- Civilization is the progress toward a society of privacy.... - Popeye, 21.08.2004, 10:36
- Re: Rückfall inh die Barbarei - R.Deutsch, 21.08.2004, 11:50
Civilization is the progress toward a society of privacy....
-->Der Sinnspruch aus dem posting von @R.Deutsch ist zwar nicht besonders einleuchtend aus meiner Sicht, aber vielleicht hat Ayn Rand sich ja was dabei gedacht…
Falls der Spruch stimmt, deutet die nachstehende Glosse von Brestel jedenfalls die Richtung an in die wir uns entwickeln:
Ärger mit der Post
Blick aus Zürich
Das ist dieser Tage in Deutschland passiert: Ein Brief aus dem Inland an einen inländischen Adressaten war aufgeschnitten und mit einem Aufkleber wieder verschlossen worden. Auf dem stand zu lesen:"Zu Prüfzwecken geöffnet. Briefzentrum 64, 64305 Darmstadt, Deutsche Post". Der Empfänger war empört."Was ich heute erlebt habe, hat mich mit großer Unruhe und tiefer Sorge erfüllt. In was für einem Staat leben wir eigentlich heute? Ohne irgendeinen speziellen Anlaß werden Briefe geöffnet und,geprüft'. Das Briefgeheimnis gilt offensichtlich bei der Post in Deutschland nicht mehr."
Was war geschehen? Eine Inlandsfirma hatte mit der Post einen Vertrag über den Transport einer Inlands-Massensendung von 500 Briefen zu ermäßigter Gebühr geschlossen. Der Absender mußte ein Revers unterschreiben, nach dem die Post zu Stichproben berechtigt war. Damit sollte verhindert werden, daß der Absender nicht etwa in solchen verbilligten Sendungen"normale Briefe zu höherem Porto" einschmuggelt. Der Empfänger wurde mit dem Aufkleber zwar über die Ã-ffnung informiert, aber nicht über die Gründe, warum es hier einen Eingriff ins Postgeheimnis gab, wie es der Empfänger empfinden mußte.
Das zeigt, wie empfindlich heute Bundesbürger im Umgang mit ihrer Post geworden sind. Briefe werden auch im grenzüberschreitenden Postverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland und umgekehrt"stichprobenartig" kontrolliert. Im Auslandsverkehr ist der Zoll zuständig. Auffällige Briefe werden in Kontrollzentralen gebracht und dort mit hohem technischen Aufwand unter die Lupe genommen. Nun gibt es ein Merkblatt, das Bundesbürgern an der Grenze zur Schweiz ausgehändigt werden kann:"Wichtiger Hinweis für alle Reisenden". So setzt der Zoll voraus, daß jedermann weiß, daß es eine Anmeldepflicht beim Transfer von Geld, Edelmetallen und Edelsteinen an den Außengrenzen der Europäischen Union gibt, wenn der Betrag 15 000 Euro überschreitet. Da die Schweiz nicht zur EU gehört, sind diese Kontrollen EU-legitimiert inklusive der Postsendungen.
Wer einen Brief aus der Schweiz nach Deutschland schickt, muß damit rechnen, daß er den Empfänger zuweilen - auch ohne"Vorkontrolle" beim Zoll - nicht erreicht. Auf einem Postamt in der Region Zürich wurde kürzlich ein Brief mit 250 Euro in Banknoten"eingeschrieben" an eine deutsche Adresse aufgegeben. Der Absender wollte seinem Enkelkind zu einem Feiertag eine Freude machen. Der Brief mit dem Geld aber ist nie in Deutschland ausgeliefert worden. Beim Nachfassen erklärte die Schweizer Post, ihre Zuständigkeit höre an der Grenze auf. Sie habe den Einschreibebrief der Deutschen Post nachweisbar übergeben. Diese würde bereit sein, gegen Gebühr nachzuforschen. Aber die Höhe der Kosten könnte die Deutsche Post nicht nennen. Sie fordert eine Art"Suchvorschuß", welche die Schweizer Post sich wiederum vom Absender holen soll. Da hier Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen würden, gab der Absender auf. Da es sich zufällig um einen prominenten Schweizer handelte, kann man sich denken, was der jetzt seinen prominenten Freunden über die Deutsche Post erzählt.
Ärger mit der Deutschen Post gibt es noch mehr. Schweizer, die Briefe - uneingeschrieben - nach Deutschland mit etwas Geld schicken, müssen erfahren, daß die Sendungen auch nicht ankommen. Die deutschen Postämter, befragt, beteuern, daß sie"auf der letzten Meile" - also von der Briefzentrale über den Briefträger zum Empfänger - einfach keine Kontrollmöglichkeiten hätten. Die Postverteilung sei eben Vertrauensfrage. Es bleibe nicht aus, daß es auch im Apparat der Post zuweilen"Ungereimtheiten" geben könne. Mit elektronischen Geräten würden speziell die Metallstreifen in Euro-Banknoten in Briefen identifiziert werden können, ohne daß man sie vorher öffnet. Solche Betrügereien seien einfach Teil der heutigen vielfältigen Kriminalität, die es nicht nur in Deutschland gebe. Kein Wunder, daß da unter Deutschen über den Ärger mit dem Postgeheimnis Assoziationen auch zum Bankgeheimnis geweckt werden. Wenn das Vertrauen in den Staat gestört ist, kommt es eben zu Reaktionen, die Verstöße gegen die Gesetze erklärbar machen.
Ihr Heinz Brestel
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.08.2004, Nr. 194 / Seite 18

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