- CHINA - Feuerwerk ohne Ende? (EurAmS) - petrofina, 25.01.2004, 18:07
CHINA - Feuerwerk ohne Ende? (EurAmS)
-->Alle reden über China. Das Reich der Mitte lockt mit unglaublichen Kursgewinnen. Allen Erwartungen zum Trotz begann 2004 mit Verlusten. War’s das schon mit der Euphorie? Die Chancen, die Risiken
von Martin Blümel, Euro am Sonntag 04/04
China feiert Neujahr. Und das ordentlich, sprich: Es herrscht bereits seit Tagen Ausnahmezustand. Rund um das höchste Familienfest, das nach dem traditionellen Mondkalender in der Nacht zum Samstag begangen wurde, reisen Abermillionen Chinesen in ihre Heimat. Dort wird mit den Angehörigen in gigantischen Umzügen gefeiert. China brodelt.
Das Schaf geht, der Affe kommt. Schenkt man dem nach den Regeln chinesischer Mystik erstellten jährlichen Feng-Shui-Index des Hongkonger Broker-Hauses CLSA Glauben, dann wird das Jahr des Affen ein gutes Jahr - auch für Aktien. Die Börsen-Hausse könnte weiter gehen. Der Grundstein war bereits im Jahr des Schafs gelegt worden. Laut Feng-Shui-Orakel beendete es eine Phase fünfjährigen Pechs.Man mag das alles als Spinnerei abtun. Falsch war die Feng-Shui-Prognose für 2003 nicht. Wer die Entwicklung chinesischer Aktien im vergangenen Jahr verfolgte, traute oft genug seinen Augen nicht."Es war wie MTV gucken, aber mit doppelter Geschwindigkeit", beschreibt Henry Ho von Merrill Lynch in Hongkong deren Entwicklung. Der H-Aktien-Index der 32 größten in Hongkong gelisteten China-Papiere schnellte um 152 Prozent nach oben. Der Red-Chips-Index - dort sind 27 Hongkong-Unternehmen mit ChinaGeschäft vertreten - kletterte um 41 Prozent. Auch Fondsanleger wurden belohnt: Der beste China-Fonds, der HSBC Chinese Equity, gewann 70 Prozent. Da kam der Rest der Welt nicht mit (siehe Grafik unten).
Allerdings endete das Jahr des Schafs mit Misstönen. Zwar notierte der H-Aktien-Index am 5. Januar mit 5441 Punkten so hoch wie zuletzt im September 1997. Doch danach ging es bergab. Innerhalb von zehn Tagen verlor der Index mehr als 1000 Punkte auf 4436 Zähler - stattliche 19 Prozent.Bis auf 4000 Punkte soll es noch hinuntergehen, meint das amerikanische Investmenthaus Merrill Lynch, auch wenn der Index aktuell wieder bei 4963 Punkten steht. Aber warum die pessimistische Einschätzung? China wird doch allerorten als die globale Wachstumslokomotive gehandelt. Nur ein Beispiel: Das Land macht Deutschland den dritten Platz unter den Auto-Nationen streitig. 5,2 Millionen Pkw sollen 2004 produziert werden, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2020 soll sich die Nachfrage verzehnfachen. Was sollte also faul sein im Staate China?
Von"Überhitzung" ist die Rede: Trotz der Lungenkrankheit SARS ist die chinesische Wirtschaft 2003 um 9,1 Prozent gewachsen. Das ist der stärkste Zuwachs seit 1997. Im vierten Quartal waren es 9,9 Prozent. Hinter vorgehaltener Hand wird sogar von elf Prozent gesprochen.
Der Boom nimmt dabei bisweilen paradoxe Züge an. Sieben der 31 chinesischen Provinzen mussten im vergangenen Jahr Strom rationieren. Die Elektrizitätswerke kommen mit der Produktion nicht nach. Ein ähnliches Bild bietet sich in den Seehäfen."Das größte Problem der Exporteure ist nicht, Aufträge an Land zu ziehen, sondern einen Container zu ergattern, um die Waren aus dem Land zu bringen", sagt Dong Tao vom Analyse-Haus CSFB."So wird es aber nicht weitergehen. Das Wachstum wird sich abschwächen", prophezeit der legendäre Asien-Experte Marc Faber. Genauer gesagt: Es wird sich ein wenig abschwächen, aber weiterhin auf extrem hohem Niveau bleiben."Faktisch macht es doch keinen Unterschied, ob nächstes Jahr 9,5 oder acht Prozent Plus geschafft werden", konstatiert Thomas Gerhardt, Fondsmanager des DWS Top 50 Asien."Viel wichtiger ist doch, ob das Land es schafft, in den kommenden 20 Jahren jährlich zwischen fünf und zehn Prozent zu liefern. Und da ist mir nicht bange." Japan habe dies schließlich auch 30 Jahre lang gebracht, so Gerhardt.
Dass sich die Wirtschaft etwas abkühlt, ist durchaus gewollt. Denn China könnte mit einem längst totgeglaubten Phänomen zu tun bekommen: Inflation. Die liegt inzwischen bei drei Prozent."Das ist nicht besonders viel, doch ein Warnsignal, das die Regierung in Peking sehr ernst nimmt", sagt Tao."Sollte es zu Inflation kommen, dann ist auch der Begriff Überhitzung gerechtfertigt", fügt Gerhardt hinzu."Doch drei Prozent sind noch kein Maßstab. Außerdem ist ein gewisses Maß an Inflation gut für die Firmengewinne."
