- Berliner Kreuzfeuer für Greenspan (ausführlich) - Theo Stuss, 23.01.2004, 14:39
Berliner Kreuzfeuer für Greenspan (ausführlich)
-->In Berlin kam es letzte Woche zu einem denkwürdigen wirtschaftspolitischen Duell zwischen US-Notenbankchef Greenspan und LaRouche-Berater Dr. Tennenbaum. Greenspan mußte eingestehen, daß ein Systemkollaps nicht auszuschließen ist.
Rund 300 Gäste, darunter führende Vertreter der deutschen und europäischen Finanzwelt, mehrere Mitglieder der Bundesregierung und andere prominente Politiker und Abgeordnete sowie Vertreter der internationalen Finanzpresse, kamen am 13. Januar im Historischen Museum in Berlin zusammen, um sich eine Rede des amerikanischen Zentralbankchefs Alan Greenspan anzuhören. In dieser Rede verlangte Greenspan, der"Hohepriester" der anglo-amerikanischen Finanzoligarchie, weitere radikale Maßnahmen zur Deregulierung des Weltfinanzsystems. Dies sei der einzige Weg, mit dem monströs aufgeblähten US-Zahlungsbilanzdefizit umzugehen.
Klar, ohne Freihandel und ohne freien Kapitalverkehr kann es kein US-Defizit geben. Leider finanziert sich der Terrorismus über diesen freien, globalisierten Markt und es scheint, daß ein gewisser Präsident darüber unglüklich ist.
Greenspans Vorschläge blieben jedoch nicht unwidersprochen. Mehrere Fragesteller, insbesondere LaRouches Berater Dr. Jonathan Tennenbaum, durchlöcherten Greenspans Argumente. Tennenbaum nannte Greenspans Politik"inkompetent", sie stehe"völlig im Widerspruch zu den Prinzipien des Amerikanischen Systems", für das Alexander Hamilton beispielhaft sei. Tennenbaum erklärte dem Publikum, die Welt befinde sich"mitten im Kollaps der größten Finanzblase der modernen Geschichte", und prophezeite das Ende des Systems der unabhängigen Zentralbanken im Kontext einer bevorstehenden Wiederbelebung des amerikanischen Systems unter der Führung Lyndon LaRouches.
Greenspan sah sich zu einer ungewöhnlich langen Antwort auf LaRouches Repräsentanten gezwungen, wobei er auch noch auf seine üblichen, bewußt unverständlichen Verwirrformulierungen verzichtete. Aber natürlich verneinte er die Existenz der offensichtlichen, gigantischen Immobilienblase in den Vereinigten Staaten. Auch verteidigte Greenspan Finanzderivate - deren Ausmaß derzeit auf das vierfache Bruttosozialprodukt der Welt geschätzt wird - als Mittel, einen Zusammenbruch des Bankensystems aufzuhalten. Doch selbst Greenspan konnte letztendlich nicht abstreiten, daß es zu einem systemischen Finanzzusammenbruch kommen kann.
Nicht weit entfernt vom Historischen Museum veranstaltete die LaRouche-Jugendbewegung eine Spontandemonstration, bei der ein Transparent hochgehalten wurde, auf dem es in englischer Sprache hieß:"Sauber Werden, Greenspan! - LaRouches Neues Bretton Woods Jetzt!" Dazu wurde LaRouches Erklärung"Parmalat: der Stich in die ganz große Blase" verteilt (siehe Neue Solidarität 4/2004).
Greenspans Berliner Rede war ganz den explodierenden Defiziten der amerikanischen Handels- und Leistungsbilanz sowie der Gefahr eines unkontrollierten Zusammenbruchs des Dollars gewidmet. In seiner typisch abgehobenen Art eines"delphischen Orakels" stellte Greenspan die Frage:"Mit der scheinbaren Bereitschaft von Ausländern, immer größere Mengen an grenzüberschreitenden Forderungen gegenüber US-Bewohnern zu halten [Nettokapitalzuflüsse in die USA] - wann werden da die Nettoforderungen gegen die Vereinigten Staaten unhaltbar?"
Tja, wann? Dann, wenn sich die Kapitalströme umdrehen und z.B. die Amerikaner ihr Geld im Ausland besser aufgehoben sehen. Der"starke Dollar" scheint selbst amerikanische Investoren nicht zu überzeugen.
