- Geh nach Gaza! - Israel, die Siedlungen, das Geld und der Premier - RK, 13.02.2004, 00:09
Geh nach Gaza! - Israel, die Siedlungen, das Geld und der Premier
-->13.02.2004
Ausland
Uri Avnery
Geh nach Gaza!
Israel, die Siedlungen, das Geld und der Premier
Willst du das Geschäft deines Lebens machen? Dann geh nach Gaza! Du kannst mit den von der Regierung zur Verfügung gestellten gepanzerten Fahrzeugen dorthin gelangen. Dort erhältst du eine Villa, von der du dein Leben lang geträumt hast, zweistöckig und mit grünem Rasen - für fast nichts. Du kannst dort Gewächshäuser aufbauen und Blumen und Gemüse ziehen. Es gab einmal eine Zeit, da konnte man palästinensische Arbeiter anstellen, die für einen Hungerlohn arbeiteten. Es gab für sie keine Alternative, weil ihnen das Land weggenommen wurde. Jetzt ist es zu gefährlich. Also wirst du Arbeiter aus Thailand anstellen - die bekommen noch weniger Geld. Es gibt keine rechtlichen Probleme, keinen Mindestlohn, keinen Jahresurlaub, keine Entlassungsentschädigung. Israels Gesetze gelten dort nicht. Das maßgebende Gesetz ist ägyptisch, und die Verhältnisse sind es auch. Du kannst die Produkte nach Europa exportieren. Das muß allerdings heimlich und unter falschem Namen geschehen. Die Bürokraten in Brüssel werden wütend sein, weil dies das Handelsabkommen zwischen Israel und der Europäischen Union verletzt. Aber die Hauptsache ist, daß du Euroscheine erhältst.
Natürlich gibt es da ein Sicherheitsproblem. Du und alle anderen 7 000 Siedler im Gazastreifen leben unter einer Million Palästinenser. Ihr habt ihnen die Landreserven und die Hälfte des Wassers weggenommen. Deshalb seid ihr dort nicht gerade beliebt. Aber was macht’s? Die Armee wird euch verteidigen - ein ganzes Bataillon, um eine Siedlung mit ein paar Dutzend Familien zu verteidigen, eine ganze Division für den Gazastreifen. Viele Soldaten. Viele gepanzerte Fahrzeuge. Viel Geld. Aber der Staat zahlt.
Wenn eure Siedlung zu nahe an ein arabisches Wohngebiet reicht, gibt es ein Problem. Macht euch keine Sorgen! Die Armee wird alle benachbarten Häuser in die Luft sprengen und das Gebiet »säubern«. Das erlaubt der Siedlung, sich auszudehnen, dann wiederholt sich das Spiel. Die Hauptsache ist eure Sicherheit - und das Geld, das ihr macht.
Und das ist nur der Anfang. Sollte wirklich entschieden werden, die Siedlungen im Gazastreifen zu evakuieren, und sollte die Entscheidung wirklich erfüllt werden, dann wird Geld fließen. Der Staat wird euch eine Menge zahlen, wenn ihr weggeht. So war es, als Menahem Begin die Siedlungen im Sinai auflöste. Die Siedler erhielten ein Vermögen. Diejenigen, die sich weigerten und erklärten, daß sie niemals ihre Häuser aufgeben würden, erhielten das Doppelte und mehr. Am Ende weigerte sich kein Siedler, das Geld anzunehmen. Viele der »Evakuierten« nahmen das Geld und siedelten in Amerika oder Australien. Die Klugen gingen in den benachbarten Gazastreifen und werden ein zweites Mal eine Kompensation erhalten.
Aber vorläufig bevölkern die Siedler die Fernsehstudios, rollen ihre Augen himmelwärts und behaupten, daß sie Ashkalon, Ashdod und sogar Tel Aviv verteidigen und daß deshalb der bankrotte Staat mehr Milliarden in die Siedlungen investieren müßte. Denn sie seien ja die »wirklichen Zionisten«. Teure Siedler. Teurer Zionismus. Aber meint es Ariel Scharon wirklich ernst, wenn er über seine Entscheidung redet, fast alle Siedlungen im Gazastreifen zu evakuieren? »Fast alle« - weil er drei Siedlungen, die ganz nah an der »Grünen Linie« also der Vor-1967-Grenze liegen, aufrecht erhalten will. Dies ist eine typisch israelische Methode: Wenn wir nach viel Aufregung Gebiete aufgeben, behalten wir immer ein kleines Stück, damit der Konflikt weitergeht. Schließlich geben wir es ganz auf. Als wir das große Gebiet des Sinai evakuierten, einschließlich der Ã-lquellen, die Stadt Yamit und die Siedlungen, weigerten wir uns, das winzige, aber schöne Taba aufzugeben. Der Streit darum ging noch lange weiter, bis wir es endlich doch verließen.
