- Wiederholung der 70er Jahre? - Die Stagflation lässt grüßen - Albrecht, 10.07.2004, 22:47
Wiederholung der 70er Jahre? - Die Stagflation lässt grüßen
-->direktanlage.at AG | Salzburg, am 02.07.2004
Vortrag von Roland Leuschel
Wiederholung der 70er Jahre? - Die Stagflation lässt grüßen!
Noch im Frühjahr dieses Jahres kündigte der Chef der amerikanischen Notenbank Alan
Greenspan seinen Kampf gegen die deflationistischen Tendenzen in der Wirtschaft an.
Sein wahrscheinlicher Nachfolger Ben S. Bernanke ließ sich sogar zu der öffentlichen
Erklärung hinreißen: « Die US-Regierung verfügt über eine Technologie, genannt
Druckerpresse (oder heutzutage ihre elektronisches Äquivalent), die es ihr gestattet,
ohne Kosten so viele US-Dollars zu produzieren, wie sie will (21. November 2002). »
Zu Beginn des Sommers hat sich aber die Lage fundamental geändert, und auch die
amerikanische Notenbank gibt inzwischen zu, dass die Inflationsgefahren erheblich
größer sind als die einer Deflation. Der Anleger stellt sich daher berechtigt die Frage, ob
uns nicht eine Repetition der 70er Jahre bevorsteht, das heißt, dass wir weltweit in den
Industrieländern eine Stagflation erleben, was bedeuten würde: höhere Inflationsraten
(4 bis 6% p.a.) und geringes Wirtschaftswachstum (1 bis 2% p.a.). Als Anlagestratege
habe ich diese Periode der 70er Jahre miterlebt, und Anfang der 80er Jahre hätten wir in
der Bank für unsere Anleger eher Psychologen und Priester gebraucht ; es war kaum
Geld zu verdienen an der Aktienbörse, die praktisch 13 Jahre lang per saldo eine
Performance von 0% hatte (siehe Chart I). Es gab Hausse- und Baisseperioden, in denen
es zwischen +30 oder 60% zu gewinnen gab, aber auch zwischen 50 und 30% Verluste
eintraten. Die Aktienbörsen waren praktisch ein Nullsummenspiel. Es konnte nur auf
Kosten anderer Anleger ein Gewinn eingefahren werden. Das änderte sich im Jahre 1981
mit der Ankunft Ronald Reagans und seiner mutigen Steuerreform radikal. Während es in
Amerika noch unter Carter marginale Steuersätze bis zu 72% bei privaten Einkommen
gab, war das erste Gesetz Ronald Reagans die so genannte Kemp/Roth Bill, eine
Steuerkürzung auf unter 50%, mit dem Ziel auf maximal 32% zu gehen (zusammen mit
dem damaligen Wirtschaftsberater von Ronald Reagan, dem Kalifornier Jack Kemp,
veröffentlichte ich 1984 in Deutschland und Ã-sterreich das Buch « Die amerikanische
Idee - Wachstum unsere Zukunft », ein Buch das in mehreren Auflagen und Sprachen
erschien und von den Lesern geradezu verschlungen wurde, da jeder Europäer auch von
Steuerkürzungen träumte. Die Politiker hingegen beurteilten eine Steuerreform bzw.
Steuerkürzungen damals ausnahmslos negativ.)
In den vergangenen beiden Jahrzehnten (1980 bis 2000) stand die Weltwirtschaft unter
einem günstigen Stern. Globalisierung und Deregulierung erweiterten die Märkte und
erhöhten damit die Wachstumsmöglichkeiten, besonders im asiatischen Raum.
Rückläufige Inflationsraten (Desinflation) und die Konsolidierung der Staatsfinanzen in
vielen Ländern, sorgten für ein prosperierendes Umfeld. Der damalige USNotenbankpräsident
Paul Volcker hatte den Mut eine restriktive Geldpolitik seit Oktober
1979 zu führen, nachdem er sie in seinem damals berühmten so genannten « Saturday
Night Special » ankündigte. Er hielt Wort und legte so den Grundstein für die
Rückführung der Inflationsraten von damals über 12% und nahm kurzfristig (1981) eine
Rezession in Kauf. 1987 wurde Alan Greenspan Volckers Nachfolger, und das Ende der
restriktiven Geldpolitik war in Sicht.