Greenspan betonte, die Finanzierung der gigantischen amerikanischen Auslandsschulden wäre ohne eine zunehmende Globalisierung des Weltfinanzsystems unmöglich, weil diese es ermögliche, gewaltige Kapitalströme in die USA umzuleiten. Heute, argumentierte Greenspan, liege die Antwort auf einen drohenden Kollaps des US-Dollars in einer neuen Runde radikaler Maßnahmen zur Deregulierung der Weltwirtschaft und der Weltfinanzmärkte, um sämtliche verbliebenen Spuren des früheren, protektionistischen und regulierten Wirtschaftssystems der Nachkriegszeit zu beseitigen. Insbesondere Europa müsse den"verbliebenen Widerstand" gegen den uneingeschränkten"Kapitalismus des Freihandels und der freien Märkte" aufgeben, den er völlig unzutreffend als eine amerikanische Tradition darstellte.
Dazu müßte man eine Weltregierung schaffen mit Weltzwangsgeld. Aber davon sind wir heute weiter weg, als noch vor 5 Jahren
Implizit bezog sich Greenspan auf die jüngsten Warnungen von Robert Rubin und anderen, die LaRouches Warnung vor einem plötzlichen Kollaps des Dollars aufgegriffen hatten, als er fragte:"Können die Kräfte des Marktes das besorgniserregende Anschwellen des Leistungsbilanzdefizits und der Nettoverschuldung einer Nation gegenüber dem Ausland zunehmend entschärfen, bevor dies abrupt in einer Krise geschieht? Die Antwort liegt im Grade der Flexibilität der einheimischen und internationalen Märkte... Wenn man die Globalisierung weiter voranschreiten läßt und auf diese Weise ein immer flexibleres internationales Finanzsystem schafft, dann legt die Geschichte nahe, daß das gegenwärtige Ungleichgewicht ohne große Störungen entschärft werden wird."
Unter dieser"Flexibilität" versteht Greenspan offenbar eine unbegrenzte - hyperinflationäre - Vermehrung der Finanzderivate, die Beseitigung der verbliebenen Hindernisse für grenzüberschreitende Kapitalströme und eine willkürliche"Anpassung" der Wechselkurse der nationalen Währungen."Wenn wir es schaffen, ein völlig flexibles System zu erreichen", präzisierte er auf Nachfrage eines Journalisten,"dann können wir die Probleme einer unvermeidlich zunehmenden Ausweitung der Defizite und damit auch der Anhäufung von Nettoverbindlichkeiten von Ländern wie den USA lösen." Kehre man aber zu rigiden Volkswirtschaften und Strukturen zurück, wie sie früher bestanden, dann riskiere man eine Vertrauenskrise und einen Kollaps des Dollars.
Da liegt der Pfeffer im Hasen. Denn mit der Inflation ist das gar nicht so einfach, wenn man sie seit über 20 Jahren mit sinkenden Zinsen finanziert. Dieser Greenspan und sein Niedrigzins-Mantra. Mann, nicht niedrige Zinsen, sondern das Momentum der Zinsen nach unten machte die gestreckte Disinflation aus. Bei 1% FED-Zins ist wohl das Pulver verschossen. Wenn du wirklich Freihandel willst, wie wirst du mit steigenden Zinsen fertig werden? Von Zinsen hast du übrigens nicht geredet.
Was Greenspan unter"völliger Flexibilität" versteht, bedeutet in Wirklichkeit eine durchgängige weltweite Diktatur der privaten Finanzinteressen, die hinter der Federal Reserve und den"unabhängigen" Zentralbanken der übrigen führenden Staaten stehen.
Verfolgt von den"Geistern des Protektionismus"
Greenspan predigte zwar"Optimismus", daß der Endsieg der Globalisierung alle Finanzkrisen lösen werde, mußte jedoch eingestehen, daß es dabei"einen großen Vorbehalt" gebe:"Am heutigen Horizont zeigen sich immer mehr Wolken eines zunehmenden Protektionismus.
Wer hat denn damit angefangen? Wohl doch dein Präsident, oder?
Im Lauf der Jahre haben geschützte Interessen oft versucht, den Fortschritt des beunruhigenden wirtschaftlichen Wandels aufzuhalten. Im Kampf gegen die mächtigen Kräfte des Wettbewerbs der Märkte sind praktisch alle diese Versuche gescheitert. Die Kosten jeder neuen protektionistischen Initiative im Kontext des gegenwärtigen Ungleichgewichts der Leistungsbilanzen könnten die Flexibilität der globalen Wirtschaft deutlich erodieren. Infolgedessen ist es geboten, diesen schleichenden Protektionismus abzuwehren und rückgängig zu machen..."
Totaler Freihandel könnte auch bedeuten, daß die Welt entdeckt, daß die US-Wirtschaft im Weltmaßstab nichts leistet, also die Weltwirtschaft getrost ohne die USA stattfinden könnte. Nix Gegenleistung, nix Lieferung. Gold nach oben, bis LeiBi-Defizit weg. Dann Dollar als Weltreservewährung überflüssig.
