- Am Anfang der Einheit stand eine Lüge - Langlume, 29.01.2004, 14:56
- Die betrogenen Bürger - Langlume, 29.01.2004, 14:58
- Re: Die betrogenen Bürger??? Nee, die bitte nicht! - JoBar, 29.01.2004, 15:35
- Re: Die betrogenen Bürger??? Nee, die bitte nicht! - Kaliakra, 30.01.2004, 00:30
- man vergisst auch andere Bevölkerungsteile - EM-financial, 30.01.2004, 07:20
- Re: Die betrogenen Bürger??? Nee, die bitte nicht! - Kaliakra, 30.01.2004, 00:30
- Re: Die betrogenen Bürger??? Nee, die bitte nicht! - JoBar, 29.01.2004, 15:35
- Vom 9.000 Euro Naumann wg. Staatsanwaltsbeleigung *Durchgeknallt* - LenzHannover, 30.01.2004, 02:48
- Die betrogenen Bürger - Langlume, 29.01.2004, 14:58
Die betrogenen Bürger
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Sie schienen die sicheren Verlierer der Geschichte zu sein. Plötzlich schöpfen die Enteignungsopfer von 1945 bis 1949 Hoffnung
von Till-R. Stoldt
Da kommt sie wieder: die Horde gieriger Westdeutscher, die nur darauf wartet, den Osten der Republik zu stürmen, den Boden zurückzuerobern und die Einheimischen zu vertreiben. Noch immer wird dieses Feindbild bemüht, wenn es um Enteignungsopfer zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone geht. Und tatsächlich könnte sich diese Woche für sie eine Art"Startsignal" abzeichnen: Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg befasst sich am Donnerstag mit der Frage, ob die Enteignungen der 40er-Jahre angemessen entschädigt werden müssen - oder ob das Gesetz der Regierung Kohl rechtmäßig war, demzufolge die Enteignungen weder rückgängig gemacht noch angemessen entschädigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte dieses Gesetz bestätigt.
Einer von mindestens 40 000 Betroffenen ist Walter Schaefer-Kehnert. 580 Hektar besaß seine Familie im heutigen Sachsen-Anhalt. Mit harter Arbeit verwandelten die Schaefers das Stück Land in ein erfolgreiches Agrar-Unternehmen. Bis im Oktober 1945 ein Trupp Kommunisten den Hof stürmte,"Junkerland in Bauernhand" brüllte - und alles zu Volkseigentum erklärte. Nur mit Gewalt konnte Schaefer seiner Verhaftung entgehen. Mutter und Schwester versuchten, sich mit Zyankali das Leben zu nehmen, überlebten aber, weil das Gift oxidierte.
Im Westen machte Schaefer schnell Karriere, wurde Professor für Agrarökonomie und schloss Frieden mit dem erlittenen Unrecht. Doch als die Regierung Kohl nach der Einheit festlegte, die Enteignungen dürften nicht rückgängig gemacht werden, weil die UdSSR dies verlange und sonst neues Unrecht geschehe - da klagte Schaefer, da platzte ihm der Kragen:"Zu keinem Zeitpunkt wollten die Enteigneten neuen Privateigentümern Haus und Grund wegnehmen", sagt er."Das Gespenst neuen Unrechts an die Wand zu malen, war infam!" In der Tat betonten die Opferverbände stets, dass sie eine Rückgabe von Eigentum nur forderten, wo es in der Hand des Staates war. Was durchaus machbar schien, fielen doch nach der Wende laut Opferverbänden 75 Prozent des enteigneten Vermögens an den Staat.
Und die vermeintliche Bedingung der Sowjets, ohne Verzicht auf Eigentumsrückgabe werde es keine Einheit geben, hält Schaefer ohnehin für"eine empörende Lüge". Darin sieht er sich bestätigt durch die Zeithistorikerin Constanze Paffrath. Ihre Doktorarbeit sorgt seit Monaten für Furore. Sie glaubt nachgewiesen zu haben, dass die UdSSR eine solche Bedingung nie gestellt hat. Diese Behauptung Helmut Kohls und Wolfgang Schäubles sei schlicht erfunden (siehe Kasten).
Die Straßburger Richter nahmen Paffraths Arbeit ebenfalls zur Kenntnis. Weshalb Opfer wie Walter Schaefer nun auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hoffen - das enorme Konsequenzen haben dürfte. Denn von den enteigneten 3,2 Millionen Hektar ist noch immer eine Million in Staatshand. Diese herauszugeben wäre ein finanzieller GAU für den Fiskus.
Das zeigt auch ein Straßburger Urteil von letzter Woche: Die Beute der Enteignungen zwischen 1945 und 1949 verteilte die DDR klein gestückelt an ihre Bürger. Die lebten dort oft 40 Jahre wie Privatbesitzer. Kurz vor der Wiedervereinigung schrieb die Regierung Modrow diese Eigentumsverhältnisse fest. Die Regierung Kohl verfügte 1992 gleichwohl, die Kleinbauern und Häuslebauer müssten ihr Eigentum entschädigungslos den neuen Bundesländern übergeben. Einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentumsschutz erkannten darin nun die Straßburger Richter. Bund und Länder könnte das Urteil über eine Milliarde Euro kosten.
Doch bei der Klage der Bodenreform-Opfer aus den 40ern geht es um weitaus größere Grundstücke. Und ihre Erfolgschancen sind durch das jüngste Urteil gestiegen. Albrecht Wendenburg, Anwalt der beschwerdeführenden Opfer, sieht im Richterspruch jedenfalls"Hinweise, dass die Richter dem Eigentumsrecht von Enteigneten größeren Wert beimessen, als die Regierung Kohl es tat". Im Klartext: Das könnte die Staatskasse viel Geld kosten.
Zumal es neben den Bodenreform-Opfern, die vom alten Besitz noch träumen, auch andere gibt, die ihn aus eigener Tasche zurückkauften. Leute wie Christian und Dagmar von Plessen. Als die Mauer fiel, beschlossen sie, aus dem Rheinland in die mecklenburgische Heimat zu ziehen, wo die Ahnen bereits im 13. Jahrhundert lebten. Für über eine Million Mark kauften die von Plessens ihr Eigentum zurück. Eine weitere Million mussten sie allein während der 90er-Jahre an Pacht zahlen. Mehrere tausend Enteignete sind derart in Vorauszahlung gegangen. Alle hoffen sie nun auf Entschädigung.
Und noch eine Opfergruppe gibt es: die enteigneten Unternehmensbesitzer - wodurch die Opferzahl insgesamt laut Verbänden auf rund 100 000 steigt.
Udo Madaus ist einer dieser Unternehmer. Kaum war er 1946 aus Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, verlor er seine Heimat wieder: das Familienunternehmen in Sachsen. Auch bei ihm standen eines Tages stramme Rotgardisten im Büro, erinnerten daran, dass der Sozialismus nicht nur mit Luft und Liebe aufgebaut werden könne - und enteigneten die Pharma-Fabrik. Madaus ging in den Westen und schuf in Köln den neuen Firmensitz. Im Lauf der Jahrzehnte arrangierte auch er sich mit dem erlittenen Unrecht. Bis zur Wende. Seitdem führt er Prozesse und schrieb mehr als 3000 Protestbriefe an so ziemlich jeden Politiker der Republik. Nicht aus Geldgier, sondern aus Empörung:"Ich kann nicht fassen, dass über dieses Unrecht und die schweren Schicksale tausender Familien leichtfertig hinweggelogen wird", sagt er."So einfach werden die Verantwortlichen da nicht rauskommen."
WAMS | Artikel erschienen am 25. Jan 2004

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