- Außerthematisch: Theorie, daß 80% aller Juden Khasaren sind, ist genet.Unsinn - Theo Stuss, 28.05.2004, 16:52
- Prognosen mit ganz dünnen Grundlagen und auch die anderen ;) - JoBar, 28.05.2004, 18:48
Außerthematisch: Theorie, daß 80% aller Juden Khasaren sind, ist genet.Unsinn
-->
P.M. HISTORY
04/2004
Genanalyse
Gibt es ein »Volk Israel«?
Jüdische Gemeinschaften leben heute in aller Welt. Doch was haben diese Juden mit jenem Volk gemeinsam, das in der Antike im Heiligen Land lebte?
Gleich vorweg: Wenn ein Thema die Möglichkeit bietet, in etliche Fettnäpfchen zu treten, dann wohl dieses. Es geht hier um die jüdische Ahnenforschung. Schon der Begriff erinnert beinahe zwangsläufig an Formulierungen aus dem längst untergegangenen braunen Vokabular. Man denkt an abstruse Wortschöpfungen wie »Volljuden«, »Halbjuden« und »Vierteljuden« - als wäre das Judesein ein biologisch messbarer Zustand.
Im vorliegenden Bericht ist vielfach von »jüdischen Genen« die Rede. Diesen Begriff darf man aber keinesfalls mit »jüdische Rasse« verwechseln. Nicht jeder Jude ist Träger »jüdischer Gene«. Und nicht jeder, der die besagten Gene hat, ist unbedingt Jude. »Judesein«, sagt der nordamerikanische Molekulargenetiker Karl Skorecki, »ist ein geistiger, metaphysischer Zustand. Desoxyribonucleinsäure (DNS) dagegen ist eine körperliche Eigenschaft wie die Größe der Nase... Es ist falsch, diese als biologischen Prüfstein für das Judesein anzuwenden.«
Es geht hier also nicht um eine »Rassenkunde«, sondern um neue Erkenntnisse der DNS-Analyse. Schon seit dem Ende der 1970er-Jahre wird das Erbgut unter die Lupe genommen, um den genetischen Fingerabdruck eines Menschen zu ermitteln. Verbrecher werden anhand einer einfachen Speichelprobe überführt, wenn sie am Tatort eine biologische Spur hinterlassen haben. Die Verwandtschaft von Vater und Kind wird durch einen Vergleich der jeweiligen DNS bestätigt. Mit der Genanalyse gelang es, Kaspar Hauser im Jahr 2002 mit hoher Wahrscheinlichkeit als Nachkommen des Hauses Baden zu bestimmen. Ägyptologen wagen es, die Verwandtschaft 3000 Jahre alter königlicher Mumien durch Gewebeproben nachzuweisen. Was liegt wohl näher als der Versuch, die DNS-Analyse auch für die Völkerkunde einzusetzen, um schwierige Fragen der Menschheitsgeschichte zu klären? Durch genetische Information - so behaupten die Genetiker - kann man immer exakter ganze Völkerschaften anhand kleiner, meist unbedeutender, Variationen in den Chromosomen von anderen Völkern unterscheiden. Mit solchen Merkmalen versuchen die Wissenschaftler in den letzten Jahren, die Wanderungen des Homo sapiens über die gesamte Erde nachzuvollziehen, in der Hoffnung, die gemeinsamen Vorfahren aller Menschen zu entdecken. Und so kommen wir zu den Juden zurück: Auch ihre Wanderungen werden zum Gegenstand der Forschung. Man sucht nach Spuren, um die Verwandtschaft der zurzeit etwa zwölf Millionen Juden zu untersuchen. Sind die Juden heute das gleiche Volk, das in der Antike im Heiligen Land lebte? Oder haben die drei jüdischen Hauptvölker - die Aschkenasim, die Sephardim und die orientalischen Juden - unterschiedliche Entstehungsgeschichten? Mit etwa 82 Prozent stellen die Aschkenasim, die Juden Ost- und Westeuropas, den größten Anteil, etwa elf Prozent gehören zu den Sephardim, den Juden Nordafrikas und Kleinasiens, ansonsten gibt es noch orien-talische Juden aus dem Jemen, Persien, Kurdistan, Georgien, Irak, usw. Immerhin können europäische Juden blondhaarig und blauäugig sein, während ihre Glaubensbrüder aus den arabischen Ländern und dem Orient nicht selten pechschwarze Haare und eine olivfarbene Haut haben.
