- Die Schweiz und das Steuerfluchtkapital - BRATMAUS, 14.03.2004, 13:12
Die Schweiz und das Steuerfluchtkapital
-->Aus der aktuellen Sonntagszeitung
VON MICHAEL LÜTSCHER
Es war Arroganz, in Form und Inhalt. Fünf Tage lang schon stauten sich die Autos an den schweizerisch-deutschen Grenzen, ohne dass Deutschland die verschärften Zollkontrollen offiziell erklärt hätte. Da wagte letzten Dienstag ein Reporter des Schweizer Fernsehens den deutschen Finanzminister an einer Medienkonferenz zu fragen, wie die Aktion zu bewerten sei.
Über solche Fragen rede er nicht, sagte Hans Eichel, und als der Reporter mit einer interpretierenden Frage nachhakte, beschied ihm der Minister in jenem miss-mutig-oberlehrerhaften Ton, in dem Helmut Kohl Journalisten abzukanzeln pflegte: «Wenn ich nichts sage, können Sie daraus nichts schliessen.»
Als sich der Reporter nicht unterkriegen liess und weiterfragte, rückte Eichel endlich seine Gedanken heraus: «Ich unterstelle», sagte der Finanzminister, «dass kein Land in Europa auch nur teilweise davon leben will, dass es sich zur Fluchtburg von Steuerhinterziehung anderer Länder macht. Das unterstelle ich auch der Schweiz und erwarte deswegen ein entsprechendes Abkommen von der Schweiz, das dies sicherstellt.» Er verzichte, fügte Eichel an, «auf jede Art von Drohungen, aber die Erwartung ist doch eindeutig».
Der Reporter sah sich in seiner Vermutung bestätigt. Und der dickköpfige Eichel hatte das Klischee des herablassenden, hässlichen Deutschen bestätigt. Mehr noch: Sein Auftritt war Ausdruck eines relativ neuen Zustandes in den Nachbarschaftsbeziehungen: Deutschland will der Schweiz ans Eingemachte. Es tobt ein Verteilkampf.
Sei es Ruhe oder Geld: Deutschland fordert von der Schweiz mehr. Das Hin und Her um die Umsetzung der Zinsbesteuerung, der Streit um die Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung, die Schikanen gegen Schweizer Banken in Deutschland, der Konflikt um Landwirtschaftsland entlang der Grenze und der Streit um die Verteilung von Flug- und Bahnlärm prägen das nicht mehr freundliche, aber typisch nachbarschaftliche Verhältnis. Früher waren die Verhältnisse klar, Deutschland war gross und liess die kleine Schweiz grossmütig in Ruhe, denn man trieb regen Handel, und die Volkswirtschaften prosperierten.
Die rot-grüne Regierung erinnerte sich an die Auslandvermögen
Mit dem Boom des Flugverkehrs in den Neunzigerjahren war die Ruhe vorbei: Im Schwarzwald gab es Lärm und Ärger. Und als die Wirtschaft zu dümpeln begann, stürzte der schwer verschuldete deutsche Staat in die Krise.
Die rot-grüne Regierung suchte nach neuen Einkünften. Und erinnerte sich an die Auslandvermögen. Mehr als 200 Milliarden Euro deutsches Fluchtgeld sollen auf Schweizer Bankkonten lagern, geäufnet seit Wirtschaftswundertagen. Zu Jahresbeginn setzte Berlin eine Steueramnestie in Kraft, um einen Teil davon zurückzuholen. Bis jetzt sind rund 50 Millionen Euro zurückgeflossen; mit 100 Milliarden hatte Kanzler Schröder gerechnet.
Verständlich, dass Deutschland Druck aufsetzt, die Zinsbesteuerung möglichst rasch realisiert haben will und bei Fällen von Steuerhinterziehung Schweizer Hilfe beanspruchen möchte. Dumm für die Schweiz, dass es sich hier um vitale Interessen ihrerseits handelt. Banken und Versicherungen sind der wichtigste Teil der Schweizer Wirtschaft so wie der Flughafen Zürich die wichtigste Verkehrsinfrastruktur der Grossregion Zürich ist, der wirtschaftlich stärksten der Schweiz.
Deutschland gehört zur EU, die Schweiz nicht. Doch das spielt in diesem Verteilkampf nur eine sekundäre Rolle. Als EU-Mitglied müsste sich die Schweiz ebenso für ihr Bankgeheimnis wehren. Und sie kann sich nicht beklagen, hier besonders schlecht behandelt zu werden, zumindest nicht von Deutschland. Bei den Verhandlungen über die Bilateralen Verträge II unterstützten die Deutschen im Streit um das Bankgeheimnis die schweizerische Idee der Zinsbesteuerung gegen den Willen der Briten, die es abschaffen wollten (um ihre Finanzplätze zu stärken).
