- Wie die European Greens sich ein Europa der Regionen vorstellen - Stephan, 05.09.2004, 00:05
- Denkanstoß zu (für?) Kohr - Diogenes, 05.09.2004, 16:47
- Territoriale und soziale Grösse - Stephan, 05.09.2004, 20:06
- Re: Territoriale und soziale Grösse - Diogenes, 05.09.2004, 21:24
- Re:soziale kritische Größe - etwas genauer - Stephan, 07.09.2004, 13:04
- Re: Territoriale und soziale Grösse - Diogenes, 05.09.2004, 21:24
- Territoriale und soziale Grösse - Stephan, 05.09.2004, 20:06
- Denkanstoß zu (für?) Kohr - Diogenes, 05.09.2004, 16:47
Re:soziale kritische Größe - etwas genauer
-->Hallo Diogenes,
>Soziale Größe ist mir zu unscharf. Das sagt alles und zugleich auch nichts.
Kohrs Begriff der sozialen Größe ist gleichbedeutend mit der effektiven Größe der Gesellschaft. Im Gegensatz zur physikalischen Größe der Gesellschaft, die allein auf der Bevölkerungszahl beruht, bezieht sich die soziale Größe nicht nur auf einem Faktor, sondern auf vier Faktoren:
~ Zahl,
~ Dichte,
~ verwaltungsmäßige Integration und
~ Geschwindigkeit der Bevölkerung.
Eine dichtere Gesellschaft ist nämlich im Effekt eine größere Gesellschaft als eine mit einer zahlenmäßig gleich großen, aber weniger dichten Bevölkerung. Sie erzeugt mehr Energie. Aus demselben Grund sind lt. Kohr straffer organisierte Gesellschaften effektiv und schnellere Gesellschaften größer als langsamere. (Vergl. Hierzu die Geschwindigkeitstheorie der Bevölkerung. In seinem Buch „Die Überentwickelnten Nationen“, beschreibt Kohr die soziale und kritische Größe sehr ausführlich. Ich kann und will hier nicht das komplette Kapitel einstellen. Bei Interesse zu Kohr kann ich Dir das Buch sehr empfehlen!
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Ganz kurz zum Begriff der sozialen kritischen Größe:
„Jene Gesellschaftsgröße, bei der Probleme weniger durch irgendwelche organisatorische oder menschliche Unzulänglichkeiten als durch Proportionen verursacht werden, so wie in kritischer Höhe Atmungsschwierigkeiten eintreten, einfach infolge der Höhe und nicht etwa, weil die Menschen an Lungenschäden litten, oder wie eine kritische Menge Uran explodiert, einfach infolge ihrer Masse und nicht, weil sich die einzelnen Uranteilchen in ihrem Wesen nach verändert hätten.“
>Ich denke es kommt hauptsächlich darauf an, wie die Beziehungen der Mitglieder untereinander gestaltet sind: auf freiwilliger Basis oder auf Zwang.
Das spielt sicherlich ein bedeutende Rolle. Die Frage warum es zu Zwang kommt und vor allem zu wieviel Zwang, wird damit leider nicht beantwortet.
>Es wundert mich daher nicht, daß Kohr keine genaue Zahl für die"kritische Größe" nennt.
Es gibt keine genaue Zahl für die „kritische Größe“. Bevor man sich mit der kritischen Größe für ein Objekt, Staat oder Wirtschaftsunternehmen beschäftigt wäre es meiner Meinung nach wichtig, sich erst mal über die optimale Größe Gedanken zu machen. Wovon hängt also die optimale Grösse ab? Kohr antwortete darauf:
„Die Antwort hängt, wie bei allen Fragen der Größe, von dem Zweck ab, dem die Sache dienen soll.“
Ein Gebäude kann z.B. ein Bahnhof, ein Schuppen, ein Mehrfamilienhaus (extrem: Plattenbauten), oder ein Einfamilienhaus sein. Bei einem Wohnhaus besteht der Zweck, der seine Größe bestimmt, darin das es Obdach gewährt. Das besagt jedoch nicht, dass die angemessene oder optimale Größe für alle Wohnhäuser dieselbe wäre. Unterschiede im Geschmack und in den Bedürfnissen der Wohnkultur lassen einen breiten Spielraum für das was der einzelne unter Obdach versteht. Für Diogenes, Deinem Namensgeber, reichte eine Tonne, ein Ritter des Mittelalters bezeichnete seine Burg als Obdach, oder besser als Heim. Zweckentfremdung wäre demnach, wenn ein einzelner Mensch in einer Burg leben würde, obwohl diese Burg ursprünglich einmal für 300 Menschen gebaut wurde
Optimale Größe hat einen breiten Spielraum zwischen zwei Extremen. Allerdings gibt es auch hierfür absolute Grenzen. Jenseits dieser Grenzen wird ein Wohnhaus nicht nur zu klein (Diogenes Tonne z.B., kleiner geht’s nimmer) oder zu groß, (Wolkenkratzer mit 4000 Stockwerken. Die Anzahl der notwendigen Fahrstühle, Treppenhäuser, würden so viel Raum einnehmen, dass der ursprüngliche Gedanke, in dem Gebäude zu arbeiten nur noch eine minimale Fläche erhält) Der Maßstab für ein zu konstruierendes Gebäude hängt also von dem Zweck ab, den das Gebäude erfüllen soll. Oder nimm beispielsweise einen Zahn. Je nach Zweck (Raubtier mit Reisszähnen <-> Kuh mit Mahlzähen) können die Zähne unterschiedliche Ausprägungen haben. Innerhalb einer bestimmten Größe gibt es eine Vielzahl von Manifestationen. Würde ein Zahn aber über eine bestimmte Größe hinauswachsen, könnte er nicht mehr seinen Zweck erfüllen, und evtl. seinen Besitzer sogar verletzen.