Bis vor etwa hundert Jahren verfügten die Wissenschaftler nur über wenige Instrumente zur Ermittlung der Volkszugehörigkeit. Äußerlichkeiten wie gleiches Aussehen, gleiche Traditionen und eine gemeinsame Sprache waren die offensichtlichen Merkmale. Gemessen an solchen Maßstäben schienen die Juden eindeutig ein »Mischvolk« zu sein. Denn nur in der Religion konnte man große Gemeinsamkeiten erkennen, wenn diese überhaupt praktiziert wurde. In Osteuropa sprachen viele Juden zwar die gemeinsame Sprache Jiddisch, in den Balkanländern und in der Türkei dagegen unterhielten sie sich in einem altertümlichen Spanisch, dem Ladino. Persische Juden sprachen Persisch, arabische Juden Arabisch. Die Entdeckung der erbbedingten Blutgruppen im frühen 20. Jahrhundert trug wenig dazu bei, ein biologisch bestimmbares »jüdisches Volk« zu ermitteln. Denn das »jüdische Blut« spiegelte stets die Blutgruppen der jeweiligen nichtjüdischen Umwelt wider, in der sich die Juden aufhielten. Allerdings kommen bei den Juden gewisse Erbkrankheiten gehäuft vor, die viel seltener unter Nichtjuden anzutreffen sind. Bei aschkenasischen Juden etwa gibt es eine seltene, tödliche Erbkrankheit, Tay-Sachs (amaurotische Idiotie) genannt, die bei Juden in einer Häufigkeit von 1:6000 auftritt, während nur ein Nichtjude von 500000 daran leidet. Sephardische Juden erkranken da-gegen am familiären Mittelmeerfieber (FMF), das bei den Aschkenasim beinahe unbekannt ist.
Zusätzlich zu solchen Ungereimtheiten kursiert die Theorie, dass die Mehrzahl der ostjüdischen Aschkenasim ursprünglich keine Juden waren, sondern Abkömm-linge der Khasaren, einer türkischen Völkerschaft, die im 8. Jahrhundert zum Judentum übergetreten war. Als das einst mächtige zentralasiatische Khasarenreich im 11. und 12. Jahrhundert zerfiel, zogen manche dieser zum Judentum konvertierten Türken in den Westen, und zwar in die Ukraine. Von dort, so die Vermutung, wanderten sie weiter und ließen sich in Polen nieder. Das Aussehen der aschke-nasischen Juden, Erbkrankheiten und sonstige Eigenschaften könnten somit auf die Khasaren zurückgeführt werden. Das waren freilich nur Spekulationen. Harte Fakten über die Herkunft der Juden ließen sich ohne DNS-Analyse nicht ermitteln. Doch 1996 fand die erste wichtige genetische Untersuchung von jüdischen Menschen statt. Der amerikanische Genetiker Michael Hammer und sein Team erforschten wissenschaftliches Neuland: die Zugehörigkeit zur alten jüdischen Priesterschaft. Dazu muss man wissen, dass Juden auf der ganzen Welt sich traditionell in drei kultische Identitäten einteilen: Priester, Leviten und Israeliten. Israeliten behaupten von sich, sie seien die Nachkommen der zwölf Stämme der Antike. Leviten dagegen halten sich für die direkten Blutsverwandten der Diener im alten Tempel in Jerusalem. Priester (hebräisch: »Kohen«) betrachten sich wiederum als Nachkommen der biblischen Priesterschaft. Priester ist heute derjenige, dessen Vater Priester war. So einfach ist das. Manche von ihnen - bei weitem aber nicht alle - tragen noch immer Familiennamen wie »Cohen«, »Kagan« oder »Kahn«. Heute sehen sich etwa fünf Prozent aller männlichen Juden, das heißt 350000 Menschen, als »Kohanim«, also als Bluterben des ersten Priesters der jüdischen Geschichte, Aaron, des Bruders von Moses.
