- OT: Einführung in die Größentheorie von Leopold Kohr Teil 8.1 - Stephan, 28.03.2004, 17:38
OT: Einführung in die Größentheorie von Leopold Kohr Teil 8.1
--><center>“Luxus geht hier wesentlich mehr in die Richtung des Vergnügens als in die des Konsums.“ - Arthur Young</center>
<h3>Die Funktionsfähigkeit der Kleinen</h3>
Das ökonomische Argument Teil 1
„Wir haben festgestellt, dass das Prinzip der kleinen Einheiten dem der großen Einheiten in fast allen Bereichen überlegen ist, von der Physik bis zur Technologie, von der Politik bis zur Kultur. Ebenso haben wir herausgefunden, dass praktisch alle die Existenz betreffende Probleme aus dem Überwachstum resultieren und demzufolge durch Aufsplittung der Großen und nicht durch Zusammenschluss der Kleinen gelöst werden müssen.
Trotz allem gibt es ein Gebiet, auf dem unsere Argumente für eine Rückkehr zu einem System von Kleinstaaten ihre Gültigkeit zu verlieren scheinen. Das ist die Wirtschaft. Würde eine solche Rückkehr nicht ein wirtschaftliches Chaos bedeuten? Würde es nicht geradezu reaktionär sein, von neuem die unzähligen Barrieren zu errichten, die die zahlreichen Regionen voneinander trennen, Handel und Verkehr behindern und den gigantischen Prozeß außer Betrieb setzen, der die Existenz der Großflächenstaaten und die daraus resultierende Großplanung wie auch die Möglichkeiten der Massenproduktion eingeleitet hat? Wenn Zusammenschluss Sinn hat, so sicherlich im wirtschaftlichen Bereich, wobei zu berücksichtigen wäre, dass ohne diesen sich mit aller Wahrscheinlichkeit unser Lebensstandard auf dem niedrigen Niveau befinden würde, der für das Mittelalter charakteristisch war.
Wir können diese Frage beantworten, die, wie wir bald sehen werden, nicht nur von derselben Art, sondern auch von derselben Oberflächlichkeit sind wie jene, die sich gegen die politische Aufteilung der Großmächtebereiche stellen. Statt die Gültigkeit der modernen Theorien zu unterstützen, stellen sie die Verallgemeinerung unseres Denkens dar. Selbst in der Wirtschaft deutet jede einzelner Tatsache an, dass ein Zusammenschluss nicht die Lösung unserer Probleme, sondern der Grund ist.
Wie das auch immer sei, es ist nicht das System, das falsch ist, sei es kapitalistisch oder sozialistisch, sondern es ist dessen Anwendung auf breiter Ebene. Wenn der Kapitalismus außerordentlichen Erfolg in seinen frühen Stadien gehabt hat, dann war dies sicherlich nicht nur wegen des Anreizes, der vom Privateigentum ausgeht. Stalin führt zu den gleichen Ergebnissen: Dies aufgrund des Leistungsprinzips, dessen fundamentale Vorraussetzung die „Nebeneinander-Existenz“ nicht weniger großer, sondern vieler kleiner Einrichtungen ist, die nicht die große Verschwendung der breiten, sondern die Sparsamkeit intensiver Vorgänge benötigt. Und wenn in den späteren Stadien Brüche entstanden, dann nicht auf Grund der sozial Benachteiligten, sondern durch die Infektion mit Massenorganismen wie Monopolen oder unübersichtlich großen wirtschaftlichen Marktbereichen, die, weit entfernt davon, für den wirtschaftlichen Fortschritt verantwortlich zu sein, das hauptsächliche Hindernis zu sein scheinen.
Das Argument Lebensstandard
Bevor wir die theoretischen Auswirkungen wirtschaftlicher Übergröße besprechen, lassen Sie uns das überzeugendste Argument analysieren, das wiederholt für die Entwicklung im großen Maßstab vorgebracht wurde: das Argument, dass es den angeblich niedrigen Standard der früheren Kleinstaaten-Wirtschaft verbessert habe.
