- China - mal aus einer anderen Perspektive (National Geographic) - Eric, 10.03.2004, 19:00
China - mal aus einer anderen Perspektive (National Geographic)
-->Von Jasper Becker
Chinas 1000 Sorgen
Sie könnte geradewegs einem traditionellen chinesischen Gemälde entsprungen sein, diese Landschaft um Daqiao, ein entlegenes Dorf in der Provinz Jiangxi. Ärmlich gekleidete Jungen sitzen auf schwarzen Ochsen, die Pflugscharen hinter sich herziehen. An Dorfteichen dösen alte Männer und betrachten versonnen den Rauch, der aus ihren Pfeifen aufsteigt. Nur das Geschnatter der Enten und Gänse stört die Stille. Äußerlich scheint alles zu stimmen. Doch während die Kinder den ersten Ausländer ihres Lebens begucken und bekichern, sitzt Zhu Longshen mit erstarrtem Gesicht im Lichthof seines 200 Jahre alten Steinhauses.
Nachdem wir uns vorgestellt haben, liest er aus einer Petition vor. Sie ist an die Verwaltung in Peking gerichtet."Liebe Genossen Parteiführer, unsere Gier nach Gold hat eine Katastrophe über uns gebracht." Die Worte sind der Auftakt zu einer Bitte um Unterstützung und zugleich ein moralisches Gleichnis für das moderne China. Vor einem Jahrzehnt wurde in der Nähe Gold gefunden. Kurz darauf hat man ein Bergwerk eröffnet und Dorfbewohner als Arbeiter angeheuert. Schon bald erkrankten sie an einem mysteriösen Leiden. Es stellte sich als Silikose heraus. Die Männer hatten Staub eingeatmet, der mit Quarzpartikeln verseucht war.
Bevor das passiert ist, wussten wir nicht einmal, dass es so eine Krankheit überhaupt gibt", sagt Zhu. Der 34-Jährige hat Frau und vier Kinder; er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, doch seine Hände zittern, während er spricht. Seine Lungen sind von Quarz verstopft, das Atmen fällt ihm schwer. Er sagt, die unheilbare Krankheit habe schon mehr als 100 seiner 400 Arbeitskollegen umgebracht und er fürchte, dass sie in ein, zwei Jahren auch ihn und die übrigen dahinraffen wird. Das Beispiel Daqiao zeigt, wie viele Menschenleben Chinas Sprung nach vorn kostet; gleichzeitig verdeutlicht die Wandlung von der Armut zu merklichem Reichtum eine neue und zunehmend dringliche Aufgabe für das ganze Land: Es gilt nun, ein Gleichgewicht zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum, das in den vergangenen zehn Jahren bei durchschnittlich acht Prozent pro Jahr lag, und dem verantwortungsvollen Umgang mit Land, Luft und Wasser zu finden.
Bedenkt man, dass in China 1,3 Milliarden Menschen leben, dann sind die Folgen seiner schnellen Veränderung in eine Konsumgesellschaft nach westlichem Vorbild beängstigend. Das Beispiel Auto: Im Jahr 2003 kauften die Chinesen 1,8 Millionen Stück, die Gesamtzahl im ganzen Land liegt nun bei über zehn Millionen. Die Wachstumsrate der letzten Zeit könnte die Anzahl künftig alle drei bis vier Jahre verdoppeln. Sollte der Autobesitz je amerikanisches Niveau erreichen (135 Millionen im Jahr 2002), müsste es auf Chinas Straßen 600 Millionen Pkw geben - das wären mehr als auf der restlichen Welt.
Als ausländischer Journalist habe ich mehr als zehn Jahre in China gearbeitet, und ich bin vom materiellen Fortschritt beeindruckt. Gleichzeitig aber auch schockiert über die damit verbundenen Umweltprobleme, die man überall sehen und riechen kann. Es gibt unzählige Berichte und Statistiken, doch die Auswirkungen selber zu erleben ist etwas ganz anderes.
Link mit Bildern:
http://www.nationalgeographic.de/php/magazin/topstories/2004/03/topstory3.htm

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