- Crash-Kurs zur EU-Wahl am 13. Juni 2004 - Stephan, 13.05.2004, 13:52
- Re: Perikles als"Souffleur" der EU-Verfassung - lachmichtot! - dottore, 13.05.2004, 15:50
Crash-Kurs zur EU-Wahl am 13. Juni 2004
-->Text und Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung der ödp ;-) Schön dass da mal eine Partei nicht gleich ins Fegefeuer der Eitelkeiten fÀllt...
Aus der PrÀambel der Verfassung:
<font color=blue>"Die Verfassung, die wir haben... heiĂt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige BĂŒrger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist." - Thukydides, II, 37</font>
Vergl. hierzu: SF-39667
<h3>EU-Verfassung entscheidet ĂŒber die Zukunft der Demokratie</h3>
von Prof. Dr. Klaus Buchner
Elementare demokratische GrundsÀtze werden aufgegeben
Seit Jahren wird eine Verfassung fĂŒr die EU gefordert. Jetzt liegt endlich ein Entwurf dafĂŒr vor. Er ist nur deshalb noch nicht in Kraft getreten, weil es zwischen Polen und Deutschland Streitigkeiten um die Verteilung der Stimmrechte gab. Der Entwurf selbst soll jedoch nicht mehr geĂ€ndert werden.
Falls diese Verfassung in Kraft tritt, wird sie in vielfacher Weise unser Leben beeinflussen. Gleich in den ersten SĂ€tzen wird klar, dass wichtige demokratische GrundsĂ€tze auĂer Kraft gesetzt werden. Denn der Entwurf bekennt sich zwar zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten (Art. I-7), jedoch nicht zu den demokratischen Grundrechten. Interessant ist, was unter den âGrundfreiheitenâ verstanden wird. Art. I-4 definiert sie als âder freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapital-verkehr sowie die Niederlassungsfreiheitâ.
Das sind neo-liberale Wirtschaftsregeln fĂŒr die Globalisierung, aber keine Freiheiten im Sinn der Menschenrechte.
Ein Satz der Art: âAlle Gewalt geht vom Volk ausâ fehlt und wĂ€re auch mit den Bestimmungen dieser Verfassung unvereinbar. Das wird deutlich, wenn man die Strukturen der EU (PDF/ 9 Seiten) betrachtet, die der Verfassungsentwurf beibehalten will:
~ Das EU-Parlament, das von den EU-BĂŒrgern gewĂ€hlt wird.
~ Der EU-Rat, der aus seinem PrĂ€sidenten, den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten und dem PrĂ€sidenten der EU-Kommission besteht. Der Rats-PrĂ€sident wird nicht von den EU-BĂŒrgern, sondern von den Mitgliedern des EU-Rats fĂŒr jeweils zweieinhalb Jahre gewĂ€hlt.
~ Der Ministerrat. Jeder Mitgliedsstaat entsendet je einen Minister fĂŒr jedes Fachge-biet des Ministerrats.
~ Die EU-Kommission, deren Mitglieder von den Regierungen der EU-Staaten aus-gehandelt werden. Ihr PrÀsident wird vom EU-Rat vorgeschlagen und vom EU-Parlament bestÀtigt.
~ Der EU-AuĂenminister der Union. Er wird vom EU-Rat ernannt und vom PrĂ€sidenten der Kommission bestĂ€tigt.
1. Die Verwaltung ist im wesentlichen Aufgabe der Kommission. Die politischen GrundsĂ€tze werden im EuropĂ€ischen Rat festgelegt. Das EU-Parlament hat nur wenige Kompetenzen: GesetzesentwĂŒrfe können nur auf Vorschlag der Kommission eingebracht werden. Diese Gesetze und der Haushalt können vom EU-Parlament nur gemeinsam mit dem Ministerrat beschlossen werden. Sonst darf das EU-Parlament nur noch MisstrauensantrĂ€ge gegen die gesamte Kommission einbringen und die Kommission beraten. Die fĂŒr Demokratien so wesentliche Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Politik / Verwaltung fehlt völlig. Die Kommission, die die Gesetze formuliert und die Verwaltung durchfĂŒhrt, wird nicht einmal gewĂ€hlt, und steht unter dem direkten Einfluss der Wirtschaft. Denn deren Vertreter haben stĂ€ndigen Zugang zu allen Bereichen der Kommission.