Um sich mit dieser wichtigsten Entschuldigung für wirtschaftliche Größe zu beschäftigen, ist es in erster Linie nicht so notwendig, zu wissen, was wir unter Lebensstandard, sondern was wir unter steigenden Lebensstandard verstehen. Unter der Annahme, das sich das Existenzminimum am Besitz lebensnotwendiger Güter messen lässt, bedeutet ein Anstieg des Lebensstandards, dass mehr Konsumgüter verfügbar werden, als für das Überleben erforderlich sind, Güter, die über das Lebensnotwendige hinausragen. Mit anderen Worten, ein Ansteigen des Lebensstandards solle nicht mit dem Begriff „Güter“, sondern mit dem Begriff „Konsumgüter“ gemessen werden, (auch hier wieder Aufteilung eines Begriffes) weil diese allein - im Gegensatz zu den „Produktionsgütern“ - zur Erhöhung der Lebensfreude beitragen können. Überdies sollte dies nicht mit Konsumgütern generell geschehen, sondern nur mit dem in Übermaß vorhandenen Konsumgütern, also Luxusgütern. Wo Entwicklung auf breiter Ebene vom Ansteigen des Lebensstandards begleitet wurde und ihre Anhänger dies mit den Worten beschreiben wie: phänomenal, phantastisch, unglaublich und unvorstellbar, hat sich dies durch eine zunehmende Menge an Luxusgütern offenbart. Dies befähigte den modernen Menschen, eine große Anzahl von materiellen Wünschen zu befriedigen oder eine größere Vielfalt als vorher zu ermöglichen.
Was als Folge von Massenproduktion und Großraummärkten tatsächlich geschah, war ein ungeheurer Anstieg in der Produktion der wesentlichen, nicht der unwesentlichen Konsumgüter, welche von einem noch eindrucksvollen Anstieg in der Produktion von Investitionsgütern, wie Fabriken, begleitet wurde. Diese wiederum befriedigen nicht direkt die Wünsche des Menschen, wurden aber notwendig, um uns zu befähigen, unseren ständig ansteigenden Bedarf für das Notwendige zu erfüllen.
Betrachtet man die enorme statistische Bedeutung der Produktionszahlen in diesen beiden Bereichen, ist es nicht sehr überraschend, dass unseren Analytikern der überdimensionierten Wirtschaft ein wesentlich weniger angenehmer Faktor entgangen ist. Hierbei handelt es sich um die Produktion von Luxusgütern - von Gütern, die sich oberhalb der Nulllinie des Überlebens befinden, an welcher sich allein der Grad des Lebensstandards eines Landes messen lässt -, die mit dem Anstieg der Produktion anderer Güter nicht Schritt halten konnte; es scheint, dass sie einen ernsthaften Abstieg erlitten hat. Das was statistisch gesehen wie ein Fortschritt aussah, stellte sich im Endergebnis nicht als ansteigender, sondern als absinkender Lebensstandard heraus.
mittelalterlichen Nürnberg, zu vergleichen. Da die wirtschaftliche Entwicklung der kleinen Staaten des Mittelalters als langsam betrachtet wurde im Vergleich zu jener von Kleinstaaten der heutigen Zeit, lassen sie uns unsere Aufmerksamkeit lieber auf diese richten als auf ihre modernen Gegenstücke. Sogar die Staaten des Mittelalters werden zeigen, dass wir trotz aller unserer Autos, Badezimmer, Gesundheits- und Erziehungsdienstleistungen, welche durch die Großwirtschaft ermöglicht wurde, schlechter dastehen als diese so oft bespöttelten kleinökonomischen Königreiche ohne diese Einrichtung, nicht weil sie ärmer, sondern weil sie reicher waren.
Lassen sie uns ein Beispiel aufzeigen. Wir müssen natürlich einräumen, dass kein Staat im Mittelalter in einem Jahrhundert so viele Waren produzieren konnte, z.B. Schuhe oder Hemden, wie eine einzige Fabrik das heute in einem Jahr zustande bringt. Aber dies steht auf einem anderen Blatt, denn der Zweck der wirtschaftlichen Aktivität ist nicht der Anstieg der Produktion, sondern die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. In diesem Punkt war der mittelalterliche Staat ebenso leistungsfähig wie die moderne Großmacht, besonders wenn wir uns vor Augen halten, dass die Güter welche langsamer und mit Hand hergestellt wurden, am Ende besser waren als ihre modernen Gegenstücke. Die Tatsache, dass sie sich in einem nutzbaren Zustand über Generationen erhielten, bewies nicht das Elend eines Zeitalters, welches nicht in der Lage war, Reparaturen zu bezahlen, sondern die ausgezeichnetet Qualität, die die quantitative Leistungsfähigkeit unnötig machte, selbst wenn sie möglich gewesen wäre.
