- Soziologie der Gewalt - Zandow, 11.07.2004, 18:18
Soziologie der Gewalt
-->Hallo Forumsgemeinde,
Greenpeace ist mal wieder ins Gerede gekommen. Die Staatsanwaltschaft Dessau hat gegen 92 Greenpeace-Aktivisten ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung und Verstoßes gegen das Versammlungsrecht eingeleitet. Die uniformierten (!) Gentechnik-Gegner aus dem In- und Ausland waren im April in ein umzäuntes Feld bei Bernburg eingedrungen und hatten Pflanzen aus dem Boden gerissen. Wegen dieser und anderer Aktionen (Aussaat von Ã-koweizen auf Versuchsfeldern, Gefährdung des Schiffverkehrs bei Hinderung eines mit transgenem Soja beladenen Frachters am Anlegen, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch bei Schornsteinbesteigungen) droht Greenpeace nun der Verlust der Gemeinnützigkeit, was weitreichende Konsequenzen für die Finanzierung dieser Umweltschutzorganisation hätte. Während die rechtswidrigen Aktionen von den Regierungsparteien eher wohlwollend betrachtet werden ("Als Minister kann ich nicht zum Rechtsbruch aufrufen, aber ich verstehe die Menschen.", Wolfgang Birthler, SPD, brandenburgischer Landwirtschaftsminister), wehren sich die Opfer von Greenpeace-Aktionen zunehmend mit Strafenzeigen. So stellte vor ca. zwei Wochen ein Kölner Gericht fest,"daß die Kampagne des Vereins gegen abgebliche 'Gen-Milch' wissenschaftlich unhaltbar sei" (WELT, 5.7.04). Desweiteren erklärte das Gericht die Greenpeace-Aktionen gegen den Hersteller"Müllermilch" als strafbar.
Worum geht es Greenpeace und all den anderen Natur- und Tierschutz-Organisationen?
Es geht ihnen um die Durchsetzung und Legitimation neuer sozialer Normen!
Unter einer sozialen Norm versteht man eine Verhaltenserwartung, die mit einer positiven oder negativen Sanktion verbunden ist (Friedrichs). Diese sozialen Normen sind durch Werte (in soziologischem, nicht in oekonomischem Sinne) bestimmt, welche sich zunächst aus Sitte und Brauch, desweiteren aus Recht und Gesetz ergeben. Die Legitimation von sozialen Normen erfolgt nun durch die Berufung auf eben jene Werte. Die Begründung zur Abweichung von einer sozialen Norm bedarf ebenfalls eines Rückgriffs auf Werte. Diese Werte sollen durch soziale Bewegungen wie Natur-, Tierschutz- und Menschenrechts-Organisationen neu geschaffen werden, mit dem Ziel der Entstehung neuer sozialer Normen bis hin zu deren Verankerung in Gesetzen. Denn erst die Gesetzeskraft senkt die Handlungskosten (Kosten der Befolgung von sozialen Normen) für den Einzelnen, da nur dadurch diese Kosten von der Allgemeinheit aufgebracht werden (müssen!). So wären die Handlungskosten beim Verzehr ökologisch hergestellter landwirtschaftlicher Produkte (soziale Norm: Ã-kolandbau) ohne staatliche Subventionen der Ã-kobauern für die normsetzenden 'Ã-kos' zu hoch. Die eigenen Handlungskosten (höher Preise der Ã-koprodukte gegenüber agrarindustriell hergestellter Produkte) werden auf alle Steuerzahler umgelegt.
Desweiteren verursacht die Etablierung und Durchsetzung neuer sozialer Normen Erstellungskosten, die durch jene Gruppen und Vereine, die diese neuen sozialen Normen wollen, nicht aufgebracht werden können; oder der individuelle Nutzen der neuen sozialen Normen liegt für deren Ersteller unter ihren aufgebrachten Kosten. Somit lassen sich neue soziale Normen in einer Gesellschaft nur durch Zwang (Gesetze), selektive Anreize (Subventionen) oder überproportionale Belastung der Opfer neuer sozialer Normen (z.B. das sog. Verursacherprinzip) durchsetzen. Die soziale Norm, in sauberer Luft leben zu wollen, kann durch diejenigen, die dies wünschen (sozialer Wert), nicht selbst finanziert werden. Die Finanzierung dieser sozialen Norm (Erstellungskosten) wird den Unternehmen per Emissionsgesetz oder den Privaten durch Verbot alter Anlagen auferlegt.
Wie gelingt es nun den sozialen Bewegungen, die von ihnen vertretenen Werte zu neuen sozialen Normen zu entwickeln, die sich letztenendes in Gesetzen niederschlagen? Ein Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist die Anwendung von Gewalt, sowohl gegen Sachen, als auch direkt und indirekt gegen Menschen. Dabei bedürfen die angewandten Mittel und Methoden einer gewissen Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Akzeptanz der Mittel und Methoden bei der Herausbildung, Etablierung und schließlich Durchsetzung neuer sozialer Normen vollzieht sich in mehreren ineinander übergreifenden Schritten, die von Jürgen Friedrichs in einem Aufsatz (siehe Literaturhinweis unten) am Beispiel der Tierbefreier/Veganer untersucht wurden.
