- Fürs Kapital leben - RK, 17.02.2004, 21:23
- Mechanismen des Kapitals - Dieter, 17.02.2004, 22:24
- Re: Mechanismen der Diskussion / @ alle - -- Elli --, 17.02.2004, 22:59
- Re: @Elli - Versuch am untauglichen Objekt ;-((( - Tassie Devil, 18.02.2004, 08:01
- Re: Mechanismen der Diskussion / @ alle - Dieter, 18.02.2004, 12:07
- Re: Mechanismen der Diskussion / @ alle - -- Elli --, 17.02.2004, 22:59
- Der Artikel spricht mir tief aus der Seele. Und das Schlimme daran... - Gundel, 18.02.2004, 08:05
- Re: Grosser Irrtum, Gundel - Tassie Devil, 18.02.2004, 09:03
- Ziegen- Bimbo- und Schornsteinfegerproblem - Gundel, 18.02.2004, 10:28
- Re: Ziegen- Bimbo- und Schornsteinfegerproblem - Tassie Devil, 19.02.2004, 02:00
- Ziegen- Bimbo- und Schornsteinfegerproblem - Gundel, 18.02.2004, 10:28
- Re:... tief aus der Seele... / Gesetz des Dschungels - Student, 18.02.2004, 09:29
- Absolut einverstanden. Aber ich bleibe dabei, dass das Sytem einen Fehler hat. (owT) - Gundel, 18.02.2004, 10:39
- Re:... tief aus der Seele... / Gesetz des Dschungels - - Elli -, 18.02.2004, 16:30
- Re: Grosser Irrtum, Gundel - Tassie Devil, 18.02.2004, 09:03
- Mechanismen des Kapitals - Dieter, 17.02.2004, 22:24
Fürs Kapital leben
-->http://www.jungewelt.de/2004/02-18/004.php
18.02.2004
Thema
Peter Decker*
Fürs Kapital leben
Dritte-Welt-Gruppen, Globalisierungskritiker und Menschen, die Armut nicht für naturnotwendig halten wollen, stellen die Frage: Warum sind so viele Menschen in Entwicklungsländern arm? Versuch einer einfachen Antwort
Arm sind die Leute in den Entwicklungsländern, weil sie ausgeschlossen sind von dem Reichtum, den es erstens überhaupt und zweitens auch in ihren Ländern gibt. Die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen hungern und sterben mußten, weil es wegen Mißernten, unzureichender Naturbeherrschung und fehlenden medizinischen Wissens die Mittel zur Befriedigung der drängendsten Bedürfnisse nicht gab. Sogar der Welternährungsfonds der UNO berichtet, daß es genug Lebensmittel auf dem Globus gibt, um alle Menschen satt zu machen; und selbstverständlich könnten im Bedarfsfall noch viel mehr Lebensmittel hergestellt werden.
Gehungert wird also auch vor vollen Lagerhäusern, und nur deshalb, weil es an Geld fehlt, um die vorhandenen Lebensmittel zu kaufen. Dasselbe gilt auch für weniger lebensgefährliche Formen des Mangels: das Fehlen guter Behausung, medizinischer Betreuung, Bildung und sonstiger Konsumartikel. Schuld an dem Ausschluß vom Reichtum ist das Privateigentum. Dieses Rechtsinstitut des Kapitalismus gilt heute bis in den hintersten Winkel der Erde. Jedes Stück natürlichen und produzierten Reichtums gehört irgend jemandem. Überall gibt es eine Staatsmacht, deren Recht einigen Bürgern die beliebige Verfügung über den materiellen Reichtum gestattet, und allen anderen Bürgern, die diese Reichtümer auch brauchen, den Zugriff darauf verbietet. Wenn in Afrika immer wieder Lebensmittelvorräte geplündert werden, dann zeigt das nicht nur, daß es da etwas zu holen gibt, sondern daß es den Hungernden eben verboten ist, zu nehmen, was sie brauchen.
Der Ausschluß vom Reichtum gewinnt heute an Schärfe, weil den Armen nicht nur produzierte Konsumtionsmittel, die andere haben, vorenthalten werden, sondern die Quellen des Reichtums selbst, die Produktionsmittel, und damit die Instrumente der Arbeit, mit denen sie sich die Gegenstände ihres Bedarfs herstellen könnten. Grund und Boden sowie die produzierten Mittel der Produktion - Werkstätten, Maschinen, Rohstoffe - gehören allesamt anderen Leuten, den sogenannten Reichen.
