- @Theo Stuss: Chasaren - JeFra, 20.03.2004, 08:45
- Re: Jiddisch stammt von der Mosel her - Theo Stuss, 20.03.2004, 09:06
- Re: Jiddisch stammt von der Mosel her - JeFra, 20.03.2004, 10:19
- Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren - Theo Stuss, 20.03.2004, 12:23
- Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren - JeFra, 20.03.2004, 15:48
- Re: Man dem Problem nur durch genetische Analysen beikommen,... - Theo Stuss, 20.03.2004, 16:04
- Re: Man dem Problem nur durch genetische Analysen beikommen,... - JeFra, 21.03.2004, 08:31
- Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren - bernor, 20.03.2004, 18:07
- Re: Man dem Problem nur durch genetische Analysen beikommen,... - Theo Stuss, 20.03.2004, 16:04
- Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren - JeFra, 20.03.2004, 15:48
- Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren - Theo Stuss, 20.03.2004, 12:23
- Re: Jiddisch stammt von der Mosel her - JeFra, 20.03.2004, 10:19
- Re: Jiddisch stammt von der Mosel her - Theo Stuss, 20.03.2004, 09:06
Re: Wir wissen doch fast nichts von diesen Chasaren
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Man braucht ja eine Vermischung mit anderen Juden nicht ausschließen, aber hier wird behauptet, daß 98% aller Juden von diesen Chasaren abstammen sollen, ganz ohne historische Beweise.
Sicher liegt bei den 95% und erst recht bei den 98% eine Übertreibung vor. Ich denke mal, diese Leute stellen folgende Rechnung auf. Koestler schreibt in Kapitel 8 seines Buches
In the 1960s, the number of Sephardim was estimated at 500000. The Ashkenazim, at the same period, numbered about eleven million.
Macht 95.7% Ashkenazische Juden. Wenn man annimmt, daß die Ostjuden zu 100% aus dem Chasarenreich eingewandert sind und wenn alle jüdischen Einwohner des Chasarenreiches wirklich von den Chasaren abstammen, stammen dann eben 95.7% aller Juden von den Chasaren ab (Eigentlich müßte man hier mit der Popolationsdichte bestimmter Gene rechnen, aber soweit müssen wir das wohl nicht treiben). Soweit möchte Koestler aber gar nicht gehen. Daß nach der Konversion der Chasaren auch Juden aus anderen Gegenden in das Chasarenreich eingewandert sind, wird allgemein anerkannt und von Koestler auch betont. Außerdem möchte Koestler anscheinend nicht behaupten, daß alle Ostjuden aus dem Chasarenreich stammen. Er behauptet lediglich:
It would of course be foolish to deny that Jews of different origin also contributed to the existing Jewish world-community. The numerical ratio of the Khazar to the Semitic and other contributions is impossible to establish. But the cumulative evidence makes one inclined to agree with the concensus of Polish historians that"in earlier times the main bulk originated from the Khazar country"; and that, accordingly, the Khazar contribution to the genetic make-up of the Jews must be substantial, and in all likelihood dominant.
Nun nochmal zur Übernahme des Jiddischen. Sie schreiben
Die Juden der Niederlande stammten zum Teil aus Spanien und Portugal. Bei den Chasaren wird behauptet, daß sie als angeblich erdrückende Mehrheit aller Juden durch völlig undurchsichtige Umstände das aus Deutschland stammende Jiddisch in einer slawischen Umgebung angenommen hätten. Daß Ladino-Juden in den Niederlanden irgendwann nur niederländisch sprechen scheint mir normal, aber daß mutmaßliche Massen von Chasaren in Rußland nicht russich, oder polnisch, sondern jiddisch erlernen, finde ich als Behauptung erstaunlich. Plausibler ist es doch, daß eingewanderte Juden aus Deutschland als soziale und arme Außenseiter beim Jiddischen verbleiben.
Das Argument Koestlers bezieht sich darauf, daß die Juden während ihrer Wanderungen immer wieder neue Sprachen annahmen und erlernten. Das Jiddisch ist auf einmal die große Ausnahme.