Heute gibt es auch eine Reihe bedeutender Parallelen zum Beginn der 70er Jahre. Auch
damals konnten wir auf eine Prosperität der 60er Jahre zurückblicken, gekennzeichnet
durch Innovationen, eine fortschreitende, internationale Arbeitsteilung, starkes
Produktivitätswachstum und niedrige Inflationsraten, sowie solide Staatsfinanzen. Es
entstand der Eindruck, Staat und Notenbanken könnten für ewige Prosperität sorgen,
und das Schlagwort war: Globale Steuerung.
Aber dann kam der Vietnam-Krieg (1968 bis 1973), und das amerikanische
Haushaltsdefizit explodierte, die Geldpolitik der US-Notenbank wurde expansiv. Damals
glaubte man, etwas höhere Inflationsraten seien hilfreich. Berühmt wurde der Ausspruch
des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der sich selbst als
Wirtschaftsexperte einen Namen gemacht hatte: « Lieber 5% Inflation, anstatt 5%
Arbeitslosigkeit! » Heute wissen wir, dass die Inflation über die 10 Prozentmarke stieg,
und inzwischen hat auch die Arbeitslosigkeit zweistellige Prozentsätze. Es ist also wieder
Zeit, eine Umkehr der Wirtschafts- und Finanzpolitik einzuleiten, wie damals bei der
Ankunft Ronald Reagans 1981 ; denn wir haben durchaus den Eindruck, die 70er Jahre
könnten sich wiederholen, allerdings unter anderen Vorzeichen: Irakkrieg (der laut Ex-
Präsident Clinton noch mindestens 5 Jahre dauern dürfte), Explosion des amerikanischen
Haushaltsdefizits, extrem expansive Geldpolitik der Notenbank und steigende
Rohstoffpreise. Während damals in den 70er Jahren Japan und Korea den etablierten
Industrieländern Konkurrenz machten, sind es heute wesentlich größere Länder (China
und Indien), die dieses Experiment wiederholen. Es gibt im Wesentlichen zwei
Argumente, die der kommenden Inflation Einhalt gebieten könnten:
1. Die Globalisierung - In den so genannten « Schwellenländern » gibt es viele
brachliegende Kapazitäten, besonders ein enormes Potential an billigen
Arbeitskräften. Sollten diese Länder diese Ressourcen mit modernen
Produktionstechniken nutzen, so würde auch in diesen Ländern die Produktivität
enorm steigen, und ein normaler Preisanstieg der Güter und Dienstleistungen
würde sich in Grenzen halten. Die Industrieländer, allen voran Amerika und
Europa, importieren diese kostengünstigen Konsumgüter, aber durch die EUOsterweiterung
brauchen wir Europäer nicht nur auf China und Indien
zurückzugreifen: Die Globalisierung wird eine dämpfende Wirkung auf die
Lohnentwicklung haben und wird die Weitergabe von Kostenerhöhungen an den
Verbraucher erschweren. Daher dürften die Inflationsraten in den nächsten fünf
Jahren relativ gemäßigt bleiben (4 bis 6% p.a.).
2. Die demographische Entwicklung - Zu einem größeren Inflationsschub könnte es
aber nur dann kommen, auf Grund der gewachsenen Geldmengen, wenn die
privaten Haushalte ihre reichliche Liquidität entsprechend zum Kauf von Gütern
und Dienstleistungen nutzen würden. Ich möchte Alan Greenspan zitieren, der
einmal gesagt hat: « Wenn die Erzeugung von Geld im Verhältnis zur Erzeugung
von realen Gütern in der Wirtschaft zunimmt, müssen die Preise früher oder
später steigen. » Da hat der Maestro mit Sicherheit Recht, aber auf Grund der
demografischen Entwicklung könnte diesmal die Inflation zeitlich hinausgeschoben
werden. Wir wissen, dass sich die Mehrzahl der Haushalte Sorgen um ihre
Altersvorsorge macht. Mit anderen Worten die privaten Haushalte benutzen einen
größeren Teil ihrer Liquidität, um Finanzaktiva oder Immobilien zu kaufen und
schieben so den heutigen Konsum vor sich her, um im Alter entsprechend
konsumieren zu können. Es könnte aber auch bedeuten, dass der private
Haushalt mehr Kredite aufnimmt als in der Vergangenheit, um seine Ausgaben
entsprechend zu finanzieren, wobei das zukünftige Wirtschaftswachstum belastet
wird (Chart).
Inflationsgefahr dauerhaft gebannt?
