- Die Lage der Nation - aus der Sicht der Bundesbank (FAZ) - Popeye, 16.03.2004, 07:07
Die Lage der Nation - aus der Sicht der Bundesbank (FAZ)
-->taatsdefizit und Staatsschuld erreichen Rekordwerte
Bundesbank mahnt strikte Konsolidierung der Finanzen an / Sozialausgaben steigen / Investitionen sinken
pwe. FRANKFURT, 15. März. Angesichts der im vergangenen Jahr erreichten Rekordwerte des Staatsdefizits und der Staatsschuld mahnt die Deutsche Bundesbank die Politik zu einem entschlossenen Sanierungskurs. Im Monatsbericht der Bundesbank für März heißt es, der überwiegende Teil der Finanzprobleme könne nicht durch die konjunkturelle Abschwächung erklärt werden. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen stünde unverändert aufder Agenda. Dies gelte umso mehr, als mit der absehbaren Alterung der Bevölkerung sich schon heute steigende Staatsausgaben in vielen Bereichen abzeichneten.
Die Bundesbank fordert dauerhafte Senkungen der öffentlichen Ausgaben und ein Durchforsten aller Leistungen der Gebietskörperschaften. Auch die Sozialleistungen gehörten auf den Prüfstand; die Sozialabgaben müßten vom Lohn abgekoppelt werden, um den Beschäftigungsaufbau nicht weiter zu behindern. Des weiteren fordert die Bundesbank eine effizientere Steuerpolitik und eine Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Eine Bestandsaufnahme der haushaltspolitischen Lage durch die Bundesbank zeigt, daß das Staatsdefizit 2003 mit 82 Milliarden Euro und die Staatsschuld mit 1,37 Billionen Euro historische Rekorde erreicht haben. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), lag die Nettoneuverschuldung bei 3,9 Prozent und damit so hoch wie 1981 oder 1975. Der größte Teil des Defizits - zwischen 3 und 3,5 Prozentpunkte - gründe in strukturellen Ursachen und nicht in der Konjunkturschwäche, schreibt die Bundesbank und beziffert so den jährlichen Konsolidierungsbedarf. Die Staatsschuld lag bei 64,2 Prozent des BIP.
Die Bundesbank stellt fest, daß Deutschland 2003 nicht nur die in der EU festgelegten Obergrenzen für Defizit (3 Prozent) und Staatsschuld (60 Prozent) überschritt, sondern zugleich die im nationalen Haushaltsrecht verankerten Obergrenzen für die Kreditaufnahme verletzt wurden. Dies gelte für den Bund und für die meisten Länder, deren Neuverschuldung größer als die Investitionen ausfielen. Dies gelte auch, weil sich Bund und Länder 2001 im Haushaltsgrundsätzegesetz auf das Ziel ausgeglichener Haushalte verpflichtet hätten. Tatsächlich aber haben Bund, Länder und Gemeinden ihre Defizite seit 2000 vergrößert.
Gemessen an der Staatsquote, den Staatsausgaben als Anteil am BIP, hat sich die Politik nach dem wiedervereinigungsbedingten Hoch ein wenig zurückgenommen. Mit rund 49 Prozent lag die Staatsquote 2003 aber über den 46 Prozent in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Als bedrohlich empfindet die Bundesbank die Veränderung in der Zusammensetzung der Staatsausgaben: Sozialleistungen machen mittlerweile rund 57 Prozent der Staatsausgaben aus; das sind fast zehn Prozentpunkte mehr als in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Sie seien hauptverantwortlich für den Anstieg der Staatsausgaben. Dagegen hätten die staatlichen Investitionen"trotz des Mehrbedarfs für die neuen Bundesländer" sich seit den späten Achtzigern von 5,6 auf 3 Prozent zurückgebildet. Unter Berücksichtigung der Abschreibungen waren die Nettoinvestitionen des Staates 2003 erstmals negativ.
Die Abgabenlast, die der Staat mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen seinen Bürgern auferlegt, lag 2003 bei 42,5 Prozent des BIP und damit zwei Prozentpunkte niedriger als der Rekordwert in den Jahren 1999 und 2000. 1990 erreichte die Abgabenquote nur 39 Prozent. Verantwortlich für den Anstieg seither waren die steigenden Beiträge zur Sozialversicherung, die von 36 Prozent der versicherungspflichtigen Entgelte im Jahr 1989 auf 42 Prozent im vergangenen Jahr stiegen.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2004, Nr. 64 / Seite 12

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