Die Schweiz will den freien Zugang zum europäischen Markt, dafür aber möglichst nichts bezahlen. Das hat ihr in Deutschland Sympathien gekostet. Laut Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach fanden 1985 50 Prozent der Deutschen die Schweiz «besonders sympathisch», 2001 waren nur noch 38 Prozent dieser Meinung. Und doch sind damit die Schweizer noch immer der Deutschen liebste Nachbarn.
Mit «wohlwollender Nichtbeachtung» erklärt sich der ehemalige Schweizer Botschafter in Berlin, Thomas Borer, das Phänomen. Die Schweiz, eine Projektionsfläche. In seinem Beitrag zu dem von ihm mitherausgegebenen Band «Kuhschweizer und Sauschwaben» schrieb Roger de Weck, ehemaliger «Zeit»-Chefredaktor und jetzt SonntagsZeitungs -Kolumnist: «Deutsche Konservative sehen das Beharrliche an der Schweiz, die Grünen bewundern das Fortschrittliche im Verkehrswesen, die Wirtschaftsliberalen schauen auf den freien Arbeitsmarkt, die Linken sichten die mustergültige Vorsorge.»
Weniger positiv ist die Sicht von Süden: Die Schweizer mögen Deutschland überhaupt nicht. In der vorletzte Woche veröffentlichten Studie «Swiss made: Mehrwert oder weniger Wert?» des GfS-Forschungsinstituts wird Deutschland als «unysmpathischstes» Nachbarland ausgezeichnet je rund ein Viertel der Deutschschweizer und der Romands sowie ein Drittel der Tessiner sind dieser Ansicht.
Die Tessiner aber mögen die Italiener, die Romands Frankreich. Am Grössenverhältnis der Nachbarn kanns nicht liegen.
Vielleicht geht es darum: Anders als das sonnige Italien, das vielseitige Frankreich oder das kauzige Ã-sterreich versprüht Deutschland, das Land der Romantik, keinen Charme. Wer träumt von Ferien in Deutschland? Von deutschem Essen? Niemand.
Wegen Deutschland wurde 1934 das Bankgeheimnis geschaffen
Hartnäckig halten sich hingegen Alpträume. Fussball-Weltmeisterschaften mit einer glückhaften deutschen Mannschaft im Finale. Die Grossmacht, das Reich. Wegen Deutschland hat die Schweiz 1934 das Bankgeheimnis gesetzlich festgeschrieben als Schutz vor den Nazis, die sich der Vermögen der deutschen Emigranten bemächtigen wollten.
«Der Zweite Weltkrieg ist ein Trauma für die Deutschschweizer», sagt Ex-Botschafter Borer. Dabei blieb die Schweiz vom Krieg verschont. Die Ablehnung der Deutschen sei «nachgetragener Anti- Faschismus» höhnt der Satiriker Peter Schneider.
Dann ist da noch die Sprache. Deutsche reden geschliffener, lauter, klarer. Wie Finanzminister Eichel am Dienstag in «10 vor 10». Oder wie der deutsche Medienprofessor Peter Glotz mit seinem Auftritt in der «Arena» am Freitagabend. Glotz resolute Reden verschlugen sogar einem Grossmaul wie dem ehemaligen Auto-Partei-Nationalrat Michael E. Dreher die Sprache; er lobte Glotz für dessen «Eloquenz».
Auch gestern Samstag stauten sich die Autos wieder vor den deutschen Zollämtern. Es ist höchste Zeit, das verkorkste Verhältnis zu den Deutschen zu klären, politisch wie kulturell.
Eine Hassliebe
Essen und Trinken: Dass Deutschland ein grosses Weinland ist und vor allem hervorragende Weissweine produziert, hat sich in der Schweiz mittlerweile herumgesprochen und das alte Klischee von der gezuckerten Liebfrauenmilch verdrängt. Ähnliches lässt sich von der deutschen Küche nicht behaupten. Helmut Kohl hat weder mit seiner erklärten Vorliebe für Saumagen noch mit seinem gemeinsam mit Gattin Hannelore verfassten Kochbuch «Kulinarische Reise durch deutsche Lande» die Lust auf deutsches Essen wecken können. Diese scheint sogar in Deutschland zu verkümmern, glaubt man dem Schriftsteller Peter Bichsel. Gutes deutsches Essen sei nicht zu finden Bichsel: «Das Eisbein ist inzwischen unter der Würde eines Deutschen».
Fussball: Die deutsche Bundesliga galt einst als härteste und damit beste Fussballmeisterschaft der Welt. Das ist lange, lange her. Trotzdem lieben wir Schweizer die Bundesliga noch immer in keiner anderen ausländischen Liga kriegen so viele Schweizer eine Chance (manche landen dann auf der Ersatzbank). Die deutsche Nationalelf hingegen entzückt die Schweiz nur, wenn sie verliert, am liebsten im Finale eines grossen Turniers wie zuletzt bei der WM 2002 gegen Brasilien. Trotz ihres lausigen Stils ist die Elf zu stark für die Schweizer Nati.