Wenn Stühle, Tische, Türen, schmiedeeiserne Arbeiten und Kommoden in früheren Tagen in kleinen, hochqualifizierten Werkstätten produziert wurden und auch noch heute wesentlich höhere Preise haben als ihre modernen Gegenstücke aus der Massenproduktion (man schaue nur in die Massenwurfsendung im Briefkasten), so kommt dies sicher nicht daher, weil sie rar sind. Niemand zahlt nur deshalb für etwas, bloß weil es alt ist und nicht mehr hergestellt werden kann. Sie erreichen diese hohen Preise, weil sie besser als unsere modernen Produkte sind. Man sollte sich demzufolge nicht vorstellen, dass diese Möbel, die ihren heutigen Besitzern ein gewisses Prestige geben, sich früher nur in den Häusern der Reichen vorfanden. Man findet sie, bis zum heutigen Tage, Hunderte Jahre später, in den Bauernhäusern vieler europäischer Länder, welchen sie einen Ausdruck von Solidität und Stattlichkeit geben, die wir vergebens in den Fertighäusern der mechanisierten, fernsehbesitzenden Bauern unserer Tage suchen“
Die Massenproduktion erzeugt ohne Zweifel mehr Warentypen für den einzelnen, als die Werkstättenherstellung, aber dies bedeutet zweifellos nicht ein Erreichen eines höheren Lebensstandards. Die Qualität dieser Massenprodukte, und ihre Fähigkleit unsere Bedürfnisse zu befriedigen „scheint im Verhältnis zu ihrer wachsenden Nutzbarkeit abzusinken.“ Also könnte man sagen: „Wir haben nicht nur mehr Hemden und Schuhe; wir brauchen auch immer mehr Hemden und Schuhe, allein, um den Standard der Vergangenheit halten zu können.“
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Sweatshops für die Massenproduktion
<font color=brown>=> Die Befriedigung unserer Bedürfnisse wird im Grunde genommen nicht durch ständig steigende Gütermengen befriedigt.</font>
„Aber wie sieht es mit jenen Güten aus, Autos oder Flugzeugen, die mehr als irgend etwas anderes die Erlangung einer integrierten, modernen und großangelegten Wirtschaft symbolisieren? Hier gibt es keinen Zweifel, dass diese niemals in der Kleinstaatenwirtschaft hätten produziert werden können, zumindest nicht in einer solchen Anzahl. Aber auch hier stellt sich die Frage: Hat ihre ansteigenden Produktion die Befriedigung unserer Reisebedürfnisse anwachsen lassen? Schwerlich! In einer Welt kleiner Staaten wurden keine Kraftwagen gebraucht. Die Genugtuung, die wir von unseren Reisen erwarten, liegt nicht im Überbrücken von Entfernungen der Entfernung wegen, sondern es geht um das Vergnügen, das wir dabei empfinden, wenn wir zahlreiche Erfahrungen machen, welche uns verschiedene Länder und Lebensgewohnheiten bieten.
Heute „fliegen“ wir mit 200 Kilometer pro Stunde an den schönsten Landschaften und Städten vorbei, ein Kennenlernen und Begegnen, wie das früher zu Fuß völlig normal war findet immer weniger statt. Was früher eine Reise von 50 Kilometern „mit einer schier unendlichen Mannigfaltigkeit an Eindrücken und bis dahin ungeahnten Erfahrugen“ brachte, das suchen wir heute durch einem langstündigen Flug z.B. nach Sydney oder Los Angeles.
„Wenn in einigen europäischen Großflächenstaaten wie Italien, Frankreich oder Deutschland so viele unterschiedliche Dinge, die aber auch im Begriff sind zu verschwinden, auf relativ kurzen Reisen zu erleben sind, so kommt dies daher, weil die Vergangenheit der mittelalterlichen Kleinstaaten eine bleibende Spur hinterlassen hat, die kein noch so vereinigender Vorgang in der Lage gewesen ist auszulöschen. Ironischerweise ist oft das Haupteinkommen einiger dieser Großflächenstaaten nicht in ihrer Großindustrie zu finden, auf welche sie sehr stolz sind, sondern in dem Geld, welches Touristen ausgeben, um sich an dem Charme der „Alten Welt“ und deren Komfort zu erfreuen, der jedoch nicht von diesen Staaten herrührt, sondern von den sogenannten „rückständigen“ Vorgängern.
Die Erweckung von Bedürfnissen
„Die Autos scheinen uns weniger Befriedigung gebracht zu haben als das, was ein guter alter Hengst oder ein paar derber Schuhe unseren Vorvätern bedeuteten. Man kann also sagen, dass Autos oder andere hochleistungsfähige Mittel des modernen Transports, wie die Untergrundbahnen oder Busse (S-Bahnen, ICE´s, Flugzeuge), nicht länger einen Luxus bedeuten, um unsere Reisebedürfnisse zu befriedigen. Sie sind eine Notwendigkeit geworden, um unsere Grundbedürfnisse zu stillen.“
„Aber bis zu welchem Punkt ist das Wecken neuer Bedürfnisse ein Zeichen von Fortschritt? Unsere phantastischen Verkehrs- und Transportmittel, welche wir für ein Zeichen von höherem Lebensstandard halten, sind nichts als das Symbol unserer wachsenden Versklavung. Ohne sie würde wir nicht nur zurückgeführt werden auf das Niveau hoffnungslosen Verhungerns; zum Unterschied zu unseren Vorvätern, die diese nicht brauchten, würden wir zum Aussterben verdammt sein. Ihre Einführung hat uns viel gekostet, aber keinen Gewinn gebracht. Vorher hätten wir unsere Arbeistplätze gemächlich gehend vom zweiten Stock unseres Hauses zum ersten, oder über die Straße erreicht. Da wir den größten Teil unserer Zeit in der Nähe unserer Häuser verbrachten, verschönerten wir sie, und so entstanden die liebenswürdigen Städte der früheren Zeiten, in welcher es Freude machte zu leben, während es heute nur Agonie bedeutet. Alles, die Kirche, die Wirtshäuser, die Behörden, die Theater, unsere Freunde und selbst die ländliche Umgebung konnte von jedermann leicht erreicht werden. Solange die Dinge, die zu einem reichen und vollen Leben gehörten, nicht unterteilt wurden in Wohngegend, Theater-, Geschäfts-, Banken-, Regierungs- und Fabrikbezirke, reichte ein gemächlicher Gang von einem Kilometer pro Tag für alle ökonomischen Bedürfnisse aus. Es war keine Abhänigkeit vom „besten Computer-Service der Welt“ notwendig, dessen erstklassiges Funktionieren ein Anzeichen für das Elend eines modernen, aufbreiten Maßstab aufgebauten Lebens ist.“
„Alles was die moderne Entwicklung in großen Stil hervorgebracht hat, scheint ein an Wunder grenzendes Wachstum in der Produktion zu sein, nicht von Luxusgütern, die durchaus einen höheren Lebensstandard bedeuten würden, sondern von Gütern, die wir brauchen, um den ungeheuren Schwierigkeiten, die dieses Wachstum mit sich gebracht hat fertig zu werden.
So sind Geräte auf uns herabgeregnet, ohne den Wert des Besitzers zu vermehren. Es wurden unnötige Entfernungen zwischen Freunden und Familien, Büros und Wohnungen gesetzt, um diese wiederum zu überbrücken, hat man uns mit nun notwendig gewordenen Erleichterungen versorgt, jedoch mit einem Aufwand an Kosten, welche wesentlich weniger Menschen aufbringen können, ohne andere Bequemlichkeiten aufgeben zu müssen. Es hat uns Klimaanlagen gebracht, nicht als Verbesserung, sondern als einen notwendig gewordenen Zusatz, denn die modernen Bauten haben das Geheimnis angenehmer Temperaturen verloren, den dickwandigen Häusern früher eigen war. Mit den neuen Kühlsystemen haben wir gleichzeitig eine Technik entwickelt, uns Lungenkrankheiten (Sick-Bilding-Syndrom) zuzuziehen, die uns vorher völlig unbekannt waren. Unsere Arbeitszeit hat sich verkürzt, aber unsere unproduktive Zeit mehr verlängert, als wir durch weniger Arbeiten gewonnen haben. Wachstum hat uns dazu gebracht, in die Peripherie zu ziehen, statt in den nun verhassten Städten zu wohnen.“ Es hat uns befähigt, mit unseren eigenen Autos zu unseren Büros zu fahren, nur um uns um den Verstand zu bringen, wenn wir versuchen, einen Parkplatz zu finden.“
