- Geisterwährung - Rudow, 26.11.2000, 01:01
- Re: Geisterwährung - wieder ein Mal lauter Fehler und Irrtümer, sorry! - dottore, 26.11.2000, 11:55
Geisterwährung
Hallo an alle Geldtheoretiker hier,
ich möchte einen Text anführen, der in unserer Diskussion hier einen Beitrag leisten könnte. Martin Burckhardt, Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Erschienen im Campusverlag 1997 ISBN 3-593-35784-4.
Der Autor beschäftigt sich im 3. Kapitel mit dem Geld unter der Überschrift: Das wuchernde Zeichen.
Ich zitiere einen Auszug, in dem sich der Autor mit dem mittelalterlichen Geldsystem beschäftig.
--------schnipp----------
Im streng rechtlichen Sinn gehört dem Souverän jede einzelne Münze, die er prägen läßt; gilt doch das Geld nicht eigentlich als Wert an sich, sondern wesentlich, der Aristotelischen Lehre gemäßß, als ein Instrument. Es ist dieses bloß instrumentellen Charakters wegen, daß das Hohe Mittelalter unbeschwert mit Geisterwährungen hatte operieren können, mit einem Denar oder einem Pfund, das nicht existierte und lediglich als Recheneinheit für Naturalientausch oder Handel im bescheidensten Umfang benutzt wurde. Mit dem enormen wirtschaftlichen Aufschwung jedoch, der sich im 11. und 12. Jahrhundert ereignet hat und dessen machtvollster Ausdruck die Kathedralenbauten der frühen und klassischen Gotik sind, ändert sich die Lage, wird zunehmend das Geld zum sozialen Band, das die feudale Verkettung ersetzt; und bezeichnenderweise sind es die italienischen Handelsstädte Genua und Florenz, die, im urbanen Stolz, Goldwährung emittieren. Die Geisterwährungen des Hohen Mittelalters werden real, sie hören auf, bloße Recheneinheiten zu sein. Das Gold jedoch schafft neue Bedürfnisse, neue, komplexere Formen des Handels und Wirtschaftens, welche ihrerseits, da sie nun auf der Geldbasis ruhen, künstlich ernährt werden müssen, also am Tropf des Geldes hängen - wobei es eben daran, am bloßen Quantum »Flüssigkeit«, mangelt. So leidet sehr bald schon, ein Jahrhundert, nachdem der Okzident sich von der arabischen Währung als Leitwährung losgesagt hat, nicht nur der französische König, sondern die Zeit selbst unter einem nicht zu befriedigenden »Geldhunger«. Vor diesem Hintergrund nun ist jenes Münzprivileg ein Prärogativ, das dem König, in Ermangelung anderer Einkünfte oder, da er es leid ist, sich mit den Fischverkäufern der Stadt Paris herumzuschlagen, ein ideales Instrument in die Hände spielt. So bedarf es nur einer Emission von Münzen zu gleichem Nennwert, aber zu erheblich geringerem Edelmetallwert, um den allgemeinen Geldhunger zu decken und dem König jedesmal einen beträchtlichen Gewinn einzufahren; und so läßt der König in steter Regelmäßigkeit derartige Finanzmanipulationen aufeinander folgen, die ja nichts anderes bedeuten als eine allgemeine Enteignung (oder, wenn man so will, eine versteckte Besteuerung); etwas, was sich alsbald - da offenbar wird, daß die königliche Währung den anderen, edelmetallhaltigeren Währungen gegenüber nichts gilt - zu einem deutlichen Rumoren auswächst.
------schnapp---------
Gab es diese Geisterwährungen? Wenn ja - könnten sie als Indiz dafür gelten, dass das Gold die Funktion des Geldes übernimmt - und nicht - wie beispielsweise R.Deutsch annimmt - das Geld die Funktion des Goldes?
Schönen Sonntag
von Rudow
Im streng rechtlichen Sinn gehört dem Souverän jede einzelne Münze, die er prägen läßt; gilt doch das Geld nicht eigentlich als Wert an sich, sondern wesentlich, der Aristotelischen Lehre gemäß~6, als ein Instrument. Es ist dieses bloß instrumentellen Charakters wegen, daß das Hohe Mittelalter unbeschwert mit Geisterwährungen hatte operieren können, mit einem Denar oder einem Pfund, das nicht existierte und lediglich als Recheneinheit für Naturalientausch oder Handel im bescheidensten Umfang benutzt wurde.~~ Mit dem enormen wirtschaftlichen Aufschwung jedoch, der sich im 11. und 12. Jahrhundert ereignet hat und dessen machtvollster Ausdruck die Kathedralenbauten der frühen und klassischen Gotik sind, ändert sich die Lage, wird zunehmend das Geld zum sozialen Band, das die feudale Verkettung ersetzt; und bezeichnenderweise sind es die italienischen Handelsstädte Genua und Florenz, die, im urbanen Stolz, Goldwährung emittieren. Die Geisterwährungen des Hohen Mittelalters werden real, sie hören auf, bloße Recheneinheiten zu sein. Das Gold jedoch schafft neue Bedürfnisse, neue, komplexere Formen des Handels und Wirtschaftens, welche ihrerseits, da sie nun auf der Geldbasis ruhen, künstlich ernährt werden müssen, also am Tropf des Geldes hängen - wobei es eben daran, am bloßen Quantum »Flüssigkeit«, mangelt. So leidet sehr bald schon, ein Jahrhundert, nachdem der Okzident sich von der arabischen Währung als Leitwährung losgesagt hat, nicht nur der französische König, sondern die Zeit selbst unter einem nicht zu befriedigenden »Geldhunger«. Vor diesem Hintergrund nun ist jenes Münzprivileg ein Prärogativ, das dem König, in Ermangelung anderer Einkünfte oder, da er es leid ist, sich mit den Fischverkäufern der Stadt Paris herumzuschlagen, ein ideales Instrument in die Hände spielt. So bedarf es nur einer Emission von Münzen zu gleichem Nennwert, aber zu erheblich geringerem Edelmetallwert, um den allgemeinen Geldhunger zu decken und dem König jedesmal einen beträchtlichen Gewinn einzufahren; und so läßt der König in steter Regelmäßigkeit derartige Finanzmanipulationen aufeinander folgen, die ja nichts anderes bedeuten als eine allgemeine Enteignung (oder, wenn man so will, eine versteckte Besteuerung); etwas, was sich alsbald - da offenbar wird, daß die königliche Währung den anderen, edelmetallhaltigeren Währungen gegenüber nichts gilt - zu einem deut
lichen Rumoren auswächst.~
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