- Auch nach Jahren der Haft: NULL Beweise der Siegerjustizler gegen Milosevic - RK, 21.02.2004, 02:15
Auch nach Jahren der Haft: NULL Beweise der Siegerjustizler gegen Milosevic
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21.02.2004
Wochenendbeilage
jW-Dokumentation
Schauspiel in Den Haag
Schreiben von Ramsey Clark an die Vereinten Nationen zum Verfahren gegen Slobodan Milosevic in Den Haag
* Mit Datum vom 12. Februar 2004 hat sich der ehemalige Justizminister und internationale Menschenrechtsanwalt Ramsey Clark an UN-Generalsekretär Kofi Annan gewandt. Clark fordert in seinem Schreiben die Abschaffung aller Ad-hoc-Tribunale, eine unabhängige Überprüfung des Verfahrens gegen den ehemaligen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien und die Bereitstellung von Mitteln für eine angemessene Entgegnung auf die Anklage vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY).
Gleichlautende Briefe wurden gesandt an die Mitglieder des Sicherheitsrates, den Präsidenten der UN-Generalversammlung, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien.
junge Welt dokumentiert das Schreiben leicht gekürzt, die vollständige Fassung findet sich im Internet: www.freeslobo.de. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Klaus von Raussendorff.
Die Anklagevertretung im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien wird nach dem vorgesehenen Terminplan ihre Beweiserhebung vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien am 19. Februar 2004 beenden, mehr als zwei Jahre, nachdem der erste Zeuge aussagte.
Über 500 000 Seiten Dokumente und 5 000 Videokassetten wurden als Beweismittel vorgelegt. Es gab etwa 300 Verhandlungstage. Über 200 Zeugen haben ausgesagt. Das Verfahrensprotokoll umfaßt annähernd 33 000 Seiten.
Es ist der Anklagevertretung nicht gelungen, erhebliche oder zwingende Beweise für irgendeine strafbare Handlung oder Absicht von Präsident Milosevic vorzulegen. Mangels belastender Beweise hoffte die Anklagevertretung offenbar, einen so massiven Rekord aufzustellen, daß es Jahre dauern würde, falls überhaupt jemand sich die Mühe macht, bis Wissenschaftler das Beweismaterial geprüft und analysiert haben, um festzustellen, ob es eine Verurteilung trägt.
Das Schauspiel dieses Generalangriffs eines gewaltigen Teams mit umfangreichen Mitteln zur Unterstützung der Anklage gegen einen einzelnen Mann, der sich selbst verteidigt, abgeschnitten von aller effektiven Hilfe, dessen Unterstützer überall angegriffen werden und dessen Gesundheit wegen der dauernden Anstrengung im Schwinden ist, vermittelt ein den Kern der Sache treffendes Bild der Unfairness und der Verfolgung.
Dazu im Kontrast begann beim »ersten Prozeß der Geschichte wegen Verbrechen gegen den Frieden der Welt« in Nürnberg die Anklage gegen 19 Angeklagte am 20. November 1945 und endete etwas über drei Monate später am 4. März 1946, nachdem vier Staaten Beweismaterial beigebracht hatten. In seiner Eröffnung sagte der Chefankläger Robert H. Jackson: »Es gibt hier ein dramatisches Mißverhältnis zwischen den Bedingungen für die Ankläger und die Angeklagten. Das könnte unsere Arbeit in Verruf bringen, wenn wir schwanken sollten in dem Bemühen, selbst bei untergeordneten Sachverhalten, fair und maßvoll zu sein... Wir dürfen nie vergessen, daß das Beweisaufnahmeprotokoll, auf dessen Grundlage wir über diese Angeklagten richten, das Beweisaufnahmeprotokoll ist, auf dessen Grundlage die Geschichte morgen über uns richten wird. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher zu reichen, bedeutet, ihn auch an unsere Lippen zu setzen.«
Die Anklage begann ihre Ermittlungen gegen Präsident Milosevic unter Richard Goldstone aus Südafrika im Oktober 1994. Als der 1996 aus dem Amt schied, hatte er keine Beweise für eine Anklage gefunden. Seine Nachfolgerin, Louise Arbour aus Kanada, setzte die Ermittlungen ohne förmliche Verfahrensmaßnahme bis Ende Mai 1999 fort, als Präsident Milosevic erstmals für angeblich Anfang 1999 begangene Taten angeklagt wurde.
