- Was geht uns der Hindukusch an? (Telepolis) - Yak, 20.03.2004, 07:23
- Kann dem Text auch nur zustimmen ;-) (o.Text) - stocksorcerer, 20.03.2004, 09:01
Was geht uns der Hindukusch an? (Telepolis)
-->Da ich derzeit nur sporadisch hier mitlesen kann, weiss ich nicht, ob das hier schon gepostet wurde. Wenn ja, bitte löschen.
Ansonsten: Dem folgenden Beitrag aus Telepolis kann ich nur vollumfänglich zustimmen. Lediglich in den Aussichten auf die anstehenden Einsichten gewisser Kreise bin ich pessimistischer als der Autor. Wahrscheinlich werden statt der Einsicht zum Fehlschlag der bisherigen (Bush-)Politik noch mehr militärische Stärke, Kontrolle und Repressalien gegen"Unwillige" und den entsprechenden Blow-Back Effekten erfolgen, bis man sich solche Zustände, wie sie derzeit herrschen, sehnlichst zurückwünscht. Aber dann wird es für eine Rückkehr und Besinnung wohl zu spät sein.
Gruss,
Yak
<body bgcolor="white" text="black" link="blue" vlink="purple" alink="red">
<font size="+2" color="#990000">Was geht uns der Hindukusch an?</font>
<font color="#3333ff">Rudolf Maresch</font>
<font size="-1" color="#555555">17.03.2004</font>
<font size="+1">Es ist an der Zeit,"unsere Jungs" aus Afghanistan endlich zurückzuholen</font>
<font color="#555555">Die Ankündigung des neuen, designierten
spanischen Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero, im Sommer die
spanischen Truppen aus dem Irak abzuziehen, könnte in Bälde auch für
die Bundeswehr in Afghanistan Beispiel gebend sein Auch sie könnte sehr
rasch der Ruf:"Kommt nach Hause, Jungs!" ereilen, vor allem, wenn sie
oder Deutschland Opfer und Schauplatz eines vergleichbaren Anschlags
wie dem in Madrid werden würden. Der deutsche Michel könnte sich
bestärkt fühlen zu fragen, was seine Soldaten - fernab der Heimat und
in unwirtlichem Gelände - eigentlich am Hindukusch unter
Opiumschmugglern und Warlords zu suchen haben.</font>
Verteidigt die Bundeswehr tatsächlich dort, wie ihr oberster
Dienstherr Peter Struck vorgibt und nicht müde wird öffentlich zu
betonen, die Freiheit und Sicherheit Mitteleuropas? Warum bislang nur
dort und nicht auch in Haiti, in Sierra Leone, im Irak oder anderswo in
der Welt?
Wird die Welt sicherer, stabiler und friedlicher, wenn die
Bundeswehr künftig all over the world präsent ist und an der Seite von
Willigen um unser aller Freiheit kämpft? Oder wird durch ebensolche
Missionen nicht gerade die Sicherheit des Landes aufs Nachhaltigste
bedroht und leichtsinnig aufs Spiel gesetzt? Ist der Preis, der für
Heimatschutz, für ständige Überwachung und Beobachtung der Bürger von
den Bürgern zu zahlen ist, dann nicht zu hoch? Ist ein Leben unter
permanentem"Ausnahmezustand", wie Giogio Agamben die Lage der
liberalen Staaten beurteilt, mit westlichen Werten und Ansprüchen noch
vereinbar? Oder verwandeln sich die freien Länder peu à peu in
"benevolente Despotien", wie Richard Rorty jüngst in Potsdam zu
bedenken gab ( Bye, bye, Democracy)?
Diese prinzipielle Frage, die auch Antworten nach den
geografischen, territorialen und kulturellen Grenzen Europas und mithin
Deutschlands einschließt und berührt, ist die Mutter aller Fragen, die
es nach dem Anschlag auf drei Vorortzüge in Madrid alsbald zu klären
und zu lösen gilt.