„Man sagt, dass das moderne Leben uns letzten Endes alle lesen und schreiben gelernt hat. Das ist wahr. Aber es scheint, dass es ihm nicht gelungen ist, unseren Bildungsstandard anzuheben. Das bedeutet, dass der moderne, gebildete Mensch nichts begreift, wenn es ihm nicht vorgekaut, zusammengefasst und in „Cartoon“-Sprache zerlegt wird. Das „Kommunistische Manifest“ von Marx, eine glänzende Abhandlung, welcher 1848 von den Arbeitern der Welt, an welche es sich wendete, verstanden wurde, übersteigt heute, im 20. Jahrhundert, das Fassungsvermögen eines durchschnittlichen, massenerzogenen Universitätsstudenten. Seine prahlerische Gelehrtheit scheint ihm keine andere Fähigkeit gegeben zu haben, als jene, mit Ja oder Nein auf genau gestellte Fragen zu antworten und Formulare auszufüllen, die ihn vom 20. Lebensjahr an zu einer Intellektuellen-Senilitätsperson berechtigen.“
„Bleiben wir also dabei, <font color=brown>dass kleinere Ã-konomien weniger Güter produzierten, diese dauerhafter als die unsrigen waren und befriedigender in der Erfüllung der Wünsche einer Gesellschaft, die gewohnt war, ihre Freizeit und ihr Vergnügen einem langsameren Rhythmus anzupassen.</font> Das Leben dort war so, als ginge man auf einem Laufband, das sich unter den Füßen in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Aber solange die Bewegung des Laufbandes langsam war, brauchte man nur eine geringfügige Anstrengung, um das Gleichgewicht mit der Geschwindigkeit zu halten. Wenige Schuhe wurden abgetragen, und geringe Energie wurde für die Aufgaben des Lebens verbraucht. Auf der anderen Seite hat das Leben in großen Stil die Geschwindigkeit des Laufbandes furchtbar ansteigen lassen, mit dem Ergebnis, dass das erfolgreiche Individuum nun nicht mehr in der Lage ist zu gehen. Es muß laufen.“
Warum rennen wir eigentlich? und wohin?
“Unsere Produktions- und Lebensstandard-Experten zeigen mit Stolz auf den Läufer und sagen: „Seht seine Gesundheit an, seinen Körper, seine Muskeln, seinen Brustkasten, nehmt Notiz von der Nahrung, den Vitaminen, den Schuhen und dem Badewasserzusatz, welche ihm die moderne Wissenschaft verschafft hat.“
„Von all dem werden wir überschüttet. Doch was wir zu sehen versäumen, ist, dass er all dieses verzweifelt braucht, jedoch um was zu erreichen? Das gleiche was der Kleinstaaten-Spaziergänge mit Muße und Vergnügen erreichte - indem er die Geschwindigkeit des Laufbandes aufrechterhielt. Nicht mehr und vielleicht nicht einmal das, denn je größer die Geschwindigkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass selbst der beste Läufer zurückbleibt. Das ist in der Tat das, was uns die Geschichte uns zu beweisen scheint: dass die ökonomische Ausweitung in großem Stil keinen Fortschritt, sondern einen Abfall des Lebensstandards verursacht hat, und dass das, was wir dem phantastischen Anwachsen in der Produktion gegenüberstellen, nichts anderes ist als eine Form von Inflation.
Viele neue Güter scheinen uns immer weniger Befriedigung zu geben als wenige alte Güter.
Von Prinzen zu Bettelleuten
„Der Vergleich von Lebensstandards ist vielleicht zu allgemein geraten, um völlig glaubhaft zu sein. Um ein realistischeres Bild zu erhalten, wird es von Nutzen sein, die relative Wirkung der ökonomischen Entwicklung von Klein- und Großflächen am Lebensstil einiger bestimmter Berufe zu testen, angefangen von Königen bis hinunter zu den Arbeitern. Das wird zeigen, dass, von welcher Seite wir das Problem auch angehen, das Endergebnis immer dasselbe ist, d.h. auf der ganzen Linie zeigt sich kein Anstieg, sondern ein Abstieg.
