- Italien: ital. Mittelstand fürchtet sich vor der Zukunft - zani, 28.02.2004, 11:31
Italien: ital. Mittelstand fürchtet sich vor der Zukunft
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Italiens Mittelstand fürchtet sich vor der Zukunft
Die Italiener kommen mit ihren Einkommen nicht mehr über die Runden - Unter Freunden wird nicht mehr über Fußball diskutiert, sondern über Artischockenpreise
Auf dem Markt wird auf den Cent genau gerechnet: Die Italiener kommen mit ihrem Einkommen nicht mehr übers Monat. 4,1 Millionen leben gar an der Armutsgrenze.
[AD]"Wir kaufen keine Bücher mehr und verzichten auf Kino und Pizzeria", klagt die römische Angestellte Elisa Bianchi."Der traditionelle Samstag des Italieners existiert nicht mehr", meint der 28-jährige Marco Nebiolo aus Turin. Für zwei Kinokarten, zwei Pizze und zwei Getränke hat er 45 Euro ausgegeben."Das kann ich mir nicht leisten", resigniert er. Doch Marco ist nicht allein. Im Internetforum der Repubblica breiten Tausende Italiener ihre Sorgen aus. Sie vergleichen die Preise von Zucchini und Cappuccino, legen ihre Haushaltsbilanz vor und kommen zum selben Schluss:"Unser Geld reicht nicht mehr.""Ich bin mit dem zweiten Kind schwanger und habe Angst vor der Zukunft", gesteht die Hausfrau Lucia Innacolo aus Maranello.
Während Regierungschef und Milliardär Silvio Berlusconi unentwegt Optimismus verbreitet, grassiert in Italiens Mittelstand eine Psychose der Verarmung. Seit Wochen porträtieren die Medien Familien, die mit ihrem Geld nicht übers Monat kommen."Ich verdiene 856 € im Monat und habe eine 19-jährige Tochter", versichert die Buchhalterin Marina Bandinelli."Wie soll ich damit zurechtkommen?"
Offizielle Inflationsrate
Die offizielle Inflationsrate von 2,2 Prozent halten drei von vier Italienern für geschönt. Die Verbraucherverbände rechnen vor, dass sich die Ausgaben der Familien seit Einführung des Euro um über zwölf Prozent erhöht hätten. Der römische Angestellte Alex Vetri führt seit Jahren über alle Ausgaben akribisch Buch:"Meine Haushaltskosten sind von 517 € im Jahre 2001 auf 598 € im letzten Jahr gestiegen. Das entspricht einer Teuerung von 15,7 Prozent."
Das Thema ist allgegenwärtig. Beim Abendessen mit Freunden wird nicht mehr über Parmalat oder Romas Stürmerstar Francesco Totti gesprochen, sondern über die Preise der Artischocken. Wissenschafter diskutieren über"reale" und"wahrgenommene" Teuerung.
"Der Mittelstand ist kein wissenschaftlicher Begriff, sondern ein politischer", erläutert der Soziologe Ermanno Gorrieri."Ein kinderloses Lehrerehepaar mit Eigenheim lebt gut, ein Lehrerehepaar mit Kindern und Mietwohnung schlecht." Drei Millionen Italiener verdienen weniger als 800 € im Monat, drei weitere Mio. beziehen Einkommen unter 1000 €. 4,1 Mio. leben laut Statistik-Instituten an der Armutsgrenze. Nach Berechnungen des Sozialforschungszentrums Eurispes befinden sich 14 Millionen im"sozialen Ausnahmezustand". Dazu gehört auch Claudia, Ingenieurin mit Anfangsjob zu 760 € im Monat:"Als Kind bekam ich zwei neue Kleidchen pro Jahr. Jetzt fühle ich mich arm." (Gerhard Mumelter aus Rom, Der Standard, Printausgabe, 28.02.2004)
<ul> ~ ital. Mittelstand</ul>

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