Neue, von den bisher in der Bevölkerung akzeptierten Wertekanon abweichende soziale Werte entstehen in sehr kleinen Gruppen oder bei Einzelpersonen. Diese, meist Intellektuelle oder sonstwie"Berufene", erstellen in Schriften und Publikationen den unverzichtbaren theoretischen Kern, ohne den sich soziale Bewegungen nicht entwickeln können. Auf diese theoretischen Begründungen greifen die Befürworter neuer sozialer Normen zu und ziehen daraus die Legitimation für ihr Handeln bei der Verbreitung und Durchsetzung dieser neuen sozialen Normen. Und sei der theoretische Kern auch noch so abstrus, menschenverachtend, ja gar faschistoid, so finden sich doch einige Aktivisten, die aus den neuen Werten eine moralische Verpflichtung zum Handeln ableiten. Dieses Handeln ist nun voll und ganz auf die Herstellung eines so hohen Maßes an Akzeptanz der neuen sozialen Normen ausgerichtet, sodaß dann daraus parlamentarische Mehrheiten werden können. Friedrichs führt in seinem Aufsatz sechs Strategiene zur Erreichung der Akzeptanz sozialer Normen an:
1. Schilderung von Sachverhalten, von denen die Bewegung vermuten kann, sie würden auch von einem hohen Anteil in der Bevölkerung moralisch abgelehnt. Die dabei erzeugten starken emotionalen Reaktionen führen zunächst zu der Bereitschaft, sich auf radikale Schlußfolgerungen einzulassen.
2. Das"Wer A sagt, muß auch B sagen"-Argument. Konsensfähige Werte sollen hierbei als Basis für die Aktzeptanz neuer und umstrittener Ansichten dienen, diese zumindest in die Diskussion bringen.
3. Umbenennen und Dramatisieren von Sachverhalten. Der Sinn von Wörtern wird verdreht, erweitert und neu bestimmt (z.B."Tiermörder, Tier-KZ","Das heutige Tiertöten in der Fleischindustrie und im Testlabor ist eine Fortsetzung von Auschwitz, ja eine Steigerung." Pilgrim 1985)
4. Herausstellen von Erfolgen, auch wenn diese garnicht auf dem Mist der Bewegung gewachsen sind.
5. Parallelen zu anderen, erfolgreichen Gruppen, wie z.B. der Frauen-, Bürgerrechts- und Antirassismusbewegung. Solche konstruierten Parallelen sollen die Progressivität und Siegesgewißheit suggerieren.
6. Suggestion, die Bewegung werde erfolgreich sein, weil sie moralisch im Recht sei.
Die sich meist einstellende Erfolglosigkeit beim Versuch der Erhöhung der Akzeptanz neuer Werte und sozialer Normen in der Bevölkerung führt manche Aktivisten zum Mittel der Gewalt. Die Gewaltanwendung wird dann nicht mehr nur durch ein höhergestelltes moralisches Recht legitimiert, sondern auch als Gegengewalt dargestellt, z.B. gewaltsame Verhinderung von (Tier-)Mord. Die alten, bisher geltenden sozialen Normen stellen in den Augen der Anhänger der neuen sozialen Normen eine Gewaltanwendung gegen ein von ihnen postuliertes universell geltendes Naturrecht dar, welches ihren gewaltsamen Protest geradezu zur moralischen Pflicht macht. Besonders die Gewaltanwendung durch den radikalen Rand einer sozialen Bewegung verschafft dieser die mediale Aufmerksamkeit, die zum Ideologie-(Werte-)Transport in die Bevölkerung dringend notwendig ist. Gewaltsame und spektakuläre Aktionen verschaffen Aufmerksamkeit in der Ã-ffentlichkeit und führen zu einer Spaltung und Polarisierung der Meinungen. Je weiter sich diese Polarisierung zuspitzt, umso heftiger wird argumentiert, diskutiert und gestritten; Mitstreiter (Personen und Organisationen) werden mobilisiert. Das Anwachsen der Anhängerschar (Sympathisanten und Aktivisten) und eine veränderte Meinungsverteilung in der Ã-ffentlichkeit führt nun zu einem Druck auf die Legislative. Gewaltsame Aktionen werden zwar noch mißbilligt, aber verstanden, d.h. immer breitere Bevölkerungsschichten empfinden solche Aktionen zwar als illegal, jedoch als legitim. Es entsteht ein Widerspruch zwischen neuer sozialer Norm und dem Gesetz, der nur durch neue Gesetze aufgelöst werden kann. Haben die neuen sozialen Normen ein hohes Maß der Toleranz und Akzeptanz in der Bevölkerung und besonders den politischen Parteien erreicht, so ist der Übergang von der verstehenden Mißbilligung der Gewaltanwendung zur ausdrücklichen Billigung schnell getan und findet nun auch parlamentarische Mehrheiten.