Es gibt ein ausgezeichnetes Buch des Engländers Roger Bootle « Das Ende der
Inflation », das 1997 aufgelegt und zum Weltbestseller wurde. Dort wird mit viel
statistischem Aufwand versucht zu beweisen, dass die Inflation tot ist. Meine Antwort ist
eindeutig: Nein, das glaube ich nicht. Ich erinnere mich, als Ende der 60er Jahre der
deutsche Finanz- und Wirtschaftsminister Professor Karl Schiller triumphierend erklärte:
« Die Inflation ist tot. Sie ist so tot wie ein rostiger Nagel. » Damals, also in den Jahren
1967 und 1968, hatten wir einen Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland von 1,5
bzw. 1,3%, und wir wissen, was in den 70er Jahre passierte. Wenn ich mir die
vergangenen 200 Jahre anschaue, dann hat es immer langfristige Inflations- und
Desinflationszyklen gegeben (siehe Chart), und ich habe eben den Eindruck, dass wir in
Amerika und im Euroraum in den letzten zwei Jahren auf der Talsohle angekommen sind,
von der aus die Inflationszahlen wieder ansteigen werden. Ich wiederhole,
hauptverantwortlich hierfür ist eine extrem laxe Geldpolitik, sowie eine alle historischen
Normen sprengende Gesamtverschuldung. In Amerika hat diese Gesamtverschuldung
309% des Bruttoinlandsproduktes erreicht. Bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 5%
müssen also in Amerika jährlich Zinsen von über 1.700 Milliarden Dollar gezahlt werden,
bei einem augenblicklichen Gesamtschuldenstand von 34.000 Milliarden (siehe Chart).
Ein mit gesundem Menschenverstand ausgestatteter Anleger stellt sich die kritische
Frage, wie sollen diese Schulden jemals getilgt werden?
Die EZB hat in ihrem jüngsten Bericht festgestellt, dass die globale Geldmenge derzeit
mit einer Jahresrate von 7% wächst, wobei das reale Wirtschaftswachstum zwischen 3
und 4% liegt. Diese enorme Überschussliquidität fließt zum Grossteil in Aktienmärkte und
Immobilien, und das dürfte auch ein Grund sein, dass die Aktienbewertung historisch
nach wie vor, auch nach dem Börsencrash von 2000, auf Rekordhöhe steht. Eine
langfristige Betrachtung zeigt, dass zum Beispiel das Kurs/Gewinnverhältnis (P/E)
amerikanischer Aktien sich schlicht und einfach verdoppelt hat gegenüber den 80er
Jahren. Das heißt mit anderen Worten, um einen Dollar Gewinn zu machen, brauchte
man in den 80er Jahren 10 Dollar in Aktien anzulegen, und heute muss man mindestens
20 Dollar anlegen, um einen Dollar Gewinn zu machen. Entsprechendes lässt sich auch
über Immobilienpreise in Amerika und Großbritannien sagen (Chart).
Ende der Babyboom-Generation?
Die bange Frage, die sich jeder stellen kann und muss, wann kommt das Ende der
positiven Effekte der Babyboom-Generation? Ich würde sagen, das Jahr 2010 dürfte ein
Orientierungspunkt sein; dann wird nämlich die Babyboom-Generation anfangen, ihre
Finanzaktiva zu verkaufen, um damit Güter und Dienstleistungen zu erwerben. Dann
kann man auch damit rechnen, dass die Verbraucherpreise im Vergleich zu den Preisen
der Finanzaktiva steigen und die Inflationsraten dramatisch zunehmen. Außerdem: Mit
der starken Zunahme der Rentner dürfte in vielen Ländern die staatliche, aber auch zum
Teil private Altersvorsorge in extreme Finanznöte geraten. Nach einer Studie der OECD in
Paris werden die Kosten der Altersvorsorge die öffentliche Verschuldung in einem
typischen Industrieland im Zeitraum der nächsten 30 bis 40 Jahre so stark ansteigen
lassen, dass sie allein 100 bis 400% des jeweiligen Bruttosozialproduktes ausmacht.
Objektiv gesehen gibt es also zwei gewichtige Fakten, die einen negativen Einfluss auf
die Inflationsentwicklung ausüben, und die es Anfang der 70er Jahre nicht gab: Einmal
sind die staatlichen Haushaltsdefizite in den G7 Wirtschaften höher als in allen 50 Jahren
davor, und außerdem haben wir eine laxe Geldpolitik, die alle historischen
Vergleichszahlen sprengt.
Gegensteuerung der Notenbanken?