Was verursacht Greenspans Alpträume? Der zunehmende Einfluß der weltweiten Kampagne für eine Reorganisation des Weltfinanzsystems durch ein Neues Bretton Woods, wie von LaRouche vorgeschlagen? Der deutsch-französische Widerstand gegen den Stabilitätspakt? Die Wende Putins gegen die russischen"Oligarchen"? Die Bewegung für eurasische Wirtschaftskooperation in Europa, Rußland, China, Indien und anderen asiatischen Ländern? Es sind wohl alle diese Entwicklungen, die Greenspan aufs Gemüt gehen!
Für die Europäer hielt Greenspan einen besonderen Seitenhieb bereit. Die Entwicklungsländer und Europa hätten zwar"den Marktkapitalismus weitgehend als das wirksamste Mittel zur Schaffung materiellen Wohlstand akzeptiert". Aber Europa tue dies nur mit weiter bestehenden Aversionen. Im Unterschied zu den kontinentaleuropäischen Vorbehalten gegen"das Gesetz des Dschungels" halte er den uneingeschränkten"frenetischen Wettbewerb" für die Quelle der"faktisch unbegrenzten Steigerung der amerikanischen Produktivität in den letzten Jahrzehnten".
Tatsächlich erwies sich das"amerikanische Wirtschaftswunder" der 90er Jahre als Illusion, die auf einer massiven Manipulation der Statistiken, beispiellosem Betrug bei der Buchführung und einer enormen Ausweitung der Schulden beruhte - für jeden Dollar Wirtschaftswachstum wuchs die Verschuldung um drei Dollar!
Peinliche Fragen und ein Schock
"Sie erwähnten, daß die Globalisierung es leichter macht, das amerikanische Defizit zu finanzieren", lautete die erste Frage eines Journalisten in der anschließenden Diskussion,"aber das Umgekehrte gilt natürlich auch: Die Globalisierung macht es leichter, amerikanische Werte zu verkaufen. Sehen Sie die Gefahr einer Vertrauenskrise oder eines Zusammenbruchs des Dollars?" Dann wurde Greenspan gefragt, wie der angebliche spektakuläre"Aufschwung" der US-Wirtschaft im letzten Quartal mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit zusammenpasse. Ein dritter Fragesteller bat Greenspan, das jüngste Buch des früheren Finanzministers Paul O'Neill zu kommentieren, was er jedoch ablehnte.
Die fünfte Frage kam von Graf Lambsdorff, der zu den fanatischsten Ideologen des"Neoliberalismus" in Deutschland gehört, aber ohne es zu wollen mit seiner Frage half, das Gespenst einer"LaRouche-Wende" in den USA und nicht nur dort heraufzubeschwören. Lambsdorff sagte:"Sie haben zu recht vor einem schleichenden Protektionismus gewarnt. Wir haben jetzt in den Vereinigten Staaten ein Wahljahr. Können wir wirklich optimistisch sein, daß kein neuer Protektionismus aufkommen wird? Insbesondere wenn wir neue Kräfte in aller Welt - globalisierte Kräfte - sehen, die gegen das Freihandelssystem sind?"
Der große Schock kam aber, als Dr. Jonathan Tennenbaum nach Graf Lambsdorff das Wort erteilt wurde. Er stellte sich als Berater des amerikanischen Präsidentschaftsbewerbers Lyndon LaRouche vor und bemerkte, Greenspan habe es in seiner Rede völlig versäumt, die entscheidende Frage anzusprechen, und dies sei der voranschreitende Zusammenbruch des Weltfinanzsystems.
Er verwies darauf, daß sich die ausstehenden Finanzderivate auf das Vierfache des weltweiten Wirtschaftsvolumens belaufen, und erwähnte die gigantische Immobilienblase in den USA sowie die Implikationen des Verhaltens der führenden amerikanischen Geldinstitute, das sich bei der Parmalat-Affäre gezeigt habe. Tennenbaum forderte Greenspan auf, zu beweisen,"daß wir uns nicht mitten im Zusammenbruch der größten Finanzblase in der modernen Geschichte befinden".
Zweitens verwies er darauf, daß echtes Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten stets auf der Anwendung hamiltonischer Prinzipien in der Wirtschaftspolitik beruhte,"die im völligem Widerspruch zu dem stehen, was Sie repräsentieren". Außerdem"sehen 80 Prozent der Amerikaner nichts von dem großen Aufschwung, von dem Sie gesprochen haben. Vielmehr wächst die Sehnsucht nach einem neuen Franklin Roosevelt. Lyndon LaRouche hat versprochen, dem System unabhängiger Zentralbanken ein Ende zu setzen. Sie, Herr Greenspan, werden der letzte Vorsitzende einer unabhängigen Zentralbank in den Vereinigten Staaten sein. Was sagen Sie dazu?"
