- Einzelhandel krebst weiter - dottore, 02.08.2004, 16:26
- Re: Einzelhandel krebst weiter - Elmarion, 03.08.2004, 00:13
Re: Einzelhandel krebst weiter
-->>Hi,
>
>2004 wird wieder Flaute.
>Investitionen geplant: minus 5 Prozent (ifo-Studie).
>Umsätze: Stagnation. Bisher 04: minus 1,3 % nominal (destatis).
>Steuerreform: Verpufft.
>Entlassungen: Abflachend.
>Verkaufsfläche: Höchste aller EU-Länder. Fast 1,5 qm /Ew.
>Rat: Keine Immo-Investitionen (geschlossene Fonds o.ä.) in diesem Bereich. Bereinigung wird ähnlich krass ausfallen, wie Banken/CH.
>Karstadt? Lull meint: spekulativ ja (hatte DCX gestern Schluss mit 44,88 raus, Kauf war 44,18). MĂĽhsam, mĂĽhsam, dieses Kleinvieh.
>GruĂź!
Ein Artikel von mir fĂĽr eine Fachzeitschrift:
Der Boom der Discounter deutet darauf hin, dass die Deutschen dabei sind, zu einem Volk depressiver Schnäppchenjäger zu mutieren. Hat man noch vor wenigen Jahren in der Kneipe damit geprotzt, einen neuen teuren Rasenmäher mit allem Schnick-Schnack erstanden zu haben, ist man heute stolz darauf, das Standard-Modell mit 20 % Rabatt bekommen zu haben. Wer nicht feilscht ist ein feiges Weich-Ei und wer zu früh kauft, den bestraft das Sonderangebot.
Die Preise befinden sich folglich für viele Ge- und Verbrauchsgüter im freien Fall und die allgemeine deflatorische Tendenz hat inzwischen mit voller Wucht auch das deutsche Bäckerhandwerk erfasst.
Somit stellt sich die Frage, wie die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen und das deutsche Bäcker-Handwerk im Besonderen aus dieser Nummer wieder heraus kommen können. Tatsache ist, dass die deutsche Industrie schon seit langem dabei ist große Teile ihrer Produktion in „Billiglohnländer“ zu verlegen. Die Billig-Ware landet in den Regalen unserer Discounter, wo sich die deutschen Smart-Shopper auf die Schnäppchen stürzen. So findet man Edelstahl-Kochtöpfe für 5 Euro und inzwischen auch Brötchen für 9 Cent. Das Dumme an der Geschichte aber ist, dass wir nicht nur die Produktion verlagern, sondern auch die Jobs. Das wird mit glasklarer Konsequenz dazu führen, dass in Deutschland die Löhne sinken, die Arbeitslosenzahlen steigen und die Sozial-Systeme, wenn sie nicht angepasst werden, am Ende kollabieren. Viele Verbraucher, denen es jetzt noch relativ gut geht, werden dann möglicherweise nicht einmal mehr in der Lage sein, den reduzierten Rasenmäher aus Fernost zu bezahlen. Jedem, der bis drei zählen kann, dürfte klar sein, dass eine Volkswirtschaft, die bisher von ihrem Wissen und ihren hohen Qualitätsstandards profitiert hat, keine Spitzenlöhne mehr zahlen kann, wenn dieser Know-How-Vorsprung schrumpft (was durch die Pisa-Studie belegt wird) und gleichzeitig die Wertschöpfung in das Ausland verlegt wird.
Nun kommen in der Backwarenbranche nicht alle TK-Teiglinge aus dem Ausland.
Aber die tatsächliche und die „gefühlte“ Einkommensverknappung führen dazu, dass „Geiz geil ist“ und dass die „seelenlosen“ Massenhersteller Marktanteile auf Kosten der handwerklichen Bäckereien gewinnen. Gleichzeitig schwindet der Bäcker-Mythos, der nach wie vor - aber mit abnehmender Tendenz - Teil der deutschen Kultur ist. Für viele Verbraucher ist es immer noch selbstverständlich, dass man die frischen Brötchen beim Bäcker um die Ecke kauft.
Aber in einem schleichenden Prozess werden es immer weniger Menschen, die auf diese Weise konditioniert sind. Die „McDonaldisierung“ der Gesellschaft greift vor allem bei den jüngeren Verbrauchern, die hinsichtlich der Einschätzung, was „cool“ und „kultig“ ist, andere Vorstellungen haben als ihre Eltern.
Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kann deshalb prognostiziert werden, dass profillose “Allerweltsbäckereien“, die wie ängstliche, bewegungslose Kaninchen vor der „Discount-Schlange“ sitzen, auch von dieser gefressen werden. Der Markt benötigt keine grauen Mäuse. Die „Mitte“ bleibt auf der Strecke - entweder man ist „saugünstig“ oder „saugut“.
Das Dümmste, was die klassischen Bäckereien in der derzeitigen Situation also tun können, ist, bei der vorhandenen Kostenstruktur die Preise nachhaltig zu senken. Wer eine solche Strategie verfolgt, soll einmal im Lexikon unter „Harakiri“ nachschlagen. Das Zitat eines GFK-Managers, „wer gegen den Klitschko gewinnen will, sollte nicht gegen ihn Boxen“, trifft wunderbar den Kern der Sache. Der historische David hätte beim Faustkampf gegen Goliath keine Chance gehabt. Die Märkte polarisieren.
Wer als handwerkliche Bäckerei sein Heil im unteren Marktsegment sucht, hat keine Chance. Gefragt sind Positionierungs- und Nischenstrategien im oberen Marktsegment. Auch in rezessiven Zeiten gibt es Verbraucher, die sich das „Gute“ leisten wollen und können. Wahrscheinlich jedoch werden es weniger.
„Das Gute“ ist allerdings längst nicht mehr nur das gute Produkt.
Seit Maslows Bedürfnispyramide wissen wir: Die Käufer streben nach Selbstverwirklichung - man will einen guten „deal“ gemacht haben - entweder etwas Besonderes oder etwas Günstiges erstehen und dafür Anerkennung erlangen.
Für diejenigen Verbraucher, für die einkaufen mehr ist als „Taschen füllen“, muss man zusätzlichen Nutzen kreieren. Die Überlebensfrage für alle traditionellen Bäckerein lautet folglich: Wie werde oder bleibe ich Premium-Bäcker? Der Prozess, der bei dieser Frage die Spreu vom Weizen trennt, ist bereits in vollem Gange.

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