Die Anklage erfolgte während der schweren Bombardierungen ganz Serbiens, einschließlich des Kosovo, durch die USA und die NATO, d.h. während eines Angriffskrieges. Dieser hatte Zivilisten in ganz Serbien getötet und Vermögen zerstört, deren Ersatz Milliarden Dollar kosten würde. Er hatte am 22. April 1999 bei einem Mordversuch die Wohnung von Präsident Milosevic in Belgrad zerstört. Die chinesische Botschaft wurde am 7. Mai 1999 bombardiert. Mit Uranmunition, Streubomben und Superbomben wurden Zivilisten und zivile Infrastruktur gezielt angegriffen. Hunderte von zivilen Einrichtungen waren zerstört und Zivilisten von Novi Sad bis Nic und Pristina getötet worden.
Die ursprüngliche Anklage behauptete keine Verbrechen in Kroatien oder Bosnien. Sie behandelte ausschließlich Handlungen von serbischen Kräften im Kosovo im Jahre 1999. Ganz Serbien, einschließlich Kosovo, befand sich zur Zeit der Anklageerhebung unter schwerem Bombenhagel der USA und der NATO. Im Kosovo gab es keine US- oder NATO-Truppen und keine ICTY-Ermittler. Ermittlungen waren unmöglich. Die Anklage war ein rein politischer Akt, um Präsident Milosevic und Serbien zu dämonisieren und die Bombardierungen Serbiens durch die USA und die NATO zu rechtfertigen, die selbst verbrecherisch waren und gegen die Charta der UN und der NATO verstießen.
Als US-Botschafterin bei den UN leitete Madeleine Albright die Bemühungen der USA, den Sicherheitsrat dazu zu bringen, das ICTY zu schaffen. Später schrieb sie in ihren Memoiren, daß sie als US-Außenministerin mehrere Jahre die Vertreibung von Präsident Milosevic aus dem Amt angestrebt hatte: »Mit Kollegen, Joschka Fischer und anderen, drängte ich die serbischen Oppositionsführer, eine wirkliche politische Organisation aufzubauen und sich darauf zu konzentrieren, Milosevic rauszuschmeißen... Ã-ffentlich sagte ich wiederholt, die Vereinten Nationen wünschten Milosevic ›von der Macht weg, aus Serbien raus und im Gewahrsam des Kriegsverbrechertribunals‹.«
Präsident Milosevic wurde angeklagt und steht vor Gericht, weil er bestrebt war und entsprechend handelte, Jugoslawien zu schützen und zu erhalten, einen Bundesstaat, der für den Frieden auf dem Balkan von entscheidender Bedeutung war. Mächtige fremde Interessen, die nationalistische und ethnische Gruppen und Geschäftsinteressen innerhalb der einzelnen Republiken Jugoslawiens unterstützten, waren aus den verschiedensten Gründen entschlossen, Jugoslawien zu zerschlagen. Darunter an erster Stelle die USA. Deutschland spielte eine Hauptrolle. Später gab die NATO dem Unterfangen ihren Namen, unter Verstoß gegen die eigene Charta. Die daraus folgende Gewalt war vorhersehbar und tragisch.
