- Chronologie (Poggio) - Dottore - Dimi, 09.10.2004, 22:40
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - dottore, 10.10.2004, 13:55
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - bernor, 10.10.2004, 19:05
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - dottore, 11.10.2004, 17:40
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - bernor, 12.10.2004, 01:15
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - dottore, 11.10.2004, 17:40
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - Dimi, 10.10.2004, 20:42
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - dottore, 12.10.2004, 23:11
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - bernor, 10.10.2004, 19:05
- Re: Chronologie (Poggio) - Dottore - dottore, 10.10.2004, 13:55
Re: Chronologie (Poggio) - Dottore
-->Hi dottore,
erstmal schönen Dank für die Fotos und den übrigen Input, der mich (und andere sicher auch) wieder ein bißchen schlauer (oder wenigstens nachdenklicher) gemacht hat:
Das"christliche Latein" der Spätantike ist ja auch in der herkömmlichen Wissenschaft längst als"Sondersprache", die vom klassischen Latein in vielem abweicht, erkannt worden - allerdings mit einer Herleitung aus der"vulgären" Umgangssprache, die bei näherer Betrachtung so nicht (mehr) überzeugen kann:
Aus anderen Texten / Inschriften sind typische Veränderungen in der Aussprache des spätrömischen Lateins erkennbar, z.B.:
1) der Wandel von -ti- vor Vokal zu -ts(j)- wie in Vincentza, sapiensie usw. (schon ab dem 2. Jh., siehe auch heutiges ital. nozze aus nuptiae, frz. grace aus gratia, span. razón aus ratione),
2) das b wurde weicher und damit praktisch identisch mit v (Aussprache offenbar noch wie engl. w) gesprochen und daher häufiger mit diesem verwechselt (unibersis statt universis u.a., siehe analog dazu heutiges spanisches b und v),
3) g vor hellen Vokalen und j wurden zu z (stimmhaftes ts), ebenso teilweise -di- vor Vokal, z.B.: hodie (heute) zu ozie (daraus ital. oggi),
4) das Schluß-m, schon vorher nur flüchtig (nasal?) gesprochen, fiel ganz weg, ebenso n vor s (z.B. pensum zu pesu / peso, in Rom: Trans-TÃberim zu Trastévere),
5) für die Vokale i und u wurde oft e und o geschrieben (und umgekehrt), siehe auch heutiges span. torre für turris u.a.),
6) die Diphthonge au, ae und oe wurden zu langen o, ä und e,
7) und und und...
(Nr. 2, 4, 5, 6 wirkten sich auch auf die Grammatik aus - z.B. Reduzierung der fünf bzw. sechs Fälle des Substantivs auf nur noch zwei).
Wie weit sich das Vulgärlatein teilweise von der klassischen Form entfernt hatte, zeigt ein Beispiel aus dem"Appendix Probi" (Wortliste als Anhang zu einem Werk eines"Oberlehrers" Probus, ca. 4. Jh.): dort wird der"richtigen" Form auris (Ohr) ein"falsches" oricla (aus auricula) gegenüber gestellt.
Von alledem findet sich im angeblich"volkstümlichen" Kirchenlatein - nichts.
Dieses ist daher offenbar, einschließlich der von mir geposteten Beispiele, nur ein Sammelsurium aus klassischen lateinischen und griechischen Wörten / Formen und Versatzstücken, aus Wortwurzeln und Ableitungen beliebig zusammenbastelbar (siehe doct(o)r + ina = doctrina) - und damit, wie Du es schon gesagt hast, nur ein Teil, ein Spiegelbild des Lateins im Mittelalter, wo es schwierig gewesen sein muß, an die klassische Form heranzureichen.
Dazu noch ein schöner (entlarvender?) Satz von"Augustinus" im doctrina dingsbums:
"Besser, ihr versteht uns in unserer barbarischen Sprechweise, als daß ihr mit all unserer gepflegten Redekunst verlassen bleibt."
Schönen Gruß zurück
bernor
PS: Und auch vom"doctor" als vermeintlich klassische Form müssen wir uns wohl verabschieden: das Wörterbuch (Langenscheidt) bringt als Belege nur"doctor gentium" = "Apostel Paulus als Lehrer der Heiden" und"quattuor doctores" = "Ambrosius, Augustin(us), Gregor I. und Hieronymus" - gut, daß wenigstens"dottore" echt ist... [img][/img]

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