"Das ganze System könnte kollabieren"
Tennenbaums Äußerungen wurden vom Publikum aufmerksam verfolgt. Einige applaudierten, andere machten wütende Zwischenrufe, aber Greenspan antwortete:"Sie sprechen hier Fragen an, deren Beantwortung, wenn man ihnen wirklich auf den Grund gehen wollte, wahrscheinlich etwa eine Stunde dauern würde. Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen. Es ist sicherlich der Fall, daß die Kreditderivate in den Vereinigten Staaten stark zugenommen haben... Sie waren außergewöhnlich geeignet, eines der großen potentiellen Probleme im Finanzbereich - und dazu werde ich gleich ein Beispiel anführen - zu entschärfen, das sich zu einer sehr großen Finanzkrise hätte ausweiten können."
Dann beschrieb Greenspan, wie man das Problem einer bankrotten Finanzblase"behebt" - indem man eine neue, viel größere Blase erzeugt.
Auch diese Blase muß finanziert werden, du Eumel. Die Frage ist, was am Anfang als Beleihungsgrundlage steht. Da können nur Staatsanleihen sein, wie es zur Zeit läuft. Mehr Verschuldung ist bei dem Freihandel, den du wünschst, nur zu höheren Zinsen möglich. Willst du die Zinsen auf NULL halten, mach es wie in Japan und schaffe einen staatlichen Rettungsfond. Dann hast du Staatskapitalismus.
Schließlich ließ er jedoch die Katze aus dem Sack:"Ich beziehe mich jetzt auf die Tatsache, daß die Telekombranche zwischen 1998 und 2000 weltweit in allen möglichen Währungen insgesamt rund eine Billion Dollar an Krediten aufgenommen hatte, wovon ein bedeutender Teil nie zurückbezahlt werden konnte. Hätten wir noch so ein starres Finanzsystem gehabt, wie wir es in der früheren Nachkriegszeit hatten, wie sie es angesprochen haben, hätten wir einen großen Bankenkrach erlebt, weil die Banken stark kreditfinanziert sind. Da die Kreditderivate jedoch die Risiken von den Banken, die diese Kredite ausgegeben hatten, auf weit weniger kreditfinanzierte Institute wie Versicherungen, Rückversicherungen, Rentenkassen etc. verschoben, ist kein einziges großes Finanzinstitut in Schwierigkeiten geraten. Es waren sehr wichtige Instrumente, das System zu beruhigen."
Mag sein, aber damit hast nur bewiesen, daß man dem Beschaffungszwang für GZ über Derivate leichter entkommt, als durchs Wirtschaften und die Schaffung realer Werte. Deine Derivatblase macht es möglich, daß nur noch anachronistische Ehrenmänner echten Unternehmergeist in einem unpassenden Umfeld entwickeln. Ein Don Quixote wird auch heute noch einen Schusterladen eröffnen.
Dann polterte er:"Sie sagen, wir hätten eine Immobilienblase, aber das muß erst noch bewiesen werden. Meiner Meinung nach gibt es sie nicht.
Er meint, die Hausbesitzer könnten ihre Schulden über einen zweiten Aktienboom zurückbezahlen. Wie ich in einem anderen Posting andeutete, sind Aktien heute ein durch Staatskredit gehebeltes Derivat, das solange steigen kann, wie der Staat sich zusätzlich verschuldet. Diese Verschuldungsgrenze wird aber durch die Verelendung der Besteuerungsbasis gesetzt. Kommen jetzt noch Steuersenkungen dazu,....au weia...
Und Sie nehmen an, als Folgerung aus all dem, daß wir auf einer massiven Finanzblase sitzen, die vor unseren Augen platzen wird. Sie sind nicht der einzige, der das sagt... Woher wissen wir, daß das Gesamtsystem nicht kollabieren wird? Nun, die technisch richtige Antwort lautet, daß niemand allwissend ist und mit Sicherheit und uneingeschränkt sagen kann, daß Sie sich irren. Ich will dazu nur sagen, daß offensichtlich die überwältigende Mehrheit derjenigen von uns, die die Daten einschätzen, um diese Fragen beantworten zu können, zu dem Schluß gekommen ist, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, daß so etwas geschieht... Kann ich also die Möglichkeit [eines systemischen Zusammenbruchs] abstreiten? Nein, niemand kann das sagen, der Philosophie studiert hat."
Zum Schluß hatte Greenspan das Unglück, daß ihn der letzte Fragesteller, der Tennenbaum folgte, auf die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens ansprach, die tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs ist. Greenspan antwortete:"Ich wünschte, Sie hätten diese Frage nicht gestellt."
jbt

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