- J. Stiglitz: die grossen Zentralbanklügen - zani, 17.03.2004, 12:07
J. Stiglitz: die grossen Zentralbanklügen
-->Guten Morgen
Die großen Zentralbank-Lügen
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Von Prof. Joseph E. Stiglitz
Eine unabhängige Zentralbank, die sich ausschließlich um Preisstabilität
kümmert, ist das Kernstück der magischen Formel von der"Wirtschaftsreform".
Wie so viele dieser Maximen wurde auch diese so oft wiederholt, dass man
mittlerweile auch daran glaubt. Aber kühne, selbst von Zentralbankern
aufgestellte Behauptungen ersetzen weder Forschung noch kritische Analyse.
Forschungsergebnisse deuten nämlich darauf hin, dass sich
inflationsorientierte Zentralbanken am besten der Inflationskontrolle widmen
sollen. Inflationskontrolle ist jedoch auch kein Selbstzweck: Sie ist nur
ein Mittel, um für schnelleres und stabileres Wachstum und geringere
Arbeitslosigkeit zu sorgen.
Um diese realen Variablen geht es nämlich und es gibt wenig Beweise, dass
Zentralbanken, die sich ausschließlich um Preisstabilität kümmern, in diesen
entscheidenden Bereichen mehr erreichen. George Akerlof, der mit mir im Jahr
2001 den Wirtschaftsnobelpreis gewann, wies gemeinsam mit seinen Kollegen
eindringlich darauf hin, dass es eine optimale Inflationsrate über Null
gibt. Die rücksichtslose Politik der Preisstabilität gefährdet also
eigentlich das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand. Jüngste
Forschungsergebnisse nähren sogar Zweifel, ob die ausschließliche
Ausrichtung auf Preisstabilität den Trade-off zwischen Inflation und
Arbeitslosigkeit reduziert.
Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve hat nicht nur für
Preisstabilität zu sorgen, sondern auch das Wachstum und die
Vollbeschäftigung zu fördern. In den Vereinigten Staaten herrscht ein
breiter Konsens gegen die Einengung des Mandats der Zentralbanken, so wie
dies bei der Europäischen Zentralbank der Fall ist. In Europa stockt das
Wirtschaftswachstum, weil sich die EZB durch ihr Augenmerk auf die Inflation
selbst daran hindert, die wirtschaftliche Erholung zu fördern.
Zentralbanken treffen jedoch Entscheidungen, die sämtliche Facetten einer
Gesellschaft betreffen, wozu auch Wachstumsraten und Arbeitslosigkeit
zählen. Weil es diese Trade-offs aber gibt, können ihre Entscheidungen nur
als Teil eines politischen Prozesses getroffen werden.
Manche kommen mit dem Argument, auf lange Sicht gäbe es keine Trade-offs.
Aber wie Keynes schon sagte, sind wir auf lange Sicht alle tot. Selbst wenn
es unmöglich wäre, die Arbeitslosigkeit unter eine kritische Marke zu
senken, ohne dabei die Inflation anzuheizen, bleibt immer noch die
Ungewissheit, wo diese kritische Marke liegt. Dementsprechend ist auch ein
gewisses Risiko unvermeidlich: Eine zu lockere Geldpolitik birgt das Risiko
der Inflation in sich, eine zu strenge Geldpolitik kann zu unnötiger
Arbeitslosigkeit mit all dem dazugehörigen Leiden führen.
Während des Booms in Amerika in den neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts war die Clinton-Administration der Ansicht, man könnte das
Risiko eingehen und die Arbeitslosigkeit senken, vor allem wenn man die
sozialen Erträge - sinkende Zahl von Sozialhilfeempfängern, Reduktion von
Gewalttaten - dem direkten ökonomischen Nutzen zuzählte. Im Gegensatz dazu
forderte der IWF eine strengere Geldpolitik, weil man den Kosten der
Arbeitslosigkeit und dem Nutzen durch die Senkung der Arbeitslosigkeit viel
weniger Gewicht beimaß als den Kosten einer potenziellen Inflation.
Die Wirtschaftsanalyse von Clintons wirtschaftlichem Beraterstab erwies sich
als richtig, die Einschätzung des IWF (und der Fed) als falsch. In Amerika
konnte ohne Inflation eine sehr niedrige Arbeitslosenrate erreicht werden -
die letztlich sogar unter 4 % fiel.
Das ist aber eigentlich nicht der Punkt: Der Punkt ist vielmehr, dass sich
niemand sicher sein konnte. Ein gewisses kalkuliertes Risiko ist immer
unvermeidlich. Wer es letzten Endes zu tragen hat, hängt von den
unterschiedlichen strategischen Ansätzen ab. Die Entscheidung darüber kann -
oder soll - zumindest nicht den Technokraten der Zentralbanken überlassen
bleiben. Während es legitime Diskussionen darüber gibt, wie weit die in
einer Demokratie den Zentralbanken und anderen Entscheidungsträgern
zugestandene Unabhängigkeit gehen soll, dürfen die Perspektiven derjenigen,
die durch ihre Entscheidungen betroffen sind, nicht außer Acht gelassen
werden.
Arbeiter beispielsweise haben viel zu verlieren, wenn Zentralbanken eine
strikte Politik verfolgen, aber sie haben im Entscheidungsprozess keine
Stimme. Die Finanzmärkte allerdings - die durch Arbeitslosigkeit nicht viel
zu verlieren haben, jedoch sehr wohl durch Inflation - sind typischerweise
stark vertreten. Doch Finanzmärkte haben aber wohl kaum das Monopol auf
fachmännische Kompetenz.
So haben wenige Finanzexperten eine genaue Vorstellung von den komplizierten
Zusammenhängen im makroökonomischen System. So wurden beispielsweise die
meisten Rezessionen in den USA seit 1945 deshalb verursacht, weil die Fed zu
stark auf der Bremse stand. Ebenso waren die Zentralbanken in den späten
siebziger und frühen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts glühende
Verfechter des Monetarismus, als empirische Daten die Fragwürdigkeit der ihm
zugrunde liegenden Theorien bereits zuhauf bestätigten.
Entwicklungsländer müssen nicht nur über die Unabhängigkeit der
Zentralbanken nachdenken, sondern auch über deren Mandat und wer dort
vertreten sein soll. Es ist ein Ausgleich zwischen ökonomischer Effizienz
und demokratischer Verantwortlichkeit zu schaffen.
In vielen neuen Demokratien sind die Bürger verwirrt. Zuerst preist man die
Vorzüge des neuen Regimes an und anschließend erzählt man ihnen, dass
makroökonomische Entscheidungen zu wichtig sind, um sie demokratischen
Prozessen zu unterwerfen. Man warnt die Bürger vor der Gefahr des Populismus
(und meint damit den Willen des Volkes?).
Es gibt keine einfachen Antworten. Aber in zu vielen Ländern gibt es auch
keine demokratische Debatte über die Alternativen.
Joseph E. Stiglitz ist Professor für Wirtschafts- und Finanzwissenschaften
an der Columbia University und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Ã-konomie
ausgezeichnet. Er war Leiter des wirtschaftlichen Beraterstabs von
US-Präsident Clinton und Chefökonom und Vizepräsident der Weltbank. Sein
Buch,,Die Schatten der Globalisierung" erschien in diesem Frühjahr in
Russland.
Copyright: Project Syndicate, Juni 2003.
http://www.project-syndicate.org/se...ies_text.php4?id=1232&lang=5
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