Um mit den Herrschern zu beginnen: Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Landsherren kleiner Staaten in weit größerer materieller Pracht lebten als ihre Großmachtsnachfolger der modernen Zeiten. Könnte sich die Königin von England sich heutzutage das leisten, was sich jeder geringste Prinz früher leisten konnte? Eine Reitschule bauen, ein Theater, eine Kunstgalerie? Was sie noch als königlichen Besitz hat, wie Paläste und Schlösser, hatte ihr nicht die reiche Gegenwart, sondern die arme Vergangenheit verschafft. Würde der Präsident der USA ein Schwimmbad für seine Pferde bauen, würde man eine Untersuchung einleiten und ihn sicherlich wegen leichtsinniger Verschwendung anklagen. Selbst wenn er sich die Extravaganzen unserer Vorfahren leisten könnte, würde unser sozialbewußtes Zeitalter ihm nicht erlauben, dies öffentlich zu zeigen, selbstverständlich nicht wegen des höheren, sondern wegen des niedrigeren Standards der Massen.“
„Aber wie sieht es mit den anderen Berufen aus, wie z.B. mit den Gelehrten? Universitätsprofessoren von Bologna oder Prag in früheren Tagen, oder des heutigen Dänemark oder der Schweiz, hatten einen Lebenstil, der weit über jenen amerikanischer Bankdirektoren der fünfziger Jahre hinausreichte. Sie besaßen stattliche Häuser, hatten Kutscher und Dienstmädchen, gaben zwei oder drei Vorlesungen pro Woche, beherbergten Gelehrte aus nahen und fernen Ländern und bewirtetet ihre Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten...“ „Ihre heutigen Kollegen in den reichsten Ländern der Welt, die in den Klassenräumen die Verbesserungen des modernen Lebens predigen, lehren 12 bis 15 Stunden pro Woche, leben in kleinen Landhäuschen mit winzigen Räumen, wenn sie wohlhabend sind, oder in Wohnwagen auf Betonsockeln und ergänzen ihr Einkommen durch Nebenarbeiten; wenn sie einmal im Jahr eine Cocktailparty für ihre Kollegen geben müssen, geht das bereits über die eigenen Verhältnisse.“
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Handwerkszünfte entstanden im Mittelalter
„So können wir fast alle Berufe durchlaufen und doch immer wieder zu demselben Schluss kommen. Schuhmacher oder Schneider des Stadtstaates Nürnberg, zeitgenössische Beschreibungen oder dem Zeugnis malerischer Darstellungen nach zu urteilen, lebten in einem feudalen Stil, so wie es sich (heute) nur einige wenige wohlhabende Großhändler leisten können. Tagelöhner waren in der Lage, ein Leben zu führen, welches jetzt Universitätsprofessoren in den USA genießen. Arbeiter hatten den materiellen Komfort und die Güter, welche ihre modernen Zeitgenossen auch haben, mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr fähig sind, diese im Zeitalter der Hetzte, der Oberflächlichkeit und vielseitigen Funktionen in der gleichen Art zu genießen.“
„Und die Hausfrauen? Ja, Hausfrauen hatten Dienstmädchen, diese so angenehmen Symbole hohen Lebensstandards, welche niemand in den Ländern des hohen Lebensstandards der heutigen Welt sich anscheinend mehr leisten kann.“
„Trotz allem heißt es, dass das Verschwinden der Dienstmädchen eines der überzeugendsten Beweise für das Voranschreiten des Lebensstandards ist. Jene, die früher Bedienstete waren, sind jetzt Hausfrauen, Sekretärinnen oder Geschäftsfrauen. In diesem Fall jedoch müssen sie natürlich nicht mit den Dienstmädchen der vergangenen Zeit verglichen werden, sondern eben mit Hausfrauen, Sekretärinnen oder Geschäftsfrauen. Dies konnten, wie wir gesehen haben, die Dienstmädchen erreichen; ihre Nachfolger von heute können das nicht länger.
