- Ablauf der Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Gossensass-Silber usw. (Südtirol) - dottore, 07.04.2004, 16:35
- Uuuuund schwupps.... - Zandow, 07.04.2004, 18:00
Ablauf der Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Gossensass-Silber usw. (Südtirol)
-->Hi,
die Wirtschaftsgeschichte ist ein Hin und Her von Zessionen ex ursprünglicher Alleinmacht bis hin zum sog. freien Bürger mit freiem Eigentum (das Obereigentum der zum Staat mutierten Erstmacht wird dabei geflissentlich übersehen, macht aber nichts). Der wirtschaftet dann mit seinem Eigentum, bis es sich nicht mehr lohnt und er aufgeben oder weiter ziehen muss.
Am Beispiel des Wipptals (Gossensass, Pflersch usw.) am südlichen Brenner sei das demonstriert:
1. Es werden Silbererze gefunden bzw. gefördert (Datum unklar, jedenfalls hat Silber bereits"Wert" als Abgabe, eine Förderung im Gebirge, zumal im umständlichen Cu-Trennverfahren mit Hilfe von Blei ist kostenintensiv und ließe sich mit steigendem Silberpreis im Rahmen der römischen Münzgeschichte erklären). Hinweis darauf: Schalensteine, um darin Lampenöl zu entzünden und Hakenkreuze und Sonnenräder als Glückssymbol.
2. Ein Gewaltherr ("Adeliger") eignet sich das Gebiet an und schenkt (!) es dem Kloster Tegernsee (angebliche"Schenkung" 1010/11 datiert). Möglich auch: Kloster fälscht (wie üblich) die Urkunde, um einen Territorial-Nachweis zu haben.
3. Friedrich I. schenkt (!) dann dann die Einkünfte ("utilitates") aus dem Gebiet zur Hälfte dem Brixner Bischof, wird von Philipp von Schwaben als"Recht" dann aufs ganze Brixener Gebiet ausgedehnt, 1214 von Friedrich II."bestätigt", 1218 sogar"erweitert". Dies in der üblichen Textur: "Concedimus et donamus in perpetuum..." Die Abgaben werden bei einem Hof ("zur Silberplatte") konzentriert, 1320/22 kommt es zu Verpfändungen, Klartext: Der"Herr" muss sich finanzieren.
4. Nikolaus von Kues (Cusanus), der die Rechte hat, sieht diese von einem weiteren Gewaltherrn (Herzog Sigismund) bedroht und überträgt sie pro forma zu einem Jahreszins wieder an den Kaiser, verrentet also seine Rechte 1458, sehr schlau, denn da war die Hausse noch im Gang.
5. Derweil steht der Abbau in voller Blüte (der relative Silberpreis ist immens, siehe die bekannte Preiskurve, ATH 1476), nachdem ein Cusanus-Vorgänger als souveräner Reichs- und Landesfürst bereits 1410 an mehrere"Gewerke" (wiederum gegen Geld bzw. Beteiligung) Schürfrechte verkauft hatte. Beteiligung, weil ex 1426 ein Doku existiert, wonach ein Landesherr 17 Anteile (die Gruben waren je in Neuntel geteilt) an diversen Gruben hatte. Aus Eigentum wird Kapital und dieses dann in Anteile geteilt.
6. Die Gewerken schlossen sich zum"Gossensasser Handel" zusammen, konkret: ein Kartell von Mini-Kapitalgesellschaften. Dabei waren die"Neuntel" jeweils wie bergrechtlich üblich mit Zubuß-Zwang ausgestattet: Wer nicht zuzahlte, falls die Kosten über die Erträge stiegen, verlor seinen Anteil.
7. 1427 wird eine Bergordnung erlassen (Rechtsgrundlage), die dann Vorbild für die großen Bergwerksordnungen der Habsburger wird. Dabei das übliche: Gewähr von persönlichen Rechten (Freiheiten) an die Bergleute (Befreiung von Fron und sogar sonstiger Verfolgungen aller Art). ATH der ganzen Entwicklung um 1450.
8. Danach Abstieg: Zwar wird noch 1456 ein"Festpreis" vom Augsburger Kapitalisten Meuting geboten. Summa 35.000 fl., siehe oben den schlauen Cusanus. Aber das Austoppen des Silberpreises führt zu Kosten/Ertrags-Klemmen. Ab 1462 schwere soziale Unruhen. Die Rechte werden wieder eingesammelt bzw. die Abgaben steigen. Wenn's der Besteuerungsgrundlage schlecht geht, geht's dem Steuerherrn auch schlecht, was er auszugleichen versucht, indem er die Lage der Besteuerten noch mehr verschlechtert.
9. Man weicht aufs Blei als Hauptschürfmittel aus, das seinerseits besseren Kurs erhält, weil jetzt allenthalben neue Silbergruben entstehen und die brauchen das Blei zur Silbergewinnung (Kupellation). Also: Diversifikation.
10. Die Kosten/Ertrags-Lage verschlechtert sich weiter, die Bergleute weichen aus, ab 1489 gehen sie sogar nach Russland - wie"unpatriotisch"!.
11. Ab 1497 kommen dann die Gossensasser Erze nach Schwaz (Inntal) und werden dort mit dortigen Erzen weiter verarbeitet. Konzentration. Dabei besteuert der Landesherr dann mit"großem" und"ringem" Wechsel - also einer Produkten- alias Einmal-Umsatzsteuer. Und der allgemeine Niedergang des Tiroler Silbergeschäfts komplettiert sich.
12. Im Laufe des 16. Jh. verschwindet es dann ganz (woanders - Südamerika, Potosi usw. - ist's halt billiger). Heute gehört das Gelände übrigens wieder dem Obereigentümer - diesmal der Republik Italien...
Ein schönes Beispiel auch für Globalisierung und die Folgen sub specie zusätzlicher oder zu hoher Abgabenbelastung.
Eines Tages wird sich der Silberabbau in Südtirol wieder lohnen. Dazu muss halt nur der Preis entsprechend steigen, siehe oben.
Gruß!

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