- DIE ZEIT: Die Steuerpläne der Union sind radikaler, als sie scheinen - Easy, 19.03.2004, 13:35
- Re: DIE ZEIT: Die Steuerpläne der Union - seit wann ist die Union *rechts*? - Baldur der Ketzer, 19.03.2004, 13:47
- Re: Ist nicht Alles rechts von der SPD bereits Rechts-Extrem? *scheinheiligguck* (o.Text) - JoBar, 19.03.2004, 13:52
- Re: DIE ZEIT: Die Steuerpläne der Union - seit wann ist die Union *rechts*? - Euklid, 19.03.2004, 14:04
- Re: DIE ZEIT: Die Steuerpläne der Union - seit wann ist die Union *rechts*? - Baldur der Ketzer, 19.03.2004, 13:47
DIE ZEIT: Die Steuerpläne der Union sind radikaler, als sie scheinen
-->Die Bierdeckel-Wende: Die Steuerpläne der Union sind radikaler, als sie scheinen
Von Frank Drieschner
Rechts gegen links, das klingt gestrig, nach Klassenkampf, Kohl und Lafontaine. Aber genau so ist es. Wenn Schröder im Herbst 2006 gegen Angela Merkel antritt, wird es wieder um eine echte Richtungsentscheidung gehen. Denn inzwischen steht die CDU-Vorsitzende für eine Agenda, deren Radikalität sich nur auf den ersten Blick nicht erschließt. Was die Union will, ist weit mehr als eine handwerklich bessere Variante der Schröderschen Reformpolitik. Es ist revolutionär.
Ärmer werden die Reichen nicht
Nein, die Rede ist nicht vom Kündigungsschutz. Der ist durch rot-grüne Reformen längst aufgeweicht. Es geht auch nicht um jene arbeitgeberfreundlichen Vorschläge zum Tarifrecht, die einstweilen vertagt wurden. Wirklich radikal sind die Unions-Pläne zur Steuerreform. 12- 24 - 36, in diesen drei Steuersätzen liegt mehr Wucht und mehr Wille zur Umgestaltung als in all den mit lautem Getöse beschlossenen oder verschobenen Arbeitsmarktreformen, die nach dem Wochenende die Schlagzeilen bestimmten.
„12 - 24 - 36“, das war bislang ein Einkommensteuer-Projekt von Friedrich Merz, Angela Merkels Stellvertreter an der Fraktionsspitze. Nun hat er sich innerhalb der Union im Wesentlichen durchgesetzt. Nach einem kleinen Zwischenschritt, einer symbolischen Konzession an die gemäßigteren Pläne der CSU, will die Union auf Steuereinnahmen von, grob geschätzt, 30 Milliarden Euro verzichten. Das wären, gemessen am Steueraufkommen von 2002, rund sieben Prozent aller öffentlichen Einnahmen. Dieser gewaltige Betrag, das ist der Clou dieser Reform, würde ganz überwiegend den gut und besser verdienenden Steuerzahlern zufließen.
Gewisse Umverteilungseffekte sind bei jeder Steuerreform unvermeidlich. Wenn die reichsten 5 Prozent der Steuerpflichtigen 42 Prozent aller Einkommensteuern bezahlen, müssen sie von jeder auch nur halbwegs gleichmäßigen Steuersenkung besonders profitieren. Doch die Steuerpläne der Union ergänzen sich mit einem, wahrscheinlich sogar zwei anderen Vorhaben, die einen ähnlichen Umverteilungseffekt bewirken werden: der Kopfpauschale im Gesundheitswesen und - Friedrich Merz kommt hartnäckig immer wieder darauf zurück - einer Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Bislang konnte man dies Konzept für ausgewogen halten: Indirekte Steuern haben durchaus Vorzüge - beispielsweise lassen sie sich kaum hinterziehen -, und eine Gesundheitsreform, die den sozialen Ausgleich in den Bereich der Einkommensbesteuerung verlagert, ist zumindest formal elegant. Doch ein sozialer Ausgleich, so scheint es nun, ist auch dort nicht beabsichtigt. Im Gegenteil, wer sich mit den Details des Merzschen Steuerprojekts beschäftigt, der wird entdecken: Die große Umverteilung ist weniger ein Nebeneffekt als das Ziel seiner Reform.