Sprache: Wir Schweizer bewundern die Deutschen dafür, wie geschliffen sie sprechen. Und verachten den Tonfall,
den wir für arrogant halten.
Ferien: Hoteliers, Bergbahnbetreiber und Wirte lieben die Deutschen, denn sie sind die treuesten Gäste der Schweizer Alpen. Einheimische Feriengäste gehen Deutschen aus dem Weg, denn die sind stets laut und drängeln sich vor. Zumindest haben sie dieses Image.
Autos: Mercedes, BMW, Audi, Porsche. Die Schweizer lieben Autos made in Germany. Und sie kaufen so viele davon wie aus keinem anderen Land, auch wenn es nur VW, Opel und Ford sind. Mancher Besitzer eines PS-starken Gefährts deutscher Herkunft träumt davon, dass auf Schweizer Autobahnen freie Fahrt wie in Deutschland herrschte, und fährt darum dorthin, um das Gaspedal durchzudrücken. Fahren die Deutschen dagegen in die Schweiz, ist die Folge meist Stau.
Symbiose zweier ungleicher Nachbarn: Fakten und Zahlen
- Wirtschaft: Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Im vergangenen Jahr kaufte es Schweizer Unternehmen Waren im Wert von 27,7 Milliarden Franken ab, hauptsächlich Maschinen und Metallwaren sowie Chemie- und Pharmaprodukte. Die Schweizer Importe aus Deutschland beliefen sich auf 41,2 Milliarden Der Güteraustausch mit dem nördlichen Nachbarn war eine wichtige Stütze in der Wirtschaftskrise. Während die gesamten Exporte und Importe 2003 stagnierten, stiegen jene nach Deutschland um 2,3 bzw. 3,6 Prozent. Die Schweiz ist der drittwichtigste ausländische Investor in Deutschland, hinter den USA und den Niederlanden.
- Politik: Über 200 Verträge regeln die bilateralen Beziehungen. Allein in den letzten vier Jahren fanden rund 20 Treffen auf Kabinettsstufe statt.
- Migration: 125 033 Deutsche haben sich in der Schweiz niedergelassen (Stand 2002). Sie sind die viertgrösste ausländische Bevölkerungsgruppe, hinter den Zuwanderern aus Italien, Serbien und Montenegro sowie Portugal. 69 619 Schweizer haben ihren Wohnsitz nördlich des Rheins. Nur in Frankreich und den USA leben mehr Schweizer.
- Tourismus: Deutschland ist bei weitem das wichtigste Herkunftsland von Touristen in der Schweiz. 2002 übernachteten deutsche Gäste 12 Millionen Mal in der Schweiz.
Worüber sich Deutschland und die Schweiz streiten
- Grenzkontrollen. Ohne Vorankündigung verschärfte Deutschland die Kontrollen. Die Begründung: Vorgaben des Schengen-Abkommens sowie eine «gewisse Lageeinschätzung». Als die Schweiz protestierte, versprach Deutschland eine raschere Abfertigung. Trotzdem kam es auch gestern zu langen Staus.
- Schengen. Die EU fordert, dass sich die Schweiz im Rahmen des Schengen-Abkommens verpflichtet, bei allen Steuerdelikten polizeilich mitzuarbeiten.
- Zinsbesteuerung. Schweiz und EU haben sich auf eine Quellensteuer für Gewinne auf Kapitalien geeinigt. Die EU will sie sofort einführen, die Schweiz erst mit den Bilateralen II.
- Flughafen Kloten. Nach der Ablehnung des Staatsvertrages durch die Schweiz beschränkte Deutschland 2003 die Anflüge über deutsches Gebiet. Seither wird Kloten trotz Protesten auch vom Süden her angeflogen.
- Banklizenzen. Deutschland verlangt für Banken aus Nicht-EU-Ländern neuerdings Betriebsbewilligungen. Schweizer Banken dürfen Kunden in Deutschland damit nicht mehr von der Schweiz aus kontaktieren.
- Landwirtschaftsland. Schweizer Bauern haben seit 2002 viel Land im Grenzgebiet gekauft. Deutsche Bauern sind über die Preissteigerungen verärgert und darüber, dass die Schweizer die Produktion zollfrei in die Schweiz ausführen können. Nun will Berlin entsprechende Zölle erheben.
- Bypass Basel. Güterzüge von und nach Deutschland sollen in Zukunft um Basel herum über deutsches Gebiet fahren. Aus Furcht vor dem Bahnlärm regt sich in den betroffenen Gemeinden heftiger Protest.

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