Während des ganzen Krieges gab es keinen politischen Führer, der mehr zum Kompromiß bereit war, als Präsident Milosevic, der die volle Entfesselung des Krieges verhinderte, als Slowenien, Kroatien, Bosnien und Mazedonien sich von der Bundesrepublik loslösten. Hinsichtlich seiner späteren Verteidigung des auf Serbien und Montenegro reduzierten Jugoslawiens wird er in Erinnerung bleiben wegen der Kompromisse, die er in Dayton, Ohio, einging und später, um die US-Bombardements von März bis Juni 1999 zu beenden. Sein Verhalten zielte auf Frieden und das Überleben einer Kernföderation von Südslawen, die eines besseren Tages den Samen für eine größere Föderation von Balkan-Staaten legen würde, die für den Frieden, die politische Unabhängigkeit und die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Region von entscheidender Bedeutung ist. Die USA und andere beabsichtigten etwas anderes.
Die Folgen waren für jeden der ehemaligen Staaten der Bundesrepublik katastrophal. Heute gibt es im ehemaligen Jugoslawien wirtschaftliche Einmischung von außen und Stagnation, politische Unruhe, öffentliche Unzufriedenheit und zunehmende Bedrohung durch Gewalt. (…)
Die Vereinigten Staaten können nicht hoffen, die Geisel des Krieges abzuschaffen, solange sie nicht willens sind, der Macht zu trotzen und vereint für das Prinzip des Friedens einzutreten. Bedarf es noch eines schlagenderen Beweises für die Absicht der USA, über dem Recht zu stehen und mit Gewalt zu herrschen, als der umfassende Versuch der USA, den Internationalen Strafgerichtshof zu zerstören und bilaterale Verträge durchzusetzen, in denen Staaten zustimmen, US-Staatsbürger nicht an den ISGH auszuliefern. Man betrachte diese Verhinderung von Recht im Zusammenhang mit der Erklärung des Ständigen Vertreters der USA bei den UN, Botschafter John Negroponte, vom 30. Juni 2002, worin er Immunität der USA vor ausländischer Strafverfolgung verlangte, ein Verlangen, dem sich der Sicherheitsrat unterwarf. Negroponte drohte mit einem Veto der USA gegen eine anhängige Resolution des Sicherheitsrates zur Verlängerung der friedenserhaltenden Mission der UN in Bosnien-Herzegowina, wenn der Sicherheitsrat für Personal, das für von ihm angeordnete friedenserhaltende Missionen bereitgestellt wird, nicht Immunität, das heißt Straflosigkeit, gewährleisten würde. Der Zweck bestand darin, US-Personal und US-Hilfswillige über das Recht zu stellen, während die Feinde der USA Opfer diskriminierender Verfolgung vor völkerrechtswidrigen Gerichten sind.
Das ICTY und andereAd-hoc-Straftribunale, die vom Sicherheitsrat geschaffen wurden, sind illegal, weil die Charta der Vereinten Nationen den Sicherheitsrat nicht ermächtigt, irgendein Strafgericht zu schaffen. Der Wortlaut der Charta ist eindeutig. (…)
Die Strafverfolgung des ICTY richtet sich in der großen Mehrzahl gegen Serben, und ausschließlich serbische Führer sind vor ihm angeklagt worden, darunter nicht nur Präsident Milosevic und die serbische Führung, sondern serbische Führer der Republika Srpska, des abgesonderten serbischen Teils von Bosnien.
Da nun die Anklageerhebung gegen den ehemaligen Präsidenten von Jugoslawien ihrem Ende zugeht, ist sein Gesundheitszustand schwer beeinträchtigt und lebensbedrohlich geworden. Die Verhandlungen wurden letzte Woche unterbrochen, weil er zu krank war, um teilzunehmen. Aber das Tribunal verfügte zusätzlich weitere beschwerliche Verhandlungsstunden für die beiden letzten Wochen der Beweiserhebung der Anklage. Gestern erst war das Tribunal gezwungen, die Verhandlungen auf halbe Tage zu reduzieren, und zwar aufgrund eines medizinischen Berichts, den Ärzte, die vom Tribunal bestellten worden waren, über Präsident Milosevic erstattet hatten. Präsident Milosevic ist Monate lang, während er die Kandidatenliste der Sozialistischen Partei Serbiens bei den Parlamentswahlen anführte, und als seine Partei sich der neuen Koalition anschloß, die vergangene Woche den neuen Parlamentspräsidenten wählte, in totaler Isolierung gehalten worden. Anfang der Woche verlängerte das Tribunal seine Isolation um einen weiteren Monat wegen politischer Ereignisse in Serbien.