2. Da das EU-Parlament als einzig direkt gewĂ€hlte Institution sehr wenig Befugnisse hat, schafft die EU-Verfassung einen zentralistischen Staat von entmĂŒndigten BĂŒrgern. Es entsteht der Eindruck, dass es nicht um Demokratie geht, sondern um eine problemlose zentrale Verwaltung.
Ein Beispiel:
Die Grenzwerte fĂŒr die Mobilfunkstrahlung sollten fĂŒr Europa einheitlich festgelegt werden. Dazu berief das EU-Parlament eine Gruppe von Wissenschaft-lern, die den sehr niedrigen Wert von 0, 000 1 W/m2 vorschlugen. Da aber das EU-Parlament keine GesetzentwĂŒrfe machen darf, konnte es diesen Vorschlag nicht weiter verfolgen. Die Kommission, die unter dem Einfluss der Industrie steht, wollte dagegen die 50 000 bis 100 000 mal höheren deutschen Grenzwerte festlegen. Sofern die Kommission hierzu kein Gesetz, sondern nur eine Verordnung erlĂ€sst, kann sie das jederzeit gegen den Willen des Parlaments tun.
3. Unionsrecht bricht grundsĂ€tzlich das Recht der Mitgliedsstaaten (Art. I-10) und setzt sogar Teile von deren Verfassungen auĂer Kraft. Ein Beispiel dafĂŒr ist die Verteidigungspolitik: Art. I-40 (3) verpflichtet zur AufrĂŒstung: âDie Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militĂ€rischen FĂ€higkeiten schrittweise zu verbessern.â Diese werden zur âFriedenssicherung, KonfliktverhĂŒtung und StĂ€rkung der internationalen Sicherheit gemÀà den GrundsĂ€tzen der Charta der Vereinten Nationenâ eingesetzt. Das bedeutet z.B. auch BundeswehreinsĂ€tze zur Terrorismus-BekĂ€mpfung auĂerhalb Europas im Interesse von Drittstaaten (siehe Irakkrieg) und zur âKrisenbewĂ€ltigungâ ĂŒberall in der Welt (beides in Art. III-210) und steht im klaren Widerspruch zum Deutschen Grundgesetz, das praktisch nur reine Verteidigungskriege zulĂ€sst (Art. 87a des Grundgesetzes) und Angriffskriege unter Strafe stellt (Art. 26, Abs.1). Bei der Entscheidung ĂŒber Krieg und Frieden haben weder der Deutsche Bundestag, noch das EuropĂ€ische Parlament ein Mitspracherecht. Sie wird allein vom EuropĂ€ischen Ministerrat gefĂ€llt; der allerdings in einigen FĂ€llen einstimmig beschlieĂen muss (Art. I-40 (4) und I-39 (7)).
