- Ach, wie traurig! (Buchempfehlung) - Zandow, 27.06.2004, 14:43
- Topper ist nicht der erste und einzige Wissenschaftler der dringend Geld braucht (o.Text) - sensortimecom, 27.06.2004, 15:27
- Hast'e noch was zur Sache beizutragen?? Eine Kritik ist jederzeit willkommen! (o.Text) - Zandow, 27.06.2004, 15:57
- Eine handfeste Kritik solltest Du nun aber doch liefern... (o.Text) - Tofir, 27.06.2004, 16:11
- Re: Hier gerade heute die Gegenthese"Koran eine arabische Version der Bibel" - André, 27.06.2004, 18:49
- T. D. Kendrick,"A History of the Vikings" (mL) (o.Text) - FOX-NEWS, 27.06.2004, 19:07
- Re: Ach, wie traurig! (Buchempfehlung) - bernor, 28.06.2004, 23:38
- Topper ist nicht der erste und einzige Wissenschaftler der dringend Geld braucht (o.Text) - sensortimecom, 27.06.2004, 15:27
Ach, wie traurig! (Buchempfehlung)
-->Hallo Forumsgemeinde,
bei der Beschäftigung mit dem sogenannten"Free Icelandic Common Wealth", 930-1262/64, kommt man natürlich um die Geschichte der Vikinger nicht drumrum. Aufgefallen sind mir dabei drei höchst seltsame Dinge: Erstens die schlagartige Christianisierung Skandinaviens in der zweiten Hälfte des 10. Jhh. (die Christianisierung Islands begann dann schon ab dem Althing des Jahres 1000), zweitens die Autoren der skandinavischen und isländischen Sagas, nämlich christliche Priester/chieftains/Godis und drittens die verblüffenden Parallelitäten zwischen der heidnischen und der christlichen Religion. (Falls von Interesse, hier ein Literaturhinweis: T. D. Kendrick,"A History of the Vikings", 1930; ein zum Einlesen ins Vikingerthema sehr gut geeignetes Buch. Habe den Link leider gerade nicht zur Hand, sorry.)
Insbesondere die sich angeblich innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogene Christianisierung hat bei mir doch so einige Zweifel und Stirnrunzeln verursacht. Glauben und Kulte schmeißt man nicht so eben mal über den Haufen und betet von nun an den EINEN Gott an. Die Begründung dieses Religionswechsels aus einem Machtinteresse heraus (Erhaltung und Legitimierung der Macht, effizienteres Steuersystem) erscheint mir zwar logisch und richtig, aber irgendwie zu einfach, zu glatt, und vor allen Dingen zu schnell.
Auf der Suche nach Hinweisen, die mir meine diesbezüglichen Zweifel aus dem Weg räumen könnten, bin ich auf ein hochinteressantes Buch gestoßen, welches ich Euch zur Lektüre empfehle (hier im Forum wohl noch nicht erwähnt):
Uwe Topper,"Die große Aktion. Europas erfundene Geschichte. Die planmäßige Fälschung unserer Vergangenheit von der Antike bis zur Aufklärung."
Dieses dünne Buch (ca. 270 Seiten) ist stellenweise recht amüsant und durchgehend auch für den Laien sehr gut verständlich geschrieben. Selbst ohne Vorkenntnisse kann man den Argumentationsketten des Autors leicht folgen. Worum geht's? Topper versucht anhand der Dogmengeschichte (z.B. Fegefeuer), der Symbolik (Kreuz) und der Moralvorstellungen (Sex, gesellschaftliche Stellung der Frau) die Entstehung der Schriften des Christentums und der christlichen Geschichtsschreibung zu datieren. Höchst erstaunlich war für mich dabei zu erfahren, daß die Kritik an der Entstehungsgeschichte der Texte bereits im späten Mittelalter begann, jedoch bis heute keinen Eingang in die Geschichtswissenschaft gefunden hat. Kritiken sind bisher auf wenige Forscher beschränkt geblieben (Kameier, Fermenko, Illig, Heinsohn, Martin,...).
Zusammengefasst bietet Topper folgendes Bild:
Die Bibel (und mit ihr die nahezu gesamte Geschichte vor ca. 1000 AD) wurde im Zeitraum 10. bis 14. Jhh. von christlichen Mönchen geschrieben. Dies erfolgte auf Reaktion auf die Entstehung des Islam als konkurrierende Religion und besonders aus der dringenden Notwendigkeit heraus, ein BUCH vorweisen zu können, welches das Christentum als den älteren Glauben und als SCHRIFTreligion belegt. Prof. Illigs These von der Phantomzeit, ca. 613 bis 911, Karl der Große (hier im Forum bekannt), hat mich nicht weiter berührt; aber daß Topper meinen geliebten Tacitus ("Germania") als Erfindung des Spätmittelalters versteht, das ist schon schmerzlich. Und so geht's lustig weiter: Die Evangelien, Bonifacius (eigentlich alle Märtyrer), Roswitha von Gandersheim, Julius Africanus...., alles Kopfgeburten des Spätmittelalters. Marc Aurel, der christliche Kaiser? Nach Topper absolut unmöglich!
Jetzt wird mir auch klar, warum sich auf den Gemälden in den römischen Katakomben (Gräber verfolgter Christen, soso) solche zentralen christlichen Dinge wie das Kreuz, Kreuzigung, Auferstehung und das Christussymbol XP fehlen. Die Leichen in den Gräbern mögen zu Lebzeiten alles mögliche gewesen sein, nur mit Sicherheit keine Christen. Dies alles erklärt mir nun auch dottores Interesse vor einigen Monaten hier im Forum an der Herkunft und Bedeutung des XP. Da sich dieses Symbol eben nicht auf Jesus Christus bezogen haben kann, muß es eine andere Ursache haben. Nur welche??
Topper schließt sein leider viel zu kurzes Buch mit den Worten:
"Damit wird nun schärfstens zum Ausdruck gebracht, daß es unmöglich sein wird, die tatsächliche Geschichte zu erforschen. Mit diesem im wesentlichen psychoanalytischen Erklärungsmuster wird die Chance einer annähernd wirklichkeitsbezogenen Geschichtsforschung verschüttet."
Ach, wie traurig, wie traurig!
Ich brauch' jetzt 'nen Whisky.
Herzliche Grüße in die Runde, <font color=#008000>Zandow</font>

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