- Econophysics - Teil I - Hans Castorp, 26.11.2000, 17:07
- Re: Econophysics - Teil I: Danke. Auf Forts. gespannt [owT] - Liated M.I. Lefuet, 26.11.2000, 19:49
- @ Hans Castorp // Econophysics - Teil I - Toni, 27.11.2000, 21:44
Econophysics - Teil I
Hallo Forum!
Hier der erste Teil meines versprochenen Beitrags. Die Teile über Modellierung
(umfangreicher) und Anwendung (kurz) werden peu a peu folgen.
Grüße, H.C.
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ECONOPHYSICS - Eine kurze Übersicht
Das Wort Econophysics entstand um 1995 als Zusammensetzung aus 'physics' und
'economics' und trägt der Tatsache Rechnung, daß eine zunehmende Zahl von -
meist theoretischen - Physikern im Finanzsektor Beschäftigung findet.
Es bezeichnet allgemein die Anwendung physikalischer Methoden und Verfahren
auf Probleme ökonomischer Natur. Bisher haben sich insbesondere Techniken
als nützlich erwiesen, die aus der statistischen Physik, der Festkörperphysik
und der Physik komplexer Systeme stammen. Bei der Anwendung aller dieser
Techniken gibt es allerdings auch Berührungspunkte mit der Finanzmathematik
und der Informatik, eine scharfe Trennung besteht hier nicht.
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----------------------- PHYSICS ----------------------------------------------
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Zunächst für alle Nichtphysiker ein paar Worte zu den obengenannten
Teilgebieten der Physik:
Die statistische Physik (S.P.) dient der Beschreibung von Systemen mit sehr
vielen Freiheitsgraden (grob gesagt: Teilchen) und leitet aus den
mikroskopischen Eigenschaften dieser Teilchen (z.B. Geschwindigkeit, Masse...)
makroskopisch meßbare Größen ab (z.B. Druck, Temperatur...). Klassische
Beispiele für Anwendungen sind die Gasgleichungen aber auch so praktische
Dinge wie die Theorie der Dampfmaschine und des Ottomotors.
Kurz gesagt: in der S.P. werden Größen definiert, die den momentanen Zustand
eines sehr komplexen Systems kennzeichen und die zum Vergleich mit ähnlichen
oder identischen Systemen dienen können.
Die Festkörperphysik (F.P.) hat mit der S.P. die Betrachtung von Systemen
sehr vieler Teilchen gemein; tatsächlich werden die meisten Methoden der
S.P. auch in der F.P. angewandt und führen dann zur Erklärung und Herleitung
solcher Größen wie Leitfähigkeit, Kristallstruktur etc. Jedoch interessiert
in der F.P. auch die Rückwirkung des 'Kollektivs' auf das einzelne Teilchen
oder bestimmter Spezies von Teilchen, was in der S.P. von eher untergeordneter
Bedeutung ist.
Eine weitere Gemeinsamkeit der S.P. und F.P. und die 'Brücke' zur Physik der
komplexen Systeme (P.K.S.) bildet die Theorie der Phasenübergänge. Ein
Phasenübergang läßt sich definieren als qualitative, schlagartige Veränderung
des Verhaltens eines komplexen (sic!) Systems. Beispiele sind das Gefrieren
von Wasser (Übergang von der flüssigen in die feste Phase) oder das
Einsetzten von Supraleitung. Das Auftreten von Phasenübergängen hängt i.a.
von einer nicht geringen Anzahl äußerer Faktoren ab.
Ebenfalls zur P.K.S. kann man die nichtlineare Dynamik (vulgo: Chaostheorie)
und die Theorie der Fraktale zählen. Die Chaostheorie wurde (leider) oft mit
dem Schmetterlingseffekt popularisiert sowie mit der - nun wirklich nicht
neuen - Einsicht, daß winzige Ursachen ungeheure Wirkungen entfalten können.
Die viel wichtigere Aufgabe dieser Theorie bestand und besteht jedoch darin
zu untersuchen, wo und wie inhärent chaotische Systeme stabilisiert werden
können und unter welchen Bedingungen überhaupt ein Phasenübergang (sic!)
zwischen geordnetem und chaotischem Verhalten auftritt.
