- Physik: Neuinterprationen einer paradoxen Theorie - zani, 10.03.2004, 09:00
- Re: Halte ich ebenfalls für Quatsch - Theo Stuss, 10.03.2004, 10:31
- Nur mal langsam, die kochen alle mit Wasser...... - Buche, 10.03.2004, 22:09
- Re: Nur mal langsam, die kochen alle mit Wasser...... - Fremdwort, 11.03.2004, 08:33
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- Re: Physik: Neuinterprationen einer paradoxen Theorie - Fremdwort, 11.03.2004, 08:29
- Re: Halte ich ebenfalls für Quatsch - Theo Stuss, 10.03.2004, 10:31
Physik: Neuinterprationen einer paradoxen Theorie
-->Guten Morgen
10. März 2004, 02:12, Neue Zürcher Zeitung
Quantenphysik durchs Schlüsselloch
Neuinterpretationen einer paradoxen Theorie
Die Quantentheorie ist und bleibt ein Zankapfel. Während der Formalismus unbestritten ist, gehen die Meinungen über die richtige Interpretation dieser Theorie auseinander. Zwei renommierte Forscher haben jüngst Vorschläge unterbreitet, wie man tot- lebendige Katzen und ähnliche Paradoxien vermeiden könnte.
Radsport ist keine Quantenphysik. Das erklärte der Radrennfahrer Jens Voigt in einem Interview zur Tour de France. Physiker würden dem sofort zustimmen. Viel weiter reicht der Konsens unter den Wissenschaftern allerdings nicht. Denn welche Wirklichkeit sich tatsächlich hinter den Formeln der Quantenphysik verbirgt, darüber gehen die Meinungen nach wie vor auseinander. Die meisten Wissenschafter nutzen die Formeln wie Schüler ihren Taschenrechner: nicht lange grübeln, Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Nur eine kleine Gemeinde von Grundlagenforschern streitet unermüdlich für ein besseres Verständnis. Durch zwei kurios anmutende Neuinterpretationen der Theorie haben sie jetzt frischen Diskussionsstoff bekommen.
Schrödingers Katze als Metapher
Am weitesten geht ein Vorschlag des britischen Mathematikers Roger Penrose, der für unkonventionelle Ideen berüchtigt ist. Mit einer erweiterten Quantentheorie will Penrose erklären, warum die kuriosen Phänomene der Quantenwelt eben nicht beim Radfahren oder anderswo im Alltag in Erscheinung treten, sondern nur in der Mikrowelt. Zu diesen Kuriositäten gehört etwa, dass Elektronen und andere quantenmechanische Teilchen gleichzeitig an verschiedenen Orten sein können oder ein radioaktives Atom nach der Halbwertszeit sowohl zerfallen als auch nicht zerfallen sein kann. Im Mikrokosmos gilt nicht Sein oder Nichtsein, sondern Sein und Nichtsein.
Um das Absurde dieser Situation zu veranschaulichen, formulierte der österreichische Physiker Erwin Schrödinger im Jahr 1935 ein Gedankenexperiment, in dem eine Katze mit einem atomaren Killermechanismus gekoppelt («verschränkt») wird. Der Zwitterzustand des Atoms überträgt sich im Verlauf des Experiments auf die Katze, die damit sowohl tot als auch lebendig ist. Schrödingers Katze wurde zur Metapher für die unanschaulichen Konsequenzen der Quantentheorie - und zur Herausforderung für Experimentatoren. Ihnen gelingt es heute, die Gedankenexperimente der Altväter mit immer höherer Genauigkeit nachzustellen. Nicht mit echten Katzen freilich, aber mit Atomen und grösseren Molekülen, die im Vergleich zu Elektronen schon recht komplexe Gebilde sind. Trotzdem verhalten sich die Objekte genauso merkwürdig wie quantenmechanische Teilchen. So werden in den Labors von Anton Zeilinger an der Universität Wien Moleküle aus 70 Atomen in quantenmechanische Zwitterzustände versetzt. Als Nächstes will Zeilinger mit einzelnen Viren experimentieren.
Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man Quantenzwitter im Labor mit blossem Auge sehen kann? Wenn ja, warum beobachtet man nicht schon jetzt tot-lebendige Katzen, Türen, die gleichzeitig offen und geschlossen sind, oder Schlüssel, die gleichzeitig auf dem Schrank und auf dem Tisch liegen? Schliesslich gilt die Quantentheorie im Prinzip auch für grössere Gegenstände. Die Antwort der Pragmatiker lautet: Die Quantenwelt ist viel zu fragil. Kleinste Temperaturschwankungen und Erschütterungen stören die friedliche Koexistenz der sich ausschliessenden Möglichkeiten und lassen so die vertraute Alltagswelt zum Vorschein kommen. Demnach wäre es allerdings nur eine - wenn auch enorme - technische Herausforderung, makroskopische Quantenzustände zu erzeugen. Zeilinger sieht keinen prinzipiellen Grund, der dagegen spricht.
Ganz anders Roger Penrose. Der britische Mathematiker hält es für grundsätzlich ausgeschlossen, dass uns eines Tages tot-lebendige Katzen oder auch nur ähnlich befindliche Bakterien begegnen werden. Je grösser ein Objekt, umso «normaler» ist es, glaubt er. Eine Verknüpfung von Quantenphysik und Relativitätstheorie soll dies gewährleisten. Laut allgemeiner Relativitätstheorie beeinflussen Sterne und Planeten die vierdimensionale Raumzeit in ihrer Umgebung, indem sie den Raum durch ihre Schwerkraft gleichsam verbiegen. Penrose spekuliert, dass dieser Effekt auch im Mikrokosmos eine Rolle spielt. Nicht gerade Atome, doch schon grössere Moleküle könnten durch ihre Masse die Raumzeit so stark verbiegen, dass die quantenmechanische Überlagerung davon gestört wird und nur Bruchteile von Sekunden überdauert.
Bis jetzt fehlt eine mathematische Theorie hinter diesen vagen Ideen, und so bleiben die Kollegen skeptisch. Immerhin hat Penrose unlängst gemeinsam mit Experimentalphysikern vorgeschlagen, wie sich seine Hypothese überprüfen liesse. Die Idee besteht darin, den quantenmechanischen Zwitterzustand, den ein Photon in einem Interferometer annimmt, auf einen winzigen Spiegel zu übertragen. Der Spiegel erfährt einen Rückstoss, wenn sich das Photon im linken Arm des Interferometers befindet. Durchläuft das Photon hingegen den rechten Arm, bleibt der Spiegel in Ruhe. Befindet sich das Photon in beiden Armen zugleich, ist der Spiegel sowohl in Ruhe als auch in Bewegung - entsprechend der tot- lebendigen Katze. Behält Penrose Recht, müsste die quantenmechanische Überlagerung des Spiegels aufgrund seiner grossen Masse in weniger als einer Tausendstelsekunde zerfallen. Hat er Unrecht, bliebe sie länger erhalten. Das Experiment ist anspruchsvoll, sei aber mit heutigen Technologien machbar, behaupten die Autoren.
Messen, ohne zu stören
Als weniger phantastisch, aber nicht minder kurios gilt eine Neuinterpretation der Quantenphysik durch Yakir Aharonov. Der 71-jährige theoretische Physiker von der Universität Tel Aviv ist bekannt dafür, seine Kollegen immer wieder mit neuen Knobeleien herauszufordern. Zuletzt hat er sich einem Thema gewidmet, das Physikern als «Messproblem» geläufig ist: Ein Quantenobjekt zu beobachten, ohne es bei der Messung zu stören, ist kaum möglich. Betrachtet man etwa ein Atom mit einem Mikroskop, versetzen die Lichtstrahlen des Mikroskops dem Atom einen Stoss. Das Quantensystem wird zwangsläufig verändert.
Bisher lernten Physikstudenten, dass ein Quantensystem durch eine Messung in einen klassischen, «normalen» Zustand übergeht. So wird ein Lichtteilchen, das sowohl vertikal als auch horizontal polarisiert ist, durch einen Polarisationsdetektor in einen der beiden Zustände gezwungen. Manche Physiker sprechen vom «Kollaps der Wellenfunktion», weil diese mathematische Funktion unvermittelt ihre Werte ändert. Ob dieser Kollaps ein physikalischer Vorgang oder nur ein mathematisches Hilfsmittel ist, ist umstritten.