4. Da die ZustĂ€ndigkeit der Union nicht genau eingeschrĂ€nkt wird (Art. I-9), greift sie in immer mehr Bereiche ein. So bleiben den nationalen Parlamenten immer weniger Kompetenzen. (Verletzung des SubsidiaritĂ€tsprinzips âSo viel lokal wie möglich, soviel ĂŒberregional wie nötigâ)
Ein harmloses Beispiel:
Form und GröĂe der importierten Bananen gehören sicher nicht zu den âausschlieĂlichen ZustĂ€ndigkeitenâ der Union (nach Art. I-12). Wenn aber ein EU-Kommissar beschlieĂt, die Eigenschaften von Bananen mĂŒssen im Rahmen der âgemeinsamen Handelspolitikâ (Art. I-12 (1)) fĂŒr die ganze EU einheitlich festgelegt werden, so kann er das tun. Weniger harmlos ist es, wenn die EU wichtige Befugnisse von Regierungen den privaten Konzernen ĂŒbergibt. Wie das geschehen kann, zeigen die folgenden beiden Punkte:
5. Der EU-Verfassungsentwurf sieht vor, dass internationale VertrĂ€ge ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten geschlossen werden (Art. I-12 (2)). Dies geschieht auch ohne Zustimmung des EU-Parlaments, aber im direkten Einflussbereich von WirtschaftsverbĂ€nden (z.B. âEuropean Services Forumâ). In nĂ€chster Zeit betrifft dies beispielsweise den sog. GATS-Vertrag, der u.a. die Ă-ffnung von Bildungseinrichtungen fĂŒr Privatfirmen festschreibt.
Damit private Anbieter gleiche Chancen haben, dĂŒrfen UniversitĂ€ten nicht mehr bezuschusst werden. Als Folge davon mĂŒssen dann StudiengebĂŒhren, eventuell auch Schulgeld erhoben werden. Volkshochschulen sind in der bisherigen Form nicht mehr möglich. ZuschĂŒsse zu KrankenhĂ€usern, eine öffentliche Wasserversorgung und MĂŒllabfuhr stehen auf dem PrĂŒfstand, ebenso wie der Ă-ffentliche Nahverkehr.
6. Der Einfluss der Politik wird gegenĂŒber der Wirtschaft stark eingeschrĂ€nkt: Sozial- und Umweltstandards, Gesundheits- und Verbraucherschutz werden geopfert: Der GATS-Vertrag, der von der EU ins Auge gefasst wird, sieht vor, âkeine unnötigen Hemmnisseâ gegen den freien Warenverkehr aufzubauen. Im Vertrag ist ein âNotwendigkeitstestâ fĂŒr nationale Gesetze enthalten (Art. XIV, XX). Er besagt, dass bei bestimmten Dienstleistungen weder die âKernarbeitsnormenâ der internationalen Arbeiterorganisation ILO, noch Einhaltung von Tarif- und GewerkschaftsvertrĂ€gen gefordert werden dĂŒrfen. SelbstverstĂ€ndlich werden auch Gesetze zum Umwelt- und Verbraucherschutz aufgehoben, soweit sie den Interessen der betroffenen Firmen im Weg stehen.
Die Folgen derartiger VertrĂ€ge bekommen wir jetzt zu spĂŒren: Die EU, insbesondere die deutsche Ministerin KĂŒnast ist vor den USA eingeknickt und lassen den Import genmanipulierter Nahrungsmittel zu. Bisher mussten derartige VertrĂ€gen jedoch im Ministerrat von den zustĂ€ndigen Ministern der Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Nach dem Verfassungsentwurf ist das in Zukunft nicht mehr nötig. Die Kommission, die keinerlei demokratische Legitimation hat, bestimmt darĂŒber allein.
7. Die Soziale Marktwirtschaft wird praktisch abgeschafft. Art. I-3 (3) enthĂ€lt zwar noch die Formulierung âwettbewerbsfĂ€hige soziale Marktwirtschaftâ. Aber in der konkreten Ausgestaltung in Abschnitt III ist das Wort âsozialeâ nicht mehr enthalten. Schlimmer noch: In Art. III-69 (1) heiĂt es: âDie TĂ€tigkeit der Mitgliedsstaaten und der Union im Sinne des Artikels I-3 umfasst nach MaĂgabe der Verfassung die EinfĂŒhrung einer Wirtschaftspolitik, die... dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.â Kein Wort von ökologischer oder sozialer Marktwirtschaft! Was das praktisch bedeutet, wurde oben in 6. an einem Beispiel gezeigt.
