nemax-All-Share-Index erhöhte sich sogar um 2,9 % auf 6.312 Punkte. «Die Stimmung an den Märkten ist gut...» Nach der Zinsentscheidung in Amerika zogen auch Dow Jones und Nasdaq kräftig an. Ich glaube, Sie sollten die Zwischenerholung an den Börsen nutzen, um Ihre Gewinne weiterhin zu realisieren.
Wir befinden uns mitten in einem «Salami-Crash», der 1997 und 1998 mit der Russland- bzw. Asienkrise begonnen hat.
«The Fed is finally getting serious», schrieb die Financial Times heute am 17. Mai in
ihrer Lex-Kolumne. Nun, in seiner fast dreizehnjährigen Amtszeit hat Alan Greenspan
nur dreimal einen drastischen Zinsschritt gewagt: im November 1994 (+0,75), im
Februar 1995 (+0,5) und jetzt am 16. Mai um 0,5 Prozentpunkte auf 6,25 %. Im Februar
1995 war es das Ende des Zinserhöhungsprozesses, der Ende 1993 begonnen
hatte, als die Fed-Fundrate bei 3,0 %! lag. Sie erinnern sich: 1994 ging als das Jahr
des größten BONDMARKTCRASHS in die Börsengeschichte ein. Es kam aber nicht
zu einem von mir damals fälschlich vorausgesagten Aktienmarktcrash. Denn
Greenspan überschüttete Amerika und die Welt mit Liquidität. Ich habe zwar keine
Beweise, aber die Welt-Leistungsbilanz hat 1999 ein rechnerisches Defizit von 172
Milliarden US-Dollar ausgewiesen. Normalerweise muss diese Welt-Leistungsbilanz
ausgeglichen sein. Experten glauben, dass die entstandene statistische Diskrepanz
in erster Linie auf das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft zurückzuführen sei,
die eben noch stärker gewachsen ist, als es die amtlichen Zahlen erkennen lassen.
Sie wissen, was diese «unverantwortliche» Alimentierung der Liquidität bedeutet:
Allein im ersten Quartal dieses Jahres stiegen die US-Konsumentenausgaben um
8,3 %, in Amerika gibt es eine negative Sparquote und das Leistungsbilanzdefizit der
US-Wirtschaft erreicht mittlerweile über 3,5 % des BIP. Jetzt scheint Greenspan,
vielleicht zu spät, keine andere Wahl gehabt zu haben, als die Zinsbremse zu ziehen.
Die Aktienmärkte sind maßlos überbewertet und nach Berechnungen des
amerikanischen Yale-Professors Robert J. Shiller beläuft sich die heutige P/E-Ratio
des Standard & Poors 500 auf 45 (auf Basis der Durchschnittsgewinne von 10
Jahren). Dreimal in der Geschichte war dieser Durchschnitt über 20: 1901, 1929 und
1966. Den Jahren 1901 und 1966 folgten rund 15 Jahre Baisse, während 1929, als die
P/E auf 33 angestiegen war, der Börsencrash des Jahrhunderts folgte und an der
Wall Street ein Wertverlust von rund 90 % entstand; heute steht diese Kennziffer - wie
gesagt - bei 45.
Wir werden eine längere Zeit mit der Börsenbaisse leben müssen und ich empfehle,
30 % eines Portefeuilles in Qualitätsaktien anzulegen, 30 bis 40 % in
Triple-A-Anleihen und den Rest in Cash. Den Cash sollten Sie als Reserve für
Aktienkäufe nutzen, denn es werden sich Gelegenheiten über Gelegenheiten bieten.
Ich empfehle Ihnen das Buch von Robert J. Shiller «Irrational Exuberance»,
erschienen im Princeton University Press. Wenn Sie dieses Buch studiert haben,
werden Sie mehr Verständnis für meine Salami-Crash-Theorie haben.
Roland Leuschel
aus http://nachrichten.boerse.de/kolumnen_anzeige.php3?id=9618
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