Natürlich können Optimisten träumen, dass die Notenbanken die Leitzinsen anheben,
eine restriktive Politik in den nächsten Jahren einleiten und die Politiker der großen
Industrieländer plötzlich diszipliniert die Staatsausgaben zurückführen werden. Ich bin
als Realist von diesen Träumereien frei und befürchte, dass ein Anheben der Leitzinsen
der Notenbanken sofort die öffentliche Verschuldung ansteigen läßt, und auch
verheerende Folgen für die historisch hohe Schulden der privaten Haushalte hätte. Kein
Politiker, der sich in einer Demokratie zur Wahl stellt und in seinem Programm mutige
und notwendige Ausgabenkürzungen ankündigt, hätte die Spur einer Chance gewählt zu
werden. Daher scheint mir die einzige praktikable Lösung zu sein: Schrittweise Anhebung
der Inflationsraten. Sie würde insbesondere eine « elegante Lösung » der Probleme
unseres Rentensystems erlauben. Jeder von uns weiß: In der Geschichte der Menschheit
hat es noch keine Revolution der Rentner gegeben … Ich schätze in den nächsten 3 bis 5
Jahren können wir 4 bis 6% Inflation p.a. haben, und danach könnte wegen der
demographischen Entwicklung und der Verschuldung eine Beschleunigung eintreten. Der
von mir hochgeschätzte Notenbanker Paul Volcker hat seine Erfahrung einmal so
formuliert: « Die einzige wahre Macht der Zentralbanken besteht in der Macht, Geld zu
schaffen und damit letztendlich auch die Macht zu zerstören. » (« The truly unique power
of a central bank is the power to create money, and ultimately the power to create is the
power to destroy. »)
Fazit für den Anleger
Wer als Anleger dieses Szenario teilt, muss sein Geld entsprechend anlegen: Nur
Anleihen kaufen, die inflationsindexiert sind (wir haben in Belgien einen solchen
Investmentfonds, Inflation @ Work, der im Oktober letzten Jahres aufgelegt und
inzwischen bei den Anlegern zu einem Renner und Selbstläufer wurde). Der Anleger sollte
auch Rohstoff-Zertifikate kaufen, denn das Wirtschaftswachstum der Welt wird sich vor
allen Dingen in Asien abspielen (China und Indien), und deren Bedarf an Rohstoffen wird
weiterhin stark ansteigen. Außerdem sollte jeder einen Teil seines Geldes in physisches
Gold legen, und wie Sie wissen, gibt es bereits so genannte Golddepots, bei denen
Anleger keine Safe- und Versicherungsgebühren zu zahlen haben, eine kostengünstige
Abwicklung gewährleistet ist, und im Bedarfsfall kann man das Gold, das sich in Zürich
und nicht in Washington befindet, physisch abheben. Anleger in anderen Ländern können
auf ein ähnliches Produkt noch nicht zurückgreifen. Jetzt wissen Sie auch, woher der
berühmte Ausspruch « Felix Austria » herkommt. Ein Teil des Vermögens (höchstens
30%) sollte natürlich nach wie vor in Aktien angelegt sein. Allerdings lehren uns die 70er
Jahre, dass der Anleger sein Aktienportefeuille aktiv verwalten, und versuchen muss,
eben schlauer zu sein, als die anderen Marktteilnehmer. (Man kann Aktien eben nur
kaufen, wenn sie gleichzeitig von einem anderen verkauft werden.) In Ã-sterreich brauche
ich so etwas eigentlich nicht zu erwähnen, will es jedoch der Vollständigkeit halber doch
tun: Selbstverständlich sollte mindestens die Hälfte des Gesamtvermögens in Immobilien
sein. Aber auch hier gilt die Grundregel: Diversifikation.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich vorstellen, dass wie bereits erwähnt jährlich
1.700 Milliarden US-Dollar an Zinsen in den Vereinigten Staaten aufgebracht werden
müssen, um den augenblicklichen Schuldenstand zu bedienen, und gleichzeitig die
weltweiten Goldreserven 450 Milliarden Dollar bei dem augenblicklichen Goldpreis wert
sind, dann können Sie fühlen, wie spät es bereits ist. Ein französischer Chanconnier
Serge Reggiani hat einmal gesungen: « Il est plus tard que tu ne crois - Es ist später als
Sie glauben! »
Dem König von Ungarn, Matthias Corvinus (15. Jahrhundert), wird der berühmte Spruch
zugeschrieben: << Bella gerant alii! Tu, Felix Austria, nube! >>, was soviel heißt wie:
<< Kriegsführen lasse die anderen! Du, glückliches Ã-sterreich heirate! >> Die moderne
Version in Salzburg im Juni 2004 könnte lauten: << Lasse die anderen sich streiten! Ihr
glücklichen Ã-sterreicher, legt ein Golddepot an! >>
Roland Leuschel
Gruß
Albrecht
<ul> ~ Vortrag von Roland Leuschel</ul>

gesamter Thread: