- Rolf Hochhuth macht Skandal und kratzt doch nur an der Oberfläche - Tempranillo, 24.01.2004, 16:22
- Re: Nachtrag: Jetzt der Link zur deutschen Felonie - Tempranillo, 24.01.2004, 16:49
- Re: Noch ein Einaeugiger - Tassie Devil, 25.01.2004, 02:55
Rolf Hochhuth macht Skandal und kratzt doch nur an der Oberfläche
-->Hallo,
gestern abend in Aspekte (ZDF) kam ein Bericht über das neue Stück von Rolf Hochhuth,"McKinsey kommt".
Es hält, ist auf www.zdf.de zu lesen, der bundesdeutschen Realität - in fünf Akten - einen Spiegel vor und fragt nach der moralischen und gesellschaftlichen Verantwortung politisch Handelnder."Ich zeige nicht McKinsey, sondern die Opfer einer weltweiten 'Religion', zu der die - von unseren Politikern total unbeaufsichtigte - Diktatur der Weltwirtschaft geworden ist," sagt Hochhuth.
Bereits im Vorfeld sorgt das Stück für mächtigen Wirbel. Die Deutsche Bank erwog rechtliche Schritte gegen Hochhuth einzuleiten und sprach von einem"Skandal", da Hochhuth"Verständnis für einen möglichen Mordanschlag" gegen den Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann geäußert habe.
Der Grund: im Stück warnt der Autor vor einem zweiten"Wilhelm Tell", sollten Wirtschaftsmanager weiter in die eigene Tasche wirtschaften, während Tausende ihrer Mitarbeiter arbeitslos werden. Der eigentliche Skandal seien die über vier Millionen Arbeitslose in Deutschland. (...)
Eigener Kommentar:
Von der Idee, endlich mal etwas anders auf die Bühne zu bringen als den seit Jahrzehnten in allen ekelhaften Details breitgetretenen Beziehungsquark, bin ich rundum angetan.
Schon lange warte ich auf einen Autor, der endlich mal das Thema"Kapitalismus, Großbanken und Politik" aufgreift, und hatte in diesem Zusammenhang schon immer an Rolf Hochhuth gedacht, der vor Jahrzehnten mit dem"Stellvertreter" gewaltig für Aufsehen gesorgt hat.
Bis hierhin findet er meine volle Zustimmung.
Danach wird es leider sehr viel problematischer. Wenn er für den Ausverkauf der ehemaligen DDR in erster Linie Wolfgang Schäuble zum Sündenbock stempelt, hat er noch nicht einmal den halben Weg zur Einsicht hinter sich gebracht.
Ob wider besseres Wissen oder aufgrund vorgefaßter Denkschablonen muß im Moment offen bleiben.
Ein, wenn es den Begriff gäbe, würde ich jetzt schreiben"Investigativer Dramatiker", der es sich zur Lebenaufgabe gemacht hat, die Oberfläche dessen, was uns in Medien und Lehrbüchern vermittelt wird, aufzubohren, kann doch nicht übersehen, daß, um nur ein paar der wichtigsten Aspekte zu nennen
1. Carlo Schmid (SPD) die BRD, das GG, als Organisationsform einer Modalität von Fremdherrschaft bezeichnet hat
2. 400 Tonnen deutscher Akten von den Westalliierten unter Verschluß gehalten werden (Wo bleibt Hochhuths recherchierende Besessenheit?, T.)
3. D-Land nach wie vor nur sehr eingeschränkt über seine nationalen Souveränitätsrechte verfügen kann ("Maastricht = Versailles ohne Krieg).
Ist Hochhuth, dem ich eine ehrliche Intention nicht absprechen möchte, Opfer seiner pro-alliierten Voreingenommenheit geworden?
Was ich heute seinem Text, der auch am Board zu lesen ist, gesehen habe, scheint meinen Verdacht zu bestätigen. Er schreibt, im Hinblick auf D-Land, und leider NUR auf D-Land, von"wir Kriegsverbrecher", bezeichnet die USA als"wohlwollendste Besatzernation aller Zeiten" und rühmt den Marshall-Plan als Ausdruck selbstloser Aufbauhilfe.
Kein Wort über die eigentlich Verantwortlichen für den zweimaligen Untergang D-Lands, die Heraufkunft Hitlers samt Auschwitz und Holocaust und die grenzenlose, Jahrzehnt um Jahrzehnt andauernde Plünderung D-Lands.
Das alles wirkt auf meine Freude, daß endlich mal ein Autor die wirklich neuralgischen Punkte zum Thema macht, außerordentlich dämpfend. Am besten wäre, Hochhuths Stück würde andere Schriftsteller dazu bewegen, ihrerseits das Thema aller Themen aufzugreifen.
Das ist nicht die Schnitzeljagd durch aberhunderte von Betten, wie uns die von Marcel Reich-Ranicki befeuerte Litarturkritik glauben machen möchte, das wichtigste ist die Frage von Geld und Macht. Der Roman, der ein Porträt unserer Zeit geben möchte wie vordem die Werke Balzacs, Maupassants, Zolas oder Thomas Manns, müßte im Milieu amerikanischer Investmentbanken spielen, und deren Rolle im Verlauf des 20. Jahrhunderts behandeln.
Warum hat niemand dieses grandiose Thema aufgegriffen? Ein Gigant wie Shakespeare hätte daraus den Stoff für sein gesamtes Schaffen beziehen können.
Jedenfalls hat Hochhuth einen ersten zaghaften Schritt in die richtige Richtung getan, wofür er Anerkennung verdient; wenn ihm auch die zur wirklichen künstlerischen Durchdringung notwendige charakterliche Substzanz fehlt - die für einen Dramatiker, d.h. Menschendarsteller, nötige Unvoreingenommenheit.
Trotzdem hat er im Hinblick auf die Praktiken der Deutschen Bank den einzig passenden Begriff gefunden.
Hochhuth, so gestern in Aspekte, sprach in diesem Zusammenhang von"Felonie", dem Hochverrat an den Untertanen, des schwersten Treuebruchs, den das Mittelalter gekannt hat.
Neben Bierbesoffenheit und Kriechertum ist der Verkauf der eigenen Leute der markanteste Teil des deutschen Wesens. Für die Genugtuung, auf mein Posting vom 8.11.2003 hinzuweisen, in dem ich von"Felonie, die deutsches Erbteil ist seit altersher" geschrieben habe, bitte ich um Verständnis.
Tempranillo
<ul> ~ Felonie, die deutsches Erbteil ist seit altersher</ul>

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