Glück hat, wer ausgebeutet wird
Die Trennung der Menschen von ihren Produktionsmitteln sieht in verschiedenen Ländern des Südens verschieden aus, hat aber immer dasselbe Resultat: Nomaden können ihre Lebensform nicht fortsetzen, wenn Grundeigentümer Zäune, Staaten Grenzen ziehen und ihnen den nötigen Weidewechsel ihrer Herden verunmöglichen. Anderswo werden Kleinbauern zugunsten von großflächigem Bergbau, Staudämmen oder Plantagen, die für den Weltmarkt produzieren, von den halbwegs fruchtbaren Böden verdrängt. Wieder anderswo haben die traditionellen Kleinhandwerker, Weber, Schneider, Leder- und Metallbearbeiter, keine Chance gegen die importierten Industrieprodukte der Weltkonzerne, ganz gleichgültig, wie billig sie zu arbeiten bereit sind. Ihnen fehlt eben der Zugang zu den Produktionsmitteln, die heutzutage nötig sind, um sich an der Konkurrenz um die Kaufkraft zu beteiligen.
Solche Menschen sind mittel- und hilflos. Sie können die für ihren Lebensunterhalt nötige Arbeit nicht verrichten und sich daher die Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung nicht beschaffen. Das Ganze hat mit Fleiß und Faulheit, mit Mentalität und »fatalistischer Lethargie« nichts zu tun: Millionen in der »Dritten Welt« kämpfen verbissen und ohne rechten Erfolg um ein anständiges Leben. Um Arbeit zu finden, nehmen viele von ihnen Lebensgefahren auf sich. Als Flüchtlingsproblem landen sie in den Slums der großen Städte des Nordens und werden, wenn sie Glück haben, gnadenlos ausgebeutet, wenn sie Pech haben, wieder zurückgeschickt. Andere verharren in erzwungener Untätigkeit, nicht weil das Hungern so bequem ist, sondern weil die Trennung von den nötigen Arbeitsmitteln jede lohnende Anstrengung außer Reichweite rückt. Auf sie deuten dann die moralischen Volkserzieher, nennen sie Faulenzer ohne Strebsamkeit und Arbeitswillen und erklären Passivität, Abstumpfung, ja Verwahrlosung der Menschen, die aus ökonomischer Hilflosigkeit und nicht überwindbarem Elend resultieren, zur - selbstverschuldeten - Ursache des Elends.
Die Armut der Staaten der »Dritten Welt« ist etwas ganz anderes als die Not großer Teile ihrer Völker. Diese Staaten folgen der heute als einzig zeitgemäß geltenden Raison und setzen für die Vergrößerung ihrer Macht und ihres Reichtums auf die Vermehrung privaten Eigentums. Dafür ist die Armut ihrer Bürger produktiv. Also legen sie sie darauf fest, sich den Eigentümern der Produktionsmittel als Instrument ihrer Profite anzubieten. Geldverdienen durch Lohnarbeit, soll der einzige erlaubte Lebensunterhalt des Volkes sein, damit es mit seiner Arbeit nicht nur sich ernährt, sondern dem Eigentümer der Produktionsmittel einen Zuwachs an Geld schafft, von dem auch der Staat seinen Teil abkriegt. Ob und in welchem Maß dieser Lebensunterhalt zustande kommt, hängt allerdings nicht vom Wunsch des Staates nach möglichst viel »Beschäftigung« ab, und schon gar nicht von dem Bedürfnis der Arbeitssuchenden, Geld zu verdienen.
Darüber entscheiden allein die Rechnungen derer, denen die Produktionsmittel gehören: Sie lassen mittellose Arme für sich arbeiten, und zwar soviel und zu einem Lohn, daß deren Arbeit ihren Reichtum mehrt und nur dann. Der moderne Lohnarbeiter kann weder durch Fleiß noch durch die Bereitschaft, sich für fast gar kein Geld herzugeben, seine Benutzung »erzwingen«. Diese hängt ganz von den Geschäften der Eigentümer ab, die von Land zu Land verschieden, im Ganzen aber von der Art sind, daß nur ein Bruchteil der Arbeitssuchenden eine Anstellung findet.