Ich nehme mal an, daß das Jiddische nicht aus Deutschland stammt, sondern in Osteuropa entstanden ist und eine starke deutsche Komponente hat. Wenn die Ostjuden aus dem Chasarenreich stammen, haben sie Hebräisch gelernt (aus religiösen Gründen), aber auch Deutsch (wichtig für die Wirtschaftsbeziehungen) und auch die slawische Sprache ihrer Umgebung. Das sind genau die drei Komponenten, aus denen das Jiddische zusammengesetzt sein soll. Koestler gibt dann eine recht naive Beschreibung davon, wie er sich die Entstehung des Jiddischen vorstellt:
One can visualize a <em>shtetl</em> craftsman, a cobbler perhaps, or a timber merchant, speaking broken German to his clients, broken Polish to the serfs on the estate next
door; and at home mixing the most expressive bits of both with Hebrew into a kind of intimate private language. How this hotchpotch became communalized and standardized to the extent to which it did, is any linguist's guess; but at least one can discern some further factors which facilitated the process. Among the later immigrants to Poland there were also, as we have seen, a certain number of"real" Jews from the Alpine countries, Bohemia and eastern Germany.
Von diese `Jews from the Alpine countries, Bohemia and eastern Germany.' nimmt Koestler offenbar durchaus an, daß sie ebenfalls zum Teil von den Chasaren abstammen. Er gibt ein prominentes Beispiel in Kapitel 5:
This development is well illustrated by what one might call the Khazar Diaspora in Hungary.
We remember that long before the destruction of their state, several Khazar tribes, known as the Kabars, joined the Magyars and migrated to Hungary. Moreover, in the tenth century, the Hungarian Duke Taksony invited a second wave of Khazar emigrants to settle in his domains (see above, III, 9). Two centuries later John Cinnamus, the Byzantine chronicler, mentions troops observing the Jewish law, fighting with the Hungarian army in Dalmatia, AD 1154.2 There may have been small numbers of"real Jews" living in Hungary from Roman days, but there can be little doubt that the majority of this important portion of modern Jewry originated in the migratory waves of Kabar-Khazars who play such a dominant part in early Hungarian history. Not only was the country, as Constantine tells us, bilingual at its beginning, but it also had a form of double kingship, a variation of the Khazar system: the king sharing
power with his general in command, who bore the title of Jula or Gyula (still a popular Hungarian first name). The system lasted to the end of the tenth century, when St Stephen embraced the Roman Catholic faith and defeated a rebellious Gyula - who, as one might expect, was a Khazar,"vain in the faith and refusing to become a Christian".3
This episode put an end to the double kingship, but not to the influence of the Khazar-Jewish
community in Hungary. A reflection of that influence can be found in the"Golden Bull" - the Hungarian equivalent of Magna Carta - issued AD 1222 by King Endre (Andrew) II, in which Jews were forbidden to act as mintmasters, tax collectors, and
controllers of the royal salt monopoly - indicating that before the edict numerous Jews must have held these important posts. But they occupied even more exalted positions. King Endre's custodian of the Revenues of the Royal Chamber was the Chamberlain Count
Teka, a Jew of Khazar origin, a rich landowner, and apparently a financial and diplomatic genius. His signature appears on various peace treaties and financial agreements, among them one guaranteeing the payment of 2000 marks by the Austrian ruler Leopold II to the King of Hungary. One is irresistibly reminded of a similar role played by the Spanish Jew Hasdai ibn Shaprut at the court of the Caliph of Cordoba. Comparing similar episodes from the Palestinian Diaspora in the west and the Khazar Diaspora in the east of Europe, makes the analogy between them appear perhaps less tenuous.
It is also worth mentioning that when King Endre was compelled by his rebellious nobles to issue, reluctantly, the Golden Bull, he kept Teka in office against the Bull's express provisions. The Royal Chamberlain held his post happily for another eleven years, until papal pressure on the King made it advisable for Teka to resign and betake himself to Austria, where he was received with open arms. However, King Endre's son Bela IV, obtained papal permission to call him back. Teka duly returned, and perished during the Mongol invasion.*[I am indebted to Mrs St G. Saunders for calling my attention to the Teka episode, which seems to have
been overlooked in the literature on the Khazars.]4
Ich glaube übrigens nicht, daß besagter Teka sich mit den Chasaren im ursprünglichen Chasaren-Dialekt hätte verständigen können, wäre er gleich von Ã-sterreich weiter nach Osteuropa gewandert. Ohnehin scheint nicht klar zu sein, ob das Chasarenreich überhaupt einsprachig war. Wir haben, wie gesagt, wenigstens zwei gut dokumentierte Turksprachen (Karaimisch und Krim-Tschakisch), die aus dem Chasarenreich stammen könnten. Wenn ich mich richtig erinnere, hält Koestler das Chasarenreich ohnehin für einen Nomadenstaat mit einer hauptsächlich turksprachigen Bevölkerung, aber auch mit einer starken finno-ugrischen Komponente. So wie er ja für die Magyaren auch von ursprünglicher Zweisprachigkeit ausgeht, und zwar hauptsächlich finno-ugrisch mit einer starken Turk-Komponente (Chasaren).