Schon hier sollte deutlich sein, warum die beschriebenen physikalischen
Teilgebiete für ökonomische Fragestellungen relevant sein können.
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----------------------- ECONOPHYSICS -----------------------------------------
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Im Grunde ist die Econophysics noch zu jung, um sie bereits in Teilgebiete
aufzuspalten; aus Gründen der Übersichlichkeit will ich es dennoch versuchen.
Grob unterscheien läßt sich zwischen der Anwendung zur Analyse, zur
Modellierung und der eigentlichen Anwendung auf konkrete Probleme des täglichen
Marktgeschehens.
I. Analyse:
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Allgemeine Übersicht: Stanley et al. [1]
Vom physikalischen Standpunkt aus gesehen befindet sich der Ã-konom in der
beneidenswerten Lage, über sehr lange, unterbrechungsfreie und rauscharme
Zeitreihen von wirtschaftlichen Meßdaten zu verfügen. Viele, wenn nicht die
meisten, dieser 'Messungen' wurden noch nie ausgewertet. Es war daher nur
eine Frage der Zeit, bis sich Physiker angesichts ihres beinahe erotischen
Verhältnisses zu Meßreihen dieses Datenschatzes annehmen würden.
Einige Fundstücke:
- Johannsen und Sornette [2] haben in einer Reihe von Artikeln einen
möglichen Crash-Indikator identifiziert, der vor Crashs immer, aber
zuweilen auch ohne Crash auftrat: grob gesagt eine überexponentielle
Beschleunigung des Preisanstiegs, der mit Fluktuationen in immer
kürzerer Zeit einhergeht.
- Ausloos [3] gibt eine Übersicht über die Anwendung von Techniken aus
der statistischen Physik auf Börsen- und Währungskurse und entwirft
eine Strategie zur Profitmaximierung bei Währungsspekulationen (ein
Schelm wer Böses dabei denkt...)
- Bouchaud [4] berichtet unter anderem von der Existenz von Potenzgesetz-
Verteilungen und -Korrelationen in Börsendaten - ein offenes Problem
der Econophysics.
- Roehner [5] findet einen linearen Zusammenhang zwischen Aktienpreisen
im Bullen- und Bärenmarkt: scheinbar sind Aktien während einer Baisse
umso"widerstandsfähiger", umso höher sie während der Hausse stiegen.
Eine (persönliche) Anmerkung zum Verhältnis von technischer Analyse und Analyse
im Sinne der Econophysics:
Letzlich handelt es sich bei diesem Teilgebiet der Econophysics"nur" um
eine erweiterte technische Analyse (im Sinne erweiterter, ausgereifterer
mathematischer Techniken). Überlegen sind sie meiner Meinung nach nur
darin, daß für ihre Plausibilität strengere Kriterien angewandt werden und
man eher bereit ist, eine These über Bord zu werfen. Um über die technische
Analyse hinauszugehen, ist ein echtes Modell des Marktes und der Markt=
prozesse notwendig. Dies ist, neben den nicht-Fachleuten z.T. nur sehr schwer
zugänglichen mathematischen Techniken, auch der neue Beitrag, den die Physik
mit ihrer reichhaltigen Modellbildungserfahrung bieten kann. Der nächste Teil
widmet sich daher den Modellen.
II. MODELLIERUNG: TBD
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III. ANWENDUNG: TBD
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Literatur:
[1] Stanley et al.,
Econophysics: Can physicists contribute to the science
of economics?,
Physica A, 269 (1999), 156ff.
[2] Johansen and Sornette,
The Nasdaq crash of April 2000: Yet another example of
log-periodicity in a speculative bubble ending in a crash,
Eur. Phys J. B, 17 (2000), 319ff.
[3] Ausloos,
Statistical physics in foreign exchange currency and stock markets,
Physica A, 285 (2000), 48ff.
[4] Bouchaud,
Power-laws in economy and finance: some ideas from physics,
preprint cond-mat/0008103
[Anm.: erhältlich von http://xxx.uni-augsburg.de]
[5] Roehner,
Determining bottom price-levels after a speculative peak,
preprint cond-mat/0009222
[siehe [4]]
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