Die Regierung in Peking wappnet sich jedenfalls gegen die Inflationsgefahr. Kreditverknappung heißt das Gebot der Stunde. Denn das eigentliche Problem des Landes ist die Masse des geliehenen Geldes. Die chinesischen Banken warfen in den vergangenen Jahren damit nur so um sich. Wer auch immer einen Kredit wollte, er bekam ihn. Jetzt sitzen die Banken auf einem Berg fauler Kredite. Mehr als 500 Milliarden Dollar sind es, schätzen Experten. Um dem Problem Herr zu werden, müssen die Banken seit neuestem höhere Reserven halten. Mit dem Effekt, dass sich das Volumen der Neukredite sofort verringerte. Ein zweiter Schritt: Den vier größten Geldhäusern des Landes, die sich noch in Staatsbesitz befinden, wird die Lust an der exzessiven Kreditvergabe via Börsengang genommen."Sobald die Banken an der Börse sind, werden sie sehr vorsichtig mit Darlehen sein", sagt Analyst Ho."Faule Kredite mag kein Aktionär." Die Krux daran: Peking muss im Vorfeld die Verluste ausgleichen. Ein teurer Spaß. Dennoch wird die Strategie klar - Chinas Wirtschaft soll weich landen, ohne abgewürgt zu werden. Ein Spagat.
China-Investoren macht das natürlich nervös. Denn weniger Wachstum könnte auf die Unternehmensgewinne durchschlagen. Das erklärt auch den 1000-Punkte-Kursrutsch bei den H-Aktien.
Dazu kam der Ausstieg des britischen Ã-lmultis BP bei Petrochina sowie Gerüchte, dass auch Warren Buffett seinen Anteil am chinesischen Energie-riesen verkaufen wolle. Der Anleger-herde würde der Abgang des Leittiers natürlich nicht schmecken. Schließlich hat der US-Investor, dessen Näschen über Wohl und Wehe eines Markts bestimmen kann, entscheidenden Anteil an der China-Euphorie. Richtig los ging sie, als Buffett im Frühjahr 2003 sein Petrochina-Engagement bekannt gab. Nach der langen Rally sind China-Aktien auch teurer geworden. Lag das KGV der H-Aktien Anfang 2003 im Schnitt bei unter zehn, so beträgt es heute rund 19."Ich hätte Hemmungen, einem Anleger nun Aktien aus dem Reich der Mitte zu empfehlen", sagt Faber. Allerdings vergisst der als notorischer Schwarzseher bekannte Asien-Experte eines: Im internationalen Vergleich sind gerade China-Aktien immer noch sehr günstig. Bei den Titeln des amerikanischen S&P 500 liegt das KGV bei durchschnittlich 28.
Langfristig stimmt die China-Story jedenfalls - da sind sich die Auguren einig. Auch wenn eine Korrektur ansteht, wie Merrill Lynch prognostiziert. Dass diese aber nicht in einen lang anhaltenden Abwärtstrend mündet, dafür wird auch die anhaltende Euphorie um die chinesischen Börsengänge sorgen.
"2003 gab es Neuemissionen für über 5,7 Milliarden Dollar. 2004 erwarten wir 15 Milliarden Dollar", sagt Richard Wong, Fondsmanager des HSBC Chinese Equity. Damit nicht genug:"Chinas Privatisierungen werden die Investmentbanken für die nächsten zehn oder 20 Jahre beschäftigen", glaubt David Chapman, Vermögensverwalter bei Tory Law Asia in Hongkong. Er erwartet IPOs über mehr als 100 Milliarden Dollar im nächsten Jahrzehnt. Rekordverdächtig ist die Nachfrage nach den neuen Werten allemal. Der weltweit größte Börsengang im vergangenen Jahr war der Lebensversicherer China Life mit einem Emissionsvolumen von drei Milliarden Dollar. Die erste Börsennotierung lag 68 Prozent über dem Ausgabepreis. Geschichte schrieb auch das Agro-Unternehmen China Green. Dessen Neuemission war 1603- mal überzeichnet - Weltrekord.
Eindrucksvolle, verlockende Zahlen. Die aber auch nachdenklich stimmen, erinnern sie doch an die exzessiven Tage der Tech-Bubble an der Wall Street 2001. Und auch an den ersten Boom chinesischer Aktien, der 1997 seinen Höhepunkt erreichte. Damals setzte Bejing Enterprise den Rekord in Sachen Neuemissionen. Das Papier war 1275fach überzeichnet. Nach dem Börsengang ging es mit dem Kurs allerdings steil bergab. H-Aktien verloren bis August 1998 insgesamt 75 Prozent. Dass dies 2004 nicht passieren werde, bekräftigt Fondsmanager Gerhardt."Damals herrschte eine ganz andere Situation. China wurde mit Geld nur so zugeworfen. Unsinnige Projekte wurden verwirklicht, wie eine Motorenfabrik mitten im Land, die 500000 Motoren pro Jahr bauen sollte. Dabei hat sie bis heute nur Aufträge für 40000 Stück jährlich."
Dass 2004 anders wird als 1997 und 1998, das prophezeit ja auch der Feng-Shui-Index. Die fünf Jahre Pech wurden schließlich offiziell beendet.
Kommentar: China wird immer mehr zum Spotthema. Beobachten und einsteigen, wenn die Zeit gekommen ist.

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