- Geburtstagsbeitrag 2 - Kant und die Elliotwellen - R.Deutsch, 17.02.2004, 08:28
Geburtstagsbeitrag 2 - Kant und die Elliotwellen
-->
Bernd Niquet hat einen hübschen Beitrag geschrieben mit dem Titel: „Was Kant Anlegern zu sagen hätte“ http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/250694.htm
Er bringt darin die Kant‘sche Erkenntnis schön klar auf den Punkt, wenn er schreibt:
Wir haben keine Chance, die Welt, die um uns herum existiert, so wahrzunehmen, wie sie ist. Sie erscheint uns vielmehr in dem Licht, das wir selbst auf sie werfen: So, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Was jedoch bedeutet, dass der Schall, den wir aus dem Wald vernehmen, wenig über den Wald, dafür viel über uns sagt. Womit wir endgültig bei der Börse wären.
Naive Zeitgenossen halten es für möglich, die verborgenen Börsen-Gesetze herauszuarbeiten und erkennen zu können. Hätten sie hingegen ihren Kant gelesen, dann wüssten sie, dass dies auf Ewigkeit unmöglich sein wird."Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur", hat Kant 1783 in seiner"Kritik der reinen Vernunft" geschrieben,"sondern schreibt sie dieser vor". Dies ist Kants berühmte, jedoch unbeachtete kopernikanische Wende. Und wo könnte es wahrer sein, was Kant uns zu vermelden hat, als an der Börse. Wenn selbst die Natur von uns nur dadurch erkannt werden kann, dass wir ihr unsere Erkennungsschemata aufdrücken, was soll dann erst mit der Börse sein?
Nehmen wir etwa die (aus Kantischer Sicht) naive These, dass der Kurs einer Aktie sich stets an ihrem inneren Wert orientieren soll. Um dies überprüfen zu können, müssten wir mehr wissen, als wir wissen können. Wir müssten davon ausgehen, dass Preis und Wert voneinander abweichen, was jedoch in einer Geldwirtschaft unmöglich ist, da wir hier allein über das Preissystem als Bewertungsmaßstab verfügen. Wir befinden uns damit prinzipiell in der gleichen Situation, in der Kant um 1750 steckte, als er darüber reflektierte, ob die"Dinge an sich" hinter den Erscheinungen für uns überhaupt zugänglich sind. Kant verneinte und schrieb: „Die Erscheinung ist das allein Wahre. Und das Ding an sich bleibt für uns unzugänglich.“
Was folgert nun Bernd Niquet daraus für den Anleger? Dieses:
Wer sich so der Börse nähert, erspart sich Mühe und Leid. Denn ein derartig aufgeklärter Anleger weiß so gut wie Kant, dass"die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurf hervorbringt". Er wird sich daher des Versuchs erwehren, klüger sein zu wollen, als wir sein können. Er wird sich auf seinen Verstand berufen und jegliche vermeintliche Objektivität, die sich nach Ansicht in der Kantschen Theorie Ungeschulter hinter den Erscheinungen verbergen soll, unbeachtet lassen.
Klassisches Merkmal aller Kantianer unter den Anlegern ist folglich ihre Aufgeklärtheit. Denn wie schrieb Kant über Aufklärung?"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Und Selbstdenken heißt: den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst zu suchen." Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Damit schüttet Niquet gleich drei Kinder mit dem Bade aus und stiftet, wie ich denke, mehr Verwirrung als Aufklärung.
Das erste Kind ist Wert und Preis. Natürlich gibt es für Aktien einen „inneren Wert“, an dem sich der Preis orientiert und natürlich müssen Wert und Preis immer voneinander abweichen, sonst würde gar kein Geschäft und auch kein Preis zustande kommen.
Das zweite Kind ist das Ding an sich. Handelt es sich bei Börsenkursen um das Ding an sich, von dem Kant spricht, und das uns unzugänglich bleibt, oder liegt Niquet damit nicht vielmehr völlig neben der Sache, um die es eigentlich geht? Börsenkurse sind objektiv, mit unseren Sinnen in Raum und Zeit erfahrbar und wir können sie mit unserem Verstand verarbeiten (damit rechnen).
Das dritte Kind, nämlich Niquet‘s aufgeklärter Anleger ist wohl eher eine gedankliche Mißgeburt. Jedenfalls verstehe ich nicht, was Niquet uns damit sagen will. Sollen wir uns nun unseres eigenen Verstandes bedienen und Börsenkurse in uns selbst suchen, statt in die Zeitung zu gucken, sollen wir die Börsenkurse selbst entwerfen, statt sie vom Markt zur Kenntnis zu nehmen? Gibt es einen wahren Börsenkurs ( das Ding an sich) den wir nicht erkennen können und einen zweiten Börsenkurs, den wir mit unserem Verstand in uns selbst suchen müssen?
Ich will mal versuchen, am Beispiel Elliottwellen zu erklären, wie ich Kant verstanden habe.
Es gibt das Ding an sich, das große X (Universum) über dessen Wesen wir nichts sagen können. Unsere Sinne (Augen, Ohr etc.) empfangen aber von dort Signale, wobei wir beim Empfang an bestimmte Kathegorien gebunden sind (Raum, Zeit, Erfahrung).
Diese realen Signale aus der Natur können wir mit unserem Verstand verarbeiten und in Beziehung bringen (Schwerkraft, Kausalität, Mathematik) Dies ist der Bereich der Wissenschaften, das Vermögen der Begriffe, die reale Welt.
Daneben haben wir den Bereich der Vernunft - das Vermögen der Ideen, in dem wir Theorien entwerfen (Gott, Seele, Freiheit, ewiger Friede, kathegorischer Imperativ etc.). Diese Theorien wiederum überprüfen wir mit Hilfe des Verstandes an der uns zugänglichen realen Welt.
Wir haben also diesseits der Grenze zum goßen X die drei Bereiche Sinnlichkeit (Erscheinung), Verstand (Erkenntnis) und Vernunft (Spekulation). Auf Elliottwellen bezogen heißt das:
Die Vernunft hat eine Theorie entworfen (alles wächst in Fibonacci-Proportionen, Elliottwellen) und der Verstand überprüft diese Theorie anhand der realen Börsenkurse, und mit Hilfe der komplizierten Berechnungen, welche Elliott vorschreibt (Wissenschaft, Mathematik, Jürgens Abboforum). Mit all dem bewegen wir uns aber noch in der realen Welt, also diesseits der Grenze zum großen X. Wie kommt nun das große X - das Ding an sich ins Spiel, von dem Niquet redet?
Nun, die Fibonaccizahlen wären der göttliche Algorithmus, den das große X von jenseits der Grenze funkt. Obs stimmt kann niemand sagen, ebensowenig wie bei Gott, Seele und Unsterblichkeit, aber wir können es mit Hilfe unseres Verstandes täglich an den konkreten Börsenzahlen überprüfen - und daran glauben - wenn wir es denn wollen.
Wer sich für solche Fragen interessiert, dem möcht ich ein gerade erschienenes, wirklich spannendes Buch empfehlen:
http://www.welt-der-gegenwart.de
Darin wird eine verblüffende, aber sehr plausible Theorie entworfen, von einer Welt ohne Zeit. In einer solchen Welt müssten Elliottwellen aber wohl ganz anders begründet werden.
Geburtstagsgrüße
R.Deutsch

gesamter Thread: