- Geisterwährung - Rudow, 26.11.2000, 01:01
- Re: Geisterwährung - wieder ein Mal lauter Fehler und Irrtümer, sorry! - dottore, 26.11.2000, 11:55
Re: Geisterwährung - wieder ein Mal lauter Fehler und Irrtümer, sorry!
>Hallo an alle Geldtheoretiker hier,
>ich möchte einen Text anführen, der in unserer Diskussion hier einen Beitrag leisten könnte. Martin Burckhardt, Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Erschienen im Campusverlag 1997 ISBN 3-593-35784-4.
>Der Autor beschäftigt sich im 3. Kapitel mit dem Geld unter der Überschrift: Das wuchernde Zeichen.
>Ich zitiere einen Auszug, in dem sich der Autor mit dem mittelalterlichen Geldsystem beschäftig.
>--------schnipp----------
> Im streng rechtlichen Sinn gehört dem Souverän jede einzelne Münze, die er prägen läßt; gilt doch das Geld nicht eigentlich als Wert an sich, sondern wesentlich, der Aristotelischen Lehre gemäßß, als ein Instrument.
Dieses"gehören dem Souveran" im"streng rechtlichen Sinn" hat es im frühen MA nicht gegeben. Damit dem Souverän Münzen gehörten, hätte ihm zunächst einmal das Bergsilber gehören müssen. Dafür gibt es aber keinerlei Quellen. Es gab diverse Bergwerke, die eine Rolle spielten: Rammelsberg (ging im 10. Jh. erst auf) und Melle im Poitou. Bei letzterem ist sich die Forschung durchaus nicht einig, ob es tatsächlich römische Bergwerke waren, die"später" (wann?) wieder entdeckt wurden oder ob es genuin neu aufgegangene Bergwerke waren, die zwar"karolingisch" datiert werden, was aber aufgrund diverser Umstände bestritten wird, zummal die drei schönen romanischen Kirchen dort erst ins 11. Jh. datiert werden und sonstige"karolingische" Überreste nicht zu finden sind. Überdies tragen Melle-Münzen die Bezeichnung"METALL GERMAN", was nun überhaupt nichts mit fränkischer Zeit und Herrschaft zu tun haben kann.
Auch die über 60"Key Carolingian mints", für die Spufford (Money an its Use in Medieval Europe, 1988) eine beeindruckende Karte bringt (S. 42), legen den Schluss nahe, dass es niemals Münzen eines Souveräns gewesen sein können, denn der hätte die Münzstätten zentralisiert, schon allein aus fiskalischen Gründen.
Hägermann hat 1984 in seinem Aufsatz"Deutsches Königtum und Bergregal im Spiegel der Urkunden" sämtliche Urkunden der MGH untersucht, die sich mit dem Bergregal beschäftigen und findet die älteste datiert Dezember 1028, allerdings als Abschrift aus dem 14. Jh. (auch fast alle anderen frühen"Urkunden", in denen Bergregal und/oder Münzrechte verliehen werden, sind erheblich später oder gleich gefälscht).
Dopsch stöpselt beim früh-ma Geld- und Münzwesen hilflos herum und Taeuber (Geld und Kredit im MA, 1933) kommt zu der überraschenden Aussage:"Die Geldschulden lauteten unter Karl dem Großen regelmäßig auf 'solidi'(ohne Zusatz), auf Denare und auf Pfunde und Unzen Silber."
Unbeschadet der Karls-Debatte ist hier erneut klar, dass zweifelsfrei die Schuld den Vorrang (zeitlich!) vor dem Geld hat ("Solidi" wurden ja nicht geprägt). Oder anders: Das Geld, das ein Souverän (Spätes MA! Siehe vor allem die Brakteaten) in Umlauf brachte diente immer nur dazu, bereits existente Schulden (!), lautend auf ein RECHENGELD in seinem Sinne, also abgewertet, zur Tilgung dieser Schulden zu nutzen.
Auch damit ist die Vorstellung, es habe"zuerst" Geld gegeben und daraus hätte sich später auch noch"Fiat Money" entwickelt, ganz und gar verkehrt ist. Siehe dazu schon die Abwertung des Gold-Staters unter Kroisos, die hier schon angeführt wurde.
>Es ist dieses bloß instrumentellen Charakters wegen, daß das Hohe Mittelalter unbeschwert mit Geisterwährungen hatte operieren können, mit einem Denar oder einem Pfund, das nicht existierte und lediglich als Recheneinheit für Naturalientausch oder Handel im bescheidensten Umfang benutzt wurde.
Tauschen ist bekanntlich nicht Handel und die Recheneinheit bezog sich immer auf die bereits kontrahierten Schulden. Wie und und welchem Geld (bzw. auch in Edelmetall in specie) sie dann getilgt wurde, ist der einzig und allein interessierende Tatbestand.
Reihenfolge also: Schuldkontrakt lautend auf Recheneinheit (bzw. Specie), die Recheneinheit wurde vom Souverän dann kraft seines Monopols"gesetzliches Zahlungsmittel" (bzw. damals ZM zur Annahme an öffentlichen Kassen usw.) dann entsprechend mit verschlechtertem Geld (in gleichem Nominal wie die Recheneinheit) in schlechterem Geld dargestellt. Die ganze Münzgeschichte ist ein durchgehendes Beispiel für diesen Vorgang.
Schuld - Recheneinheit - Geld - schlechteres Geld. Letzteres, um die Schuld zu verringern.
>Mit dem enormen wirtschaftlichen Aufschwung jedoch, der sich im 11. und 12. Jahrhundert ereignet hat und dessen machtvollster Ausdruck die Kathedralenbauten der frühen und klassischen Gotik sind, ändert sich die Lage, wird zunehmend das Geld zum sozialen Band, das die feudale Verkettung ersetzt;
Der Feudalismus ist auch ein Märchen, jedenfalls für das frühe MA, wie Susan Reynolds überzeugend nachgewiesen hat (Fiefs and Vassals, Oxford Univ. Presss 1994).
Die ganze Schlussfolgerung ist also falsch. ("Soziales Band","feudale Verkettung" - um solche Dinge hat sich kein Mensch geschert, niemals!).
>und bezeichnenderweise sind es die italienischen Handelsstädte Genua und Florenz, die, im urbanen Stolz, Goldwährung emittieren.
Genua sicher nicht. Dafür war es Venedig ("Dukaten").
>Die Geisterwährungen des Hohen Mittelalters werden real, sie hören auf, bloße Recheneinheiten zu sein. Das Gold jedoch schafft neue Bedürfnisse,
Gold hat immer existiert, siehe die langobardischen Münzfunde, usw. usw. Von neuen"Bedürfnissen" zu sprechen ist nicht weiter belegt. Überdies setzen Bedürfnisse etwas Konkretes voraus - und wie wurde die Produktion dieses Konkreten wohl finanziert?
>neue, komplexere Formen des Handels und Wirtschaftens,
"Komplexere" ist ein Widerspruch in sich, da der Handel immer darauf aus ist, möglich inkomplex zu operieren, siehe das Institut des Wechsels, das Edelmetalltransporte vermeiden half (auführliches Beispiel: Die Champagner-Messen).
>welche ihrerseits, da sie nun auf der Geldbasis ruhen, künstlich ernährt werden müssen, also am Tropf des Geldes hängen - wobei es eben daran, am bloßen Quantum »Flüssigkeit«, mangelt. So leidet sehr bald schon, ein Jahrhundert, nachdem der Okzident sich von der arabischen Währung als Leitwährung losgesagt hat, nicht nur der französische König, sondern die Zeit selbst unter einem nicht zu befriedigenden »Geldhunger«.
Abgesehen von vielen Fehlern und inoperationalen Begriffen ("Flüssigkeit") war die arabische Währung ein Silberstandard und unter dem"Geldhunger" kann nur verstanden werden, dass jemand Geld brauchte, um seine Schulden zu bezahlen.
>Vor diesem Hintergrund nun ist jenes Münzprivileg ein Prärogativ, das dem König, in Ermangelung anderer Einkünfte oder, da er es leid ist, sich mit den Fischverkäufern der Stadt Paris herumzuschlagen, ein ideales Instrument in die Hände spielt.
Welches ist das erste Münzprivileg, das sich ein Souverän aneignete? Konkrete Quellen?
>So bedarf es nur einer Emission von Münzen zu gleichem Nennwert, aber zu erheblich geringerem Edelmetallwert, um den allgemeinen Geldhunger zu decken und dem König jedesmal einen beträchtlichen Gewinn einzufahren;
Stimmt fast, wenn man"Geldhunger" wie oben erklärt: Dringende Not, sich Schuldendeckungsmittel zu beschaffen. Zum kgl. Gewinn siehe die diversen Ausführungen zum"Schlagschatz".
>und so läßt der König in steter Regelmäßigkeit derartige Finanzmanipulationen aufeinander folgen, die ja nichts anderes bedeuten als eine allgemeine Enteignung (oder, wenn man so will, eine versteckte Besteuerung);
Enteignet wurden ausschließlich die Gläubiger, voran natürlich jene des Königs.
Oder anders: Die"Erfindung" von geprägtem Geld ist nichts als eine Besteuerung der Gläubiger.
>etwas, was sich alsbald - da offenbar wird, daß die königliche Währung den anderen, edelmetallhaltigeren Währungen gegenüber nichts gilt - zu einem deutlichen Rumoren auswächst.
Dieses ist dann die Folge, wenn wir Außenhandel haben und der Wettlauf der guten gg. die schlechten Münzen startet (siehe dazu schon den sächsischen Münzstreit, hier ausführlichst diskutiert).
>------schnapp---------
>Gab es diese Geisterwährungen? Wenn ja - könnten sie als Indiz dafür gelten, dass das Gold die Funktion des Geldes übernimmt - und nicht - wie beispielsweise R.Deutsch annimmt - das Geld die Funktion des Goldes?
Das Gold, sofern nach Feinheit und Gewicht als Schuldentilgung vereinbart, kann keine Rolle spielen. Es ist erst das geprägte Gold, das - siehe Schlagschatz, wenn nicht gleich Abwertung - dem Gläubiger weniger zukommen ließ, als zum Zeitpunkt des Schuldkontrakts zur Rückzahlung versprochen.
>Schönen Sonntag
>von Rudow
>
Wir nähern uns dem Kern der Sache immer mehr und ich kann nur wiederholen: Erst die Schulden, dann das Geld.
Schönen Sonntag ebenso
d.
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