Wenn sich die nach Osteuropa einwandernden Juden chasarischer Herkunft nicht auf Chasarisch verständigen konnten, erklärt das natürlich die Herausbildung einer Deutsch-slawisch-hebräischen Kreolensprache (eventuell mit Lehnwörtern aus finno-ugrischen Sprachen oder Turksprachen) als lingua franca des Ostjudentumes.
Was die Frage der Übernahme der Sprache der jeweiligen Umgebung angeht, so gibt es anscheinend Beispiele in beide Richtungen. Die sephardischen Juden in den Niederlanden haben anscheinend bald das Niederländische übernommen, während anscheinend manche grichischen Juden spanischer Herkunft eine hebräisch-spanische Kreolensprache als Mutttersprache beibehalten haben, auch wenn sie anscheinend notgedrungen Griechisch gelernt haben. Ich schätze mal, daß dynamische Sprachen von im Aufstieg befindlichen Völkern (Niederländisch im 16./17. Jhdt, Deutsch im Polen Kasimirs des Großen) eher übernommen wurden als z. B. die Sprache der Griechen, die gerade mal mit Mühe und Not die Türken losgeworden sind.
Es gibt noch nicht einmal Statistiken über das Chasarenreich und seine religiöse Zusammensetzung. War beim Zusammenbruch die Mehrheit byzantinisch-orthodox? Wieviele Moslems gab es unter den Chasaren. Man weiß doch nichts davon. Wie kann man auf so etwas Theorien bauen?
Klar, aber es geht nun mal um die entferntere Vergangenheit. Da bleiben unvermeidbar viele Fragen im Dunkeln. Übrigens fehlt mir für die präzise Beantwortung dieser Frage einfach zu viel Detailwissen. Ich glaube hier einfach mal, daß bestimmte Behauptungen Koestlers beispielsweise über die Herkunft der Niederländischen Juden richtig sind und daß diese bald das Niederländische übernommen haben, weil mir das Gegenteil nicht bekannt ist. Was Koestlers Theorie angeht, so beruht sie anscheinend in erster Linie auf einem demographischen Argument: Das westdeutsche Judentum war zahlenmäßig zu schwach, um als hauptsächlicher Vorläufer des Ostjudentums in Frage zu kommen. Und als große jüdische Bevölkerungsmasse kommt in der Gegend nur noch die jüdische Bevölkerung des Chasarenreiches in Frage. Chasarisches Brauchtum glaubt er wenigstens teilweise im Ostjudentum zu erkennen (ich nehme mal an, daß er sich als Jude da auskennt). Das linguistische Gegenargument läßt sich entkräften: Man kann vielleicht nicht mit Sicherheit belegen, daß das Jiddische erst in Polen entstanden ist, aber man kann wenigstens Mechanismen angeben, wie man sich die Übernahme diese Idioms durch die Chasaren vorstellen kann. Unter diesem Umständen muß man nicht wissen, wieviele jüdische Einwohner des Chasarenreiches überlebt haben und Juden geblieben sind. Es kommt eben, so wohl der Gedankengang Koestlers, keine andere, genügend starke jüdische Bevölkerungsgruppe in Betracht. Daß ein Teil der jüdischen Bevölkerung des Chasarenreiches aus Byzanz oder Mesopotamien eingewandert ist, gibt Koestler ausdrücklich zu. Auch, daß er letzlich nicht mit Sicherheit sagen kann, wie groß deren Anteil ist.
Sicher könnte Koestler sich irren, aber von vornherein als unseriös hinstellen würde ich seine Überlegungen nicht. Ich glaube nicht, daß Sie das beispielsweise in denselben Topf tun können, wie den Schwachsinn, der hier verbreitet wird, wonach das Erdöl aus den Überresten der Menschen entstanden ist, die vor vielleicht 1500 Jahren gelebt haben: »Erdöl besteht zu grossen Teilen aus den Überresten von Millionen Menschen! Darum ist die Förderung von Erdöl nichts anderes als die Plünderung gigantischer Friedhöfe!« Und ich halte Koestlers These auch für viel besser begründet als das, was Heinsohn und Velikovsky so von sich geben.
Gruß,
JeFra

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