Die wahren »Arbeitgeber« sind heutzutage ohnehin die global disponierenden Konzerne. Sie vergleichen weltweit die Renditen, die sie aus Kapitalanlage erwarten können, legen ihr Geld vorurteilslos überall nach dem Gesichtspunkt des größten Ertrags an - und sortieren damit die Welt.
»Absolute Überbevölkerung«
In Ländern der sogenannten Vierten Welt, Somalia, Äthiopien u. a., findet das internationale Profitinteresse fast gar nichts Ausnutzbares. In diesen Ländern läuft deshalb so gut wie gar kein Wirtschaftsleben, keine Produktion des Notwendigen und kaum ein Überleben. Aus der Welt des Eigentums, in der alles käuflich ist, aber auch gekauft werden muß, werden selbstverständlich auch diese Weltregionen nicht entlassen. Ein paar Dollar kommen dort immer noch zustande, auch dorthin kann man noch verkaufen; und als Bedingung der Möglichkeit zukünftiger Geschäfte müssen Grund und Boden und, was es sonst noch gibt, natürlich Privateigentum sein und bleiben.
In Ländern, die zu unrecht »Entwicklungsländer« heißen, macht sich das Geschäftsinteresse zumeist an speziellen Naturbedingungen fest: Kapital wird investiert in die Produktion von Südfrüchten für den Weltmarkt, sogenannten Cash Crops, d. h. Geldpflanzen, in die Ausbeutung von Bodenschätzen oder in die Verwertung landschaftlicher Reize durch die Tourismusindustrie. In diesen Fällen weckt nicht die nationale Arbeitskraft das Interesse der internationalen Kapitalisten, sondern eine besondere Naturbedingung. Abgesehen von den wenigen, die für Bergbau, Plantagenwirtschaft und die Bedienung der Touristen gebraucht werden, hat das Weltgeschäft für die lokale Bevölkerung keine Verwendung: Zusammen mit den Ländern der »Vierten Welt« bildet sie die absolute Überbevölkerung des Weltkapitalismus.
In den sogenannten Schwellenländern entdecken die internationalen Konzerne durchaus Teile des Volkes als billige Arbeitskraft, die sie zusätzlich zu der in den Metropolen oder auch statt ihrer ausbeuten. Sie lagern Teile ihrer Produktion in Billiglohnländer aus, exportieren Arbeitstempo und Produktivität, die sie im Stammland aus ihren Leuten herausholen, zahlen dafür aber nur die ortsüblichen Hungerlöhne. Die lokalen Regierungen bekämpfen ihre staatliche Armut, indem sie ihre Menschen zum konkurrenzlosen Billigangebot ans internationale Kapital herrichten: Sie schlagen jeden Widerstand gegen die elenden Arbeitsbedingungen nieder und werben mit dieser Dienstleistung um die Anlage auswärtigen Kapitals auf ihrem Territorium. Wenn in solchen Ländern tatsächlich einmal alternative Regierungen an die Macht kommen, die nationalen Fortschritt anders verstehen und eine Minimalversorgung für ihre Bevölkerung anstreben, läßt die Koalition der freiheitlichen Weltmächte nichts unversucht, um derartige soziale »Experimente« zum Scheitern zu bringen - notfalls per Militärintervention. Trotz aller mit äußerer und innerer Gewalt niedrig gehaltenen Löhne findet auch in den Schwellenländern nur eine Minderheit regelmäßige und geregelt entlohnte Arbeit. Die Mehrheit bildet die kapitalistische Reservearmee, die nur in ganz besonderen Wachstumsphasen das Glück hat, einmal eine Weile beschäftigt zu werden. Oder sie ist einfach nur völlig überflüssige Überbevölkerung.
Alles das ist in den gerühmten Industrieländern nicht grundsätzlich anders: Auch dort ist ständig ein Teil der Arbeiterschaft unbeschäftigt und vom Abstieg ins Elend nicht nur bedroht, sondern betroffen. Auch in den Hochlohnländern ist die Armut Grundlage und Produktivkraft der Wirtschaft. Dazu bekennt sich diese Gesellschaft unverhohlen, wenn Politiker, Wirtschaftsführer und Meinungsmacher über viel zu hohe Löhne klagen. Von der Wirtschaftskrise, über die Defizite im Staatshaushalt bis zur Pleite der Sozialkassen und der Arbeitslosigkeit werden alle Übel auf den hohen Lohn zurückgeführt und sollen durch seine Senkung überwunden werden. So bestätigen die Fachleute, daß der Reichtum dieser Gesellschaft auf der Armut der Arbeitenden beruht und fordern mehr davon.