Und offenbar soll sie notfalls auch zum Schaden des Landes verwirklicht werden. Eine Arbeitsgruppe der Länderfinanzminister, eines linker Tendenzen völlig unverdächtigen Gremiums, in dem CDU und CSU über eine absolute Mehrheit verfügen, hat Merz’ Konzept inzwischen durchgerechnet und bemerkenswerte Einwände formuliert. Was ist, zum Beispiel, mit den Folgen für den Arbeitsmarkt? Seit Jahren beklagen Union und FDP zu Recht den geringen Abstand zwischen Sozialleistungen und Niedriglöhnen. Eine Steuerreform, die auch kleine Einkommen nennenswert entlastet, hätte dies Problem entschärfen können. Doch Merz’ Reformen treffen etliche Geringverdiener durch die Streichung der Sonn- und Feiertagszuschläge und anderer Vergünstigungen so hart, dass sie das Gegenteil bewirken werden. Der „Anreiz zur Arbeitsaufnahme im unteren Lohnbereich“, stellten die Minister fest, werde sich in vielen Fällen „stark verringern“.
Und was wird aus den Familien? Angeblich liegt ihr Schicksal der Union besonders am Herzen. Doch von Merz’ Steuerreform werden sie nichts haben, urteilen die Experten. Man muss sich die Dimension dieser Reform vergegenwärtigen, um zu sehen, welch eine Chance hier mutwillig vertan wird: Die Union will den Steuerzahlern auf mittlere Sicht mindestens 30 Milliarden Euro erlassen - und die Sorgenkinder des demografischen Wandels werden gegenüber den übrigen Steuerpflichtigen kein bisschen besser gestellt.
Aber selbst das ist womöglich noch nicht das Schlimmste. Wie will die Union ihre Steuerreform finanzieren? Unter den gegenwärtigen Bedingungen, schreiben die Experten, würde die Drei-Prozent-Quote des Maastricht-Vertrages mit Merz’ Reformen „deutlich überschritten“. Also sparen - aber wo? 30 Milliarden Euro, das sind Schulen, Kindergärten, Straßen, Schienen, Kampfflugzeuge oder Goethe-Institute. Was davon soll weg? Bislang hat die Union das nicht verraten.
Der rechte Flügel wird stärker
Kommt wenigstens die große Steuervereinfachung, die Berechnung auf dem Bierdeckel? Wohl kaum. Die Abschaffung von Pauschalbeträgen, wie die Union sie vorsieht, vereinfacht zwar die Gesetzestexte, nicht aber die Steuererklärung.
Beschäftigungsfeindlich, familienfeindlich, unbezahlbar und unpraktisch - so urteilt ein mehrheitlich konservatives Expertengremium. Ihn persönlich, entgegnet Friedrich Merz, habe die Untersuchung der Länderfinanzminister, „offen gestanden, wenig interessiert“.
Was treibt den Mann? Gehört er insgeheim jener marktradikalen Denkschule an, die von Steuern grundsätzlich wenig hält? Glaubt er, bei einer Staatsquote nahe fünfzig Prozent komme es auf Details nicht mehr an - Hauptsache, Steuern runter, der Rest wird sich finden? Wahrscheinlich ist es ein wenig von beidem.
Aber nichts davon erklärt, warum die Union ihn gewähren lässt. Dafür gibt es andere Gründe. Da ist zum einen der Anti-Schröder-Populismus, der dem konservativen Lager die Wähler zutreibt. Zurzeit muss die Union den „kleinen Leuten“ (Stoiber) nichts bieten - sie wählen sie trotzdem.
Zum anderen sind CDU und CSU eben nicht nur moderne Reformparteien, sie sind sogar, jedenfalls manchmal, alles andere als das. Die Union, das ist auch jene politische Standesorganisation, die es fertig brachte, ein Eckpunktepapier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in die Vermittlungsgespräche um die Gesundheitsreform einzubringen. Am Ende setzte sie durch, dass überwiegend die Versicherten, nicht aber Ärzte, Pharmaindustrie und Apotheker belastet wurden. Friedrich Merz’ Steuerreform wird der wohlhabenden Klientel der Union beträchtlichen zusätzlichen Reichtum bescheren - das dürfte ein nicht ganz unwesentlicher Grund dafür sein, dass die Partei sich nun auf dieses Konzept verständigt hat.
Ein deprimierender Befund für alle Freunde der sozialen Marktwirtschaft. „Sozial“ fliegt raus. Die Linke, geschwächt durch den Dauerkonflikt mit der eigenen Klientel, ist auf dem Rückzug, um einer Rechten Platz zu machen, die sich gerade neu auf die Interessen ihrer Anhänger im Mittelstand besinnt. Von 2006 an wird sie wohl regieren.
(c) DIE ZEIT 11.03.2004 Nr.12

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