- Einwanderung: Rollt die Welle an? - zani, 15.02.2004, 19:46
- Nach allem hin und her reizt es mich NICHT in die Schweiz auszuwandern, - LenzHannover, 16.02.2004, 15:05
Einwanderung: Rollt die Welle an?
-->Guten Abend
15. Februar 2004, 02:06, NZZ am Sonntag
Wer kommt, der ist schon da
Im Kreis der alteingesessenen EU-Mitglieder geht kurz vor der Erweiterung um zehn Länder die Angst vor der grossen Einwanderungswelle um. Experten halten Barrieren gegen die Osteuropäer jedoch für überflüssig.
Stephan Israel, Brüssel
Leszek fühlt sich wohl in der Hauptstadt der Europäischen Union. Einzig das Wetter und die schmutzigen Strassen, sagt er, störten ihn manchmal. Leszek lebt und arbeitet schon seit zehn Jahren in Brüssel. Obwohl er sich ohne amtliche Bewilligung in der Stadt aufhält, hat er mit den Behörden noch nie Probleme gehabt. Seit kurzem schickt er sogar seine Tochter in eine Staatsschule. Leszek ist einer von rund 30 000 Polen, die illegal in der EU- Hauptstadt arbeiten. Die «Sans-Papiers» sind im Vergleich zu den 2500 Landsleuten mit gültigen Arbeitsgenehmigungen deutlich in der Überzahl.
Leszek ist wie die meisten Polen in Brüssel und Umgebung im Renovationsgeschäft tätig. Polnische Frauen putzen in der Beamtenstadt Wohnungen oder sind als Babysitter gefragt. In dieser gut organisierten Parallelwelt gibt es inzwischen eine polnische Bäckerei, polnische Läden und Restaurants, eine polnische Gratiszeitung und jeden Sonntag eine katholische Messe auf Polnisch. Wer den Schein als Tourist auf Durchreise wahren will, fährt alle drei Monate mit einer der gut frequentierten privaten Buslinien in die Heimat. Doch so genau nimmt es in Belgien niemand.
Unnütze Schranken
Leszek ist für Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche ein typischer Fall: Wer in Osteuropa mobil sei, habe die Chance in den letzten zehn Jahren seit der Aufhebung der Visumspflicht gepackt und sei längst im Westen angekommen. Havlik glaubt wie die meisten Migrationsexperten nicht an eine grosse Einwanderungswelle nach der Osterweiterung. Erstens wachse die Wirtschaft in den neuen Mitgliedsländern stärker als in Westeuropa und biete daher mittelfristig mehr Arbeitsplätze. In alarmistischen Prognosen werde zudem die Mobilität der Menschen überschätzt. Es sei schon schwierig genug, Arbeitskräfte etwa zum Umzug vom armen Ostungarn ins prosperierende Westungarn zu bewegen. Der Arbeitssuche noch weiter westlich steht zusätzlich die Sprachbarriere im Weg.
Wären also die Schranken, die zurzeit von den alteingesessenen EU-Mitgliedern errichtet werden, gar nicht nötig? Statt Feierstimmung macht sich im Hinblick auf den historischen Erweiterungsschritt am 1. Mai Angst breit. Deutschland und Ã-sterreich als direkte Nachbarn der Neumitglieder wollten von Anfang an die vollen sieben Jahre Übergangsfrist ausschöpfen, die ihnen gemäss Beitrittsvertrag zustehen. Von den fünf Ländern, die ursprünglich die Zuzügler ohne Einschränkungen auch auf dem Arbeitsmarkt willkommen heissen wollten, sind die Niederlande, Dänemark und Schweden umgekippt. «Wir hatten geglaubt, dass die meisten anderen EU- Länder ihre Grenzen ebenfalls öffnen würden», erklärt Schwedens Einwanderungsministerin Barbro Holmberg die Kehrtwende. Die Schweiz pocht in den Verhandlungen mit Brüssel ebenfalls auf gleich lange Übergangsfristen für die Ã-ffnung des Arbeitsmarktes. Einzig Grossbritannien und Irland mit ihrer vergleichsweise guten Wirtschaftslage wollen die Türen weiterhin ab dem ersten Tag offen halten.
Joanna Apap vom Brüsseler Zentrum für Europäische Politikstudien hält die befürchtete Invasion für einen Mythos. Ihrer Ansicht nach errichten Westeuropas Regierungen die neuen Hürden, weil sie sich vor ihren Populisten fürchten. Dabei sei bekannt, dass wegen der Überalterung Arbeitskräfte in vielen Branchen gefragt seien.
Die Mitgliedstaaten, klagt der für den Erweiterungsprozess zuständige EU-Kommissar Verheugen, hätten es verpasst, die öffentliche Meinung auf die historische Wiedervereinigung des Kontinents vorzubereiten. Er zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass sich die Ängste als unbegründet herausstellen und die Übergangsfristen nicht in voller Länge beansprucht werden. Bei der Brüsseler Kommission hatte man einst die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedsländern auf rund 250 000 Personen jährlich über eine Periode von 15 Jahren geschätzt. Die Bevölkerung der EU der 15 würde nach diesem Extremfall um ein Prozent zunehmen und in den Beitrittsländern um vier Prozent zurückgehen. Doch die Prognose wurde gestellt, als weder die Konjunktur eingebrochen noch die Ã-ffnung der Arbeitsmärkte fast überall hinausgeschoben worden war.
Keine Einbahnstrasse
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hätten einige im Westen bereits die Ankunft von 25 Millionen Sowjetbürgern prognostiziert, sagt Jean- Pierre Garson von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris. Stattdessen seien Hunderttausende von Jugoslawen gekommen, mit denen niemand gerechnet habe. Garson will damit sagen, dass nur Katastrophen wie Kriege grosse Migrationswellen auslösen.
Die Migration als Folge der Osterweiterung werde keine Einbahnstrasse sein. «Die Leute kehren gerne in ihre Heimat zurück, wenn es dort wirtschaftlich besser geht», sagt Garson. So war es auch nach der Süderweiterung um Spanien, Portugal und Griechenland. Heute sind Spanien und Griechenland selber Einwanderungsländer mit schnell wachsendem Ausländeranteil. Ähnlich werde es Polen, Tschechien oder Ungarn ergehen.
Vorerst muss sich jedoch Leszek, der polnische Schwarzarbeiter in Brüssel, gedulden. An Aufträgen, glaubt der Handwerker, werde es ihm auch weiterhin nicht mangeln. Nach dem 1. Mai wird er sich aber für eine Weile als EU- Bürger zweiter Klasse fühlen. In frühestens zwei Jahren könnte Belgien, seine Wahlheimat, die Beschränkungen für Arbeitskräfte aus Osteuropa aufheben. Leszek träumt davon, legal arbeiten zu können. Wenn es so weit ist, will er sich einen Transporter kaufen und grössere Aufträge annehmen.
<ul> ~ Wer kommt..</ul>

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