Weltweit hat die Mehrheit der Menschen das Pech, daß sie durch die Gewalt der Verhältnisse auf eine proletarische Existenz angewiesen ist, ihre Arbeitskraft aber nicht nachgefragt wird. Denn über Leben-Können und Nicht-Leben-Können der eigentumslosen Milliarden entscheidet das Kapital mit seiner Nachfrage nach Arbeit. Es definiert, welche Menschen ein Lebensrecht haben, weil sie für seinen Profit gebraucht werden, und welche Menschen nach allen gültigen Maßstäben unnütz und überflüssig sind. Sie sind daher eine bloße Last - und werden entsprechend behandelt.
Ein Nord-Süd-Konflikt?
Diese Antwort wird dem nicht genügen, der die Frage nach dem Grund für die Armut in der »Dritten Welt« anders meint: Es ist nämlich ein Unterschied, ob nach dem Grund der Armut oder nach dem Grund der besonders großen Armut gefragt wird, im zweiten Fall gilt das Übermaß der Armut als kritikwürdiger Skandal und der Grund, der gesucht wird, ist einer für eine Abweichung von einem Normalmaß. Diese Fassung der Frage ist beliebt bei der Solidaritätsbewegung, bei Antiglobalisierungsgruppen sowie bei den christlichen Kirchen mit ihren Kollekten: »Brot für die Welt«.
Tatsächlich ist der Unterschied in Gesundheit, Lebenserwartung und Lebensstandard ja riesig: Die in der »Dritten Welt« verhungern, die in der »Ersten« sehen ihnen dabei am Farbfernseher zu - und freuen sich, daß es ihnen gut geht, vergleichsweise wenigstens. Dennoch ändert das nichts an ihrer ökonomischen Stellung - und die teilen sie mit den Paupers in der »Dritten Welt«. Ihr Unterschied entsteht auf Basis ihrer Gleichheit: Beide können nur leben, wenn sie fürs Kapital leben. Deshalb verdienen die einen Lohn, mit dem sie recht und schlecht auskommen, und die anderen verhungern.
Wer allerdings das Übermaß der Armut in der »Dritten Welt« für den eigentlichen Skandal hält, kommt in ein ganz anderes Fahrwasser. Er mißt die Lage der Opfer des Kapitals aneinander und findet die Abweichung zwischen Nord und Süd ungerecht: Da erscheint der Lohnarbeiter der »Ersten Welt« als reich, weil er mit dem Hungerleider der »Dritten Welt« verglichen wird, umgekehrt erscheint dieser als arm nur durch den Vergleich. Der Protest, der vom Vergleich lebt und Ausgleich fordert, gerät sehr bescheiden:
Er versteht den Lebensstandard kostengünstiger Lohnarbeiter als einen echten und eigentlich unnötigen Luxus. Da gilt es eher, vom unverdienten Reichtum etwas abzugeben, und als ungehörig, mehr Teilhabe am existierenden Reichtum zu fordern. Den Armen im Süden, denen die Solidarität der Protestierenden gilt, wünscht man ein bescheidenes Auskommen. Freiheit von Hunger und sauberes Trinkwasser, das reicht schon.
Die trostlose »Subsistenz«, die durch den Einzug der Weltwirtschaft in ihre Länder zerstört worden ist, wird als »Leben im Einklang mit der Natur« verklärt; eine proletarische Existenz oberhalb der offiziell definierten Armutsgrenze gilt als »Mittelstand«. Der Vergleich der Armut hier und dort legt, ob ausdrücklich oder nicht, den Maßstab des Leben- und Überleben-Könnens an - und das in dieser Welt des Reichtums, in des es von allem und für alle genug und mehr als genug geben könnte.
Wer also nicht die erpreßte Lebenslage von Lohnarbeitern überall, sondern die Abweichung ihrer Lebenslagen zum Skandal erklärt, den Grad des Elends in der »Dritten Welt« für das Erklärungsbedürftige hält, der unterscheidet einen normalen, funktionierenden Kapitalismus von einem defizitären, nicht funktionierenden, abnormen im Süden und fragt, warum den Entwicklungsländern fehlt, was der Norden hat. Dabei ist da nichts abnorm. Nirgendwo steht geschrieben, daß das Kapital die Menschen, die es seiner Ordnung unterwirft auch - wenigstens mehrheitlich - für seine Geldvermehrung benutzen muß.