Das Ziel ist erreicht: Jetzt müssen sich nicht mehr die Verteidiger der neuen Werte und sozialer Normen rechtfertigen und legitimieren, sondern deren Kritiker! Die Handlungskosten der neuen sozialen Normen sind für deren Anhänger tragbar geworden und die Erstellungtskosten tragen der Steuerzahler und die Opfer der neuen sozialen Normen. Eine Ideologie ist zum Gesetz geworden!!
Bleibt nun noch die Frage nach der Motivation von Personen, an sozialen Bewegungen teilzunehmen. Auffällig ist zunächst, daß Arbeiter und Studenten der Naturwissenschaften nur in verschwindend geringer Zahl in sozialen Bewegungen vertreten sind. Die 68er haben versucht, ihre Ideen in die Betriebe zu tragen und sind damit jämmerlich gescheitert. Soziale Bewegungen werden in ihren Anfängen meist von Studenten der Geisteswissenschaften, Vertretern sozialer Berufe (Lehrer z.B.), arbeitslosen Jugendlichen, Unentschlossenen, Erfolglosen und Ziellosen gebildet; aber auch von Personen höheren sozialen Status', die sich jedoch innerhalb ihrer Welt am unteren Ende befinden. Den materiellen Erfolg und das erfüllte Leben ihrer Altersgenossen ständig vor Augen, werden nun neue Werte und Normen geschaffen, die auch für die Erfolglosen und Unfähigen erreichbar erscheinen. Diese neuen Werte und sozialen Normen werden als zukunftsweisend und richtig dargestellt; alte Werte (materieller Erfolg, Lebens- und Familienglück, Zielstrebigkeit, Unternehmertum....) als schädlich, konservativ oder rückschrittlich. Das, was man selbst nicht erreichen kann, muß falsch sein! Das erhebende Gefühl, am Wandel der Gesellschaft beteiligt (gewesen) zu sein, verschafft den Anhängern sozialer Bewegungen ein Erfolgserlebnis, das ihnen im bürgerlichen Leben versagt bleibt. Je länger sich jedoch die alten Werte und sozialen Normen in der Bevölkerung halten und je schwieriger die Etablierung neuer sozialer Normen wird, umso eher und häufiger neigen die Aktivisten sozialer Bewegungen zum Mittel der Gewalt. Denn: Soziale Bewegungen sind zum Erfolg verdammt. Dies insbesondere wegen der Konsequenzen, die eintreten, wenn neue soziale Normen erstmal Gesetz geworden sind. Diese Konsequenzen betreffen nicht nur die Handlungs- und Erstellungskosten, sondern in erster Linie die Aktivisten selbst.
Zunächst erhalten die Aktivisten öffentliche Aufmerksamkeit, die ihnen im normalen bürgerlichen Leben versagt bleibt, sowie Anerkennung innerhalb der Sympathisanten- und Anhängerschar. Sobald sich eine soziale Bewegung etabliert hat und erste Strukturen herausbildet, wird der Aufstieg innerhalb dieser Strukturen zum Ziel der Aktivisten. Der sich ständig erhöhende Druck auf die Legislative führt dann recht schnell zu Bereitstellung finanzieller Mittel (aus Steuergeldern natürlich), mit denen die Ausweitung der sozialen Bewegung und die Festigung ihrer Strukturen bewirkt wird. Und schon bald haben die Aktivistend ihr Hauptziel erreicht: eine hauptamtliche Tätigkeit (festes Einkommen!) innerhalb der sozialen Bewegung bis hin zum Aufstieg in Regierungsämter!! So war die 68er-Bewegung auch keine Protest-, sondern eine Partizipationsbewegung. Partizipation an gesellschaftlicher Anerkennung (beliebtester Politiker z.B.), Partizipation an der Macht und Partizipation am Steuersäckel.
<font color=#FF0000>Einkommen durch Gewalt und Zwang: Das ist Demokratie!!</font>
Literaturhinweis:
"Die gewaltsame Legitimierung sozialer Normen. Das Bespiel der Tierrechler/Veganer", Jürgen Friedrichs, in:
"Soziologie der Gewalt", Sonderheft 37/1997 der 'Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie', Trutz von Trotha (Hrsg.)
Und aus dem Literaturanhang von Friedrichs' Aufsatz:
"Die Logik kollektiven Handelns", Mancur Olson, 1968
"Die Entstehung sozialer Normen", Karl-Dieter Opp, 1983
Euch Allen eine gute Woche wünschend, <font color=#008000>Zandow</font>

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