<font size="+1" color="#990000">"Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist grundsätzlich die gesamte Welt" (Peter Struck)</font>
Seien wir mal ehrlich! Einem anonymen Terror ist weder mit Shock and Awe und preemptive strikes
noch mit der Errichtung von Militärprotektoraten wie im Irak oder in
Afghanistan beizukommen. Ein solcher permanenter, möglicherweise
Jahrzehnte andauernde Abwehrkampf strapaziert nicht bloß die Geduld und
die Aufmerksamkeit der Menschen, sie überfordert auch die finanziellen
Mittel, die mentalen Kräfte und die militärischen Ressourcen der
jeweiligen Länder. Nach den Spaniern werden das alsbald auch die
Italiener und Polen sowie - in einigen Jahren - auch die Amerikaner
einsehen und sich entnervt, erschöpft und ausgebrannt aus Bagdad
zurückziehen. Bereits jetzt fordern die Veteranenverbände in den USA
vehement die Rückholung ihrer Kameraden. Außer Spesen nichts gewesen -
diese Rechnung wird der künftige Präsident seinem Volk sehr bald zu
präsentieren haben.
Andererseits sind Anschläge durch skrupellose Terroristen kaum
zu verhindern, gleich wie viel Technik und Sicherheitskräfte die
Staaten auch dagegen einsetzen werden. Schon hält der oberste
Polizeichef in GB ein Attentat solchen Ausmaßes dort nur noch für eine
Frage der Zeit. Gewiss lassen sich Wirtschaftskonferenzen,
Weltmeisterschaften und Gipfeltreffen militärisch schützen und
auswärtige Botschaften, Konsumtempel und Flughäfen in
Hochsicherheitstrakte und exterritoriale Räumen verwandeln, nicht aber
Schulen und Kindergärten, Krankenhäuser und Supermärkte.
Sollte es eine Lehre aus den Anschlägen und
Sicherheitsbedürfnissen der letzten Jahre gegeben haben, dann diese:
Seitdem es gelungen ist, Terrorakte auf"harte Ziele" durch strengste
Kontrollen, IT-Technik und Sicherheitszäune quasi zu verunmöglichen,
stehen zunehmend"weiche Ziele" auf der Agenda der Terroristen. Als
Anschlagsziele gelten nun nicht mehr Staatsmänner, Thronfolger oder
Wirtschaftsführer, sondern Menschen wie du und ich. Mit wahllosem
Bomben aus dem Hinterhalt lässt sich (wie jetzt in Spanien) politischer
Druck auf Regierungen erzeugen und Angst und Schrecken unter der
Bevölkerung verbreiten. Die Demonstrationen der Millionen Spanier auf
den Straßen Madrids und Barcelonas, ihre hilflosen Reaktionen darauf
und die weltweiten Beileidsbekundungen sprechen Bände.
<font size="+1" color="#990000">Mit Kreuzzügen, Universalismus und
schlauen Sprüchen über Demokratie, Marktfreiheit und Rechtsstaat ist
die arabische Welt nicht an den westlichen Marktkapitalismus
anschließbar</font>
Die Kulturrevolution, die die Bushies angezettelt haben, um die
arabische Welt in ihrem Sinne zu erziehen, ist gescheitert, noch ehe
sie überhaupt in die Gänge gekommen ist. Die Hearts and Minds
der Araber und Muslime werden die Amerikaner niemals für sich gewinnen.
Weder mit Mode-Schnickschnack und BurgerKing noch mit HipHop-Radio oder
Sex and the City. Im Zweifelsfall wird die muslimische Frau, die
vielleicht Vogue liest und bei La Perla einkauft, um ihren Mann mit
heißen Dessous in der Nacht zu überraschen, lieber die Burka tragen und
ihren Kindern den Dschihad predigen. Und der palästinensische Junge aus
Gaza Stadt, der für David Beckham schwärmt, Nike-Schuhe trägt und den
neuesten Song von Eminem auswendig kann, wird, wenn er von Hisbollah
zur Tat"gerufen" wird, den Sprengstoff an seinem Gürtel zünden und
dabei Koranverse aufsagen. Das Paradies ist in diesem Fall näher als
der Rock.
Wer mit Muslimen nachbarschaftlich verbunden ist oder
beruflich mit ihnen zu tun hat, wird wissen, dass sie in ihrer Mehrheit
zwar die Blutopfer, die der Terror fordert, rundherum ablehnen, im
Herzen aber viele von ihnen mit islamistischen Ideen sympathisieren,
vor allem, wenn diese gegen das arrogante, selbstgewisse und dekadente
Amerika gerichtet sind. Anders als deren US-freundliche Regierungen
geben Islamisten ihnen nämlich das Gefühl,"etwas wert zu sein".
Sam Huntington hat Recht. Mit Kreuzzügen, Universalismus und
schlauen Sprüchen über Demokratie, Marktfreiheit und Rechtsstaat ist
die arabische Welt nicht an den westlichen Marktkapitalismus
anschließbar. Die"Blairsche Ã-kologie" ist auf ganzer Linie
gescheitert. Der Irak-Feldzug hat den Clash of Civilization
eher befeuert und dem Land Chaos und Anarchie statt Ordnung, Sicherheit
und Stabilität gebracht. Der Krieg hat nicht bloß ein sicheres und
stabiles Land (unnötigerweise) zu einem"geopolitischen Pulverfass"
gemacht. Er hat auch die vormals rivalisierenden Terrorgruppen im Kampf
gegen den"amerikanischen Satan" geeint und al-Qaida (die Basis) in
viele kleine al-Qaidas multipliziert. Es scheint, als ob die Botschaft
von Deleuze und Guattari, Rhizome zu bilden statt Wurzeln zu schlagen,
ausgerechnet im muslimischen Viereck angekommen und verstanden worden
wäre. Die Islamisten machen jetzt auf rosaroten Panther, lieben sich
wie Wespe und Orchidee und machen statt Fotos und Zeichnungen nur noch
Karten.
<font size="+1" color="#990000">Friedliche Koexistenz</font>
Allumfassenden Schutz vor solchen Taten kann es ebenso wenig
geben wie vor übergeschnappten Autobahndränglern, die aus ihrem 500 SL
eine Waffe machen. Wie"fürsorglich" sich auch immer der
"Vorsorgestaat" (Francois Ewald) um das"Wohlergehen" seiner Bürger
sorgen wird: Überall und jederzeit kann Terror, Tod und Gewalt lauern.
Weswegen es allenfalls um eine Minimierung der Risiken nicht aber um
deren Abschaffung gehen kann, darum, die Kulturen schiedlich-friedlich
voneinander zu trennen.
Zu dieser Art"Waffenstillstand" und Leben in"friedlicher
Koexistenz" gibt es, soweit man das schon abschätzen kann, keine
Alternative. Er hat den Ost-West-Gegensatz unter Deckel gehalten und
Europa immerhin über ein halbes Jahrhundert Frieden und Sicherheit
gebracht. Warum sollte das mit dem muslimischen Viereck nicht zu machen
sein. Zudem wird diese Politik auch von den meisten Islamisten
favorisiert. Folgt man der Ideologie Bin Ladens, dann geht es dem
Netzwerk vor allem darum, die Ungläubigen von den heiligen Orte des
Islam fernzuhalten.
Für die Idee des globalen Universalismus, die Vernetzung von allem mit allem unter der Bedingung des
Free Flow,
würde diese Politik allerdings einen derben Rückschlag bedeuten. Im
Vordergrund stünden nämlich nicht mehr Wettbewerb, Konkurrenz und Survival of the Fittest,
sondern die kulturelle Besonderheiten, Vorlieben und Eigenheiten
Andersgläubiger, die stärker als bisher geachtet, toleriert und
anerkannt werden müssten.
Auch mit der westlichen Vormundschaft wäre es dann vorbei.
Weil sie stets zu wissen vorgibt, was gut für den anderen ist, ist sie
ein ständiger Quell für Demütigung, Missachtung und Erniedrigung. Das
Gerede vom Modernitätsrückstand, die Beschwörung des Rückfalls ins
Mittelalter, der der arabischen Welt immer wieder unterstellt wird,
schürt solche Emotionen. Sie misst einen Teil dieser Welt an einem
Maßstab, den diese vorher selbst definiert hat.
Wer aber sagt, dass Individualismus, Laszivität und
Säkularisierung moderner, fortschrittlicher oder besser für die
Menschen sind als der Glaube an Tradition und autoritäre Strenge, an
Spiritualität und Gemeinschaftlichkeit? Beobachtet man all die
Konsumkrüppel, Porno-Touristen und SM-Aktivisten, all die
Schaumschläger, Wichtigtuer und Doppelmoralisten, die sich auf den
öffentlichen Plätzen und Räumen, Prints oder Screens tummeln, so kann
man darüber schon mal ins Grübeln kommen. Sogar Jürgen Habermas, die
Lichtgestalt deutscher Vernunftaufklärung, zweifelt zunehmend daran,
dass die Vernunft die Mängel einer durch die Imperative des Marktes und
der Biotechnik entgleisende Modernisierung jemals wird kompensieren
können.
Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Es geht nicht um die
Rehabilitierung von Religion, Autorität und Spiritualität, sondern
allenfalls darum, die Unversehrtheit und Eigenheit des Anderen, zu der
auch Kopftuch, Kreuz oder Oberlippen-Piercing gehören, nicht von
vorneherein als dumm, naiv oder rückständig zu brandmarken. Auch die
Gegen- oder Anti-Moderne war und ist, wie wir wissen, höchst modern,
und - Teil der Moderne. Die Zukunft wird zeigen, welches Modell sich
letztlich durchsetzen wird.
<font size="+1" color="#990000">Afganistan und der Irak sind keine Orte für Europäer</font>
Stellt man diese Entwicklung in Rechnung, so wird an einer
raschen Heimholung deutscher Truppen aus Afghanistan wohl kein Weg
vorbeiführen. Außer die Verantwortlichen nehmen Attentate billigend in
Kauf. Die geopolitischen Interessen, die Deutschland oder Europa dort
haben könnten, sind minimal und den Truppeneinsatz nicht wert. Nicht
einmal dem Opiumanbau wird Einhalt geboten, der unter den Augen und dem
Schutz der Bundeswehr bestens floriert.
Afghanistan ist kein Ort für Europäer, auch wenn Herr Fischer
das anders sieht und den Bushies inzwischen schon wieder nach dem Mund
redet. Weder gibt es dort Ã-l noch sind wir dem Land kulturell oder
traditionell besonders verbunden. Und auch im Irak oder in den
umliegenden arabischen Staaten gibt es für Europäer wenig zu holen.
Warum sollten wir das Unmögliche wollen, das Leben unserer Jungs
riskieren und der Region unsere Art zu leben aufpressen? Das müssen die
Menschen, wenn sie es denn wollen, schon selbst besorgen und ihre
Regierungen abservieren. Das Ã-l, das sie haben und das wir bekanntlich
haben möchten, werden sie auch so verkaufen. Schließlich können sie es
nicht trinken und wollen es, im Gegentausch, gegen harte Devisen
verkaufen.
Eine solche Rückholaktion hätte aber auch nichts mit"Weckducken" (Miriam Lau:
Wegducken nützt nichts [1] oder"wohlgefälligem Verhalten"
Terroristen gegenüber zu tun (Stefan Kornelius:"Alle Opfer sind
gleich", Süddeutschen Zeitung vom 15.3.04), sondern eher mit Einsicht,
Vernunft und Überlegung, mit rationaler Entscheidung und der
Amtspflicht eines Bundeskanzlers, der bei seinem Amtsantritt unter
anderem geschworen hat, alles zu tun, was Schaden vom Land abwendet.
Herfried Münkler ist ausnahmsweise einmal zuzustimmen, wenn er gestern
in Der Welt schrieb:
Es spricht vieles dafür, dass Terroranschläge, wie die
von Madrid, in den kommenden Jahren zu einem Begleiter unseres Lebens
werden.
Dass das Terror-Netzwerk oder die mit ihm lose verbundenen autonomen
Gruppen solch"honoriges" Verhalten auch belohnen, ist ein
unvermeidlicher Nebeneffekt dieses Abzugs. Auch wenn das Netzwerk (wie
im Übrigen Bush und Blair) streng nach alteuropäischen politischen
Kategorien unterscheidet und die Welt nach Freund und Feind, nach
Willigen und Unwilligen sortiert, heißt das noch lange nicht, dass
Deutschland dann automatisch zum"Freund" des"Netzwerkes" avancieren
wird. Er würde eher signalisieren, dass"Regierungen, die nicht in der
Lage sind, ihre urbanen Ballungsräume zuverlässig zu schützen, nach
Möglichkeit, nicht ins Visier terroristischer Gruppen geraten wollen",
so Herfried Münkler weiter ( Verwüstung statt Propaganda [2]). Dies auszuschließen, ist
eigentlich die Pflicht von Regierungen. Dafür sind sie von ihren
Bevölkerungen auch gewählt worden.
<font size="+1">Links</font>
[1] http://www.welt.de/data/2004/03/16/251729.html
[2] http://www.welt.de/data/2004/03/16/251729.html
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/mein/16977/1.html
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