Global gesehen ist das ohnehin die Ausnahme. Dem Süden fehlt nichts für die weltwirtschaftliche Rolle, die er im Weltkapitalismus spielt. Denn mehr war nicht versprochen, als daß das Privateigentum alle Produktions- und Lebensbedingungen erst einmal monopolisiert und hinterher zusieht, was sich für seine Vermehrung aus diesen Bedingungen machen läßt.
Das Lebensmittel der Menschheit
Wenn in den Entwicklungsländern ein mangelhafter Kapitalismus der Grund des besonders großen Elends sein soll, dann wird dem Kapitalismus ein Zweck unterschoben, den er nicht hat: Er soll die Weltbevölkerung ernähren und täte das auch, wenn er richtig funktionieren würde. Damit steht alles auf dem Kopf: Nicht, daß die Welt dem Geschäftsinteresse untergeordnet ist, ist das Problem, sondern daß sie es noch nicht genug ist. Wer meint, dem Süden fehle etwas dazu, daß es bei ihm so auskömmlich zugeht wie im Norden, der weiß auch schon, was: Kapital, dieses unverzichtbare Lebensmittel der Menschen. Das Elend kommt dann nicht von der Herrschaft des Kapitals, sondern von einem Mangel an Kapital. Und wer sich auch noch der verkehrten Frage widmet, warum sich das Kapital nicht gleichmäßig über die Erde verteilt, warum es nicht auch den Süden beglückt, der es so dringend benötigt, dem fallen statt der einen Ursache des Elends tausend Sonderbedingungen ein, die eine »gesunde Entwicklung« des an sich segensreichen Kapitalismus im Süden behindern: Schlechte Regierung, Korruption der Mächtigen sowie die Trägheit der Massen, fehlende Demokratie, koloniale Benachteiligung, Protektionismus des Nordens, Überschuldung der Staaten usw.
Übrigens wird der Vergleich zwischen einer gesunden kapitalistischen Normalität und der unnormalen Fehlentwicklung heute eher in umgekehrter Richtung durchgeführt. Die deutschen Lohnarbeiter bekommen von ihren Chefs gesagt, daß sie zu teuer sind für deren Gewinn, und daß ihre Arbeit in Tschechien, Portugal und erst recht in Südostasien viel billiger erledigt wird. Andere Völker arbeiten länger und machen es für weniger Lohn - und das geht auch! Dort wandert das Kapital hin, Arbeitslosigkeit haben sich die Arbeiter selbst zuzuschreiben, wenn sie so unflexibel sind, ihren Lebensstandard nicht in Richtung »Dritte Welt« zu reformieren.
35-Stunden-Woche, Tariflohn, Krankenversicherung und Altersversorgung, alles wird als Luxus betrachtet und behandelt, der dem Geschäftserfolg abträglich ist. Inzwischen ist das Lohnniveau im Norden eine Fehlentwicklung, die korrigiert gehört, und die Armut in der »Dritten Welt« ein Vorbild. Die Experten in Sachen Marktwirtschaft haben kein Problem damit zuzugeben, daß der Reichtum dieser Gesellschaft auf der Armut der Arbeitenden beruht. Im Gegenteil, sie klagen, daß es hierzulande zu wenig davon gibt.
Tatsächlich ist es immer dasselbe: Die Eigentumsordnung des Kapitalismus macht die Menschen unfähig, für ihr Leben selbst zu sorgen; sie zwingt alle, ihre Chance darin zu suchen, daß sie sich dem Kapital dienstbar machen. Während die Freunde der sozialen Gerechtigkeit die Lebensverhältnisse unter dem Kapital hier und dort vergleichen, vergleicht das Kapital die Leistung und Billigkeit der Völker praktisch - das heißt, es spielt sie gegeneinander aus. Wenn dann die Menschen endgültig von dieser Ordnung umfassend erpreßt sind und niemand mehr leben kann, wenn er nicht fürs Kapital lebt, dann finden sich welche, die die Sache umdrehen: Sie erklären mit dem Verweis auf diese Alternativlosigkeit das Kapital zum Lebensmittel der Menschheit.
* Peter Decker gehört zur Redaktion der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt

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