Als wir den Libanon verließen, hielten wir noch an einer Sicherheitszone fest. Als wir - nach weiteren Hunderten Toten - diese verließen, behielten wir noch die Shawa-Farm, wo unsere Soldaten weiter getötet werden. Wenn Scharon jetzt verspricht, die Siedlungen im Gazastreifen zu evakuieren, will er drei Siedlungen als Souvenir behalten. Und deshalb fragt jeder zum wer-weiß-wievielten-Male: Was beabsichtigt er? Nun, jeder kennt Scharons Propaganda. Sie ist dafür bestimmt, die Aufmerksamkeit von der Bestechungsaffäre abzulenken, in die er verwickelt ist. Sie ist auch dafür bestimmt, dem neuen Oberstaatsanwalt anzudeuten, daß der, falls er Scharon anklagt, einen historischen Schritt in Richtung Frieden sabotieren würde.
Es geht am Vorabend von Scharons geplantem Besuch im Weißen Haus auch darum, dem Präsidenten der USA zu demonstrieren, daß er bereit sei, ernsthafte Maßnahmen zu unternehmen und daß Bush ihm seinen Segen geben muß - und ein paar mehr Milliarden Dollar, um die Siedler zu bezahlen. Aber es ist nicht nur Propaganda. Die Maßnahme paßt zu Scharons Strategie. Er ist bereit, einen Finger zu opfern, um den übrigen Körper zu retten. Er ist bereit, Gaza mit seiner Million unerwünschter Palästinenser aufzugeben, dazu auch ein paar isolierte Westbank-Siedlungen, um das amerikanische Einverständnis zu erhalten, den größten Teil der Westbank zu annektieren.
Auch das ist keine neue Strategie. Ben Gurion gab 22 Prozent Palästinas auf, um die anderen 78 Prozent zu behalten, anstelle der von den UN zugesprochenen 55 Prozent. Menahem Begin gab den ganzen Sinai auf, um Ägypten aus dem Krieg zu halten, damit er sich auf die Übernahme der Westbank konzentrieren konnte. Scharon ist bereit, den gesamten Gazastreifen und 45 Prozent der Westbank »aufzugeben«, um 55 Prozent der Westbank an Israel anzuschließen. Das ist der »einseitige Schritt« - ohne Einverständnis der Palästinenser, die in Enklaven eingeschlossen, von Mauern und elektronisch überwachten Zäunen umgeben werden.
Das ist die Idee, die Scharon Bush verkaufen will: Sieh, ich evakuiere Siedlungen, im Gazastreifen und mitten in der Westbank, obwohl mir das sehr wehtut. Das ist ein riesiger Schritt in Richtung Frieden. Schimon Peres küßt und umarmt mich dafür (natürlich nur verbal!).
Aber um einen solch gewagten politischen Akt auszuführen, benötige ich eine offizielle und öffentliche amerikanische Rückendeckung. Und du mußt mir versprechen, dich nicht einzumischen, wenn ich den Rest schlucke. Natürlich bringt dies keinen Frieden. Dies wird auch keine Sicherheit mit sich bringen. Die Folge wird sein, daß Hamas den Gazastreifen und die palästinensischen Enklaven übernehmen wird. Es wird in Israel und überall in der Welt viel mehr Attentate geben. Es wird ein Krieg ohne Ende folgen. Aber in Scharons Augen ist es das entscheidende Stadium der Realisierung des Zionismus, wie er ihn versteht. Der Staat Israel wird aus 90 Prozent des Landes zwischen Jordan und Meer bestehen.
(Übersetzung: Ellen Rohlfs)
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2004/02-13/005.php</ul>

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