Ein weiteres Beispiel:
8. In umstĂ€ndlicher Sprache legt Art. III.55 (1) etwas Ungeheueres fest: âDie Mitgliedsstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschlieĂliche Rechte gewĂ€hren, keine den Bestimmungen der Verfassung und insbesondere deren Artikel I-4.Absatz 2 und den Artikeln III-55 bis III-58 widersprechende MaĂ-nahmen treffen oder beibehalten.â Diese MaĂnahmen sind nach III-56 âBeihilfen der Mitgliedsstaaten oder aus staatlichen Mitteln gewĂ€hrte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die BegĂŒnstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfĂ€lschen oder zu verfĂ€lschen drohen...â) Das ist ein Anschlag auf die öffentliche Daseinsvorsorge z.B. durch staatliche Schulen, UniversitĂ€ten, Rundfunk- und Fernsehsender usw., sobald andere âUnternehmenâ als Konkurrenten auftreten, z.B. Schulen auslĂ€ndischer Bildungskonzerne oder Islamschulen fundamentalistischer Muslims. Dieses Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen. Bei den GATS - Verhandlungen steht unser Schulsystem tatsĂ€chlich zur Disposition, d.h. die Bezahlung von Schulen durch den Staat kann verboten werden, wenn andere Schulen als benachteiligte Konkurrenten dagegen klagen. (Bisher bekommen Privatschulen hohe ZuschĂŒsse, falls sie die LehrplĂ€ne und bestimmte Mindeststandards erfĂŒllen. Nach der Verfassung darf - wenn ein Konkurrent auftritt - kein Schulsystem staatliche Gelder bekommen. Dann muss selbst in Grundschulen Alles von den Eltern bezahlt werden.)
9. Der 1957 abgeschlossene Euratomvertrag gilt weiter und wird sogar im EU-Verfassungsentwurf ausdrĂŒcklich bestĂ€tigt (Protokoll zur Ănderung des Euratom-Vertrags in Abschnitt IV). Dort heiĂt es: â... Unter Hinweis darauf, dass die Bestimmungen des Vertrags zur GrĂŒndung der EuropĂ€ischen Atomgemeinschaft weiterhin volle rechtliche Wirkung entfalten mĂŒssen,...â Das bedeutet, dass sogar LĂ€nder, die dem Euratomvertrag nicht beigetreten sind und selbst keine Atomkraftwerke betreiben (z.B. Ă-sterreich), auch in Zukunft ĂŒber ihre EU-BeitrĂ€ge AKWs in Osteuropa subventionieren mĂŒssen.
Aus diesen GrĂŒnden lehnt die ödp den vorliegenden Verfassungsentwurf ab. Sie fordert, dass eine so weitreichende EinschrĂ€nkung demokratischer Rechte nur nach einer Volksabstimmung erfolgen darf. 92,4% der Deutschen sprechen sich fĂŒr diese Volksabstimmung aus. Aber 90% der Bundestagsabgeordneten sind dagegen. Denn bei einer Volksabstimmung nach einer fairen Information der Bevölkerung hĂ€tte diese Verfassung kaum eine Chance.
[img][/img]
Prof. Dr. Klaus Buchner ist Bundesvorsitzender der ödp und Spitzenkandidat fĂŒr die Europawahl am 13. Juni 2004
Bisher berichtet die Presse ĂŒber diese MissstĂ€nde kaum. lediglich die Friedenswerkstatt Linz" und die Informationsstelle Militarisierung sind Ausnahmen in der deutschsprachigen Presselandschaft.
Am 13. Juni ist Europawahl. Nicht wĂ€hlen zu gehen ist eine Sache. Einer kleinen Partei, wie z.B. den UnabhĂ€nigen Kandidaten oder der ödp die Stimme zu geben ist auch eine Möglichkeit des Protests. Gegen ein zentralistisch regiertes Europa, bei dem die Nationen und die BĂŒrger vor allem eines sollen: Kaufen ohne nachzudenken!
gruss!
<ul> ~ Verfassungsentwurf Europa.pdf</ul>

gesamter Thread: