- EU/US: Demographie und Wirtschaft - zani, 07.03.2004, 06:37
- Re: Bevölkerungswachstum und Arbeit - zani, 07.03.2004, 09:02
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EU/US: Demographie und Wirtschaft
-->Guten Morgen
7. März 2004, 02:28, NZZ am Sonntag
Wer gewinnt, wer verliert?
Die demographische Entwicklung begĂĽnstigt die Volkswirtschaft der USA. Das ĂĽberalterte Europa muss die Chancen der Globalisierung nutzen
Beat Kappeler
Die amerikanische Wirtschaft wächst schneller als die europäische. Im letzten Quartal wuchs sie um 4,1%. Die Vereinigten Staaten haben auch mehr Kinder als Europa. Beide Trends sind bekannt. Aber zusammen multiplizieren sie das künftige Gewicht der Supermacht. Dies haben die wenigsten Strategen wohl schon erwogen - in einer Studie der Europäischen Union wird nun aber der Versuch einer Hochrechnung unternommen. Das Resultat ist spektakulär.
Im Jahre 2050 werden die Vereinigten Staaten ihren Anteil am Weltsozialprodukt von heute 23% noch steigern - nämlich auf stolze 26%. Der Anteil der Europäischen Union hingegen wird sich auf klägliche 10% praktisch halbieren. Heute beträgt er noch 18%. Die Europäer können sich dabei nur noch mit Japan trösten, dessen Anteil am Weltreichtum von heute 8% sich ebenfalls halbieren wird und noch auf 4% zu stehen kommen soll. Bei ungefähr gleicher Einwohnerzahl wie die Europäische Union verfügen die Amerikaner dannzumal über zweieinhalb mal mehr Einkommen pro Kopf. Spitzenforschung oder Militäraktionen können in Amerika sozusagen aus der Portokasse beglichen werden.
In die Lücke Europas springen die Länder Südasiens und Lateinamerikas mit einer als Gesamtes nur langsam alternden Bevölkerung - Indien, Brasilien, Mexiko zählen dazu, Indonesien und Vietnam könnten sich anschliessen. Allein das Bevölkerungsgewicht einiger dieser Länder wird gemäss der Uno-Bevölkerungsprognose des letzten Jahres gewaltig sein: Vietnam wird grösser sein als Russland oder Japan. Pakistan allein wird dereinst so gross sein wie die Länder der heutigen EU zusammen.
Multipliziert man diese Bevölkerungen mit den kräftigen Wachstumsraten ihrer Volkswirtschaften von 5% und mehr, dann erstaunt es nicht, dass die EU-Experten ein Gewicht dieser Länder mit junger Bevölkerung von 39% am Weltprodukt für 2050 annehmen - gegenüber 25% heute.
Diese Ergebnisse kommen allerdings aufgrund einiger Annahmen zustande, die nicht in Stein gehauen sind. Sind Länder mit einer als Gesamtes rasch alternden Bevölkerung allein deshalb schon weniger produktiv? Die Experten nehmen grosszügig eine gleiche Produktivitätsentwicklung der Arbeitenden wie des Kapitals in allen Ländern an. In den Ländern mit wachsender Überalterung schrumpft indes die Zahl der Arbeitenden - nämlich in der EU und in Japan um jährlich ein halbes Prozent. In den Vereinigten Staaten aber steigt die arbeitende Bevölkerung jährlich um 0,3%. Der Kapitalstock der Wirtschaft wird in den USA ebenfalls mit einem Prozent jährlich zunehmen, in der EU und in Japan nur mit einem halben Prozent. Offen bleibt, ob die wegen des Alterns rasch zunehmenden Steuer- und Rentenlasten nicht sogar Kapital aufzehren werden.
Als Ergebnis aller Annahmen wächst dann eben Amerikas Wirtschaft mit 2,5% jährlich und pro Kopf doppelt so schnell wie jene Europas und fast dreimal schneller als jene Japans. Und Köpfe haben die Vereinigten Staaten dann eben auch viel mehr als heute. Dies zusammen zementiert ihren Vorrang - falls die Annahmen halten.
Für die nächsten Jahre jedenfalls stützt auch die OECD in ihrem neuesten Ausblick die stark unterschiedlichen Wachstumsaussichten Amerikas und Europas. Von 2001 bis und mit 2005 schätzen die OECD-Experten das kumulierte Wachstum der USA um 6,2 Prozentpunkte höher ein. Weil sich die Verdiener pro US-Haushalt vermehren und die Steuer-Schere weniger abschneidet, hat nach dieser kurzen Zeit jeder amerikanische Haushalt ein weiteres Zehntel mehr verfügbares Einkommen als der europäische.
Auf mittlere und längere Frist zeigen die Autoren der EU-Studie für Europa zwei Auswege auf. Zum einen könnten eine drastische Sanierung der überforderten Renten-Umlagesysteme und energische Arbeitsmarktreformen helfen, wenn dadurch mehr Menschen wieder arbeiteten. Zum anderen hätte Europa noch ein viel stärkeres Interesse als die «imperialistischen» USA daran, dass die jungen, schnell reich werdenden Länder sich für sein Anlagekapital völlig öffnen und es mit Zinsen, Kursgewinnen und Dividenden bedienen. Dann könnte das mit der gegenwärtig alternden Babyboom- Generation vorderhand noch zunehmende Sparkapital gut angelegt und dessen Ertrag zusätzlich verbraucht werden. «Die Welt braucht mehr, nicht weniger Globalisierung», lautet die Schlussfolgerung.
Die Schweiz war nicht Gegenstand dieser EU-Studie, aber bezüglich der alternden Bevölkerung und des schwachen wirtschaftlichen Wachstums steht sie ähnlich da wie die Europäische Union. Doch der flexible Arbeitsmarkt sichert schon heute eine rekordhohe Erwerbsbeteiligung, es arbeiten mehr Einwohner, und sie arbeiten länger als überall anderswo. Dies allein dürfte die noch volleren Zahltagstaschen erklären - eine höhere Produktivität ist nicht der Grund dafür. Die Altersrenten im Umlageverfahren, also die AHV, wären sanierungsfähiger als jene Kontinentaleuropas, wenn ernsthaft dazu geschritten würde. An Anlagekapital fürs Alter schliesslich hat die Schweiz in der zweiten Säule ein ganzes Sozialprodukt vorausgespart und einiges davon im Ausland angelegt.
Mit der hoch überschüssigen Ertragsbilanz - also mit viel mehr Exporten und Kapitalerträgen als Importen und als Zinszahlungen ans Ausland - baut die Schweiz sich ein weiteres Polster auf. Damit das aber gut geht, müssen auch hier die Balken der Globalisierung halten, müssen Anlagen und Austausch weltweit sicher bleiben. Auch sollten im Lande selbst Mut, Geist und Tatkraft nicht einschlafen, sonst nützen alle Polster nichts.
Kieran McMorrow, Werner RĂĽger: Economic and Financial Market Consequences of Ageing Populations. EU-Kommission, Economic Papers Nr. 182, 2003.
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