Aharonov schlägt vor, die einzelne Messung durch eine Vielzahl wiederholter Messungen zu ersetzen, bei denen das Quantenobjekt jeweils kaum gestört wird. Dabei wird die Quantenwelt gewissermassen durchs Schlüsselloch betrachtet. Dennoch würde nach und nach ein vollständiges Bild davon entstehen, was hinter der Tür vor sich geht - ohne den Kollaps der Wellenfunktion. Der Preis für Aharonovs Messverfahren ist hoch. Der israelische Physiker hat die Quantentheorie so umgedeutet, dass die Zeit in einigen Formeln rückwärts zu fliessen scheint. Auch überlichtschnelle Signale sind für ihn kein Tabu.
Nun könnte man Aharonovs Vorschläge in die Schublade seiner üblichen Provokationen und Gedankenexperimente stecken. Es sei eine neue Sichtweise, sagt etwa Zeilinger, aber sie liefere keine neuen Vorhersagen für Experimente. Nicolas Gisin und seine Mitarbeiter von der Universität Genf konnten vor kurzem allerdings zeigen, dass die Idee durchaus für einige Überraschungen gut ist. So lässt sich die Datenübertragung in optischen Glasfasernetzen mit Hilfe des Konzepts der «schwachen Messung» besser verstehen.
Nachrichtentechniker wundern sich schon länger darüber, dass Lichtpulse in einer Glasfaser anders übertragen werden, wenn am Ende der Faser ein Polarisationsfilter angebracht wird. Ohne Filter passieren die Pulse die Faser relativ gleichmässig. Mit Filter treffen einige Pulse plötzlich schneller, andere langsamer ein als erwartet. Ursache für die unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist die Eigenschaft von Fasern, horizontal und vertikal polarisiertes Licht unterschiedlich schnell zu übertragen. Solche Polarisationseffekte in optischen Netzwerken mathematisch exakt zu beschreiben, ist sehr aufwendig.
Nicolas Brunner, Valerio Scarani und Nicolas Gisin haben nun gezeigt, dass sich die Lichtübertragung viel eleganter beschreiben lässt, wenn man die Glasfaser wie ein Messinstrument behandelt, das die Polarisation des Lichtes minimal beeinflusst. Ein Polarisationsfilter am Anfang der Faser fungiert als eine Art Türsteher, der nur korrekt polarisierte Lichtpulse eintreten lässt, der Polarisationsfilter am Ende der Faser sortiert unerwünschte Pulse am Ausgang heraus. Die Genfer Forscher brauchen nur vier Seiten, um ein optisches Glasfasernetz nach dem Schema der schwachen Messung zu berechnen.
Der Preis von «schwachen Messungen»
Aharonovs Neuinterpretation der Quantentheorie beschreibt die Lichtpulse so, als würden in der Faser zwei Anteile propagieren: der eine vom Ende zum Anfang, also rückwärts in der Zeit, der andere vom Anfang zum Ende. Aharonov vermutet dahinter ein Stück Wirklichkeit, Nicolas Brunner ist skeptisch. Die Vorhersage der überlichtschnellen Pulse hält der Genfer Physiker allerdings für plausibel. Brunner bereitet gerade ein Experiment vor, das diese nachweisen soll. Die Signale eignen sich nicht für die Informationsübertragung und stehen daher im Einklang mit der Relativitätstheorie.
Vielleicht klären sich mit dem neuen Experiment auch einige Streitfälle aus den vergangenen Jahren, in denen leidenschaftlich, aber ohne Ergebnis über Signale mit Überlichtgeschwindigkeit diskutiert wurde. Dafür dürften neue Debatten entstehen: Physiker von der Universität Toronto haben schwache Messungen an Lichtstrahlen durchgeführt und erklären ihre Ergebnisse mit negativen Wahrscheinlichkeitswerten - auch das folgt aus Aharonovs Neuinterpretation.
Max Rauner
<ul> ~ Quantenphysik</ul>

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