Präsident Milosevic, der sich, aus der Haft heraus und bei bedrohlichem Gesundheitszustand, selbst vor Gericht verteidigt, wurden weniger als drei Monate Zeit gegeben, um nach mehr als zwei Jahren Beweiserhebung seine Verteidigung vorzubereiten, bis im Mai der Vortrag der Verteidigung beginnen soll. Diese jüngste Handlungsweise des Tribunals ist bezeichnend für die konsequent grobe Unfairneß bei den Verhandlungen während der Jahre der Inhaftierung von Präsident Milosevic und der Beweiserhebung der Anklage.
Um die Verteidigung angemessen vorzubereiten, ist es erforderlich die Zehntausende von Dokumenten zu erfassen und durchzusehen, Hunderte von potentiellen Zeugen zu finden und zu befragen und das Beweismaterial in einer zusammenhängenden und wirkungsvollen Darstellung zusammen zu fassen.
Die Vereinten Nationen müssen im Interesse der Gerechtigkeit, und um frühere Ungerechtigkeiten zu korrigieren, um die Legalität und Fairneß eines von ihnen geschaffenen Gerichts nachzuweisen und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen in den Augen der Völker zu erhalten folgendes veranlassen: Verkündigung eines Moratoriums für alle Verfahren vor allen UN-Ad hoc-Tribunalen für eine Frist von mindestens sechs Monaten und für weitere Fristen, sofern diese sich für die Vereinten Nationen als notwendig erweisen, um
A. eine Kommission von wissenschaftlichen Experten für internationales öffentliches Recht und Historikern einzuberufen, um die Entstehungsgeschichte, die Erarbeitung, Sprache und Absichten der Charta der Vereinten Nationen zu prüfen und festzustellen, ob die Charta den Sicherheitsrat ermächtigt, irgendein Straftribunal zu schaffen und, gegebenenfalls, die Grundlage, die Rechtsverbindlichkeit und den Umfang einer solchen Befugnis festzustellen, oder die Angelegenheit dem Internationalen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen;
B. eine Kommission von wissenschaftlichen Experten für internationales Strafrecht einzuberufen, um den Gang des Verfahrens im Fall von Präsident Slobodan Milosevic zu überprüfen, um festzustellen, ob Rechtsirrtümer, Verstöße gegen die Grundsätze eines ordentlichen Verfahrens und Unfairneß in der Verhandlungsführung eine Verfahrenseinstellung dringend erforderlich machen, und, bevor irgendeine Stellungnahme der Verteidigung erfolgt, ob das Beweismaterial, das von der Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten Milosevic vorgelegt wurde, nach internationalem Recht hinreichend ist, um die Fortsetzung des Verfahrens zu stützen und zu rechtfertigen;
C. Präsident Milosevic Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, um anwaltliche Beratung, Ermittler, Researcher, Dokumentenanalysten und andere Experten zu finanzieren, um wirksam auf das gegen ihn vorgebrachte Beweismaterial zu antworten, und die für die Bewältigung der Aufgabe erforderliche Zeit einzuräumen, bevor irgendwelche Prozeßverhandlungen wieder aufgenommen werden, wobei diese Anstrengen selbst dann unverzichtbar sind, wenn das Gericht abgeschafft oder die Anklage eingestellt wird, um zur Feststellung der historischen Fakten um des künftigen Friedens willen beizutragen;
D. Haushaltsmittel für unabhängige medizinische Untersuchung, Behandlung und Pflege des ehemaligen Präsidenten Milosevic in Einrichtungen in Serbien zur Verfügung zu stellen.
Hochachtungsvoll
Ramsey Clark

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