Ruht diese Tradition auf einer genetischen Basis? Gerade dies wollten Hammer und seine Kollegen prüfen. So untersuchten sie 188 jüdische Männer aus den USA, Großbritannien und Israel, wovon sich 68 als »Kohanim« verstanden. Die Testpersonen waren Aschkenasim und Sephardim. Gegenstand der Untersuchung war das Y-Chromosom, das vom Vater auf den Sohn vererbt wird. Dieses Chromosom enthält nur zwei Prozent des gesamten Erbguts eines Menschen. Im Grunde ist das Y-Chromosom in allen Männern dieser Welt gleichförmig - mit Ausnahme allerdings von jenen kleinen Abweichungen, die man Mutationen nennt. Diese treten manchmal beim Kopieren des Chromosoms von Generation zu Generation auf. Mutationen sind deshalb ein wichtiger Hinweis für den Genetiker: Menschen, bei denen die gleiche Abweichung nachgewiesen werden kann, sind miteinander verwandt. Hammer und seine Kollegen wurden schnell fündig: 98,5 Prozent der 68 Testpersonen, die sich als »Kohanim« bezeichneten, hatten in der Tat die gleiche genetische Abweichung. Zwar kam sie auch bei Männern vor, die sich nicht als Kohanim verstanden - doch wesentlich seltener.
Der ersten folgte bald eine zweite Untersuchung. Nun stellte der Genetiker Karl Skorecki bei den Kohanim nicht eine, sondern sechs verschiedene Mutationen fest. Skorecki nannte dieses neu entdeckte Mutationskonglomerat »CMH« (»Cohen Modal Haplotype«). Es war in über neunzig Prozent jener Testpersonen (Aschkenasim oder Sephardim) vorhanden, die behaupteten, sie seien Priester. Der Genetiker errechnete, dass die Verwandtschaft der Testpersonen 106 Generationen zurückreichte. So gesehen lebte der erste Kohen möglicherweise vor 3300 Jahren - was ihn ins Zeitalter des biblischen Aaron datieren würde. Und: Da diese Untersuchung Aschkenasim und Sephardim zugleich berücksichtigte, lieferte sie den klaren Beweis, dass beide Völker - zumindest väterlicherseits (da es sich um das Y-Chromosom handelte) - einst gemeinsame Wurzeln hatten.
Diese Genanalyse führte schnell zu einer noch erstaunlicheren Entdeckung. An der Grenze zwischen Südafrika und Simbabwe lebt nämlich das Volk der Lemba, ein Bantu sprechender Stamm von etwa 50000 Menschen. Vom Aussehen her unterscheiden sich die Lemba kaum von anderen Bantu-Völkern in
der Gegend. Dennoch behaupten sie, sie seien Juden. Schon Anfang der 1990er-Jahre hatte der südafrikanische Wissenschaftler Tudor Parfitt die Lemba in ihrer Heimat besucht und festgestellt, dass die Lemba tatsächlich gewisse Bräuche einhielten, die stark an jüdische Gepflogenheiten erinnerten. So aßen sie etwa kein Schweinefleisch, mischten nie Milch und Fleisch und schlachteten ihre Tiere nach dem gleichen Ritus, wie es die Juden tun. Außerdem ließen sie ihre Knaben beschneiden - allerdings nicht am achten Tag wie die Juden, sondern im achten Jahr. Ihre Toten begruben sie mit dem Kopf nach Norden, in Richtung Jerusalem. Nur: Sie waren - zumindest nominal - Christen. Parfitt vermutete zunächst, dass sich die Lemba durch die Lektüre des Alten Tes-taments eine gewisse Sympathie für jüdische Gebräuche angeeignet hatten. Die Lemba selbst behaupteten allerdings, dass ihre Vorväter aus einem Ort namens Sena (der Name erinnert an Sanaa in Jemen) gekommen waren und in Simbabwe eine Stadt gegründet hatten, deren Ruinen heute noch unter dem Namen das »Große Simbabwe« zu bewundern sind. Von dort seien sie in das heutige Bantu-Gebiet eingewandert.
Die ganze Geschichte blieb mysteriös, bis einige Wissenschaftler 1999 die Lemba genetisch untersuchten. 399 Y-Chromosomen von Lemba, Bantu, Jemeniten, sephardischen und aschkenasischen Juden wurden im Hinblick auf die CMH-Mutation verglichen. Das überraschende Ergebnis: Insgesamt zehn Prozent aller Lemba hatten das Merkmal der Kohanim - doppelt so viel wie in der durchschnittlichen jüdischen Bevölkerung. Noch überraschender: Bei einem der zwölf Lemba-Großclans, dem Buba-Clan, trugen über fünfzig Prozent der Männer diese Mutation. Wie war das zu erklären? Man geht davon aus, dass sich jüdische Händler aus Palästina oder doch aus Sanaa in Jemen einst in den Süden Afrikas verirrten, dortige Frauen heirateten und nie wieder heimkehrten. Das väter-liche Y-Chromosom blieb ihnen erhalten und wurde weitervererbt. Mütterlicherseits waren sie allerdings Bantus. Ähnlich muss es auch den »Bene Israel« (Söhne Israels) in Indien ergangen sein. Diese etwa 4000 indischen Juden leben heute in Mumbai (früher Bombay), Poona, Thane und Ahmedabad. Nach ihrer Tradition seien sie die Nachkommen von Juden aus Judäa, die in der Antike nach Indien geflüchtet waren. Die Untersuchung ihres Erbguts gab auch ihnen Recht. Ein Großteil von ihnen wies ebenfalls die priesterliche Mutation auf. Anders liegt der Fall bei den Juden aus Äthiopien, die dort »Falasha« genannt wurden, was eigentlich ein Schimpfwort ist. Jahrhundertelang praktizierten sie das Judentum, obwohl sie in einer feindlich gesinnten christlichen Umwelt lebten. Möglicherweise geht ihre Glaubensrichtung auf die Antike zurück. Nach eigener Angabe seien sie Nachkommen König Salomos und der Königin von Saba. Eine Genanalyse, 1999 von Michael Hammer und seinen Kollegen durchgeführt, schuf endlich Klarheit über ihre Herkunft. Obwohl die äthiopischen Juden auch in Israel als Glaubensgenossen anerkannt werden, stellte sich heraus, dass sie sich, zumindest was die Chromosomen betrifft, kaum von nichtjüdischen Äthiopiern unterscheiden. Fazit: Vor sehr langer Zeit traten sie - vermutlich freiwillig - zum Judentum über. Hammer und Kollegen untersuchten insgesamt 1371 männliche Testpersonen, darunter Juden aus sieben Gemeinschaften (aschkenasische, römische, nord-afrikanische, kurdische, nahöstliche, jemenitische und äthiopische), dazu 16 nichtjüdische Gruppen unter anderem aus Russland, Polen, Deutschland, Griechenland, Nordafrika, Palästina, Libanon, Syrien, Jemen und die Lemba. Das Resultat war eindeutig: Alle jüdischen Gruppierungen (mit Ausnahme der Äthiopier) zeigten unter sich eine höhere genetische Verwandtschaft als mit den nichtjüdischen Gruppen. Juden aus Russland und Polen waren - zumindest väterlicherseits - eindeutig mit Glaubensgenossen aus Marokko, Kurdistan und Irak verwandt. Dagegen hatten sie kaum Gemeinsamkeiten mit Russen und Polen.
Von allen vertretenen nichtjüdischen Völkern glichen die Juden am meisten - wen wundert es - den Palästinensern, den Syrern und den Libanesen, was nur bestätigt, was ohnehin alle wissen: Dass der Nahostkonflikt eine Auseinandersetzung unter Verwandten ist. Sonst sahen die Ähnlichkeiten mit den nichtjüdischen Bevölkerungen in absteigender Reihenfolge so aus: Griechen, Türken, Italiener, Spanier, Deutsche, Ã-sterreicher. Schlusslicht waren die Russen. Auch die Lemba wiesen - abgesehen vom »Cohen Modal Haplotype« - zusätzliche »jüdische Gene« auf. Insgesamt entdeckten Hammer und Kollegen in ihrer Untersuchung 13 »Haplotypen«, die viel häufiger bei Juden vorkommen als bei Nichtjuden. »Haplotyp« nennen die Wissenschaftler eine Gruppe von Mutationen, die stets gemeinsam auftreten. 13 »Haplotypen« ist gleichbedeutend mit 13 Stammvätern, die einst vor etlichen tausend Jahren lebten und dem Volk als Ahnherren dienten. Selbstverständlich ist kein Jude im Besitz aller 13 Haplotypen.
Fest steht: Die Wurzeln der heutigen Juden sind im Nahen Osten zu suchen. Somit wird zum ersten Mal die alte Theorie der Entstehung der Aschkenasim aus den Reihen der Khasaren wissenschaftlich widerlegt. Wahrscheinlich kamen die heutigen Ashkenasim über Rom nach Europa. Von dort zogen sie nach Frankreich und Deutschland weiter. Nach den Verfolgungen im Rheingebiet zur Zeit der Kreuzzüge wanderten viele Juden nach Polen aus und nahmen ihre mittelhochdeutsche Sprache mit, aus der das Jiddische entstand.