Es geht also nicht um eine Größe die dauerhaft stabil bleibt. Es geht im Prinzip um ein bewegliches oder atmendes (wenn Dir das besser gefällt) Gleichgewicht. Erst wenn eine Größe weiterwächst, also wenn ein Überwachsen stattfindet, kommt es zu einer kritischen Größe, die die Ursache für Instabilität ist oder die den ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllt.
>>Kohr führte selbst „erfolgreiche Experimente internationaler Bündnisse“ an. Territorial große Ausdehnung und Kleinzellenprinzip sind also nicht per se negativ, zumindest was die Föderation betrifft, können sie wunderbar funktionieren: Mexiko, Argentinien, Brasilien und Australien.
>Eben, es kommt darauf an, wie die Kleinzellen untereinander in Beziehung stehen worauf die Bezieungen gründen. Die kleinste Kleinzelle ist der einzelne Mensch.
Ja, aber was will ein Mensch schon alleine? Er ist ein geselliges Wesen. Und damit benötigt er die Gesellschaft. Die Frage wann eine Gesellschaft ins instabile abrutscht, erklärt Kohr eben mit der kritischen sozialen Größe (siehe oben)
>>Aber wollte Albanien eine Großmacht werden? Wie war die Macht in Albanien verteilt? War es zentralistisch regiert?
>Einwohner etwa 3,5 Mio, also weit unter der"kritischen Größe". War eine Diktatur stalinistischen Zuschnitts. Für eine Großmacht hat es nicht gereicht, was aber seinen Einwohnern nicht geholfen hat.
Lassen wir Albanien außen vor, da eh keine Demokratie, sonst schweifen wir zuweit ab ;-)
>>Wie aber wollte man eine Akkumulation der Macht auf privater Seite verhindern?
Man bräuchte dann so etwas wie eine Größenbegrenzung. Wer hätte dazu die Macht?
>Der Markt. Die Größenbegrenzung erledigt der freie Wettbewerb. Auf der einen Seite ergeben sich aus Größe Synergien. Auf der anderen Seite ist jedes Unternehmen intern eine >Planwirtschaft. Je größer das Unternehmen, desto größer die Planwirtschaft. Je größer die Planwirtschaft, desto ineffizienter. Es pendelt sich also dazwischen ein.
>Heutzutage leben die Großkonzerne hauptsächlich von Subventionen, die die kleinen und mittleren zahlen und von Steuerausweichkonstrukten, die nur sie nützen können. Dazu kommt Einfluß auf die Gesetzgebung via Lobbiing, um anderen den Marktzugang zu erschweren. Wenn die sich einem fairen und freien Wettbewerb stellen müßten, hätten sie nichts zu lachen. Die würden bald auf eine kleinere Größe zusammenschmelzen.
Eben. Wenn sie sich eine fairen und freien Wettbewerb stellen müssten...Tun sie aber nicht! Taten sie noch nie. Warum sollten sie es tun? Ich glaube nicht an den Mythos Markt, der alles regelt. Er regelt sehr viel, diktiert aber auch sehr viel. Viels davon ist schädlich für die Umwelt, schädlich für das Zusammenleben der Menschen. Dem Markt alles zu überlassen, hiesse ja die Bedürfnisse der Menschen hinten an zu stellen. Der Markt findet es heute sinnvoll, alle Güter quer durch Europa zu kutschieren, mit den dazugehörigen schädlichen Auswirkungen. Nein ohne Grenzen verliert alles seine Dimension. Aber Barrieren sind nicht gleich Grenzen! Der Markt, die Größe des Marktes, die Forderung nach Auflösung von Grenzen und die Korruption hängen auch immer zusammen.
Siehe die Korruptionspostings von heute auf feldpolitik.de!
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>Ich denke, man muß"soziale Größe" sehr differenziert betrachten, das Ding ist facettenrecht. ;-)
Ja, es ist noch ein weites Feld. Im Link unten ist noch ein Anhang von Leopold Kohr enthalten, der Dich vielleicht interessieren dürfte: Bevölkerungsmasse und Umlaufgeschwindigkeit
spätsommerliche Grüsse
Stephan
<ul> ~ Faktische und visionäre Alternativen zum Nationalstaat</ul>

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