dass man nun mehr Einzelpersonen in höheren Berufen findet als vorher, zeigt durchaus nicht an, dass das Niveau dieses Berufes angestiegen ist. Im Gegenteil! Die Gesetzte kleiner werdenden Grenzproduktivität sagen uns, dass ein quantitativer Anstieg in einer Berufsgruppe den Einzelstandard sehr wahrscheinlich nicht anheben, sondern senken wird. Das ist genau das was passiert. Alles was uns das Verschwinden der Dienstmädchen anzeigt, ist nicht die Verbesserung ihres Standes, welcher sinnlos wurde, seit ihr Beruf im Aussterben begriffen ist, und der Tod kann keinerlei Standard haben. Aber es kam zu einer Niveausenkung in jenen Berufen, die in Erwartung größerer Einkommen überlaufen waren und gerade dadurch immer geringere Chancen boten. Als nun die Dienstmädchen selbst zu Damen des Hauses wurden, hofften sie jetzt, selbst Dienstmädchen zu haben. Aber was mussten sie entdecken? Daß ihr „gestiegener“ Lebensstandard erfolgreich die altmodischen Annehmlichkeiten der Vergangenheit entfernt hatte. Statt jedes Dienstmädchen in eine Hausfrau zu verwandeln, hat der Fortschritt jede Hausfrau in ein Dienstmädchen verwandelt.“
Das was für die einzelnen Berufe gilt, ist ebenfalls gültig für die sozialen Klassen und die Gemeinschaften. Natürlich hatten die Kleinstaaten auch ihren Teil von Armut; doch solange sie wenige Einwohner hatten gab es auch weniger Arme. Und diese machten nicht einmal des Bruchteil der Sozialprobleme aus, die sich so skandalös in den Arbeitslosenziffern der reichen Großmächte unserer Zeit niederschlugen. Außerdem muss bemerkt werden, dass der „Arbeitslose“ in vergangenen Zeiten, der Bettler, kein frustrierter Proletarierer war, sondern Mitglied einer alten und ehrwürdigen Kaste, welche sich der Härte der Arbeit entzog, nicht ein Ergebnis einer erbarmungslosen Depression, sondern - wie Könige - im Streben nach einer würdevollen und glücklichen Lebensart. Wenn ein Reformer ihnen Unterstützung angeboten hätte, wäre er mit aller Wahrscheinlichkeit den gleichen Einwänden begegnet, die 1951 bei den Bettlern von Lhasa zu hören waren, als die chinesischen kommunistischen Eindringlinge in Tibet versuchten, sie zu „rehabilitieren“, sie von der „Unterdrückung“ zu befreien und ihre ökonomische Lage durch Arbeitsbeschaffung zu verbessern. Statt Dankbarkeit zu zeigen, verwarfen sie standhaft diese Idee, indem sie erklärten, dass sie ihren traditionellen Beruf ausübten, als ein Ergebnis der „Sünden im vorherigen Leben“ und nicht auf Grund irgendeiner „Unterdrückung“
„Häufig beklagen wir die Armut des Mittelalters, und im selben Atemzug klagen wir die Verschwendungssucht seiner Prinzen an, die prunkvollen Feste, die sie führ ihre Untertanen veranstalteten, die oft Wochen dauerten, und den ökonomischen Wahnsinn ihrer Bischöfe, die jeden Monat ein halbes Dutzend Tage zu Feiertagen erklärten. So schreibt Prof. Pasquale Villari in sinem Werk über Savonarola, dass Lorenzo der Prächtige „die schlimmsten Tendenzen des Zeitalters ermutigte und die Korruption vervielfachte. Sich selbst dem Vergnügen hingebend, trieb er die Menschen in die finsteren Tiefen des Sichgehenlassens, um sie in die Lethargie des Rausches zu stürzen. In der Tat war Florenz unter seiner Herrschaft ein Schauplatz ständiger Gelage und Ausschweifungen.“
Wir wissen aus vielen anderen Quellen, dass dieses Bild von fürstlichen und volkstümlichen Gelagen weder übertrieben, noch einzigartig ist. Es herrschte in vielen anderen Kleinstaaten ebenfalls vor. Aber wenn sie sich diese Extravaganzen an arbeitsfreien Tagen leisten konnten und die „Lethargie des Rausches“, welche sogar der ehrgeizigste Gewerkschafter unserer Tage nicht für seine Schützlinge zu fordern wagen würde, muß ihr Lebensstandard wesentlich höher gewesen sein, als wir uns vorstellen. Und der letzte Bettler muß lustiger gelebt haben als ein Auto und Badewanne besitzendes Mitglied der Machtvollen John-L.-Lewis Bergarbeitergewerkschaft. Das ist alles umso eindrucksvoller, wenn man im Gegensatz dazu die sterile Extravaganz der modernen Wohlstandswelt sieht, besonders da die früheren Zeiten nicht nur materiellen, sondern auch intellektuellen Überfluß produzierten.
„Inmitten dieser Gelage und der Verschwendung wuchsen Städte ohne Elendsviertel von unvergleichlicher Schönheit, wurden Bücher von unvergleichlicher Tiefe geschrieben und Bilder von unübertrefflichen Reiz geschaffen.“
Fortsetzung folgt
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