Andere isolierte jüdische Gemeinschaften, etwa jene in Georgien, Kurdistan und Persien sind, so die Forscher, möglicherweise die Nachkommen jener Juden, die 721 v. Chr. im Zeitalter des assyrischen Reichs in den Osten verschleppt wurden. Bisher war nur die Rede vom Y-Chromosom und von männlichen Juden. Kann man aber auch bei Frauen »jüdische Gene« feststellen? Frauen haben kein Y-Chromosom und kamen deshalb in den oben genannten Genanalysen als Testpersonen nicht in Frage. Doch auch Frauen vermitteln an ihre Kinder - männliche wie weibliche - ein ganz besonderes Erbgut: die mitochondriale DNS (mtDNS), die nie von Männern an ihre Kinder weitergegeben wird. Sie findet sich in den Mitochondrien, den »Kraftwerken« einer Zelle.
David Goldstein, ein Genetiker am University College of London, machte diese mtDNS zum Gegenstand einer Untersuchung. Seine weiblichen Testpersonen entstammten neun verschiedenen jüdischen Völkern von Georgien bis Marokko. Goldstein war auf der Suche nach einer Gemeinsamkeit, die auch bei allen Müttern vorkommt. Doch diese von der Mutter vererbten »jüdischen Gene« waren nicht aufzufinden. Jüdische Frauen aus verschiedenen Kulturen schienen vom Erbgut her nur wenige Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Lediglich innerhalb einer bestimmten Kultur stellten die Wissenschaftler fest, dass die weibliche mtDNS den Nachweis lieferte, dass sich jede jüdische Gemeinde aus wenigen Stamm-Müttern zusammensetzte. Zur Erklärung stellten sich Goldstein und seine Kollegen folgendes Szenario vor: Männer aus dem Nahen Osten hatten sich vielleicht als Händler irgendwo niedergelassen und gründeten Siedlungen, die dann zu Kolonien heranwuchsen. Die Männer heirateten anfangs Frauen aus der nichtjüdischen Umgebung. Nachdem die Gemeinde gefestigt war, erlaubte man nur noch die Ehe unter sich. Das erklärt, wieso Juden aus verschiedenen Ländern immer Ähnlichkeiten mit der nichtjüdischen Umwelt aufweisen. Nebenbei: Eine Ehe mit einer nicht-jüdischen Frau ist nach den heutigen rabbinischen Gesetzen nicht mehr zulässig - es sei denn, die Frau tritt vor der Heirat zum Judentum über. Dieser Brauch geht möglicherweise auf römische Erbschaftsgesetze zurück. Die Tatsache, dass jüdische Männer überall Ehen mit nicht-jüdischen Frauen eingingen, spricht dafür, dass das rabbinische Gesetz zunächst weniger verbindlich war als heute.
Die Genanalyse steht gerade erst am Anfang. Jedes Jahr werden neue Möglichkeiten entdeckt, die Techniken verfeinert. 2001 untersuchte die israelische Wissenschaftlerin Ariella Oppenheim 1847 männliche Testpersonen - unter ihnen aschkenasische, sephardische und kurdische Juden wie auch muslimische Kurden, Türken, Armenier, muslimische Araber, Palästinenser und Beduinen. Ihre Methoden waren noch differenzierter als alles Bisherige. Entsprechend waren auch ihre Ergebnisse. Oppenheim und Kollegen gelangen wieder einige neue Entdeckungen: erstens, dass kurdische und sephardische Juden vom Erbgut her im Vergleich zu allen anderen untersuchten Testpersonen einander am ähnlichsten waren - gefolgt von den Aschkenasim, deren Abweichungen dem europäischen Einfluss zuzuschreiben waren; zweitens, dass unter Nichtjuden die allernächsten Verwandten der Juden wohl doch nicht die Palästinenser und Syrer seien - auch wenn die Verwandtschaft eng ist -, sondern die Kurden und die Armenier - dies gelte selbstverständlich nur väterlicherseits (und auch da nur in Bezug auf das Y-Chromosom). Dieses Ergebnis überraschte, ließ sich aber historisch erklären. Immerhin berichtet auch die Bibel, dass Abraham einst aus Ur in Mesopotamien ausgewandert war. Wenn Oppenheims Schlussfolgerungen richtig sind, dann kann man davon ausgehen, dass die Vorfahren Abrahams selbst Nomaden waren, deren Heimat in den Bergen des nördlichen Mesopotamien zu suchen ist. Eines Tages legten sie ihr Schicksal in Gottes Hand - vielleicht gab es für sie auch noch Götter - und machten sich auf den Weg in die weite Welt. Bis heute hat sich für dieses Volk nichts daran geändert. Ein Ende der Reise ist nicht in Sicht.
Autor(in): P.J. Blumenthal

gesamter Thread: